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O Deutſche Nationalverſammlung.
Achte Situng vom 27. Mai.
(Schluß.) ;
Nachdem Hr. Heckſcher ſeine Freude darüber kundgethan, daß Hr. Ra-
veaux auf die ausdrückliche Entſcheidung über die kitzliche Frage der Volksſoupe-
ränität, die man beſſer unberührt liegen laſſe, verzichtet habe, nachdem Hr. Ei-
ſenmann, der bisher keine Reaktion ſah, zur Vereinigung, d. h. zur Annahme
ſeines allein⸗ſeligmachenden Antrages auf motivirte Tagesordnung gemahnt hatte,
ſprach Dr. Schaffraih mit Gewaͤndtheit und großex Energie für ſein Sonder-
gutachten. Man habe dagegen, ſagte er, viele Behauptungen, aber wenig
Gründe vorgebracht; man finde darin zu viel Logik, zu wenig Klugheit und
Politik. „Ich und meine Freunde wir wollen nicht diplomatiſiren und tempori-
ſiren; wir wollen offen fagen, was wir meinen, damit das Volk wiſſe, wie
wir find. Die Meinungsverſchiedenheit über einen ſo wichtigen Punkt muß doch
wiſſen, woran es iſt; denn es handelt ſich um Sein oder Nichtſein! Soll
die deutſche Einheit möglich ſein, ſo kann man nicht mit jeder einzelnen Regie-
rung oder Kammer daküber unterhandeln, was ſie anzunehmen beliebt. Wir
ſind ſouverän aus Nothwendigkeit! Wir wollen keine Reaktion; wir wollen
nicht wieder rückgängig machen laſſen, was eben erreicht iſt. Das Borparla-
ment, der Fünfziger-Ausſchuß, das ganze Volk hat die Souveränität dieſer
Verſammlung anerkannt; was dagegen iſt, das iſt Reaktion. Wir, wir ſind
Wer den Zweck will, muß auch die Mittel wollen. Haben wir das Volk
hinter uns, ſo werden wir die Macht haben, unſecn Beſchlüſſen Nachachtung
zu verſchaffen; haben wir das nicht, ſo können wir Nichts. Aber mit Halbheit
krreicht man ſicher Nichts. Ich will nicht, daß die Einheit von der Gnade
einiger Regierungen und Kammern abhänge; die Einheit iſt ein Recht und eine
Nothwendigkeit.“ -
Stürmiſcher Beifall begleitet den Redner auf ſeinen Platz.
Ihm folgt Hr. v. Beckerath, der natürlich für den von ihm mitunterzeich-
neten Antraͤg ſpricht. Er ſpricht viel von nothwendigen Rückſichten, von Mit-
wirkungen der Regierungen; dann geht er über zu der bekannten, zum Gemein-
platz gewordenen / Mannigfaltigkeit in der Einheit“,
Zerriffenheit zu beſchönigen fucht; und endlich ergeht er ſich in vielfach vexbrauch
ien poetiſchen Floskeln, unter denen natürlich der „Einheitsdom, deſſen Kitt
das Vertraͤuen iſt, damit man behaglich in ihm wohne“, die „beſondern Hei-
mathsfeſſeln benebſt den unvermeidlichen Alpenlüften, die den Tyroler ſo
heimlich anwehen! nicht fehlen dürfen. Das iſt nun ein ſogenannter „großer“
Redner vom Vereinigten Landtage her; nun, es iſt möglich, daß er gegen die
Andern groß war; Alles in der Welt iſt relativpz aber wehe dem Unglücklichen,
der verurtheilt wäre, die „kleinen“ Redner zu hören, neben denen dieſer „groß“
war! Auf mich hat der große Redner mit ſeinem hohlen, klangloſen Organe,
mit ſeinem Predigertone, mit ſeinen abgeſtandenen ſchwülſtigen Floskeln und
ſeinem höchſi ſtörenden Augenzwinkern einen ſehr fatalen Eindruck gemacht.
Ebenſo wenig rechtferligte Hr. v. Vincke den ihm voxausgehenden Ruf.
Dieſer Mann iſt kein Nedner, er iſt vielmehr ein Schwätzer, ein Plau-
derer; wenigſtens hat er ſich heute vollſtändig als ſolchen gezeigt. Dieſe Plau-
derei iſt fließend, zum Theil auch pikant, zum Theil wenigſtens amüſant; aber
ſie ſpringt vom hundertſten auf's tauſendſte und wenn ſie vorüber iſt, ſo fragt
man ſich erſtaunt, was dieſer geſprächige Mann nun eigentlich geſagt und ge-
wollt hat? Ich befragte meinen Nachbarn; aber der wußte es auch nicht.
Nachdem Hr. v. Vinke die überraſchende Eutbeckung gemacht hatte, daß es in
Deutſchland 39 Nationen gäbe, mußte er natürlich auch zu dem Schluſſe
kommen daß die National⸗Verfammlung nicht allein die konſtitutixende Ge-
walt habe, ſondern ſie mit den einzelnen Regierungen dieſer 39 deutſchen Natio-
nen theile. Nachher kommt er auf den bereits verbrauchten jeſuitiſch-ariſtokrati-
ſchen Pfiff: „wenn man die Volksſouveränität will, ſo muß man auch die
von uns gemachte Verfaſſung dem Volke zur Genehmigung vorlegen.“ Nun
ja, das kennt man; deßhalb ſchwärmen die Royaliſten in Frankreich für Ur-
ganz durchgebildeten Volke, wie die alten Griechen es waren, möglich iſt, wurde
in Luzern erſt die jeſuitiſche Verfaſſung und dann die Berufung der Jeſuiten
durchgeſetzt. Weiter ſagte Hr. v. Vincke: „Wenn man ein Recht hat, ſo
braucht man es nicht auszuſprechen; wenn man es aber nicht hat, ſo bekommt
man es nicht dadurch, daß man es ausſpricht.“ Das ſagt der Urheber der
„Deklaration der Rechte⸗ auf dem preußiſchen Vexeinigten Landtage! Weßhalb
bat er denn damals ſo viel Laͤrm von dieſem Akt gemacht, wenn er ihn für
ſo nutzlos hielt? Hr. v. Vincke, der ſich früher ſo ſchroff allem „Vertrauen“
entgegenſetzte und nur dann den „Rechtsboden“, d. h. den hiſtoriſchen, pflügte,
mauert jetzt eifrig mit dem von 8 angerührten Vertrauenskitt am Cin-
heitsdonie, mit Mäßigung verſetzt, ohne alle Schroffheit und ohne Mißtrauen!
Ich denke, er wird noch Idyllen ſchreiben. Vertraut auch der Verſammlung
noch an, daß Oeſterreich, Preußen und Baiern nie und nimmermehr die etwa
von ihr proklamirte Republik annehmen würden. Hr. v. Vincke, der preuſ-
ſſche Mirabeau, hat ſich ſo ſchreckliche Blößen gegeben, daß es ſogar Hrn.
Biedermann, Profeſſor dus Leipzig, leicht wurde, ihn glänzend zu Flamiren.
Der Präfident kam ihm zu Hülfe, indem er meinte, es ſei nicht paſſend, die
Virkfamkeit eines Mitgliedes in einer anderen Verſammlung hier zu kritiſiren.
Aber gehört dieſe denn nicht zu der politiſchen Perſönlichkeit des Namens? Das
iſt wieder ſo eine verzwickte „parlamentariſche Schicklichkeit“, von der kein ver-
nünftiger Menſch einen Gruüd einſieht.
1, Or. Werner rechtfertigt in einer gewandten, nur etwas zu langen Rede
ſeinen Antrag auf UngültigfeitgerFlärung der abweichenden Beſtimmun-
vo. 127.
gen einzelner Verfaſſungen. Wenn man nur die Abändexung derſelben Dekve.
lirte, ſo würde man die Sache endlos verſchleppen und vielleicht alle Jayr
einen neuen Lappen dem einigen Deutſchland zuſetzen können, — wenn die
Sache gut ginge. —— 2
Sieh da, Hr. Welcker! Willkommen, man muß doch auch wieder einmal
eine Erheiterung haben. Sie wird uns gleich Aufangs 3U Theil; denn Hr.
Welcker warnt vor Schulmeiſtereien eine Verſammlung, 3U welcher er
fprichi! Waͤrum ſchweigt er denn nicht? Dießmal verſteht er unter Schulmeß
flereien zwar die Entfheidung von Prinzipienfragen und die mag ihm freilich
ſehr unbequem ſein. 2
Der taͤngen Rede kurzer Sinn iſt: Die abfolute Souveränität des Vol-
kes iſt gerade ſo ſchlimm, wie die abſolute Souveränität Der Fürſten. Kein
anderes Heil, alg ein Vertrag zwiſchen beiden, als das Gaukeln und Schau-
feln des „alten“ Konſtitutionalismus! Das heißt alſo; Dieſe Verſammlung
hat die Verfaſſung zu entwerfen; aber ſie wird rechtsgültig durch die Zuſtim-
inung der Regierungen. Das ſtünde auch in den Aufforderungen zu den
Wahien, eine Entdeckung, welche außer Herrn Welcker Niemand gemacht
zu haben ſcheint, wie denn auch er allein behauptet , das Parlament
und der Fünfziger-Ausſchuß hätten! nachdem er dreimal dagegen geſprochen,
(wahrſcheinlich aus Beforgniß vor weitern Erpeftorationen) Die Jolksſouvera-
nität nicht anerkannt. Er hat auch den naiven Glauben, die National/ Ber-
ſammlung verdanke einzig ihr Daſein der Verſammlung in Heidelberg und da
Verſammlung nicht auf dem Boden der Revolution. Ohne ven Sturm, der
von Fraͤntreich herüberbrauſte und das deutſche Volk in den tiefſten Tiefen er-
ſchuͤtterte, könnte die Heidelberger Deputirten Verſammlung noch ruhig tagen,
wenn ſie nicht etwa aͤrretirt wäre. Ohne dieſen Sturm gehörte Hr. Welcker
destagsgeſandten. 2 — —
Man wird mich vielleicht, ſagt Hr. Welcker, für einen Reaktionaͤr/ für
einen Abtrünnigen haͤlten.“ Reaktionaͤr, allerdings. Abtrünnig, nein; denn
er kaut ſeit 30 Jahkeu ſeine politiſche Weisheit, den abgeſtandenen alten Kone-
Er brückt das nur anders aus, I‘
yabe ſeit 30 Idhren unerſchütterlich gekämpft und bleibe meinen Grundanſichten
treu; ich habe nicht den Schmeicheleien der Fürſten widerſtanden, um jetzt dem
Volke zu fchmeicheln!“ O Cato Welcker! Wie füß der Beifall der Rechten
welcher dieſer Phraſe folgte, deinem Ohre Hingt! Früher yüsteßt vu Bafal der
RKechten für eine Ynfurte gehalten; aber die Zeiten aͤndern fih, o Cato! —
Jetzt geht Cato Welcker unter die „Heuler.“ „Wenn wir die Regierungen zu
Dienern einer andern Macht (d. h. der ſouverainen National- Berfammlu
herabwürdigen (!) und das noch dazu auspoſaunen, ſo beunruhigen wir
Maͤchte, welche Armeen kommandiren, zerſtören den Wohlſtand und arbeiten
den Wühlern in die Hände. CCato „heukt!u) Die Furcht vor der Reak-
tion iſt wie die alte Hexenfurcht. Da iſt die Here! Da iſt die Realtion! So
voͤr ſich felber fürchten, wenn er ſich ſelbſt auch für ſo furchtbar hielte, als Or.
Welcker es wahrſcheinlich thut?) aber die Wühler arbeiten unermüdlich. Wenn
ſie die Fürſten herabſetzen und verſpotten, ehe ſie eine Verfaſſung gemacht haben,
ſo beleidigen ſie nicht dieſe, ſondern Jeden, der nech eine m
4 Ader im Leibe hat!“ O Herr Staatshämorrhoidarius E
Welcker! — 2
Herr Welcker hat unverkennbar natürliche Anlagen zum Redner. Aber fogar
Fallſtaff wurde alt und ſteif, um wie viel mehr denn Hr. Welder! Die Un»
Felenkigkeit ſeiner Gedanken, in Verbindung mit der Ungelenkigkeit ſeiner Glied-
maßen! der bulldoggenartige Ingrimm, in den er ſich ſtets hineinredet, machen
ſeine Erſcheinung oft gar zu koniſch. Herr Welcker iſt der Herr von Thadden
des Konftitutionaligsmus! Die Szene, als er ausmalte, wie man Überall
ſchreie „da iſt die Hexe, da iſt die Reaktion,“ und dabei faſt über die Iribüne
wegſpraͤng, würde in der Komödie ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Polternde
Oheime würde Herr Welcker vortrefflich ſpielen, worauf Reflektirende hiermit
aufmerkſam gemacht werden.
Graf Arnim iſt mit Herrn Welcker ganz einverſtanden, daß die National-
Verſalnmlung nicht konſtituirend ſeiz die Verſammlung wiſſe ſelbſt noch nicht,
unter welchen Bebingungen die Verfaſſung als xechtlich gültig zu betrachten ſei!
Shoh Er ſtimmt für das von Vincke, obgleich die Konſervativen dder
Reaktionäre troß der kurzen Bekanntſchaftihr befonderes Ber-
faſſungswerk mit Vergnügen dieſer Nationalverſammlung
anvertrauen würden. Wird die Nationalverſammlung das Vertrauens-
votum des Herrn Grafen Arnim auf ſich ſitzen laſſen? — —
Wit übergehen die übrigen Verhandlungen bis auf die Rede Robert Blum’s,
dem heute undckingt die Falme gebührt. „Auch ich hätte gewünſcht, daß Die
Prinzipienfrage für ſich allein, mit Feierlichkeit und nicht ſo deiläufig entſchieden
werde. Abet wenn ein General fich den Kampfplatz nicht wählen kanz/ ſo
ſchlägt er ſich, wo man ihn angreift. Die Frage iſt geſtellt, ſie muß entſchie-
den werden. Sonſt iſt das Haus ohne Grund. Baut man an zWei —
ſo baut man zwei Deutſchländer oder am Ende gar alle die heute entdeckten
39 Nationalitäten —5
Man hat uns auf den hiſtoriſchen Rechtoͤboden verwieſen. Das iſt
Bundesakte mit allen den Geſetzen, die uns bisher unterdrück⸗ haben. 2
Rechtsboden eriftirt nicht mehr; wir müſſen ihn nen büden. Dieſer Rechtsho-
den iſt wie eine trügeriſche Eisdecke; wer ſich
unter uns rauſcht der Strom der Revolution;
verſchlingt er uns. —
iſt geföhrli en eine Verfaſſung gemacht wird; ſie wird
— — und dann wird man uns bei allen
2
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wenn wir ihn nicht leiten, ſo
unferen Befchluffen fagen: Fügt euch⸗ * —— —
8* * 5 erhůhen fondẽr Gleichen“ gemäß eine erbliche Pai-