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(? Die Kriſis in Berlin.
Man brauchte nicht den Blick eines Propheten, um nach dem Sturze
Wiens ſagen zu können: Berlin iſt jetzt an der Reihe. Unſere ganzen politi-
ſchen Zuſtände mußien von ſelbſt darauf hinweiſen; ohnehin waren ja die Vor-
bereitungen in der Hauptſtadt Preußens kein Geheimniß mehr. Aber wer dachte
wohl varan, daß die Exeigniſſe einer ſo raſchen Entwickelung entgegensehen
würden? Die Erſchütterung, welche das Unglück Wiens auf die Gemuͤther ge-
übt bat, wirkte ſo mächtig, daß nicht leicht zu glauben war, es werde In dem-
felben Augenblicke, in welchem noch allenthalben die Lippen vom Fluche über
die Urheber jenes Unheils beben, bereits an den Einleitungen zu einem zweiten
Drama der nämlichen Art gearbeitet. Die Willkühr, mit welcher man hier zu
Werke geht, iſt nur noch offener, noch unverholener, noch brutaler! Wo ſind
nun Diejenigen, die darüber zu lächeln pflegten, wenn von Provocatioren zum
Aufruhr die Rede war, die von reactionärer Seite ausgegangen ſein ollten?
Die Machinationen dieſer Partei ſind doch wohl jetzt Mar genug. Wie konnte
man auch ſo thöricht ſein, zu glauben, daß Friedrich Wilhelmm IV., dex - alte
Romantiker, jemals ſeine chevaleresken Ideen aufgeben wülde? Gewiß, von
dem Augenblicke an, in welchem er genöthigt war, ſich in den Willen des Vol-
kes zu fügen, hat in aud) der Gedanke beſchäftigt, fein „königliches Anſehen“
wieder herzuſtellen. Von den Märztagen an bis feßt iſt er beſtäudig wielein
Yauernder Löwe auf dem Sprung gelegen, um den rechten Lügenblick zu er-
haſchen.
Es wurde zunächſt au der Nafionalverſammlung herumgezupft; aus einer
die Erperimente mit den verſchiedenen Miniſterien; die mehrfaͤchen Reibungen,
verſammlung; die Unbehaglichkeit auf königlicher Seite vergrößerte ſich täglich;
ſchaute, wußte jeden Vorwand einer begangenen Ungefeplichfeil abzuͤſchneideü.
— ; . * —— ö ;
Dieſe aͤngſiliche Wachſamkeit, dieſes kluͤge Mißtrauen des Volkes ſchlug all-
den Entſchluß des Königs zur vollſtändigen Reife bringen; das Voͤlk ließ ihım
die Initiative, der glückliche Erfolg, der Contrerevolution zn Wien zab die Loͤ—
fung-4sum Angriffe,. Diefe fieberhafte Ungeduld, mit welcher man ſich über den
„gefundenen ANugenbliet hinſtürzte, beweiſt eine Verblendung, wie ſie nur das An-
zeichen des Wahnſinns oder des nahenden Verderbens fein kann. Um eines
Thrones Willen ſind ſo eben Tauſende von Menſchen hingeſchlachtet woͤrden,
um eines Thrones willen ſollen ein Augenblick nachher wieder Tanfende in den
Tod gejagt werden. Das menſchliche Gefühl ſträubt ſich unwillkürlich gegen
einen ſolchen Gedanken; aber eben in dieſer fürchierlichen Ruͤckſichisloſtokelt gegen
alle Berechnungen des menſchlichen Gefühls chthütlt fich der eigentliche Eharak-
ter eines Könige!!
Ein Koͤnlg hört nicht, ein König ſteht nicht, ein König fühlt nicht, ein
König iſt eben nichts als Koͤnig, jeder menſchliche Stun i in ihm unterge-
gangen. Was kümmern die Künige ſich um die Menfchen? Ueber Friedrich
Wilhelms Outherzigkeit , an die ein Theil des bethörten Voͤlkes bis jetzt noch
immer geglaubt hat, wutz jetzt jeder Zweifel geſchwunden fein es iſt klar vor
Aller Augen, daß er feinen redlichen Antheil hatte an den Raäuten, die ſeither
im Geheimen gegen das Boͤlk geſchmiedet wuͤrden, —— &x unl Dr
Maske dex Freundlichkeit nur feine unbegrenzte königliche Herrſchſucht zu ver-
bergen ſuchte. Zwiſchen dem Voͤlke und dem Könige iſt jetzt der Zuſammen-
hang vollſtändig zerrifen; in zwei feindlichen Lagern ftehen ſich beide Theile
einander gegenüber, Wir ſind wieder an einem Moment der Geſchichte ange-
Uangt, wo ſich das Verhängniß eines Königs zu erfühen beginnt. Wenn die
Voͤlker erwachen, da enthüllen fich die Könige; eine reine ungeſchminkte Königs-
geſtalt ſteht auf der Buͤhne; die Welt ſieht alle königlichen Eigenſchaften zu-
ammengeſchmolzen in eine eine einzige, — bden unbegrenzteſten Uebermuth
Der Uebermuth allein iſt das Weſen der Könige; dies haͤt ſich noch durch alle
Zeiten hindurch bewieſen. Wir ſehen ihn wieder vor uns, jenen fuͤrchterlichen
Uebermuth, wie er mit den Menſchen fein frevles Spiel treibt, wie er ſich ei-
Nem ganzen Jahrhundert entgegenwirft und ſich vermißt, die Welt zu meiſtern.
Vergebens rufen wir: „die Geſchichte, die Geſchichte“! Die Könige lernen
nichts aus dex Geſchichte, ſie ſind eben Könige. Das Beiſpiel Karl's I, von
England und Ludwig's XVI, von Frankreich iſt für Friedrich Wilhelm IV von
Preußen umſonſt geweſen.
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Deutfthlan d.
„LKarlsruhe, 14. Novbr. In der heutigen Sitzung der 2. Kammer
übergab der Abg. Brentano mehrere Petitionen um Amueftivung ſämmtlicher,
politiſcher Vergehen angeſchuldigten Perſonen und 5 von verſchiedenen Gemein-
den (Hüfingen, Neuenburg 20 ) um Auflöſung der Kammer, worin zugleich für
die IDteumahlen ein freifinnigerer Wahlmodus, ferner Beſchränkung des landes-
fürfiliden. Veto und Abfhaffung der erſten Kammer verlangt iſt. Im gleichen
Betreff wurde eine Petition von Ehriſt angezeigt, von Riefterer, Malich und
ſpäter von Blankenhorn welche im entgegengeſetzien Sinn. Die Herren ſchei-
nen ſehr großen Werth auf die gegen die Kammerauflöſung gerichteten Peti-
tionen zu legen; Hr. Blankenhorn hatte ſogar, als ım Verlaͤuf der Sitzung
zwei weitere Petitionen dieſes Inhalts eingiengen, nichts eiliger u thun, als
die Verhandlung zu unterbrechen, um dieſelben ſofort anzuzeigen.
nicht wüßte, auf welche Weiſe dergleichen zu Stande gebracht wird.
Junghanns interpellirte den Miniſter des Innern, der die, verſprochene
Erffärung über das Gottesgnadenprädikat hishex immex noch zurückhielt. Der
Miniſtex erwiderte, er habe deshalb noch keine Erklärung gegeben, weil er
keine habe geben können. Man müffe erſt nachfragen, wie es in andern Län-
dern damit gehalten werde. Die Kammer ſelbſt würde es wohl für unpaſſend
erachten müſſen, wenn ein kleiner Staat wie Baden mit dergleichen den Anfang
machen wollte, Als Junghanns an den Vorgang Oeſtreichs erinnerte, ent-
gegnete Hr. Bekk, dort habe ſeithex fortwährender, Revolutionszuſtand gehexrſcht
— jetzt werde der konſtitutionelle Kaiſertitel ohne Gottesgnadenprädifat vielleicht
bereits ſeine Endſchaft erreicht haben. Die Kammer möge nur die Güte haben,
abzuwarten. Wenn die Abſchaffung erſt in andern Ländern erfolge, werde auch
der Großherzrg von Baden nicht mehr dagegen ſein. *
Junghanns erklärte ſich durch diefe Erwiderung keineswegs befriedigt,
bereits vorangegangen, und ſtellte für den Fall, daß keine genügendere Zuſiche-
vung erfolgte, den Antrag, die Kammer möge ſelbſt über den Gegenſtand Be-
ſchluß faͤſſen; der Präſident verſprach, die Abſtimmung auf eine der nächſten
Tagesordnungen zu ſetzen. ; ;
Die Berathung des Ehriſt'ſchen Berichts über die Verantwortlichkeit der
Beamten für ihre Amtsgandlungen wurbe ausgeſetzt, weil Zweifel darüber er-
hoben wuͤrden, ob nicht das vorgelegte Geſetz ein Verfaſſungsgefetz ſei, indem
durch daſfelbe einzelne Beſtimmungen des verfaſſungsmaͤßig beſtehenden Staats-
dieneredikts abgeändert wüxden; in welchem Fall die Gegenwart von 48 Mit-
gliedern und eine Majorität von der Stimmen zur Annahme erforderlich
geweſen wäre. Hägelin erſtattete hierauf Bericht über 101 Petitionen verſchie-
dener Gemeinden um Herſtellung von Staatsſtraßen, Aufnahme von Vizinal-
ſtraßen in den allgemeinen Straßenverband und Unterſtützung aus Staatsmitteln
zur Berbeſſerung von Bızinalfiraßen. Der Comiiſſionsantrag, auf Ueberwei-
ſung an das Staatsminiſterium zur Kenntnißnahme lautend,wuͤrde in einer
ausfhrlichen Diseuſſion beſenders von Lehlbach, Mez und Schaaf bekämpft
und ſchließlich der Autrag von Mez: bei der Ueberweifung zugleich eine geeig-
nete Borlage über die glsbaldige Vornahme von Straßenbauten zunächſt in den
beſonders bedürftigen ©egenden zu verlangen, von der Kammer angenommen.
Von Seiten des Kriegsminiſteriums erfolgte alsdann die Vorlage eines
Geſetzentwurfs über die Wehrpflicht, wodurch das Conſeriptionsgeſetz von 1825
mebhtrere Dıra Die Neugeſtaltung der Bexhältniſſe bedingte wefentliche Verände-
rungen Erleidet. Derſelbe detrifft hauptſächlich die Erhöhung des Truppenſtands
auf Z Mrocent der Bevölkerung und die Dienftzeit und ſonſtigen Verhältniſſe
von Linie und Reſerve; außerdem bezweckt er die Aufhebung des Einſtandsrech-
tes und der unbedingten Befreiung aller im Heere Dienenden vom Bürgerwehr-
dienſt. Der Regierungecommiſſär empftehlt dringend die baldige Berathung des
Geſetzes.
Hierauf erſtattet Brentano Bericht über das Geſetz, die Aufhebung der
Militargerichtebarkeit betreffend! Die ommiſſion hatte an dem Regierungs⸗—
enfwpurf, der nur auf Abgabe eines Theils der Militärgerichtsbarkeit an die
Eivilbehöroen lautete, mehrere ſehr weſentliche, auf ganz andern Grundſätzen
beruhende Abänberungen beantragt, welchen die 2. Kammer ihre Genehmigung
eutheilte , die erſte Stammer aber ihre Zuſtimmung verſagte.
Insbeſondere erklarte ſich dieſetbe gegen die ausnahmelofe Aburtheilung der
von Veilitärperſonen begangenen gemeinen Vergehen und Verbrechen und gegen
e Enifcheidung der zwiſchen Aivıl- und Miılirärgerichten ſich ergebenden Com-
betenzkouſtikte duich einen Gerichtshof (das Oberhofgerichtj.
Das Geſetz war ſodann
Berathung an die Commiſſton
zurückgegangen. Der Berichterſtatter wieß naz
ſtände aufgehoben ſind und die Competenz ber militäriſchen Gerichtsbarkeit auf
rein milttäriſche Vergehen beſchränkt wird,
1. Sammer, ;
rath die zuſtändige Behörde vorhanden ſei, Iindem er zeigte, daß dieſer aus
üder die Competenzſtreitigkeiten zwiſchen Gerichts- und Verwaltungsbehörden,
nicht aber über diejenigen zwiſchen zwei verſchiedenen Gerichtsbehörden zu ent-
ſcheiden habe.
Die Commiſſion beantragt, auf Beibehaltung der von der 1. Kammer ver-
worfenen weſentlichen Beſtimmungen zu beharren! zu einigen geringfügigen Ab-
änderungen dagegen zuzuſtimmen. Die Berathung wird auf eine der nächften
Tagesordnungen gefegt werden.
Schließlich zeigte Brentano an, daß er demnächſt eine Interpellation
an den Miniſter des Auswärtigen richten werde, des Inhalts, ob unter den
Pariſer Junigefangenen babifhe Staatsangehörige befindlich und welche Schritte
von Seiten des Miniſteriums gethan worden ſeien, um deren Freilaſſung zu
erwirken.
Nächſte Sitzung: Donnerſtag, um 9 Uhr. Tagesordnung: Berathung
des Penſtonsgeſetzes. /
Frankfurt, 13. Nov.
ſammlung.
Der erſte Gegenſtand, der in heutiger Sitzung nach Genehmigung des Pro-
tokolls vom 11, vorgetragen wird, iſt ein neues Geſuch um Eröffnung einer
ſtrafrechllichen Unterfuchung gegen einen Abgeordneten — Dr, Würth aus Sig-
niarinzen — wegen Hochverraths, Eigenthümlich bleibt die Erſcheinung, daß
das Volk gerade zu den Hochperrälhern! ſo viel Vertrauen zeigt. —
Reichsminiſter v. Schmerling zeigt an, daß cr wegen der Ereigniffe in
Berlin die Anſichten des Neichsminiſteriums zorlegen werde. Sas Minifterium habe
den Unterſtaatsſeexetär Baſfermann nach Berlin geſandt, um das Verhältniß
zwiſchen der preußiſchen Regierung und der Centralgewalt feſtzuſetzen, keines
wegs um die neueſten Schritte der preußiſchen Regierung zu unterſtützen, wie
*
114 Sitzung der konſtituirenden Nationalver-