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Mannheimer Abendzeitung — 1848

DOI Kapitel:
No. 235 - No. 260 (1. Oktober - 31. Oktober)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44565#1053

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— — —


u Dadean









Deutſch Land.

() Maunheim, 15. Okt. Seit einigen Tagen ſind unſere Kammern
wieder beiſammen! Was war das ſonſt eine Freude bei ung, wenn ſich die
Vertreter des Voltee zu ihren Sitzungen verſammelt hatten. Da durchzoß das
ganze Land ein friſcher, kräftiger Hauch, der die Bruſt der Männer hob und
mit kühnen Hoffnungen erfüllte. Das gebrückte Volk vergaß eine Zeit lang
ſeine Leiden, ſeine Sorgen und wiegte ſich in den Traͤumen einer künftigen
Freiheit, es traute der Thatkraft ſeiner Vertreter, durch deren machtvolle Reden
es ſo oft entflammt worden; die Hoffenden, die Vertrauenden blickten zu ihnen
empor, ſchuͤttelten ihnen die Hände und ließ en ſich ſagen: Es wird beffer wer-
den! Armes, getäuſchtes Volk! Die Zeiten der Zhaten ſind da, aber wo ſtuͤd
deine Nänner? Sie haben Dich geführt den Weg zur Freiheit, ja zu ihrer
Freiheit, zur Freiheit ihrer Intereffen; aber als Du nun weiter ſchreiten wolt-
teſt zu Deinex Freiheit, da haben ſie Dix ein donnerndes Halt entgegengerufen;
auf Deinen Schultern ſind ſie emporgeſtiegen; ſie haben Dich gefelert, ſo langẽ
ſie Deiner bedurften; ihre Abſichten ſind erreicht, und ſie kennen Dich nicht mehr;
* bift ignen freind geworden. Wie ſchlecht haben ſie die Probe beftanden!
Berrath, Verrath tönt es von einem Ende des Landes zum anderen; der Sturm
iſt gekemwen. Schau hin in die Verſammlung deiner Vertreter! Du ſuchſt
umſonſt Deinen Helden, deſſen Wort wie ein feuriges Schwert durch den Saal
zuckte und die Feigheit und Lüge zuſammenſchmetterte; der Platz, auf dem er
geſeſſen, ſteht 2 und verwaiſt. Das Häuflein Deiner Getreuen iſt klein, die
Stimme ihrer ©egner übertönt fie, Der alte RKuhm der Kammer iſt dahin;
einzelne Spuren des früheren Glanzes, — {im SGanzen nur das Bild einer zu-
ſammengeſunkenen Ruine: der Geiſt iſt fort, das Phlegma iſt geblieben. — Ja,
das Phlegma iſt das herrfchenbde Eleineut unferer jebigen „Volfskammer” , das
Phlegma, das in fauler Bequemlichkeit immer auf denfelben Plaͤtzen ſich hin und
her wiegt und nicht weichen und nicht wanken will, das Phlegma! das nicht
fühlt und nicht hört, das unempfindlich iſt gegen jeden Stoß der Zeit, das taub
iſt gegen den lauten Ruf des Volkes, das Phlegma, das mit hartnaͤckiger
Zähigkeit an den alten abgeſtandenen Gewohnheiten ſich feſtklammert und nur
das eine Geſchäft kennt, die zerbrochenen Geſetze wieder zuſammenzuleimen, das
Phlegma, das weiter nichts iſt, als der dürre Stamm, der feine Blätter und
keine Blüthe mehr treibt, Was follen wir thun mit dieſem Reſte von Vergan-
genheit? Herunter von Euren Sitzen! ihr ſeid der Geſchichte anheimgefallen!
Ihr ſeid die Hüter des alten Geweſenen; Ihr könnt uns nichts mebr nünzen -
es iſt alles neu geworden; wir brauchen neue Einrichtungen, neue Geſetze.
Hört es, Ihr Abgeordneten, die Ihr gewählt ſeid in den Tagen der Ver-
gangenheit, die Ihr gewählt ſeid nach den Geſetzen der Vergangenheit, die alte
Zeit hat Euer Mandat mit ſich fortgenommen; tretet ab vom Schauplatze; Eu-
res Wirkens, das Volk verlangt eine neue Vertretung, eine neue Verfaſſung;


wir denn zu dem einigen Deutſchland.

Will man uns noch einmal in das alte Netz der Täuſchungen hineinfagen,
das wir eben erſt gewaltſam zerriſſen zu haben glaubten? Mit'welchem Rechte
kann man uns zumuthen, daß wir in Frankfurt 'eine Nationalverſammlung ha-
ben ſollen, deren Mitglieder nicht an einen beſtimmten Stand, an ein befitnm-
tes Steueregpital, an ein befiimmtes religiöfes Bekennmiß, an ein 30jähriges
Alter gebunden ſind, und in Baben eine Abgeordnetenfammer, in welcher die
Sitze durch ein beſtimmtes, Vorrecht gewonnen werden? Soll ein daͤdiſcher
Bürger, der in Frankfurt für das Wohl Deutſchlands mitreden und beſchließen
Ddarf, in den Angelegenheiten ſeines engeren Vaterlandes von dem nämli-
chen Recht ausgeſchloſſen ſeien. Soll in Baden noch immer dieſe und jene Stadt
mit zwei und drei Vertretern bedacht ſein, während ein gleichbevölkerter Laudbe-
zirk mit ſeinen fleißigen aber vielleicht axmen Menſchen einen einzigen oder viel-
leicht nicht einmal dieſen einen ſtellt? Soll nur in Frankfurt der Unterſchied
aufhören, ſoll nur da das Volk nach der Zahl vertreten ſein?

Wie kann hier das badiſche Volk gleichgültig zuſehen, und mit welcher
Miene getrauen ſich die jetzigen Abgeordneten, dieſe Mißſtände noch fortwährend
aufrecht zu erhalten und ganz gezroſt auf ihren grünen Bänken ſitzen zu bleiben.
In anderen deutſchen Staaten iſt bereits das Nöthige gethan oder eingeleitet,
um dergleichen Wderſprüche zu beſeitigen und die beſondere Verfaſſung des
Landes mit den Bildungsverhältniſſen des Volkes in Einklang zu bringen.
Sicht die badiſche zweite Kammer nicht ſelbſt ein, daß ſie in ihrer jetzigen Zu-
ſammenſetzung eine Unmöglichkeit, eine Zeitwidrigkeit geworden iſt, dann muß
das ganze Volk in Baden gegen eine derartige Verblendung ſeine Einſprache
erheben und mit Einmüthigkeit und Entſchiedenheit ſein Verdammungsurtheil ge-
gen ſolche Volksvertreter ausſprechen. Alſo, noch einmal — eine eonſtitui-
rende Verſammlung!


ſitze des Vicepräſidenten Weller. Auf der Regierungsbank die Staatsräthe Bekk,
v. Stengel und Miniſterial⸗-Rath Brauer.

Unter den eingelaufenen Petitionen befinden ſich welche von den Gemein-
den Güntersheim, Durbach, Ittersbach, ferner von Ettlingen (343 Unterſchrif-
ten) um Auflöſung der 2ten Kammer, und Berufung einer Konſtituirenden, de-

ren Mitglieder nach den bei den Parlamentswahlen geltenden Grundſätzen zu
wählen ſein ſollen. v. Itzſtein, der diefelben cinreicht, macht auf die Noth-
wendigkeit dieſer Maßnahme aufmexkſam und bemerkt, daß ſich bei der Bera-
thung der betreffenden Petitionen viele Stimmen dafür erheben würden. Fer-
ner übergibt v. Itzſt ein eine vom Gemeinderath und Buͤrgerausſchuß unter-
zeichnete Petition der Stadt Ettlingen um Aufhebung des Kkiegszuſtandes und
Rückgabe der Waffen an die Bürger. Er bevorwortet diefelbe, indem er ſein
Erſtaunen über eine Verfügung ausfpridt, welche viele Unſchuldige das büßen
läßt, was einzelre wenige Schuldige verübt haben. Zudem fei die Art der Aus-
fühcune keineswegs eine ſolche, wie man ſie in einem civiliſirten Lande erwaͤr—









— —



ten dürfe. Seit den Märztagen hoffe das Volk auf die ſo nöthigen Erleichter-
ungen; ſtatt deſſen werde ſein drückender Zuſtand fortwährend erfchwert. Un
möglich könne derſelbe länger dauern. Die Regierung habe die Pflicht, dafür
zu ſorgen, daß nicht der Wohlſtand der Familien zerrüttet werde! Ettlingen
fet nun mit 900 Mann Soldaͤten angefüllt, welche zudem nicht auf efehliche
Weiſe, ſondern auf ausdrückliche Anordnung bei Dden als freiſinnig bekauͤntẽn
Bürgern einquartirt ſeien, ſo daß oft eine einzige Familie deren zwaͤnzig zu er-
halten habe. Nicht genug, daß dieſe gedrückien Leute ſo viel Soldaten ernäh-
ren müßten, alle 5 Tage habe die Gemeinde 200fl. zur Beſtreitung der Zule-
gen für die Offiziere zu bezahlen Dieſelbe habe ſich dereits im vorigen Monat
an die Regierung gewandt, um Abhülfe dieſes unerträglichen Nothſtandes zu
erlangen, pis jetzt aber noch gar keine Antwort erhalten, Er fordert die Res
gierung dringend auf, dieſe Gemeinde, in welcher ſeit den Märztagen nicht die
* Störung der Ordnung Lorgekommen, nicht ferner in ſolcher Lage zu
aſſen.

Miniſt.-Präſident v. Stengel behält ſich eine ausführliche Antwort bis
zur Berathung über die betreffende Petition vor.

Richter ſpricht ſich zunächſt in Bezug auf Achern in gleicher Weiſe über
den für die Wohlhabendſten unerſchwinglichen Aufwand für Verpflegung ſo vieler
Truppen und Zahlung der Zulage an die Offiziere aus. *

Ullrich. Er ſei bei den am 16. Sept. ſtattgehabten Unruhen nicht in
Ettlingen gegenwärtig geweſen, deshalb beantrage er, die Kammer ſolle, ehe ſie

über jene Petition berathe, das Ergebniß der gepflogenen Unterſuchung ab-
warten.


Weg zu erledigende Petitivi, ſondern um einen von großer Dringlichkeit, UM
das Unglück, den Ruin ganzer Gemeinden.
eine Interpellation in dieſem Betreff anı
Ullrich. Man ſolle ſich zuerſt gehörig unterrichten. 2—
Mez. Es ſei Sache der RNegierung, die erforderlichen Aufſchlüſſe M

geben.
Lehlbach ſchließt ſich dem von Ihſtein und Mez Geſagten an. Das


Verlangt dringend die ſchleunigſte Abhülfe. ;

SZunghanngs, Nicht nur Eigenthum, ſondern ſelbſt Ehre und Leben der
der Soldatenwillfür fhußlos vreisgegebenen Buͤrger fei gefährdet. Hr. Ulrich
gehöre wohl zu Denfeniaen . möldhe Dis Quubs guerft Füpfen uNV DAHI unterſu-
chen wollen, DD ſie mit Recht geköpft worden.

Brentano macht Mez darauf aufmerkſam, daß er bei ſeiner Interpel-
lation den Punkt ins Auge faſſen möge, ob die Regierung auf Grund der
Beſtimmungen des Kriegsgeſetzes zur Verſetzung einzelner Bezirke in den Kriegs-
zuſtand berechtigt geweſen! Nach S, 1 dieſes Geſetzes habe derſelbe nur dann
einzutreten, wenn die ordentlichen Mittel zur Erhallung der Ordnung nicht
mehr hinreichten. Ein Ausnahmegeſetz, wie dieſes, ſolle man ohnedem nur mit
der äußerſten Vorſicht in Anwenduͤng bringen. Er ſei der Ueberzeugung, daß
das Miniſterium auf Grund jenes Geſetzes nicht zu dieſer Maßnahme berech-
tigt gewefen. Der Sprecher zeigt hierauf noch die Petition einer Gemeinde
um Auflöſung der Kammer, Berufung einer Konſtituirenden und Vorlage eines
neuen Waͤhlgeſetzes zu dieſem Behuf an; zugleich ſei er beauftragt zu erklären,
daß, wenn ſchon das Datum dieſer Petition vom 24. Juli ſei, die nnterzeich-
ner derfelben ihre Anſicht über den betreffenden Gegenſtand noch im Mindeſten
nicht geändert hätten. _

Mittermater erkennt gleichfalls die Wichtigkeit des von Mez und von
Itzſtein beregten Gegenſtandes an, und wuͤnſcht, daß die Kommiſſion ſchnell-
moͤglichſt über die betreffende Petition berichten, die Regierung * indeſſen
Sorge tragen möge, daß der Kammer die nöthigen Aufſchlüſſe ertheilt würden.

Regiekungs-Commiffär v. Stengel bemüht ſich, die Worte des Abg,
Brentand in der Weiſe zu verdrehen, als habe derſelbe das Aufreißen der Ei-
ſenbahnſchienen alg eine geringfügige Handluug dargeſtellt, wogegen Brentano
ihm nachweist, daß er nur die Vorausfegung in Abrede geftellt, als hätten die
ordentlichen Geſetze zur Kufrechthalttung der Ruhe in den fraglichen Bezirken
nicht mehr zugereicht. *

Baum alg Vorſtand der Petitions-Commiſſion verſpricht baldmöglichite
Berichterſtattung über die mehrerwähnte Ettlinger Petition, worauf Mez, bei
den erhaltenen Zuſagen ſich beruhigend, die von ihm angezeigte Interpellation
für's Erſte zurücknimmt.
Blankenhorn ſtrengt ſich an, die Regierung in Schutz zu nehmen, da
ſie gegen die den Umſturz alles Beſtehenden bezwedende Aufrahrpartei die kräf-
tigſten Maßregeln in Anwendung gebracht haͤbe. (Nur allzufräftig und am
unrechten Ort, das eben iſt die Klage!)

Kapp ſpricht ſich über die nichts weniger als fegenreiche Wirkſamkeit der
Nationalverſammlung aus und bezieht ſich namentlich auf das ſogenanne Ge-
ſetz über den Schutz der Nationalvexfammlung, welches in die Verhältniſſe aller
Einzelſtaaten eingreife. Nach einigen Bemerkungen über den im ganzen Ge-
ſetze ſich kundgebenden Eigendünkel und das darin enthaltene Selbſtiob ersrtiert
er insbeſondere die für die Freiheit verderblichen Couſequenzen des Artikel S,
der von öffentlicher Beleidigung der National-Verſammlung haͤndelt, welche mit
Gefängniß bis zu 2 Jaͤhren behandelt werden ſoll. Was begreift ſich Ales,
fährt der Redner fort, unter der Bezeichnung: „öffentliche Beletdigung “ Die-
ſelbe kann begangen werden durch mündliche Aeußerungen an öffenklichen Orten,
durch gedruckte oder auch ungedruckte Schriften. Die Faſſung dieſer Beſtanmung
enthaͤlt eine Selbſtproſtitution der juriſtiſchen Auffaſſungsgabe dex Nationalver-
ſauimlung. Weit entfernt von der Präziſton, die wir an den Geſetzen ver alten
Römer bewundern, war dieſelbe, wie ſie nicht deutſch zu denken vermag, auch
nicht im Stande, deutſch zu ſprechen und ein bündiges Geſetz zu erlaffen.




 
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