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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 155 - No. 181 (1. Juli - 30. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44565#0743

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A1. Sitzung der konſt. Nationalverſammlung.
Dienſtag, den 25. Juli 1848.
(Aus der Reichstagsztg)

Nachdem die Sitzung Punkt 10 Uhr mit Vexleſung und Genehmigung
des Prototolls begonnen, bekritt v. Nadomitz zur Fortſetzung der geſtern ab-
gebrochenen Discuffion die NRednerbühne, Er warnt vor allen Dingen davor,
die polniſche Sache von dem Stanepunkt der konfeſſionellen Streitigkeiten aus
u betrachten, in deren Kreis man ſie von verſchiedenen Seiten zu ziehen ver-
fuͤcht habe; und gibt ſodann einen geſchichtlichen Ueberblick über das, von der
preußiſchen Regierung beobachtete Verfahren. Auch er ſieht es als ein großes
Ungluck an, wenn eine halbe Million Deutſche unter polniſche Negiexung zu
ſtehen kämen?), und nennt die Ueberweiſung dieſer Deutſchen eine Theilung
Deutfchlands. Frantreich anbelangend, ſo habe dies kein Vecht, der preuß.
oder der deutſchen Centralregierung Vorſchriften über die Behandlung einer



ogen in ganz Bavan 2*







beutſcher Brüder preisgeben. ; ;
‘d)@d)uf elfa erflärt ſeine aus tiefſtem Herzen kommende Theilnahme am


der von ſchwerem Ungemach Betroffene hade ein Recht auf Milde und Theil-
nahme erworben (Beifall) Wir Jollen nicht ſchlimmer handeln; Worte, wie
geſtern geſprochen worden, ſeien Dolchſtiche in die Herzen vieler edler Polen
gewejen. (Großer Beifall.) Die Rettung Wiens von den Türken durch die
Polen ſei eine noch nicht bezahlte Schuld Deutſchlands. Es ſei anmaßend, bei


ein Volk voͤn Millionen auszuſprechen (Bravoh Man ſolle übrigens beden-
ken, ob über das deutſche Volt nicht aug daſſelbe Urtheil aus geſprochen wor-
den ſei und noch ausgeſprochen werde. Mit vieler Wärme folgt er der geſtri-
gen Rede Jordans von Punkt zu Punkt, ihre Einzelnheiten, oft von rauſchen-
dem Beifall unterbrochen, widerlegend. 2

Wenn Polen ſchon vor dex erſten Theilung die Leiche geweſen, was wa-
ren die Fürſten, die ſich auf dieſe Leiche ſtürzten? (Beifall) Der DHaß der
Polen gegen Deutſchland ſei, wo er beſtehe, kein anderer, als der dex Deut-
ſchen gegen die Franzoſen zur Zeit des Befreiungskrieges, der auch bis zum
WMeuchelmorde geführt habe. (Widerſpruch von dex Rechten, Zuſtimmung von
der Linken.) Polen ſei nicht todt, wenn auch die Diplomatie ſeine Vernichtung
beſchloſſen hahe; die Förderung ſeiner Wiederbelebung eine heilige Pflicht für
das deutſche Volk. Eine Nothwendigkeit der vorgeſchlagenen Theilung. Poſens
ſei nicht vorhanden, im Gegentheil würde die letztere für Deutſchland ſelbſt die
nachtheiligſten Folgen haben; nicht bloß der auswärtigen Vergaͤltniſſe wegen,
ſondern auch wegen des Mißtrauens, welches in einem großen Theile des deut-
ſchen Volkes verbreitet ſei, es wolle eine gewiſſe Partei die poſenſche Frage be-
nutzen, um zu einem Krieg, den ſie ſo or wünſche, Veranlaſſung zu geben.
Schließlich beantragt er, die preußiſche Regierung zu veranlaſſen, das Groß-
herzogihum Poſen als eine ungetheilte Provinz, unter gleicher Berückſichtigung
beider Nationalitäten, zu verwalten. ; .

v. Wartensleben erzählt von ſeinen Feldzügen als Landwehrmann im
Jahre 1830 in Polen. Als im März d. J. das Unerhörte geſchah, daß ein


ſich bequemte einen Theil von Poſen abzuſondern und ſich ſelbſt zu überlaſſen,
da war mein politiſches Glaubensbekenntniß, Polen müſſe frei und Rußland
der Krieg erklärt werden. Er wirft ſeine politiſche Unklugheit — das einzige
wahre Wort, was die Reichstagszeitung geſagt habe — als Brennusſchweri in


die Tyelung des Landes zu Verlangen. dür die Demarcationslinie verlangt
er ein kühnes Eingreiten; es komme ja nicht darauf, an, ob ein polniſches Dorf
mehr oder weniger zu Deutſchland gezogen werde! Weiter beſtreitet er der
Nationalverſammlung das Recht, über die Aufnahme Polens zu entſcheiden,
dies habe bereis der König von Preußen und der Bundestag gethan. Doch
wozu mehr von * Rede 8 „die ſich ſelbſt durch Anerkennung des
inzigen wahren Wortes“ critiſirt?
— dankt denen, die ſich der Sache Polens hier ſo warm
angendmmen; geſtern ſeien Stimmen eines Hohnes laut geworden, wie ihn,die
geoͤrückten Polen von den Ruſſen nie erfahren hätten. Als der Rednek anführt,
er könne beweiſen, daß der Aufſtand, in Poſen muthwillig von nicht-polniſcher
Seite hervorgerufen, und die, polniſche Bevötkerung nicht daran gedacdt habe
gegen Deutſchland, ja nicht einmal gegen die Preußiſche Regierung aufzuſtehen,
er aber hierüber hinweggehen wolle, unterbricht ihn aus den Centren der ſtür-
uf nach Beweiſen.
— 4— die Ruhe mit den Worten hergeſtellt, man könne
den Redner nicht zwingen, Dinge zu ſagen, die er nicht ſagen wolle, fährt der
Redner ſort: Die pkeußiſche Regierung habe eine Unterſuchung angeordnet,
deren Urtheil er nicht vorgreifen woͤlle, aber ſo lange dieſe dauere, ſo lange die
des Hochverraths beſchuldigten Abgeordneten in Berlin in der ——
ſammlung ſäßen, müſſe man wenigſtens ſoviel annehmen, daß die den Polen
Eauter Beifall.) Entſchieden
weiſt der Sprecher die dem polniſchen Nationalcharakter gemaͤchten Vorwürfe
zurlict; die polniſche Landwixthſchaft namentlich, die man ſo ſehr angegriffen,




® arum ſoll dies ein größeres Unglück für dieſe ſein, als für die Deutfchen in Sie-
244 34 Rußland, Paris, Nordamerika ꝛe., die fa alle unter fremden Regie-
rungen ſtehen?





land gehörig betrachtet werden könne, ſei ſchon durch die früher ausgeſprochene
Garantie der poluiſchen Nationalität entſchieden, denn damit fet auseſprochen,
Noſen ſei, volniſch. Die preußiſche Regierung habe den Beitritt ihrer nicht-
deutſchen Provinzen, in den deutſchen Bund von dem Willen der Bevölkerung
Whängig gemacht; in Poſen aber hätten ſich Polen und Deutſche auf verſchiedene
Weiſe in greßer Zahl gegen diefen Beitritt erflärt. Nur eine Minorität des
Landtags habe einen Privatbefchluß gefaßt, worin ſie diſſen Beitritt verlangt.
Auf diefen ungültigen Beſchluß hin habe der Bundestag Poſen zum deutſchen
Bund gezogen. Er frage jeden rechtlich Denkenden, ob dies Verfahren gerecht,
geſetzmäßig ſei? Warum habe die ſonſt ſo zögernde deutſche Bedächtigkeit dieſe
Sache ſo ſehr übereilt? Man habe damit gerilt, als würde mit einer etwai-
gen Verminderung der Beamten ſich der Voͤlkswille aus vdem Lunde flüchten.
Rauſchender Beifall.) Proteſtationen dagegen ſeien nicht gehört worden, obs
ſchon ſie eben ſo wohl von Deutſchen alg von Polen eingelegt worden. Seine
kigene Wahl ſei bedeutungsvolles Zeichen des Volkswillens, er fei hierher ge-
ſchickt, um die Wahrheit zu enthüllen (ſtürmiſcher Beifall), damit er ſage, duß
der Volkswille gegen die Vereinigung mit Deutſchland fei, damit er proteſtire
gegen eine Trennung des Landes; er habe dieſe Wahl nach einem langen Kampf
augenemmen im Vertrauen auf die Gerechtigkeit und Gewiſſenhaftigkeit der
Deutſchen (lauter Beifall), in der Ueberzeugung, daß die an Ort und Stelle
die Sache entſtellenden Leidenſchaften nicht bis hierher dringen würden, in der
Ueberzeugung, daß ein freiwerdendes Volk nicht zur Unterdrückung eines ſchwä-
cheren helfen werde. (Neuer Beifall.) — Wit fehr es übrigens an einem Mo-
ment der Abgränzung des deutſchen Elements voin polniſchen fehle, das gehe
aus dem im Bericht enthaltenen Widerſpruche über die beftehenden Verhältniſſe,
die er mit Zahlen nachweiſt, hervor. Unmeglih aber ſel es, eine Gränzlinie
jetzt zu ziehen, darüber könnten nur ſelbſtſtändige Völker ſich einigen; ziehe man
jetzt eine ſolche, ſo ſei dies eine Gewaltthat, die deſto empfindlicher fet, alg an
dere Völker jetzt ihre heiligſten Rechte wieder zu erwerben im Begriffe ſtehen,“
und die Cabinette aufgehörl hätten, die Voͤlkerſchickſale zu entſcheiden; und zu
einer Zeit, wo ſich die politiſchen Verhältniſſe der Völker Europals neu geſtal-
teten, wolle man Polen Kopf und Herz ausſchneiden. —
Wenn er auf die Verträge von 1815 zurückkomme, ſo geſchehe es mit dem
tiefſten Schmerz getäuſchter Hoffnungen; alles Unglück, was fie hervorgerufen,
reiche nicht an das, was jetzt Polen zugefügt worden. Geifall.) Jene Ver-
träge zerſtörten das, was materiell zerſtört werden koͤnnte, den ypolnifchen
Staat! aber ſie kießen die Nationalitaͤt der preußiſchen, ruſſiſchen und öſter-
reichiſchen Polen beſtehen, jetzt aber wolle man die Polen gewaltſam zu Deut-
ſchen machen! (Bravo) *
Im Intereſſe der eigenen Freiheit beſchwöre er Deutſchland, ſich der un-
terdrückten Polen und ihrer Freiheit anzunehmen, das würde die klügſte die
geſundeſte Politik ſein. (Allgemeiner, lanz anhaltender Beifall.) — Der Orund-
ſatz, daß Deutſchland die Deutſchen in Poſen ſchützen müſſe, ſſei richtig, wahr
und human, und werde auch von Fremden aͤnerkannt. Aber auch wahre und -
bumgne Grundſätze könnten falſch angewendet werden. Es frage ſich, ſei die-
ſer Schutz nothwendig, und dann, ob er nur durch die Theilung gewährt
werden koͤnne? Das deutſche Element ſei nicht gefährdet; nur abſichtlich haͤbe
man die falſche Behauptung aufgeſtellt, e& würde Poſen durch die beabſichtigte
Reorganiſation von Preußen losgeriſſen. Die Zuſammenſetzung der Behörden
u. ſ. w., Alles ſei ſo eingerichtet geweſen, daß man an eine Beeinträchtigung
der Deutſchen nicht im entfernteſten habe denken können, wohl aber eine Beein-


ſchens verſtehen Cautes Bravo.) Deutichland ſchütze ſeine Söhne in Frank-
reich, England und Amerifa, ohne an ihre Einverleibung zu deuken (Bravo),
nur an den wehrlofen Polen wolle man dieſe Einverleibung vollziehen. Jedein
Unparteiiſchen müſſe es auffallen, daß es ſich hier um etwas anderes handle,
als um den Schutz der deutſchen Nationalität; etwas anderes, was er nicht
nennen wolle, um Niemand damit zu verletzen. Schützen könne Deutfehland
die Deutſchen in Poſen, aber es könne ſie ohne Theilung des Landes fchüißen,
durch welche es die Rechte des Nachbarvolkes ſchreiend verletze. Die Wahlen
anlangend, ſo, hahe zur Zeit dexſelben das Martialgeſetz geherrfcht, das lediglich
gegen die polniſche Nationalität gerichtet geweſen; wie hätten freie Wahlen
ſtattfinden können, wo Hunderte von Polen auf die Feſtung geſchleppt, und
nach den Wahlen ohne Berhör wieder entlaſſen wurden Lhört! hoͤrt! fehr gut!),
wo nach den Worten eines deutſchen Augenzeugen kein Pole ſich auf den Stras
ßen Poſens ſehen laſſen durfte, wo der Pole in Poſen ſozuſagen vogelfret
war? chört! hört! Hätten die Wahlen in Deutſchland unter diefen Verhält-
niſſen ſtattgefunden, würden Sie dieſelben für gültig erklären? (nein! neinh
Sympathien, die er wohl erwarten dürfe, rufe er nicht an, denn er komme
nicht als DBettler, er verlange ſein gutes Vecht. (Großer Beifall.) Nıcht
darum handle es ſich, Großmuth gegen die Polen zu üben oder ihnen etwas
zu geben, ſondern nur darum, ihnen nichts zu nehmen, nicht das anzutaſten,
was ſelbſt die Fürſten unangetaſtet gelaſſen haͤtten. (Großer Beifall.) Deutfchs
land gewinne nichts durch die Aufnahme von 5—600,000 Deutſchen als die
Todtfeindſchaft von eben ſo viel polniſchen Unterdrückten. (Brabo) Man
habe die Polen verſchluckt, verdauen werde man ſie bei Gott nicht. (Beifall.)


für Deutſchlands Befreiung auf die blutige Bahn hinlenken? (Nein! nein!)
Sie kennen ja auch das Gefühl der Vaterlandsliebe, und werden es mir zu-
geben, daß die Entſcheidung eine ſchwierige iſt, aber ich — nicht, denn
ich baue auf Ihre Gerechtigkeitsliebe. Auhaltender, ungeſtümer Beifall.)
Kerſt verſucht ihn zu widerlegen. Erſt müſſe man daran denken, deut-


„könne es ſich ſehr ereignen,“ daß Deutſchlund zum Heſpött der andern
Voͤlker würde. Seine Rede erwirbt ihm einen vollſtändigen Triunph,
denn ſie ſchlägt die Majoritäten aller Parteien aus dem Felde und aus —


 
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