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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 235 - No. 260 (1. Oktober - 31. Oktober)
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18as.









— — \

No. 244.







Deutſchland.

Manunheim, 11. Okt. Wir haben vor einigen Tagen die Note be-
ſprochen, welche die deutſche „prov. Central⸗Gewalt an den ſchwetzeriſchen Vor-
ort richtete. Der ſchweiz. Vorort hat geantwortet, ſchleunig und derb und mit


gegen die „ſchwache“ „kleine“ Schweiz richten und Frankreich gegenüber nicht wa-
gen mögen, jeder thatſächlichen Rechtfertigung entbehrt Die Antwort des Vor-
orts tadelt im Eingang daß die deutſche Note vor ihrer amtlichen Uebermitte-
lung ſchon in der reichspolizeilichen D.-P.-A.- Ztg. zu leſen war, und nennt
ſie ein ſo auffallendes und in Gereiztheit abgefaßtes Aktenſtück, daß der Vorort
nur noch aus Reſpekt vor der Perſoͤn des Reichsverweſers darauf eintrete; daſ-
ſelbe habe in dem ſchweiz. Archive nicht ſeines Gleichen. Die Eidgenoſſenſchaft
werde aber mit jener Sprache der Ruhe, die allein alg Eigenthum eines reinen
Bewußiſeins gelten müſſe, antworten und ſo ihre Würde wahren, die unver-
dienter; Weiſe in ſo hohem Grade verletzt ſei. Dieſe Antwortsnote enthält dann
u. A wörtlich Folgendes, auf das wir zurückkommen werden:

„Es iſt unrichtig, daß die Flüchtlinge, welche nach dem mißlungenen Auf-


nachzuſuchen im Falle waren, ihren Aufenthalt daſelbſt dazu mißbraucht hätten,
Freiſchaaren zu bilden, militäriſche Uebungen vorzunehmen oder eine Agreſſion
aͤuf deutſches Gelet zu organiſiren; wenigſtens darf als vollkommen richtig an-
genommen werden, daß, wenn auch Machinationen der bezeichneten Art vor-
gekommen ſein mögen, dieſe ganz im Geheimen müſſen ſtattgefunden haben,
und daß der Vorwurf der Bezünſtigung dieſes Treibens die ſchweizeriſchen Re-
gierungen nicht im mindeſten berühren kann.! Der eidgenöſſiſche Vorort iſt da-
her mit Rückſicht hiexguf im Falle, gegen dexartige Zulagen, durch welche der
Ehrenhaftigkeit und Wahrheitsliebe ſchibeizeriſcher Kantonalregierungen auf eben
ſo wegwerfende wie beleidigende Weiſe zu nahe getreten wird, auf das Feiex-
lichſte ſich zu verwahren. Sollten hinwieder einzelne Flüchtlinge ſich der Preſſe
bedient haben, um ihren' individuellen Anſichten Geltung und Verbreitung zu
verſchaffen, ſo kann dieß einem Lande unmöglich zum Vorwurfe gereichen, das
in ſeinen Konſtitutionen die Preßfreiheit vollſtändig gewährleiſtet, das aber an-
dererſeits durch die ordentlichen Gerichte eine gebührende Ahndung des Miß-

brauchs dieſer Freiheit heſtimmt zuſichert. Wenn daher die betreffenden Regie-
rungen gegen die eingeklagten Erzeugniſſe der Preſſe nicht unamiee-lbav und dnı

primirend eingefchritten ſind, ſo haben ſie ſich lediglich an diejenigen Vorſchrif-
ien gehalten, welche durch die Verfaſſungen als maͤßgebend aufgeſtellt ſind, und
es fann daraus um ſo weniger ein Grund zur Anklage hergeleitet werden, als
die Nachbarſtaaten hinlängliche Mittel beſitzen, auf dem Wege der Polizei ge-
gen ſolche Produkte der Preſſe einzuſchreiten, welche mit ihrem Regierungsſy-
ſiem oder gar mit ihrer politiſchen Exiſtenz als unvereinbar erſcheinen mögen.“

„Nicht weniger irxthümlich iſt es, wenn In der von Ew. Exzellenz über-
reichten Note der lüngſte Aufſtand im Großhexzogthum Baden als ein Einfall
der deutſchen Flüchtlinge vom ſchweizeriſchen Gebiete aus bezeichnet wird. Die-
fer revolutionaͤre Vorgang, hinſichtlich deſſen der eidgenöſſiſche Vorort nicht an-
ſteht, ſeine offene Mißbilligung unzweideutig auszuſprechen, iſt ſowohl dem Vor-
orie alg den ſämmtlichen Kantonsregierungen ebenſo unerwartet geweſen, wie
das grauenvolle Attentat, das beinahe gleichzeitig am Sitz der deutſchen Natio-
nalverſammlung ſelbſt ſich zugetragen. Es iſt unläugbare Thatſache, welche
durch keine Sophismen widerlegt werden kann, daß dex Leitex der badiſchen
Bewegung, G. Struve, Und aͤndere Flüchtlinge unbewaffnet die Schweiz ver-
laſſen und den deutſchen Boden betreten hahen, und daß in Lörrach ſelbſt Al-
les zur Proklamirung der Republik vorbereitet war, ſo zwar, daß es nur der
perſoͤnlichen Erſcheinung Struve's bedurfte, um die längſt vorbereiteten Clemente
des Aufſtandes offen zu Tage zu bringen. Wenn daher einzelne Flüchtlinge,
und zwar unbewaffnet, vom ſchiweizeriſchen Gebiete aus dem Aufſtande im Groß-
herzogthum Baden ſich angeſchloſſen haben mögen, ſo berechtigt dies keineswegs
dazu, von einer Invaſion zu ſprechen, welche auf herwärtigem Territorium vor-
breitet worden wäre.“

„Schon die Art und Weiſe, wie in Loͤrrach verfahren worden iſt; die Tau-
ſende, welche ſelbſt nach jenſeitigen offiziellen Berichten an der Bewegung ſich
betheiligt hatten, liefern den unzweideutigſten Beweis, daß ein Einfalt, pon
ſchiveizeriſchem Gebiete aus nicht ſtattgefunden hat, ſondern daß die zurückge-
kehrten Fluͤchtlinge alg Mittel zu dem Werke gebraucht worden ſind, welches
ein Theil der badiſchen Bevölkekung ſich vorgeſetzt hatte. Bedürfte es eines
ferneren Nachweiſes, daß die Auftritte im Großhexzogthum Baden nicht als
ein iſolirtes Ereigniß aufzufaſſen ſeien, ſondern daß dieſelben mit gleichzeitigen
Beſtrebungen in den übrigen ſüdlichen und weſtlichen Staaten Deutſchlands in
genauem Zuſammenhange ſtehen,, ſo könnte hierfür die von der proviſoriſchen
Regierung in Lörrach erlaſſene Proklamation in die Wagſchale gelegt werden,
welche in beſtimmten Ausdrücken auf die bekannten Vorgänge in Frankfurt hin-
gewieſen und darin die Rechtfertigung des eigenen Beginnens zu finden geglaubt
lat.“
„Wenn in einem Lande, das ſchon ſeit Monaten in ficberhafter Aufregung
ſich befindet, in welchem unzählige Volksverſammluygen offen ihre Sympathien
für die Republit ausſprachen, in welchem wegen foldjer Tendenz die Haupt-
ſiadt einer großen Provinz in den Belagerungszuſtand erklärt werden mußte,


nöfbigt wird, mit ſeiner Regierung das Land zu verlaſſen, in welchem endlich
die ertremſten Gegenſätze des Kommunismus und Sozialismus ſich um die
Oberhand ſtreiten, wenn — ſagen wir — unter ſolchen geſellſchaftlichen Ver-
hältniſſen in einem Theile jenes Landes das Mißbehagen zur offenen That
umſchlägt, ſo iſt es wirklich unexhört, ein ſolches vereinzeltes Faktum, deſſen
Verbindung mit einer Reihe ähnlichex Urſachen und Wirkungen klar vor Augen
liegt, auf Rechnung eines Nachbarlandes fetzen zu wollen, deſſen Angehörige







ſich an dem Vorfalle in keiner Weiſe bethätigt haben und dem man es Dant
wiſſen follte, daß von ihm aus die Lohe nidt weiter angeſchürt iſt,
welche die foziale Ordnunz in ganz Deutfchland 3U verzehren broht.”

„Znzwiſchen kann der eidgenöff. Borort nicht umbin, bei dieſem Anlaſſe
auf eine Thaͤtfache hinzuweiſen, die nicht wenig dazu beigetragen haben mag,
daß der Aufſtand im Großherzogthum Baden auf ſo urerwartet ſchhelle Veſt-
und in ſolchem Umfange hat zum Ausbruch kommen fönnen. Es iſt nämlich
ſattſam konſtatirt, daß von Seite der badiſchen RNegierung alle Vor-
ſichtsmaßregeln verabſäumt w orden ſind, ungeachtet eine bedenkliche
Gaͤhrung in den betreffenden Landestheilen ſich nicht verkennen ließ, und unge-
achtet in Folge verſchiedener Regierungsmaßnahmen ein erneuerter Aus-
bruch beforgt werden mußte. Nicht nur waren die betreffenden Lan-
destheile ohne alle militäriſche Bedeckung, ſondern es zeigte ſich von Seite
der Polizei eine ſolche Sorgloſigkeit, daß Struve zu wiederbolten Malen
das'badiſche Gebiet betreten und mit doxtigen Bürgern {n Ver-
kehr fich einlaſſen konnte ohne daß er im mindeſten befäftiget worden wäre.
Auch dieſe Thatſache unterſtellt der eidg. Vorort dem öffentlichen Urtheile, wel-
ches dieſelbe bei wiedergewonnener Faſſung, nach ihrem ganzen Werthe zu wür-
digen wiſſen wird.“ *

„Die ſchweizeriſche Nation will die Gebote des Voͤlkerrechtes treu und um-
entweiht halten; ſie anerfennt für jedes Volk das Recht, ſeinen innern Haus-
halt nach eigenem Ermeſſen und nach vorhandenen Bedürfniſſen zu ordnen;
ihre Glückwünſche begleiten jeden Staat, dem es gelingt, im Geiſte der Freiheit
und des Fortſchrittes zu einem höhern politiſchen Daſein ſich zu eytwicheln.
Die ſchweizeriſche Nation wird dagegen auch fernerhin mit der nämlichen Ent-
ſchiedeuheit ihre Aufgabe zu erfüllen wiſſen, welche die Vorſehung ihr im nro-
paͤiſchen Staatsſyſteme zugewieſen hat; ſie wird feſthalten an den Hrundſatzen
der Humanität und der Gerechtigkeit, wie ſie hinwieder im Stande iſt, jegliche
Zumuͤthung abzuweiſen, welche mit der Ehre der uralten Eidgenoſſenſchaft und


) Mannheim, 10. October. Der Reichsminiſter Mohl hat unterm
24. September an die einzelnen Landesregierungen einen Erlaß ergehen laſſen,
worin dieſelben zu ſtrenger Unterſuchung und Beſtrafung der durch die Preſſe
und Voltsverfamilungen verübten Vergehen aufgefordert werden. — So weit
ſind wir alfo gekommen, daß aus der Centralgewalt eine Reichspolizeianſtalt in beſter
Form geworden. Es gehört freilich auch mit zur einheitlichen Verwaltung Deutſch-
[aNDS , DU w i Regierunaen nicht ſe blindlings, bloß auf ihren
guten Wilien hin, die politiſchen Ejblzuͤnze LELCN) Tewwarnm dergleichen Maß-
kegeln mehr aus dem Sinne des einigen Ganzen hervorgeben 1äßs, unDd Diefe
woͤhl zu beachtende Rückſicht mag allerdings das Reichsjuſtizminiſterium mit
gutkm Grunde zu dem erwähnten Erlaſſe vermocht haben. Wie werden jetzt
allenthalben die armen, gedrückten, zerrütteten Regierungen wieder aufathmen;
welch herrlicher Antrieb iſt ihnen nun verliehen, ihre Polizeikräfte zu entfalten
und Stadt und Land, Haus und Hof nach verdächtigen Perſonen und ſtaats-
gefährlichen Gegenſtänden zu durchſtöbern, üher vorhandene und nicht vorhan-
dene Schriften, über gehaltene und nicht gehaltene Reden zu inguirixen; ſind ſie
ja doch durch die aus der Vertretung des ganzen deutſchen Volkes hervorgegan-
gene Centralgewalt ſelbſt zu ihrer Thätigkeit aufgemuntert. Wie undankbar wa-
ren doch einzelne Regierungen, daß ſie fich über die Anerkennung der Centralge-
walt Sorgen gemacht haben; ſie thun jetzt gewiß für ihre Kurjſichtigkeit auf-
richtige Abbitte, denn ſie muͤſſen doch wohl bald einſehen, daß ſie in der Cen-
tralgewalt das einzige Mittel gefunden haben, die Revolution zu überwältigen;
ſie brauchen ja nichts weiter zu thun, als ſich die Aufforderung des Reichoͤju-
ſtizminiſters Mohl Zehöriger Weiſe zu Nütze zu machen. Wenn ſie nur einmal
damit aͤnfangen, die durch die Preſſe und durch Volksverſammlungen verübten
Verbrechen zu unterſuchen und dabei von der Gegenwart ausgehen und ſo all-
mählig nach und nach in die Vergangenheit hinabſteigen und alle vorgekomme-
nen Geſetzesüberſchreitüngen durch Beſtrafen in ihren Wirkungen aufzuheben ſu-
chen, ſo müſſen ſie zuletzt auch an dem allergrößten politiſchen Bergehen —
der Nationalverſammlung zu Frankfurt ſelber, anlangen. Der Reichsjuſtizmini-
ſter Mohl, das muß man fagen, der iſt ein Künftler; er hat jetzt auf einmal
den deutſchen Fürſten aus der großen Verlegenheit gehoͤlfen, an der bis dahin
alle Diploinatie geſcheitert iſt; er hat ihnen gezeigt, wie ſie es anzufangen haben,
um die durch die Revolution entſtandenen Verwirrungen allmählig wieder auf-
zulöſen und alles recht hübſch wieder in den alten Weg der „geſetzlichen Ord-
nung“ hineinzuführen.

Aber wir thuͤn Unrecht, wenn wir dem Reichejuſtizminiſter Mohl die ganze
Schuld in die Schuhe ſchieben; er hat kräftige Helfershelfer an ſeinen Amtsge-
noffen, den andern Mitgliedern des Reichsminiſteriums; er hat kräftige Helfers-
helfer an der Majorität der Nationalverſammlung ſelber, an der Nationalver-
ſammlung, die ſo eben abermals durch eine ewig denkwürdige That ein neues
Brandmaͤl in die deutſche Geſchichte hineingezeichnet hat, an die Nationalver-
fammlung, die ſo eben durch ein Schutzgeſeß, wodurch. ſie ſich vermittelſt SGe-
faͤngniß und Zuchthausſtrafe jeder freien Kritik ihrer Wirkfamfkeit zu entziehen
ſucht, den Bruch mit dem Volke vollendet und für ſich als eine beſondere ſelhſt-
ſtaͤndige, über das Volk geſtellte Körperſchaft das Prinzip des ausſchweifendſten
Abfoluͤtismus aufgepflanzt hat. Wir reden kein Wort weiter über dieſes ſchmach-
volle Geſetz, wir laſſen es ſelbſt für ſich ſprechen, indem wir es hier unſeren

Leſern vorführen:
Geſetz,

betreffend den Schutz der konſtituirenden Reicheverſammlung und der Beamten der
Centralgewalt.
Der Reichsverweſer in Ausführung des Beſchluſſes der Reichsverſammlung vom 9. Okt.

41848 verkündet als Sefeß:
Art, I Ein gewaltfamer Angriff auf die Reihsverfammlung, {n der Abſicht, dieſelbe aus»
einander zu treiben, oder Mitglieder aus ihr zu entfernen, oder die Verſammlung zur Faf-

ſung oder Unterlaſſung eines Befchluffts zu zwingen, iſt Hochverrath und wird mit Gefäng-


 
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