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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 126 - No. 153 (1. Juni - 30. Juni)
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*



















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— —

1848.


chlag.






Wie iſt allein der Staatsbankrott in Oeſterreich /
zu verhüten? *
Von Löwenſtein)





Daß der Bankrott des öſterreichiſchen Staates ein großes, ein allgemei-
nes, man möchte faſt ſagen europäiſches Unglück ſein würde, iſt kaum zu leug-
nen, ſobald man den Blick in jenen unabſehbaren Abgrund des Elends, der
Verarmung und dex Immoralität eines ſolchen Ereigniſſes richtet, Und den-
noch iſt dieſes längſtgefürchtete und von ſcharfſiichtigen Sonntagskindern ſchon
ſeit Jaͤhren in mancher ſtillen Nacht mit leiblichen Augen erblickte und erkannte
Schreckensgeſpenſt endlich am hellen Mittag zum Vorſchein gekommen und treibt
ziemlich unverholen ſeinen ſchauerlichen Spuk vor den Augen der entſetzten
Menge!
— es gibt kaum noch eine Gefahr, die ſo allgemein und unmittel-
bar alle Klaſſen und Schichten des Volkes, vom Arbeitsmann bis zum Ban-
quier und Rentier, vom Gelehrten bis zum Fürſten gemeinſchaftlich und gleich-
zeitig trifft, alg die Kalamität, welche in dieſem Augenblicke mit durchdringend
kreifchender Stimme ihre längſtgefürchtete Nähe ankündigt. Das jammervolle
Facit der vieljährigen Kalkulationen Metternichs ſtellt ſich endlich, wahrlich
nicht zur Ehre ſeines Meiſters, vor aller Welt Augen heraus, und nach ſo
langer unbeſchränkter Ausfaugung und Plünderung der reichſten und ergiebig-
ſten Länderſtriche dieſes Welttheils ſind nicht allein, wie zu exwarten ſtand
und ſelbſt von Metternich (was leicht urkundlich zu erweiſen) nicht anders ı er-

Begriffe, dieſes abzuſchütteln, ſondern es ſind auch, wie nicht Jedermann er-
wartet hatte, nach einem 33jährigen Frieden, während deſſen völlig ungehin-
dert ungeheuere Summen klingenden Metalls theils als Steuern eingezogen
und theils gegen Staatspapiere, Papiergeld eingetauſcht und, wie Manche, zu-
wähnen Anlaß hatten, zu kolöſſalen Schätzen aufgehäuft worden, alle jene
enormen Summen plötzlich verſch wun den, die Kaſſen leer, der Staat ſteht
überſchuldet am Rande eines bodenloſen Abgrunds und wird das Traurigſte
und Schmachvollſte — wie zugleich in dieſem Augenblicke auch das politifch
Gefährlichſte — erleben müſſen, wenn nicht die allgnädige Vorſehung über

Was diefe mächtige, Hülfyreie DAanDE D er
Eine natuͤrliche Vorfrage ift: Woͤher rührt das Verderben? wie iſt die
heilloſe Zerrüttung entſtanden?



So wie viele, zu einem großen Ganzen vereinigte Kräfte zu der ſie ver-
bindenden und ihren Brennpunkt bildenden Macht Vertrauen erwecken, ebenſo
muß auch diefes Vertrauen ſchwinden, ſobald es ſich herausgeſtellt hat, daß
das Haupt, welches die verſchiedenen Glieder unter ſich zu einem Einzigen Le-
bendigen gemacht, ſeinen wichtigen Dienſt verſagt und den ganzen übrigen
Organismus ſich ſelbſt und ſeinem Schickſale uͤberlaſſen hat. Ein Gedanke
muß das Ganze zu durchdringen und zu beleben vorhanden ſein; das menſch-
liche Auge wird, wohin es auch in die unermeßliche Ferne blickt, ſich ſtets
ſchon in den erſten Sekunden irgend einen beſtimmten Gegenſtand, als ſeinen
Hauptziel⸗ und Ruhepunkt wählen, und die menſchliche Seele iſt zufolge eines
anerſchaffenen Triebes gewohnt, ſich jeden, auch den abſtrakteſten Gegenſtand
gewiſſermaßen zu verkörpern, um ſich ihn unter einem gewiſſen Bilde verſinn,
licht vorſtellen zu können. ; *

Kein Wunder alſo, wenn die Völker der vielen öſterreichiſchen Staaten

unter dem Bilde des Kaiſers veranfhaulicht und untẽr der Monarchie-
eigentlich nur den mit dieſer ſtets als identiſch gedachten Monarchen verſtan-
den. Dex Anläſſe für eine ſolche, ganz im Weſen der menſchlichen Natur be-
gründete Begriffsvermiſchung und Verwechſelung waren nur allzu viele vorhan-
den; das „V’etat c’est moi!“ war nur allzufehr zur buchſtäblichen Wahrheit

Wie aber nicht$ in der Welt für die Ewigkeit vorhanden iſt, ſo mußte

iſt geſchwunden; der kaiſerliche Zauber wirkt nicht mehr, er kann, er wird
in dieſem Jahrhunderte — vielleicht in Ewigkeit — nie wieder wirken. Was
hilft da alles Unterſuchen und Streiten wegen der Urſachen, die den Verfall
des tauſendjährigen Anſehens herbeigeführt? Wer gegen irgend eine der vor-
gegebenen äußern Urſachen ſtreitet und die Behauptung aufſtellt, dies und je-
nes ſeien nicht die eigentlichen Urſachen der eingetretenen Unhaltbarkeit des
Veralteten, der wird immer im Wortkampfe einen guten Staͤnd einnehmen
und ohne großen Scharfſinn mit ſeinen Gründen die Negative darzuthun aus-
xeichen,, Kein Metternich mit allen ſeinen vielen und Zroßen Fehletn, keine
franzöſiſche, keine italieniſche Revolution, kein Pabſt, keine angeblihen oder
wirklichen Cmiffäre der vielberüchtigten Propaganda, ja felbft nicht alle erdenk-
liche Hiederlidhe Imanzwirthſchaft wären zufammen im Stauͤde gewefen, jenes -
* 44 4 das ſogar einſt noch heftigeren Stürmen wi-
erſtanden — es noch ſeine Zeithatte. E ie ni
und das ſſt ſein unabwendbarer — WDE
Beruhigt euch, erzebt euch in das Unvermeidliche, in das unerbittliche,
weltzerſtörende und welterſchaffende Naturgeſetz; es iſt die Macht des Styr, dem
ſelyſt die @ötter vergebens widerfichen. Befchuldigt nicht die Liberale VYreffe,
nicht die Jeſuiten, Magt nicht Lamartine, nicht Gutzot, nicht Hecker, nicht Met-
ternich, nicht Hott und nicht den Teufel an, ihr thut Alfen Unrecht! denen
ihr bie ewige Nothwendigkeit zur Laſt legt, daß eben — jedes Ding ſein Ende
hat und haͤben muß! Schmiedet keine Ränke, laßt die Intriguen gegen die




angeblichen Urheber des groͤßen Schickſals, ſchaͤint euch, eine Schwalbẽ zu ver-

folgen, weil ſie den Sommer bringe und ihr unglückſeligerweiſe euer Haus auf
einen zugefrorenen Strom gebaut ſabt! Eine Schwalbe bringt überhaupt keinen
Sommer, ſondern ſie verkündigt ihn blos und jubelt ob ſeiner Ankunft, und
wenn ihr auch alle Schwalben zum Lande hinausjagtet, ihr würdet durch ſoͤlche
unnütze Grauſamkeit die Jahreszeit uın keine Sekunde verzögern, und während
ihr die koſtbare Zeit auf die unnütze Jagd verwendet, indeß der Boden unter
euerem Hauſe immer mürber wird, thätet ihr wahrlich vernünftiger, den Ruf-
des Frühlingsvogels für euch als zeitige Warnung und Mahnung zu benutzen,
um ſchnell das Gebäude von dem morſchen Boden abzutragen
und euere Wohnung auf feſtern und ſolidern Grund aufzufüh-
ren!!! Das wäre gewiß weit zweckmäßiger und räthlicher für euch, als eure
lächerliche und fanatiſche Verfolgung gegen Die, welche, ohne daß es euch
ſchadet, oder auch nur berührt, die Zeit nun einmal beſſer verſtehen, als ihr!
Das iſt das größte Zauberwort, dem ihr vergebens zu euerem eigenen
größten Nachtheile zu entfliehen ſucht, das aber, weil es die Wahrheit ift,
euch, Alle und Alles mit unwiderſtehlicher Macht überwältigt und den ſichern
unbedingten Sieg ſchon vor dem Kampfe mit ſich führt. Es muß ein neuer,
fejber Doden hergertatet, Werden; und der wird Das Oebans?
für Tauſende von Geſchlechtern auf marmornen Säulen traßgen-
daß es unerſchütterlich den Stürmen und Zeiten trotzen wird bis nach vie?
len, vielen Menſchenaltern vielleicht auch ſeine Stunde einſt ſchlagen und das
heute Neue gleichfalls wird veraltet ſein und einem Neuern weichen müffen , . .
„Einſt wird kommen der Tag, da die beilige Ilios binfinke ! —
Der Glanz des Wiener Hofes war einſt die Sonne, welche die vielen
Völkerſchaften, gleich Planeten und Monden rings um ſich her trieb und ihr
abſolutes Oberhaupt bildete, während ſie alle ſich einbilden durften und konn?
ten, ſie gingen ihre eigene Bahn und ſeien ſelbſtſtändige Geſtirne! Woher aber
erlangte man von Wien aus jene wunderbare magiiche Allgewalt, welche die
entfernten Körper lenkte, leitete und regierte? Es geſchah urfprünglich da-
durch, daß ihnen von daher Licht und Wärme geſpendet worden.
Jene Sonne aber iſt nunmehr exloſchen, und ihr müht euch vergebens ab,
das Todte zu beleben, die Uhr der Geſchichte rückwärts zu drehen. ——
Aber ein ncues, greßes hellſtrahlendes Weltlicht iſt aufge-
gangen und prangt majeſtätiſch am Horizonte der Neuzeit; ſein Glanz üder?
trifft, wie dex Prophet von ihm geweiſſagt, ſiebenfach den Glanz der Soͤnne
(Jeſ. 30, 26) und mit ſeiner magiſchen, magnet iſchen Gewalt vermag keines
andern Geſtirnes Kraft auch nur entfernt ſich zu meflen. Es iſt der allmäch-
tige Gedanke der Freibeitees iſt das republikaniſche Vrineip!
Der ebemalige grundſätzliche Royalismus mit feiner pedantifchen, einge-
fleiſchten Liebe und für ein angeſtammtes Herrſcherhaus, er hatte auch noch in
ſeiner Lächerlichkeit und Uehertreibung etwas Achtungswerthes; er Fonnte mur
mit dem Leben von einem ihm heilig gewordenen Prinzip und deſſen keiblichem!
Träger laſſen.. Diejenigen aber, welche heutzutage ſich für dasBeſteheude“
ausſprechen und ſich „Conſexvative“ nennen, die haben ſich bekanntlich in ihrer
ganz außerordentlichen „Aufklärung“ längſt über noch ganz andere Voruͤrtheile
hinweggeſetzt, als die der Unterthanenpietaͤt, und man fagt gewiß nichts Neues
und Ueberraſchendes, wenn man es unumwunden herausſpricht, daß die heuti-


möchten, als eben — ihr Vermögen, das ſie durch die Bewegung der Zeit ge
Dieſe aber mögen wohl bedenfen, wie unpraktiſch und findifch
es iſt, ſich bei einem drohenden oder geſchehenen Schaden wie ein Knabe
gebehrden, der da ſchreit und jammext und den Stein prügeln will, an Dden er
ſich geſtoßen! Was ſich längſt überlebt hat, muß und wird fallen, kein Weh?
klagen ja keine Macht der Erde vermag das Dahinſterbende zu erbalten. Aber
kein Geſtirn geht unter, ohne daß zugleich ein nelles aufgeht, und wahre Män- -
ner der Praxis wenden ſich baldmöglichſt dem Jetztlebenden, dem eigentlich und
wirklich Beftehenden, dem geſunden Heute und nicht dem er Verwefung
anheimgefallenen Geſtern zu! ; 44 —
„Das Alte ſtürzt, es ändert ſich die Zeit,
; Und neues Leben „blüht aus den Ruinen!“ ; *
Von der verfallenen, ohne äußern Angriff geſtürzten, weil durch und
durch faulen und unhaltbaren Monarchie find die Provinzen Stuͤck für Stück-
abgefallen und der Kredit kündigte ſich ſo von ſelbſt. Dem geſunden, kraͤflig aufs-
Lühenden öſterreichiſchen Freiſtaat werden die Brüder im -Sud-und.
Dft ſich mit Juhel anſchlichen; der Staat wird herrſchen wie der verheißene
Welterlöfer, „nicht mit Macht und nicht mit Kraft, fondern nur durch den-
Geiſt Gottes? (Zach. 4, 6); Oeſtexreich wird groß nach außen, ſtark im Inz
vern und ſeine Macht wird die Geſammtmacht brüderlich vereinigter Bürger
ſein, mit der keine Gewalt ſich zu meſſen wagen und die deshalb einen immer-
währenden Frieden haben wird. Da werden auch die tiefen, häßlichen Wuͤn⸗
den der überſtandenen böſen Zeit raſch vernarben und bald gänzlich heilen;
auch das Vertrauen der Finanzmänner kann und wird nicht laͤnge ansbleiben,
es wird erzwungen werden durch den Wohlſtand der glückiichen Bürger, *


lichen Staatsbankrotts wird verſchwinden, ſobald alle Buͤrger von Begeifterung
für das Vaterland erglühen, die Provinzen ſich liebevoll dem großen Gaͤnzen
anſchließen können; denn ſobald ſie es nur mit gutem Gewiſſen Fönnen,
wird es auch geſchehen. Die Finanznoth wird aufhören, wenn alle Kräfte
wieder im Einklang zuſammenwirken und durch eine redliche, auf Deffentlichkeit,
d. h. auf Wahrhaftigkeit gegruͤndete Verwaltung das Staatsvermögen vor
künftiger Verſchleuderung und Ausplünderung geſichert daſtehen wird,

„Es iſt Ein Feind, den Alle wir bekämpfen,
ünd Eine Freiheit macht uns Alle frei!“

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