Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mannheimer Abendzeitung — 1848

DOI Kapitel:
No. 209 - No. 234 (1. September - 30. September)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44565#0876

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


*


trag auf namentliche Abſtimmung daruber vor. — Wenn derſelbe die Ernen-
nung der Geiſtlichen für die Gemeinden verlange, ſo ſei damit ja nur die Wahl,
nicht die Ertheilung der Dualität des Geiſtlichen verbunden! Geſchichtlich weift
er nad, daß vom unterſten Geiſtlichen bis zum Papſte hinauf die Ernennung
den Gemeinden zugeſtanden habe, und bis auf die neueſten Zeiten ein Theil
dieſer Ernennungen noch in den Händen einzelner Gemeinden oder anderer welt-
licher Perſonen liege. So weit überhaupt ein weliliches Patronat mit dem ka-
Holiſchen Dogma vereinbar ſei, ſo ſei eg auch die Uebertkagung der Wahl der
Geiſtlichen auf die Gemeinde. — Häuftge Unterbrechungen und Mißfallsbezeu-
gungen von der Rechten laſſen einen Theil der Rede nicht verſtehen. Er wendet
ſich an Radowitz und fragt, ob er feine Mittheilungen über die Jeſuiten als
offiziell betrachten könne? und ſchließt mit einer Anſßielung auf die Fabel von
den Wölfen und Schafen. — Schluß.

** Frauzöſiſche Juſtiz gegen deutſehe Flüchtlinge.

Eine Geſchichte, wie ſie in deutſchen Polizeiſtaaten zu Metternichs Zeiten
manchmal vorkam.

Zu Anfang dieſes Monats eröffnete der Polizeikommiſſär Pfiſter zu Straß-
burg dem deutſchen Flüchtling Karl Blind einen Befehl der Departementalbe-
hörde, kraft deſſen Letzterer aus der genannten Stadt ausgewieſen ſei.
Eine Unterſuchung oder Vernehmung hatle vorher in keiner Weife ſtattgefun-
den. Als Hr. Blind nach den Gründen der gegen ihn ergriffenen Maßregel
fragte, ließ der Polizeikommiſſär Etwas von lütckariſchen „Angriffen gegen die
fraͤnzöſiſche Regierung und die Nationalgarde“ fallen, jedoch nur Privatim,
nicht als offtzielle Angabe. Amtlich wurden dem Flüchtling Blind keine
Gründe mitgetheilt. Er erklärte daher die Ausweiſung vor dem Beamten für
eine „auf unbewieſene Denunziationen hin genommenche, jedes rechtlichen Ka-
rakters entbehrende Gewaltmaßregel“; worauf der Kommiſſär in ſeiner Amts-
eigenſchaft mit der Juſtiz der Nationalgarde von Straßburg drohtel

Blind reiste nun nach Kolmar, ohne daß ihm ſchon ein feſter Termin ge-

ſetzt war. Er kehrte dann, ehe noch die „paar Tage“ verfloſſen waren, welche
ihm zur Ordnung ſeiner Angelegenheiten gegeben waren, nach Straßburg zu-
rück, und wollte ſich dann von hier aus ins Innere wenden. Kaum ın Straͤß—
burg angelangt, war er bereits wieder vor den Kommiſſär beſchieden, der ihm
einen neuen Befehl des Miniſters der franzöſiſchen Republik mittheilte, nach
welchem Blind nun nicht bloß aus Stratzburg oder von der Gränze verwieſen,
ſondern aus ganz Frankreich verbannt war. Und zwar: weil er
fähig ſei, durch ſeine Gegenwart die Ruhe und öffentliche Ordnung zu ſtö-
ren“, und weil er ſich der erſten Aufforderung zum Weggehen nicht gefügt
habe!! Das Erſte war auch nicht im Mindeſten bewieſen7das letzte iſt un
wahr. Da jedoch die Maßregel mit der Drohung verbunden war, Blind „im
Weigerungsfalle durch die öffentliche Gewalt an die ſchweizer Gränze führen
zu laſſen,“ und da ein Flüchtling hülf- und machtlos iſt, ſo erklärte der Ver-
bannte: „gleich am nächſten Morgen mit dem Dampfſchiff nach Lauterburg,
wo er Einiges zu ordnen pabe, reiſen zu wollen, um ſich dann von da in
die Schweiz zu begeben und Frankreich für immer Lebewohl zu ſagen.“ Der
Kommiſſär nahm dieß an und verſprach Geſtattung des freien Durchpaſſirens
durch Straßburg bei der Rückreiſe. Unter Aufſicht von Polizeibeamten beſtieg
nun Blind das Dampfboot und fuhr den freien Rhein hinab zwiſchen Deutſch-
land, das ihm ſeit Monaten verſchloſſen war, und Frankreich, das ihm in
wenigen Tagen für immer verſchloſſen ſein ſollte.
; Von Lauterburg reiste er Ddarauf nach Straßburg zurück, packte ſeine
Effekten, und ſchlief die Nacht in der Stadt, um am nächſten Tage früh mit
der Eiſenbahn Straßburg und Frankreich zu verlaſſen. Gegen fünf Uhr Mor-
gens aber erſchienen plötzlich die Polizeibeamten der franzöſiſchen Republik,
führten ihn vor einen Kommiſſär und von da in's — Gefängniß! Dort
wurde er körperlich unterſucht, gemeſſen, ſein Signalement aufgenommen und er
unter die Zahl der Gefangenen förmlich etarangirt. Durch einen Gensdarmen
vor den Unterſuchungsrichter geführt, theilte er mit: „daß er im Vertrauen
auf die Zuſage des Polizeikommiſſärs und bloß, weil er in Straßburg
die nöthigen Reiſemittel erhielt, die Nacht dort zugebracht habe; er
wünſche gemäß ſeiner gehegten Abſicht ſogleich Frankreich mittelſt der Eiſen-
bahn verlaſſen zu dürfen.“ Nichtsdeſtoweniger wurde er in's Gefängniß zu-
rückgeführt und in eine Stube gebracht, wo gegen ſiebzig andre Gefangene
Diebe, Vagabunden u. f. w., unter lautloſer Kirchenſtille, an ihren Platz ge-
bannt, inWolle arbeiteten! In der Atmosfäre dieſer ſiebzig duftenden Men-
ſchen hatte er den Tag über ſeinen Aufenthalt. Um ſieben Uhr Abends mußte
er auf Befehl zu „Bett“, wenn man mit Ungeziefer angefüllte Strohſäcke
ſo nennen darf; um ſechs Uhr auf Befehl wieder aufſtehen, um ſich in Ge-
meinſchaft der ſiebzig Genoſſen am Trog zu waſchen. Sechsmal des Tags
mußte er bei Gebeten und Bekreuzigungen anweſend ſein und außerdem
zweimal des Tags beim Eſſen (Suppe und Brod) von einem Gefangenen die
Geſchichte über die unbefleckte Empfängniß Mariä, über die heiligen drei Kö-
nige und den bethlehemitiſchen Kindermoͤrd vorlefen hören!! Ein Stückchen
Papier, um an ſeine Freunde ſchreiben zu können, erhtelt er erſt am zweiten
Tag Abends, nachdem er dem Ueberbringer des Briefes einen Franken ver-
ſproͤchen hatte. Ein Gefängnißwärter und der Schließer hatten ihm das Stück-
chen Papier mit einer wahrhaft beſtialiſchen Brutalität verweigert, weil er, auf
ſeine Verhaftung nicht gefaßt, gerade kein Geld in der Taſche hatte.

Ein Brief an den Proͤkurator der Republik coder wie ein Gefängnißwär-
ter fagte: „Des Königs“) nützte zu ſeiner Befreiung Nichts. Dagegen wurde
er für die Tageszeit nach mehrmaligen Anforderungen zu anderen Gefangenen
in eine beſſere Stube gelaſſen, wo früher Louis Napolcon ſaß. — Seine
Freunde thaten ſich unterdeſſen mit einer aufopfernden Emſtgkeit bei allen Be-
ſörden um, damit ſeine Freilaſſung erwirkt werde. Der Prokurator ließ ihn
jedoch im Gefängniß und machte feinen Bericht nach Paxis.

Als gerade einmal Blind durch's Sitter unter Aufſicht der Gefäagnißbe-
amten mit feinen Freunden ſprach, kam der Polizeibrigadier Benz und höhnte
den Eingekerkerten durchs Gitter hindurch mit ſpötaſcher Grimaſſe, „daß Der
Kommandant von Kehl in zwei Tagen bet der Auslieferung Blind's
eine große Freude haben werde“!! Zwei Tage darauf erſchien der, Peltzei
kommiſſär Mehl im Gefängniß und kündigte an, daß er heute noch Blind
mit Hülfe der öffentlichen Gewalt nach Baſel bringen werde, Man weiß,
was es heißt, einen unlegitimirten total paßloſen, aug dem Zebiet ꝛer ganzen
franzöſiſchen Republik verkriebenen deutſchen Flüchtling nach aſel⸗Stadt brin-
gen; zumal da Blind aus dem Kanton Baſel-Stadt ſchon fräher, auogewieſen
war! Blind's Freunde eilten daher zum Präfekten, der ſich mit Entrüſtung










darüber ausſprach, daß man den Gefangenen habe nach Baſel Führen mur
Sn aller Eile, da die Zeit koſtbar war, ſchrieb der Präfekt * —444
Mehl einen Brief, daß Blind nur an die Gränzé voͤn Frankreich 4
werden ſolle, da wo ſie an Baſelland ſtößt; „weil eine Verbringuͤng 14
ben nad) Bajfeljtadt ſo Viel hieße, als ihn den Händen Dder h *
ſchen Regierung ausliefern.“ Mündlich fagle er den Freunden **
ben, ſie ſollten Blind von St. Louis, dem letzten Punkt Frankreich nach 4
ſelland geleiten. 4 *
Der Polizeikommiſſär Mehl ließ jedoch die Effekten des C
ſiren: ,, Charles ßlillfi, refugie agemanfi , fiägfgäg‚u Gefangenen 8
Drei Polizeibeamte führten ihn an die Eiſenbahn; ſie hatten
ten mitgebracht, wollten jedoch Blind „aus Gefälligkeit nicht ſchließen“, Wa


An der Eiſenbahn waren viele deutſche Flüchtlinge verlammelt: e n

ſten Freunde Blind's waren ſchnell dahin 4 * — — *
Kommiſſär's Mehl zu verhüten, obgleich ihnen bei ihrer Anfrage 8 des
Burequ die Neinung beigebracht werden ſollte, als werde der Gefa 4
am nächſten Tage forttransportirt!! Am Bahnhof nahmen ihn Hr 4 1
Sensdarmen in Empfang; der Erſtere verbot voll Wuth die Unte 44
Blind's mit ſeinen Freunden, da er bemerkte, daß dieſe ihn von der' RE
ſinnung des Präfekten Eiſſen unterrichteten, ZweiſGekannte des —
4 — — mit auf den abgehenden Zug, -

ägrend der Fahrt wiederholte der Kommiſſär Mebl auf di rmali

Aufrage Blind's, daß er ihn nach Bafelftavt 6 * —
ſchien durch das Mitfahren der zwei deutſchen Flüchtlingeßſehr in feinen S‘ITar
vationen genirt; er ließ an jeder Station nach Gengdarmen fragen. **
— 2 Die zwei Flüchtli
ten ſich jedoch vorſichtig damit ausgerüſtet. Da die —
laut den eigenen Worten des Präfekten einer Auslieferung gleichkaͤn, fo ſtelltr
Blind dem Kommiſſär kurz vor St Louis noch ein Mal die 4— 2
abſichtigten Handlung vor und erzählte ihm die Details, welche feine Freunde
ihm ühex die Worte des Präfekten ſchnell hinterbracht hatten; zugleich wies er
darauf hin, daß ſeine mitfahrenden Freunde zu jedein Schuͤtz bereit ſeien. Der
Kommiſſär ſchwieg eine Zeit lang knilſchend. Dann ſagte er, er werde den Ge-
fangenen „dem Maire von St. Louis zur Verfügung ſtellen“. In St. Louis
wurde dann wirklich der Gefangene vor den Matre gebracht, in Begleitung von
zwei neuen Gensdarmen, Der Commiſſär Mehl ſuchte den Herrn Maire durch
rzähluns der politiſchen Wirkſamkeit des Literaten Blind in das gehörige
Feuer zu bringen, um ſeinen Plan vielleicht doch noch durchzuſetzen. Obgleich
e$ nun die Pflicht des Kommiffärs geweſen wärẽ, für ſofortige Freilaſſung des
Gefangenen auf Bafelländer Gebiet hin zu forgen, fo wurde diefer Ddenno®
abermals Mot hindurch in eine Art Stall voͤll der peſthafteſten Gerüche
2 Blind $ Freunde aber gingen dem Kommiſſär nicht von den Ferſen.

Am nadlien Norgen ſahen viefelben den Brigadier Benz von — Bar
fel fommen. In der Verwirrung gab er auf eihe Frage hin an, er fet „um
pier Uhr Morgens in Baſel gewefen, um — — Etwas einzufanfen; da
die Läden aber geſchloſſen warch, fet er Zurlücdgetehrt/ 11 ... Ym's
hatte ſich's freilich gehandelt; oder beffer: um'’s Ver kaufen eines Menſchen. —
Morgens führten die Gensdarmen den Flüchtling Blind wieder vor den Maire,
um dieſem zu melden, daß ſie jetzt den Transport „an die ſchweizer Gränze“
ausführen wollten. Kurz vorher hatte Blind den Sensdarmeriebrigadier zu d
nen Leuten noch bedeutungsvoll ſagen hören: „Ihr werdet dem an eudh er-
gangenen Begehren pünktlich Folge leiſten!“ Er frug daher die Gens-
darmen noch ein Mal bei dem Maixe, wohin ſie ihn zu führen gedächten.
Sie erwiederten: „an die ſchweizer Gränze.“ „Nach Baſelſtaͤdt oder Land?“
Antwort: „Nach Baſelſtadt! Der Maire hatte ſich nun glücklicherweiſe
die Legitimationspapiere des Kommiſſärs Mehl aus deſſen Wirthshaus noch
können nachholen laſſen, da derſelbe dieſe Papiere gegen alle amtliche Ordnung
nach Empfang des über den Gefangenen ausgeſtelllen Scheins mit ſich fort-
genommen hatte! In dieſen Paͤpieren aber ſtand, daß die Ablieferung nach
Baſel einer Auslieferung gleichkomme.

Nach Anſicht dieſer Papiere ſagte der Maire, ein alter Mann, rechtlich
wie es ſchien, obgleich früher Emigrant: „daß er keine Schurkenſtreiche
begehen wolle, und daß er unter keiner Beoingung es zugeben werde, Den ge-
fangenen deutſchen Flüchtling nach Baſel zu liefern. Er wiſſe wohl, daß dort
eine Auslieferung nach Baden bevorſtehe.“ Die Gensdarmen beriefen ſich
nochmals auf den ihnen gegebenen Befehl. Der Maire aber ſchitzte den Ge-
fangenen und gab den Gensdarmen mit Beifügung der ſchwerſten Orohung die
fuͤr Blind günſtige Weiſung. Er ſagte voch zuletzt: „man ſolle nicht, wenn Cr
im Grabe liege ſeinen Kindern vorwerfen können, ihr Bater ſei ein Schurle
gewefen“, — Der Kommiſſär Mehl und der Brigadier Benz, welche ihren
Streich wohl ſchon gelungen glaubten, mögen ſich daran ſpiegeln.

So gelangte Blind durch die energiſche Hülfe, ſeiner Sreunde nad) *
tägiger Gefangenſchaft glücklich aus den Klauen dieſer repuhlikaniſchen egie-
rung und war froh, als er am jenſeitigen Ufex der Birs vdahinfJuhr. *

Wir haben dieſe Erzählung — — gegeben, damit endlich
republikaniſche Partei Deutſchlands Chatjachen eErTanrte,
—4 — Bund mit Deuͤtſchlaud (?)“ Echlüſſe ziehen fann. Das %mgg
reich, welches im Juni ſiegte und mit dem Czaar in Freundfehaft fteht, 'Ifianr
nicht, mit welchem wir uns werden verbünden können. Es gibt * * *
deres Frankleich, welches in den Kerkern ſchmachtet oder zu neuen Barıt 4*
bereit iftz dDas trägt fleilich nicht die Schuld, daß feine Hrüder, die dent
Demokraten verbannt, gefangen und gusgeliefert werden ſollen. B

Wollten etwa noch weitere Beiträge zu der Schilderung franzöſiſcher 4
ſtiz gegen deutſche Flüchtlinge“ gewünſcht werden, ſo ſind wir zu fernerer
theilung erbötig.



Deutſchland.

Mannbeim, 31. Aug. Morgen frih 9 uhr wird Grohe's Proseß M
lich vor hiefigem Hofgerichte zur Verhandlung kommen — falls nicht 4
ein neuer Vorwand aufgefunden wird, den ſchuldloſen Mann noch länger
mifhandeln, Da feine Schulblofigkeit bis zur Evidenz hergeſtellt iſt, erwart
man ſicher ein freiſprechendes Urtheil. lihe

O Mannbheim, 31. Aug. Dieſen Vormittag iſt der verantwort
Redakteur der in Heidelberg erfcheinenden „Republik“ Hr. G. M. 4
durch das Hof-Gericht wegen durch die Preſſe verſuchten Hochverrath 4
Aufreizung zum Haß gegen die badiſche Regierung zu viermongtlicher 5 *
niß- Strafe und 3zu Tragung der Unterfuchungs- fowohl als Straferftehung
Koſten verurtheilt worden. 4







— ID —⏑



— Aa OS e ——

— ã OSR SB A — — — ⏑ S R 8 —
 
Annotationen