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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 155 - No. 181 (1. Juli - 30. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44565#0679

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ZJetli.

x
















E. Sitzung der konſt. Nationalverſammlung.
8 Sult
(Schluß.)


Ruhe und Ordnung geſprochen hat, ergreift Herr v. Radowitz das Wort! Er


er wegen der Oeffentlichkeit ſich in enge Schrauken halten will. Deutſchland
iſt benachbart von zwei großen Continentalmächten, gegen beide muß man ſich
ſchützen. Frankreich hat 480,000 Mann Soldaten, wodon mindeſters 350,000
Mann in dem Lande ſelbſt ſtehen und zu Angriffen gegen uns verfügbar ſind.
Rußland hat 1) die 4 Weſteorps 350,000 Maun ſtark; 2) 6 Wochen ſpäter
die Gardecorps mit 50,000 Mann, alſo im Ganzen 400,000 Mann, wozu
noch Reſerven und Beurlaubte kommen. Radowitz will 700,000 Mann deutſcher
Bundestruppen haben und unter Andern 80,000 an die italieniſche Grenze,
50,000° in die entwaffneten, unglücklichen polniſchen Provinzen ſenden Der
Reſt ſoll uns gegen Frankreich und Rußland ſichexn.

nicht zum Kriegführen tauglich. Die preußiſche Landwehr iſt ſein Ideah
Deutſchland hat 45 Millionen Einwohnex. 84 Prezent dapon ſind 2
von 20 — 32 Jahren; die Hälfte davon iſt waffenfähig und tritt In dit Land-
wehr, welche auf dieſe Weife zwei Millionen ſtark iſt. Die näheren Einribtuigen
müſſe der Ceutralgewaͤlt überlaſſen werden. Inzwiſchen ſtellt er folgende Anräge

1) Die Regierungen ſollen aufgefordert werden, ihre Heere bis auf 1'
pCt. der Bevölkerung nach der neueſten Zählung zu EIQANZEN. .

2) Der Mehrbelrag ſoll ſofort bezeichnet und zur Verfügung geſtellt wer-
den und * *

3) das Kriegsmaterial nach dem Bedürſniß vergrößert werden.

Unter dem läuten Bravoruf dex Rechten verläßt dieſer wohlmeinende O08
der, um Ddie „Ruhe, wiederherzuſtellen, das deutſche Volt unter die Herrſchaft.
von 600,000 Bajonetten zurück bringen will, die Tribüne. :

Wiefner ftimmt mit Nadowitz im Lobe der preußiſchen Landwehr über-
ein. Die Bürgerwehr iſt z. B. in Bexlin nur deßhalb da, um die Ruhe im
Innern aufrecht zu erhalten. (Gelächter von der NRechten.) Er Ipricht ſich
ſchließlich gegen die Vermehrung des ſtehenden Heeres wegen des Koſtenpunktes
aus, und für Volksbewaffnung im wliteſten Sinne, Von Fraukreich fürchtet
er Nichts; (Lärm auf der rechten Seite) mit dieſer edlen Nation müſſen
wir uns alliiren. Gegen die Feinde im Zunern müſſen wiruns
durch Vergeſſenheit des Geſchehenen und durch gute Gefetze
ſchüßen. GDie Rechte zeichnet ſich durch lebhaſtes Ziſchen aus). -

v. Meyern beſteigt die Tribüne, um die Argumente des Herrn v. Ra-
dowitz zu wiederhoͤlen. Ex wil die Vermehrung des ſtehenden Heeres, um die
Republik und den Abſolutismus unmöglich zu maden.

Es iſt albern, noch an Republik zu denken! Die Fürſten werden
ſich mit den Zeitideen verſöhnen, und von ihnen haben wir nichts zu fürchten.
Eine Allianz mit Rußland iſt gerade ſo gut, wie mit Frankreich. Zahlreiche,
perfide Verdächtigungen der republikaniſchen Linken würzen dieſe Rede, welche die
Rechte mit lebhafter Genugthuung anhört.

ſchieben.
Bock aus Preuß. Minden lieſt ſeine, allgemeines Lachen erregenden Worte


ier Begeiſterung mehr nach den Damen oben auf der Gallerie, als nach ſeinem
Zettel richtet. Ex will nur die Männer, nicht auch die Frauen bewaffnen.
Teichert aus Berlin hält dem Commiſſionsantrag eine langweilige Apologie.
Stavenhagen will kein Bettler der franzöſiſchen Nation gegenüber ſein und hält
die Volksbewaffnung nicht für zeitig.

Römer iſt gegen die Verſtärkung des ſtehenden Heeres, weil die Gefahr
noch nicht dringend ſei, Frankreich will keine Eroberungen machen! Die Cen-
tralgewalt ſoll die Heerverbeſſerung vorſchlagen; deßhalb wird Tagesordnung
beantragt. . ; ; ‚

Beckerath wiederholt mit pathetiſchem Tone die Tiraden des Herrn von
Radowitz, fragt, eb das ſtehende Heer nicht volksthümlich ſei, appellirt an den
„edlen Theil des Volkes,, nicht an die „rohen Maſſen“.
warnen vor einem Bündniß mit Frankreich.

Blum zweifelt daran, daß uns wirklich Krieg droht. Das alte Syftem

S


„Füfen. Die neue Politik beſteht darin, daß jedes Volt und jeder Einzelne ſich
feei und ſelbſtſtändig entwickeln. Hiezu ſind keine Soldaten, ſondern nur Bünd-
aiffe mit freien Völkern nothwendig. Wir wollen die Mittel des Friedens, nicht
die des Krieges erwägen. Das Heer iſt noch immer das alte; das neu errun-
gene Recht Zer freien Rede und Preſſe exiſtirt für die Soldateska noch nicht;
ein ſolches Heer dürfen wir nicht vermehren; wir dürſen dafür nicht Millienen
verſchwenden zu einer Zeit, wo ein großer Theil des deutſchen Volkes mit dem
Hunger kämpft. Eang anhaltender Beifall).

Nachdem noch mehrere Redner die Verſammlung durch Wiederholung frü-
ber vorgebrachter Argumente gelangweilt haben, trägk Reh darauf an, daß die
Abſtimmung auf 8 Tage vertagt werde. Die Verſammlung beſchließt dies mit
großer Majorität, (linkes Centrum, Linke, äußerſte Linfe.) Die Vechte, ge-
wiß ihres Sieges, iſt ſehr unwillig über dieſe Verzögerung ihres Triumphes.

Nachdem noch Haſſler über die Störung der Schifffahrt auf der Donau
geſprochen hat, fragt Voigt, warum der Marineausſchuß noch nicht die Ver-
fanimlung davon in Kenntniß geſetzt habe, wieviel die frétwilligen Beiträge der
deutſchen Fürſten zur deutſchen Flotte betragen haben. (Allgemeine Heiterkeit.)
Hierauf wird die Sitzung geſchloſſen.














(



einem fruchibringenden Baum in die deutſche Erde gepflanzt wird, im Nu durch
eine Menge bösartiger Auswüchſe gusgebeutet und ausgeſogen wird, fauligter
Schmarogerpflanzen, welche dem Baum einen großen Zheil ſeiner Saͤfte ent-
daß er verkümmere und nur dürre, verkümmerte Früchte zu Tage
bringe.

Was hat uns die in den Märztagen errungene Volksbewaffnung gebraͤcht?


armec und der modexnen Gensdarmerie die Mitte hält, welche zu Allem zu
brauchen iſt, nur nicht zum Schutze der Freihtit. — Preßfreiheit? Wer ver-
ſpürt eigentlich etwas davon, als die ehrvergeſſenen Organe der Reaktion, welche
dieſelbe faktiſch bereits zux Zeit der Zenſur beſaßen? Verdächtigung aller frei-
heitlichen Beſtrebungen, Verleumdung der Gutgeſinnten, Entſtellung der That-
ſachen, Verbreitung bodenloſer Irrthümer durch das Mittel der perftdeſten So-
phiſtil, und alles das auf eine nie gekannte Höhe getrieben dieſe — Früchte hat

Das Aſſociationsrecht hat eine Menge von Vereinen ins Leben gerufen,
welche ſich zur Aufgabe gemacht haben, bei jedein Staatsſtreich der Reaction
als Claqueurs zu figuriren, die Männer des Volks dagegen bei Gelegenheit aus-
zuziſchen, Vertrauensvota für volksfeindliche Miniſter allzeit fertig und in Be-
reitſchaft zu halten und möglicher Weiſe auf erhaltenen gnaͤdigen Wink durch
mechtiſche Bittſchriften höhern Orts bereits beſchloſſene Maßregeln gleichſam zu
bevorworten. Betrachtet man das Treiben dieſer „vaterländiſchen“, dieſer deut-
ſchen“ Vereine, man möchte Vaterland und Deutſchthum beinahe verloren ge-
ben; freilich, am Ende wäre an Beiden nicht viel verloren, wenn Jene wirk-
lich, wie ſie ſich anmaßen möchten, Geſinnung und Streben der großen Mehr-
heit dex Nation verträten.

Ein Pröbchen ſolch erbaulicher Wirkſamkeit hat der „deutſche“ Verein in
Unter der Hand hat er eine Adreſſe an die Frank-
furter Nationalverſammlung mit einer Anzahl Unterſchriften zu Stande gebracht,
welche ſich gegen republikaniſche Staatsformen erktärt; trotz der Vorſpiegelung


welche aus dem Königreich Sachſen eine Republik maͤchen wollten,
vermochte er nicht mehr als 9000 Unterſchriften aufzubringen, während aus
demſelben Land eine Anzahl Adreſſen mit 40,000 Unterſchriften fich gegen Kai-
ſer und unverantwortliche Reichsgewalt entſchieden erffärte. *

Man ſuchte der Adreſſe, deren Unterſchriften größtentheils nicht in Leipzig-
z-Orten, wo ſich Zweigvereine des Leipziger Deutſchen“ be-
finden, und bei der deutſch-böhmiſchen Volksverſammlung in Auſſig aufgetrie-
den worden, die Bedeutung einer Demonſtration gegen den Abgeordneten der
Stadt Leipzig, Robert Blüm, anzulügen, zur nämlichen Zeit, da diefem Ab-
geordneten von einem großen Theile feiner Wähler Dankadreſſe und Eh-
rengeſchenk zu Theil ward. Man erlebte endlich die Beſchämung einer öffent-
lichen Verwahrung eines großen Theils der liſtig zur Unterſchkift Gepreßten!
gegen den Vexdacht, als hätten ſie ſich durch ihre Unterſchrift gegen eine ver-
antwortliche Centralgewalt — worauf es der deutſche Verein abgeſehen
yatte — erklären woͤllen! —
Zu ſolch jämmerlichen Machinationen muß „Vaterland“ und „Deutfch-
thum“ den Namen hergeben. Aber das Vaterlaud, aber das deutſche Volk
wird Euch eines Tages zur ſtrengen Rechenſchaft ziehen für den Mißbrauch,
den Ihr mit ſeinem Namen getrieben, für die Schande, die Ihr ihm angethan!

Fraukfurt. (N. 3.) Während die ganze Welt aufging in Sceligkeit.
über die Ernennung des neugebaͤckenen, unverletzlichen Monsieur Veto, ſtellte
ſich auf einmal die intereſſante Thatfache heraus, daß der gute Bundestag
ſchon acht Tage vor der Wahl ein Begluͤckwünſchungsſchreiben an denſelben
erlaſſen, daß alſo die Sache fix und fertig war, ehe man ſie nur im Parla-
mente zur Abſtimmung brachte. Das war denn doch zu eoloſal. Wenn das
Parlament auch nur dazu da iſt, de Beſchlüſſe des Bundestages gehorſamſt zu
ſanctioniren, ſo muß dabei doch wenigſtens der gehörige Anſtand beobachtet
werden, man darf es in ſolcher Weiſe wenigſtens nicht vor den Augen von
ganz Deutſchland in ſeiner Ohnmacht lächerlich machen.

Das war denn doch ſelbſt für manchen rechten Magen zu viel, und es
entſpann ſich deßhalb in dem Parlamente ſelbſt eine furchtbare Debatte, in der
Gagern, Betos künftiger Miniſter, den Bundestag zu rechtfertigen fuchte, aber
ſelbſt perſönlich compromittirt wurde. Man ſpraͤch öffentlich die Anſicht aus,
daß heute noch der Bundestag Alles beſchließe, daß er ſeine Beſchlüſfe ausführe,
und die Zuſtimmung des Paͤrlamentes nur als Formfrage behandle, daß er,
wenn er merke, daß das Partament ſich nicht von einer Idee abbringen laſſe,
geſchwind vorher denſelben Beſchluß faſſe, um nur dem Parlament zudorzukom-
men. Man beſchuldigte öffentlich das Präſidium, daß es aus unbekannten
Gründen die Ehre des deutſchen Parlamentes opfere, daß es faſt allein den


Funken Gefühl für die Ehre der deutſchen Nation hätte, berufen ſei, als Vertheidiger
Der Prändent verſuchte den Reduer
zur Ordnung zu verweiſen. Er war todtenbleich. Da erhob ſich die ganze
Linke wie ein Mann und ſtützte die Anſicht des Redners, und ein donnerndes
Bravo von den Gallerien unterſtützte die Linke. Der Präſident mußte den
Ordnungsruf zurücknehmen. 2
Es hat ſich jetzt klar herausgeſtellt, daß man das Parlament als eine un-
ſchädliche Kleinkinder- und Hofrathsbewahxanſtalt betrachtet, daß man feſt ent-
ſchloſſen iſt, keinen mißliebigen Beſchluß deflelben zu ſanctioniren daß man dem-
ſelben die Beſchlüſſe des Bundestages zur Berathung unterſchiebt, weil man
auf dieſem Wege friedlich zum Ziele kommt. Das Volk hat ein Spielzeug,
und der Bundestag regiert. Es iſt am Ende bequemer für die Regierungen/


 
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