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Mannheimer Abendzeitung — 1848

DOI Kapitel:
No. 209 - No. 234 (1. September - 30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44565#0875

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Inſerate


frei einzuſenden.













68. Sitzung der konſtituirenden Nationalverſammlung.
Dienſtag, den 29. Auguſt 1848.

Nach Genehmigung des geſtrigen Protokolls übergibt Vicepräſident v.
Soiron eine Rechnung über die von dem Vorparlament und dem Fünfziger-
ausſchuß verbrauchten, zum Theil von den ſtädtiſchen Behörden Franffuͤrts
vorgeſchoſſenen Gelder, und beantragt Genehmigung der Rechnung und der durch
das Bureau erfolgten Rückzahlung dieſer Gelder. ,

Eiſenmann kündigt einen Nachtrag zu ſeinen früheren Interpellationen an.
Es bereite ſich eine furchtbare Reaction vor (allgeméines Gelächter); ja, jetzt
fehe ich die Reaction; früher ſah der, welcher durch ein reines Glas ſah, keine
Reaktion, jetzt aber liegt ſie Mar vor. Er bittet um Erlaubniß zu Mittheilung
einer Thatſache, die die Reaction beweiſen ſoll und findet dieſe in der Nach-
richt, daß die öſterreichiſche Regierung beabſichtige 28,000 Böhmen und Polen
nach Italien zu ſenden, um eben ſo viel Eroaten dort abzulöſen, welche zur
Unterdrückung von Ungarn vexwendet, werden ſollen. Diefe Nachricht habe er
aus ſicherer Quelle, die auch das Reichsminiſterium anerkennen werde, da es
dieſelbe Nachricht aus derſelben Huelle erhalten habe. Mit Ungarn werde man
anfangen, mit Deutſchland aufhsren. (Bravo)! Jellachich, Windiſchgrätz und
Radetzty ſtänden im innerffen, Vernehmen, um die Freiheit in Defterreich zu
unterdrücen, Er verlangt Abſendung eines Geſandten nach Ungarn und fragt
das Miniſterium, ob es geneigt ſei, das bald zu thun? (Beifall.) Die In-
ſerpellation wird unterſtützt, ba aber nur die Reichsminiſter des Innern und
der Finanzen anweſend ſind, kann kein Tag einer Beantwortung beſtimmt
werden.

Man geht zur Tagesordnung, der Berathung des 5. 14 der Grundrechte




ments eingegangen ſind, lautet:

Neue Religionsgeſellſchaften dürfen ſich bilden; einer Anerkennung ihres

Bekenntniſſes durch den Staat bedarf es nicht.

Minoritäts⸗Erachten:

1) Die beſtehenden und die neu ſich bildenden Religionsgeſellſchaften ſind als
ſolche unabhängig von der Staatsgewalt; ſie ordnen und verwalten ihre

Angelegenheiten felbſtſtändig. ; -

Die beſtehenden und die neu ſich bildenden Religionsgeſellſchaften ſind alg
ſolche unabhängig von der Staatsgewalt; ſie ordnen und verwalten ihre
inneren Angelegenheiten felbftftändig.

39 Sede Religionsgeſellſchaft iſt berechtigt, ihre inneren Angelegenheiten un-
abhängig vom Staate ſelbſt zu ordnen und zu Verwalten, Die Beſtel-
lung von Kirchenbeamten bedarf keiner Beſtätigung von Seiten des Staa-
tes. Das Kirxchenpatronat iſt aufgehoben. -

Keine Religionsgeſellſchaft genießt vor anderen Vorrechte durch den

Staat. Es beſteht fernerhin keine Staatskirche.“

Ahrens und v. Laſaulx bevorworten das zweite und das erſte Minoritäts-
gutachten. Lctzerer findet den Charakter ſämmtlicher Bewegungen der Neuzeit
in der Auslöſung aus den mittekalterlichen Beſchränkungen, indem die innere
Triebfeder das Streben nach indipidueller Freiheit ſei. In der Geſchichte der
chriſtlichen Kirche habe ſich die Lebensgeſchichte Jeſu wiederholt. Märtyrer —
Kindermord, Anachoreten — Verſuchung in der Wüſte, Streit über die Abend-
mahlslehre — Zank, und Trennung der Jünger. An welchem Stadium wir
angekommen, ſei nicht zweifelhaft; das jetzige Leben ſet in keiner Beziehung
mehr ven Chriſtenthum durchdrungen, ſelbſt in dieſem Hauſe habe man gefagt,
die chriſtliche Kirche müſſe vernichtet werden und ſo find wir, Dank dem Bete
telftolz des vorigen JZahrhunderts, bei den Tod und der Grablegung angefom-
men! Als Wächter am Grahe, damit die Jünger den Leichnam nicdht ſtehlen
konnten, hielten die ſchwarz und gelb oder ſonſt geſtreiften Polizeiſchergen Wache
damit der Heiland weder in noch außer der Kirche wieder auferftehe. eei
Es wäre Schmach und Echande, wenn die im Staate vernichtete Bur auttl
in der Kirche beſtehen bliebe. Wer das wolle, führe zweierlei Maß und Ge-
wicht, ſei alfo ein Betrüger. Hauptſächlich wendet ſich der Redner gegen die
bisher von dem Staate ausgeübte Cenſur der päpſtlichen Bekanntmachungen
und deren Unterdrückung. Es ſei eine nichtswürdige Inconſequenz, die welt-
liche Gemeinde ſelbſtſtändig zu machen, die kirchliche Gemeinde nicht. Charak-
teriſtiſch ſei es, daß in dem ganzen Entwurf der Grundrechte weder der Name
Gottes noch Jeſu vorkomme. (Allgemeines Gelächter.) — Das bisherige Ver-
hältniß des Staats zur Kirche ſei unerträglich geweſen, das religiöfe Bekennt-
niß des Cultusminiſters habe wie ein Alp auf dem Lande gelegen. Die Wie-
dereinführung deſſelben würde die Leidenſchaften des Volks auf das dedenklichſte
erregen. — Einzelne Atheiſten mag es in größerer oder kleinerer Anzahl geben,
ein Volk ohne poſitive Religion habe nie exiſtirt; das Erwachen Deutſchlands
nach langem Schlafe, die politiſche Wiedergeburt Deutſchlands könne nur auf
Grund der kirchlichen Wiedergeburt erfolgen. Wer Freiheit im Staate wolle,
und ſie der Kirche verſage, zeige Mangel an Verſtand oder an Herz, oder an
beiden Geifall) und begehe einen Verrath. In Bezug auf die verſchiedenen
Amendements bemerkt er, daß der Unterſchied zwiſchen inneren und äußexen An-
gelegenheiten nixgends mehr verfehmt ſei, alg in der Kirche, in der ſich Inneres
und Aeußexes ſtets unzertrennlich verbinden. Wolle man den Polizeiſtaat gründ-
lich abſchaffen, ſo müſſe man den alten Streit über die Gränzen dieſer Ange-
legenheit nicht erneuern. — Wir leben in einer Zeit, die unverkennbaͤre Aehn-
lichkeit mit der Zeit der Völkerwanderung hat, in der Zeit der Wanderung der
Vrinzipien. Es iſt Zeit, den Prinzipien ſcharf in die Tugen zu ſehen und dem
Weltgeiſt eine entſchiedene Antwort zu geben. Geben Sie dein Voͤlke die Frei-







aber doch mit einer von dem vorigen Redner ganz verſchiedenen Auffaſſung; er-
klärt ſich gegen das Minoritätsgutachten und für, den Entwurf „deſfen Faſſung
er jedoch erweitert haben will! Wenn man nicht unbedingt der katholiſchen
Kirche den Verkehr mit Rom, die Beſetzung der kirchlichen Aemtex von Dort ge-
ſtatten wolle, ſo möge ſich die Kirche, namentlich die proteſtantiſch-pietiſtiſche,
krinnern, wie jede Kirche alg Polizeianſtalt gemißhraucht worden; laſſe man jenes
zu, ſo ſei eine Säule für die alte Tyrannei geblieben, worauf hald Viele ein
neues Gebäude zu gründen bereit fein würden, namentlich die zu frühriederſieg
wordene Ariſtokratie. (Beifall.) Der Staat ſei die Form, worin die Ideen
der ſittlichen Freiheit ſich verwirklichen ſollen, auf dieſer beruhe Entfaltung des
ſittlichen Volkslebens, ſowie dex Wiſſenſchaft, ſolle die Ideen yerwirklicht wer-
den, ſo müſſe der Staat jede Macht, die ipr entgegenwirken könne, ſich unter-
zuordnen wiſſen. Es ſei vorher der Entwickelungsgang des Chriſtenthums ge-
ſchildert worden, er halte dafür, daß es im Stadium der Verklärung ſich be-
finde. (Bravo) Er müſſe auch dem widerſprechen, daß der Proteſtantismus
die kathoͤliſche Kirche fürchtet; wir fürchten eine Kirche nicht, die ſich nur zögernd
und vorſichtig zu dem Prinzip der Glaubens- und Gewiſſensfreiheit entſchließt;


ſind ſchon da (Beifall) in ſchwarzen und bunten Röcken GGeifall), es werden
noch tauſende nachfolgen, aber der Proteſtantismus wird ihnen zu widerſtehen
wiſfen. (Bravo.) Schließt mit Empfehlung des Ausſchußantrags und mit der
Warnung vor dem Ausſßruch der völligen Unabhängigkeit der Kirche vom
Staate. Beifall.) ;
Gfrörer ftößt ſich an die im Entwurf den neuen Sekten zugeſicherten Rechte,
die den längſt beſtehenden Kirchen nicht gleichzeitig gewährt wurden, und empfiehlt
daher das lerſte Minoritätsgutachten in einem längexen Vortrage im Laffauly-
ſchen Sinn. Er fordert mit fanatiſchem Ungeſtüm hänzliche Unabhängigkeit der
Kirche d. h. der katholiſchen, von allem Einfluſſe des Stgates und ſucht die
Nothwendigkeit derſelben durch einen langen geſchichtlichen Vortrag zu erweiſen.
Unerträglich fei der jetzige Zuſtand, wo ein ehrlicher Mann ſich nicht zum Chri-
ſtenthum bekennen könne, ohne für einen Heuchler oder für einen Dummkopf zu
elten. n
Präſident unterbricht den Redner, weiſt ihn wegen dieſer Aeußerung zu-
recht (Widerſpruch) und bittet künftig die biſtorifchen Vorträge abzukürzen. (Ge-
lächter.) Der Redner empfiehlt das erſte Minoritätserachten; mit der Nagel-
ſchen Verbeſſerung, weil es Hörner und Zähne habe. *
Wigard ſpricht für das dritte und vierte Minoritätserachten. Die Haupt-
ſache ſei die Befreiung des Individuum und der Gemeinde von dem Zwange
des Staats, wie von dem Zwange, den die Kirche ſelbſt ausübe und vielfach
ausgeübt habe. Diefem Zwang werde durch Annahme der Minoritätserachten
vorgebeugt; der Redner ergeht ſich in Auseinanderſetzungen des katholiſchen Dog-
mas, um nachzuweiſen, daß dieſe Anträge demſelben nicht widerſprechen. Unter
Aufhebung des Kirchenpatronats verſteht er nicht nur das weltliche Patronat,
ſondern auch das biſchöfliche, und verlanget für die Gemeinden ohne Unterſchied
das Recht ſelbſtſtändiger Beſtellung ihrer Kirchenbeamten; ihre Unabhängigkeit
und Selbſtſtändigkeit ſolle geſetzlich feſtgeſtellt werden, nicht die der Kirchenoͤbern,
damit die Prieſterherrſchaft nicht wieder in Deutſchland eingeſührt werde. Zuletzt
widerlegt er einige Sprecher vor ihm. (Beifall.)
Friederich erklärt ſich für das zweite Minoritätserachten. Giskra, nachdem
er des geliebten Rufes nach Schluß unerachtet zum Wort gelangt, zwar für
vollſtändige Glaubens- und Gewiſſensfreiheit, behauptet aber, daß die Kirche
im Staate ſtehe, denn ſie ſei eine Vereinigung im Staate, ihre Diener feten _
Staatsbürger. Die Kirche außerhalb des Staates ſtellen, heiße den Staat un-
tergraben. Er warnt vor Uebergriffen der römiſchen Hierarchie, welcher die
Unabhängigkeit der Kirche vom Staate ein Mittel zur Prieſterherrſchaft ſichere,
und ſchildert deren Treiben mit ſtarken Farben unter wiederholtem Beifall und
— Ziſchen von den Ultramontanen. Wenn Oeſterxeich — der Redner hält ſich
rein auf dem öſterreichiſchen Standpunkt — zur Beſinnung komme, werde ſes
ſich von Rom losreißen, die Klöſter aufheben und ſich mit allen Kräften dem
Deutſchkatholizismus zuwenden. (Zuruf: oh! Lebhafter Beifall von der Linken)
Der Redner verwendet ſich, unter Verwerfung des Ausſchußantrags, für das
* und vierte Minoritätserachten und ſchließt unter anhaltendem, lebhaftem
eifall.
Blömer ergeht ſich vom katholiſchen Standpunkt aus in weiten Umſchwei-
fen. Auf den Kuf „zur Sache“ ſchritt ſofort Präſident ein, der gegen die Un-
terbrechungen Giskras von Seiten der ultramontaͤnen Vartec taub und blind ſchien.
— Der Redner erklärt ſich gegen die Waͤhl der Geiſtlichen durch die Gemein- .
den, indem das katholiſche Dogma die Ernennung durch den Biſchof vorſchreibe
Auf Kuenzers Zuruf: das iſt nicht katholiſch, ſieht man Laſſaulr heftig aufſprin-
gen und Ruhe gebieten. Präſident klingelt. Der Redner faͤhrt in dem bekann-
ien ultramontanen Gedankenkreis fort, 7
Rösler. Wenn die katholiſche Kirche über Bedrückung durch den Polizei-
ſtaat klage, ſo ſei ſie im Irrthum; in den einzelnen Staaten, z. B. in Baiern,
Deſterxeich und Preußen beruhten die Verhältniſſe zur kath. Kirche Staat und auf
Verträgen! die dex Papſt gutgeheißen, ja für ein großes Glück für die Kirche
exrklärt. Freilich ſeien die Herren von dem politiſch-katholiſchen Blatte gewohnt,
ſich allein für die katholiſche Kirche zu erklären. (Beifall.) Die Kirche ſelbſt
habe eine Befreiung nicht verlangt, von ihren Organen, dem Papſte, den Eon-
cilien, den Synoden ſei das Verlangen nicht geftellt worden, alſo könne man
gar nicht ſagen, die katholiſche Kirche wolle voͤn den Einwirkungen des Staa-
tes befreit ſein. Eben ſo wenig habe es die proteſtantiſche Kirche verlangt. —
Die Petitionen für dieſe Befreiung ſeien nur von einem kleinen Theil Deutſch-
lands ausgegangen, gerade ſo wie vor wenig Jahren die Motion Zittels Pe-
titionen im entgegengefetzten Sinne veranlaßt hätte. Wenn Laſſaulx und An-
dere die Kirchenfreiheit verlangen, ſo falle ihm ein: Timeo Danaos et dona fe-
rentes. (DBeifall.) Der Redner empfiehlt das von Umbſcheider und Gelden
geſtellte Amendement; zum dritten Minoritätserachien, und behält ſich den Anz —




 
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