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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 187 - No. 208 (6. August - 31. August)
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No. 207.













Die neue Nevolution im Anzuge.
(Aus der „Reform. .

Sind wir im Stande, die neue Welle, welche ſich in der Fluth dieſer
Revolution erhebt, mit unſerer Feder zurückzudrängen? Oder ſind wir nur die
Kaffandra, die das VBerhängniß nicht abwendet, wenn ſie es auch vorherſagt?
MRir trauen der Preſſe eine Wirkung zu; in dieſem Falle aber wird ſie nichts
mehr hindern können; beide Parteien wollen den Kampf, wir fönnen nur ſo
viel thun, daß er die unſrige nicht überraſcht, und dieſe Pflicht müſſen wir
erfüllen.

der Soldateska und der Ausnahmsgeſetze, der Terrorismus der alten Ordnung,
wenn auch unter der neuen Form der Rzpuhlik, zu einer unhaltbaren Höhe
geftiegen. Der Belagerungszuͤſtand von Paris, die Maſſen in den Gefäng-
nifen, die Unterdrückung der Preſſe, die Verbote gegen die fliegenden Buch-
händler, die fortdauernden Verhaftungen von Männern und Frauen in den
Vorſtädten, die Noth der Familien, die in den ungeheuren Prozeß vexwickelt
ſind — Alles dies haͤt die Nerven und das Herz dieſer großen Hauptſtadt ver-
letzt und empört. Die reaktionäre Nationalverſammlung ſiegte im Juni, weil
man ihre Härte, ihre Unfähigkeit, ihre Gelüſte nach den alten Fleiſchtöpfen
Aegyptens noch nicht kannte. Sie hat ſich jetzt verrgthen, und es naht der
Tag, wo ſie dem allgemeinen Unwillen unterliegen wird. Schon iſt es dahin
geksmmen, daß ſogar die Royaliſten ſich regen, Das Schickſal treibt die Re-
aftion zu ihrer Suelle zurück. Aber die Angriffe der Royaliſten haben den
Republikanern, „die keine Reaktion fehen“, die Augen geöffnet. Die Linke
wird ſich abſondérn und beim erſten royaliſtiſchen Verſuch in Paris ſich für
die rothe Republik erklären. Eine große Autorität wird den allgemeinen
Zorn der unterdrückten Socialiſten unterſtützen, die Autorität der erſten Repu-
blikaner, Ledru's und ſeiner Freunde. In dem Augenblick, wo wir ſchreiben,
iſt vielleicht der Krieg ſchon erklärt, vielleicht die Schlacht ſchon entbrannt, und
wenn ſie es heute noͤch nicht iſt, ſo wird ſie es nächſtens ſein. Die Spaltung
in der Nationalverſammlung und die Verzweiflung im Volke treffen zuſammen.
Unſre Freunde ſchildern uns die Aufregung alg die außerordentlichſte, die je
in der großen Stadt geherrſcht habe.

So ſteht es in Paris; rechnen wir noch die Vernachläſſigung Italiens
binzu, und es iſt klar, daß die öffentliche Meinung ihre Genugthuung fordern


Zornes nach Außen ſein wird.

In Wien hat umgekehrt bisher die Demokratie geſiegt; ſie herrſcht, ſte
reißt die Provinzen hin. Aber die Kamarilla ſinnt auf Rache, und die Ra-
detzky's und die Windiſchgrätz fanatiſiren ihre Soldaten, um ſie gegen die junge
Wiener Freiheit zu führen. Jene Siege in Prag und in Italien ſind Nieder-
lagen der Wiener Freiheit, ſo gut wie der Mailändiſchen und der Böhmiſchen.
Es gährt gewaltig in Wien; es iſt beiden Parteien klar, was ſie zu fürchten


Demokratie mit der Kamarilla nicht verträgt und umgekehrt.

Die Arbeiterbewegung kommt dazu, die Zwiſte der verſchiedenen Nationali-
täten verwirren die Lage der Dinge. Wenn irgendwo, ſo iſt hier eine unge-
wöhnliche Anſtrengung nöthig, um die Freiheit zu retten und die Unterdrückten
zu verſoͤhnen; dadurch wird die Wiener Revolution zu einem neuen, zu dem
Wir dürfen ihn erwarten.

Kommen wir zu Uns ſelbſt. Sind wir nicht in einer ganz ähnlichen Lage?
Iſt es nicht dahin gekommen, daß die geſchlagene Partei ſelbſt übermüthig den
Kampf wieder aufnimmt? Sind der Reaction die Ausnahmsgeſetze der Fran-
zoſen im Jahr 1830 und im Juni 1848 eine Warnung geweſen? Kümmert
ſich die Noth und der Zorn des Volkes um die Niederlage der Pariſer in den
Zunikämpfen? Iſt es unter dieſen Umſtänden waͤhrſcheinlich, daß wir mit un-
ſerer Stimme den Konflikt vermeiden, und die traurige Frage, ſoll das alte
oder das neue Syſtem die Waffen ſtrecken? mit der Feder zu Gunſten des
neuen entſchieden werden? Und wenn dies nicht der Fall iſt, ſo ſind wir in
einer ganz ähnlichen Lage, wie die Wiener und wie die Pariſer Demokraten.
Wir müſſen auf unſerer Hut ſein. 7*

Wir wollen die feindlichen Brüder in Baden, in Heſſen, in Würtemberg,
in Thüringen, in den Rheinprovinzen, die ſich ſchroff gegenüberſtehen, nicht
ſchildern; wir wollen die Unmöglichkeit, daß Italien wieder unterdrückt werden
und unterdrückt bleiben ſollte, nicht beweiſen. Genug, der Augenblick, in dem
wir leben, zeigt uns eine ſolche Spannung der felndlichen Gegenſätze gegen-
einander, daß wir nichts Geringeres zu erwarten haben, als einen neuen all-
gemeinen Ausbruch der europäiſchen Revolution. Dieſe zweite Revolution wird
in Deutſchland die reelle Demokratie, in Frankreich die ſociale Republik her-
vorbringen; was in jeder Bewegung die Halbheit war, das wird die neue
Revolution ergänzen.

Arnold Ruge.

Deutfchhand.

Mannheim. Nachſtehende Adreſſe an die 2 Kammer iſt im hieſigen
Volksverein beſchloſſen worden und wird, mit zahlreichen Unterſchriften bedeckt,
derſelben, ſobald ſie wieder zuſammentritt, durch Brentano übergeben werden.

Sohezweite Kammmerl

Ueberall hat man den Grundſatz einer gleichen Berechtigung aller Staats-
bürger, die nothwendige Aufhebung aller Standesunterſchiede und Kaſtenvor-
rechte anerkannt. Es hat die Naltonalverſammlung in ihren Beſchlüſſen die
Nothwendigkeit dieſer Anerkennung ausgeſprochen. Rimmermehr kann man da-
her den entgegengeſetzten Prinzipien Kraft beilegen, und diejenigen Staatsan-
ſtalten als zu Recht beſtehend erachten, welche auf dieſen Prinzipien beruhen.







Die wichtigſte Folgerung aus dieſen Sätzen trifft die Kammern, deren eine
das bedeutendſte Vorrecht der Privilegirten bildet, deren andere durch indirekte
und unter der Herrſchaft der alten Grundſätze vorgenommene Wahlen entſtanden
iſt; deren eine alſo das Volk überhaupt nicht, deren audere es darum nicht ver-
treten kann, weil es zu ihr kein Vertrauen hegt, und weil ſie kein Mandat
erhalten hat, die wichtigſten erſt durch eine Revolution errungenen Rechte in
Geſetze zu faſſen und für die Zukunft zu garantiren.

Die Kammern der octrohirten Verfaſſung können das Volk nicht mehr ver-
treten; wir bedürfen einer neuen Verfaſſung und dieſe kann nur von ſolchen
Männern geſchaffen werden, welche das Volk zu dieſem Behufe frei gewählt
hat. *
Wir erwarten von der zweiten Kammer der badiſchen Stände daß ſie dieſe

loſchen betrachte und zur Berufung einer conſtituirenden Verſammlung die ge-
eigneten Schritte thue.

Wir verlangen, daß die Kammer ſich alsbald auflöſe, nachdem ſie die Re-
gierung aufgefordert, direkte Wahlen durch die volljährigen Staatsbürger unver-
weilt anzuordnen. *

Mannheim, den 24. Auguſt 1848. —

Berlin, 23. Aug. Bie ſechszehn Charlottenburger Meuterer, welche
einer geſtrigen Bekanntmachung des Poltzeipräſidiums zufolge verhaftet worden


ſchuldeten ausgeſpröchen wurden, nach einer kurzen Haft von wenigen Stunden
wiederum entlaͤſſen worden. 4

Dies iſt die bürgerliche Gerechtigkeit des Miniſteriums der That, welches
die Zeughausſtürmer alg „Räuber“ verurtheilen ließ. Wird die «bürgerliche
Vergangenheit“ des Hrn. Hanſemann einen ähnlichen Richter finden?!

Berlin, 24. Auguſt. Alg Herr Kühlwetter den Vereinharern erzählte,
die Deputation, welche während der Vorfälle vor dem Hotel Auerswald's er-
ſchienen, um die Freilaſſung der politiſchen Gefangenen zu verlangen, habe ihm
nach abſchlägigem Befcheide erklärt, er beſitze das Vertrauen des Volkes nicht
mehr und möge ſammt den übrigen Mitgliedern des Miniſterinms abtreten , da
nahm die Rechte dieſe Erzählung mit Gelächtex auf. Dieſe Leute glauben,
ſie könnten mit dem Volke wieder ſpielen, wie früher, ſie dürften es ſchon wie-
der verhöhnen. Wir wollen uns dieſes Lachen in's Gedenkhüchlein ſchreiben.
Und wenn das Volk ſich wieder einmal ſollte gelüſten laſſen, ſeine Mistrauens-
vota praktiſch zu begründen, dann wollen wir ſehen, ob ihr dann auch noch
zum Lachen geneigt ſeid. Wir ſind der unvorgreiflichen Anſicht, daß man euch
dann keine Veranlaſſung zum Lachen geben wird.

Die polniſchen Abgeordneten bei der Vereinbarerverſammlung haben gegen
die Einverleibung Poſens in den deutſchen Bund durch die Nationalverſammlung
proteſtirt. Poſen ſei nach allen Verträgen von 1815 ein polniſcher Landestheit,
der dem preußiſchen Regentenhauſe aber nicht dem deutſchen Bunde zugetheilt
ſei; dies ſtaatsrechtliche Verhältniß könne nur durch eine aus Urwahlen hervor-
gegangene polniſche Vertretung im Verein mit der Regierung des Königs, alg Groß-
herzogs von Poſen, geändert werden; die Nationalverſammlung habe kein Recht
zu dieſer Einverleibung. Die Geſchichte würde dem erſten deutſchen Parlament
einen ſchweren Vorwurf aus dieſer Gewaltthat machen. Die polniſchen Abgeord-
neten wollen aber nicht annehmen, daß die Mitglieder der Nationalverſamm-
lung, welche die Theilung Poſens für kein ſchweres Unrecht erklären wollten
und in neue Theilung willigten, die Moral, die Politik, überhaupt den ſittlichen
Standpunkt des deutſchen Volkes vertreten.

Berlin, 25. Aug. Eine dumpfe Gährung herrſcht hier. Die Montags-
ſcenen vor den Miniſterhotels konnten als bedeutſames Memento für die Re-


umgibt. Unſere Kamarilla hingegen lacht in's Fäuſtchen über die Dinge , die
da kommen werden. Sollte es in den nächſten Tagen wirklich zum Schlage
kommen, ſo werden die elenden Spießbürger ſich mit dem Militär verbünden,
und dann könnten wir möglicherweiſe, da ſicherlich die Hälfte der Bürgerwehr
zur Unterdrückung des Volkes bereit iſt, Pariſer Junitage erleben. Doch ge-
ſtehen wir gerne, daß die Maſſen in dieſem Augenblick entfchiedener und bewußt-
voller als jemals ſind, weßhalb an eine gewaltſame Zurückdrängung der Re-
volution auf die Dauer keinenfalls zu denken iſt. Geſtern veröffentlichte der
demokratiſche Klubb zwei Plakate an die Bürgerwehr und die Bürger Berlins,
welche an Heftigkeit Alles übertreffen, was in dieſer Art ſeit der Revolution
erſchienen. Die Bürger werden geradezu aufgefordert, das unfähige verräthe-
riſche Miniſterium zu ſtürzen; die Bürgerwehr wird auf ihre Verantwortlichkeit
Am geſtrigen Abend war große Volksverſammlung aller

rednern: Eichler, Ottenſoſer ꝛc. ſprachen auch mehrere Fremde, unter Andern
Dowiat, der ſeit einigen Tagen hier iſt und ſich ſehr lebhaft an der Bewegung
betheiligt. Fr. Hecker wurde von den 10—20,000 Verſammelten ein Lebehoch
gebracht, und am Schluſſe ſchwur die Mehrzahl der Gegenwärtigen mit empor-
gehobener Rechten, daß ſie ſich auch nicht das Mindeſte von den errungenen
Freiheiten entreiſſen laffen wolle. Nach der Rückkehr in die Stadt fielen einige,
aber nicht bedeutende Exceſſe vor. — Die Spannung, mit welcher man dem
Reſultate der heutigen Nationalverſammlung entgegenſah, wurde ſchon geſtern
Abend gemindert, als man erfuhr, daß die Parteien ſich geeinigt hatten, die
Berathuͤng der „September-Geſetze, noch einige Tage zu verſchiehen. Dieß iſt
geſchehen am Montag hofft man ein Stück Verſammlungsrecht dem Volke
nehinen zu können, was man heute aus Vorſicht noch nicht wagte Die auſ-
ſerſte Linke wird aus beſondern Gründen keine erhebliche Oppoſition bilden.
Im Ganzen boten die heutigen Debatten wenig Intereſſantes, an der Diskuſ-


verbrauchte Kaſuiſtik geltend machten.
ſetzes, der am Samſtag erfolgen foll. ! *
— 925, Auguſt. Die „Zeitungshalle, theilt unter dieſem Datum die wich-

Man kam nicht zum Schluſſe des Ge-


 
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