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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 287 - No. 313 (1. Dezember - 31. Dezember)
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— O —































E Die italieniſche Interventivn und die franzöſiſche
Vräſidentenwahl.
Das Stillſchweigen, welches Frankreich ſeit der poetiſchen Proklamation

Lamartine's in Bezug auf die auswärtigen Angelegenheiten beobachtete iſt end-
lich gebrochen. Der Sohn eines radikalen Conventsmitgliedes, der Bruder eines


der Freiheit, — kleinmüthig und ſparſam, wie ein Gewürzkrämer, ſich ledig-
lich um die Intereſſen des eigenen Heerdes und des eigenes Magens befümmern,
gleichgültig gegen die Schickſale des Nachbars. Die Nichtinlerventionspolitif


während ihre Lepublikaniſchen Geſinnungegeüoſſen aus Deutſchland, Polen, *
lien, Oeſterreich im Kerker odet in der Verbannung ihren Sympathien für


bardei veroͤdeten unter der Herrſchaft Radetzki's; die Polen verblufeten an


Nero und Heliögabal; in Berhin brach man Treue und Eiojchwur und


feftbielten; in Franffurt erflärte man der Schweiz, dem erſten republıfa-


chen wollte; überall traten die Fürſten und ihre Diener, insbeſondere die Frank-


franzoͤſiſche Bolk, deſſen höchſter Rahm es iſt, alle dieſe Freipeitskämpfe her-
vorgerufen zu haben, Fonnte für dié glückliche Foxrtſetzung derſelben nicht ein-


benden Völker auf Paris; die einzelnen Länder wurden durch Truppen unter-
drückt; die öſtlichen Mächte intervenirten und ihre Bajonette ſtellten den Ayſo-
lutismus wieber her; — und Frankreich ſtrafte die Hoffnung der Völker Lügen
und intervenirte nicht.
Der Sieger des 27. Juni hat endlich dies Prinzip der Unthätigkeit auf-


Monarchen, des Pabſtes, zu ſchützen, wagt er den Frieden Europa's und die
Ruhe Frankreichs, welche der Rettung der Demokratie und der Souveränität
der Voͤlker halber aufs Spiel zu feßen, ‚er behaͤrrlich verſchmaͤhte.

Vier Dampffregatten ſind von Marſeille nach Eivita-Vecchia geſchickt wor-
den, um die Freiheit und das Leben des Pakſtes und damit auch ſeinen Thron
zu retten. Der Rathspräſirent erbittet ſich von der Nationalverſamwlung Sthill-
ſchweigen aus über ſein Verhalten in der italieniſch-öſterreichiſchen Frage, wäh-


Wir Beuͤtſche wiſſen ganz genau, was die heftigen Tixaden über „Anarchie“


tionellen Miniſter und den Reden der Parlamentsdeputirten von der rechten


Gegenüber der „Anarchie“ ſteht die „Ordnung“, dieſes Loſungswort aller
Reaktion, das der Kaiſer von Rußland auf den Trümmern von Warſchau


nannt wird.
Ferner erzählt man ſich von einem vertrauten Freundſchaftsverhältniß des


derungen an Carlo Alberto, von einer Ordens-Dekoration von Seiten der preu-
ßiſchen Krone, und mehreren ſolchen Ungereimtheiten, welche gewiß Niemand von
dem Kandidaten der republikaniſchen Präſidentſchaft, dem Feinde aller monar-
chiſchen Intriguen des Napoleoniden, glauben konnte. Doch jetzt? Radetzki
ſtellt in Mailand, Cavaignac in Nom die Ordnung her; könnte es uns als
eine große Ungereimtheit verdacht werden, wenn wir die beiden Generale, die
Reſtauranten der Ruhe und Ordnung, hin und wieder miteinander verwechſeln?

Im Juni bat Cavaignac die im Februar heftig angegriffenen Privilegien


weder die Privilegien der Pfaffen, noch des Capitals auf die Dauer beſtehen


— ſoviel vertrauen wir noch immer auf ſeinen redlichen Eharakter, — jetzt noch


Capaignae, wie dies ſeine Freunde und Günſtlinge behaupten, wirklich ein Re-
yublikaner, ein ſogenannter „klafiſcher“, d. h. Foͤrmrepublikaner iſt, ſo wird er


punkt und die Baſis ſeiner Groͤhe erſieht. Doch wieviel Stimmen werden dem
Präſidentſchaftskendidaten die 3500 Soldaten, welche jetzt auf dem mittelländi-

*



ſchen Meere kreuzen, erobern? Dieſe Aſſociation des ſchon für ſiegreich gehal-
tenen Bewerbers mit dem Katholizismus zeigt doch, daß er ſelbſt ſeine Wahl für
unficher gehalten haben muß, fonſt hätte er ſich nicht zu einem Experiment ent-
ſchloffen, bas viele brave und entſchiedene Republikanex aus ſeinem Heerlager
entfernt hat. Aber wo bleibt die Freiheit des allgemeinen Stimmrechts, dieſe
einzige demokratiſche Inſtitution der neu verkündeten Verfaſſung, wenn ein Kan-
didal Krieg und Frieden in ſeiner Hand hat, um durch die Wahl zwiſchen bei-
den ſich einen Einfluß zu verſchaffen, den kein Privatmann durch alle Aufopfre-
ungen und Anſtrengungen zu erlangen im Stande iſt? — Aber trotzdem,
daß die Bourgeoiſie in Cavaignac ihren Schutzengel erblickt, trotzdem, daß der
Clerus ſich überall für ihn, den Retter des päpſtlichen Thrones, ausſpricht und
ſeine Candidatur auf faſt allen Kanzeln gepredigt wird, trotzdem, daß die Prä-


chen Einfluß unterſtützen; würde ſie doch unmöglich ſein, ween nicht der kleine
Neffe des großen Onkels als ein gefährlicher (?) Kronprätendent ihm gegen-


ſcheinen ließe, als er wirklich iſt. Die Kandidatur des Napeleoniden wendet
Herrn Cavaignac viele Stimmen ehrlicher Republikaner zu, welche bloß deß-
halb Hrn. Ledru-Rollin ihre Stimmen nicht geben, weil ſie eine Zerſplitterung
der republikaniſchen Partei und dadurch den Sieg der napoltoniſchen Präſident-
ſchaft fürchten. Rollin wird durch Napoleon zurückgedrängt, nicht Cavaignac,
und ſo ſehen wir auch in Frankreich, wie im übrigen Europa, die Februar-Re-
volution durch parlamentariſche Phraſen und conſtitutionelle Heuchelei in Ver-
geſſenheit gebracht. 8

Deutſchland.

++* Karlsruhe, 3. Dezember. Wir hatten unlängſt Gelegenheit, aus
dem Munde des Reichsminiſters Schmerling in der Paulskirche zu Franlfurt
a. M. zu vernehmen, daß die Centralgewalt ſich in Bezug auf die Schweiz
mit den zu treffenden Maßregeln beſchäftige; wir gelangen in Folge deſſen
heute nun in den Fall, Ihnen über dieſe Maßnahmen Folgendes zu berichten:

A. Die Zollbegünſtigungen, welche die Schweiz bisher genoſſen, werden
zurückgezogen.

B, Die ſchweizeriſchen Produkte und Fabrikate werden mit hohen Diffe-
renzial-Zöllen belegt. 8

. Vollkommene Sperre.

D. Gebietsbeſetzung.

Dies ſind die unglückfeligen Beſchlüſſe, welche die Galle der oberſten
Behörde der ſtolzen deutſchen Nation zur Demüthigung eines Nachbarſtaates
erzeugte, von deſſen gutem Einvernehmen das Wohl der badiſchen Induſtrie und
mit ihr die Exiſtenz ſo mancher Familie abhängt, von deſſen in Maſchinen an-
gelegten Capitalien das Rad der gewerblichen Thätigkeit bei uns allein in Auf-
ſchwung gebracht wurde. — Aber freilich, das Intereſſe der Centralgewalt iſt
ein zu erhabenes, als daß ihm nicht der Wohlſtand der Bewohner eines Lan-
destheils und mit ihm ſeine ohnehin darnieder liegende Induſtrie gänzlich zum
Opfer gebracht werden ſollte. —

Wird das bad. Volk dieſe giftige Saat der Central-Gewalt mit jener
ſtummen Reſignation ertragen, mit der es ſich dem fluchwürdigen Syſtem
„heilſamer Nachwirkungen? des badiſchen Miniſteriums Mathy-Bekk ergeben? —

Karlsruhe, 36. Nov. Die Hoffnung, daß das neue Geſetz über die
Schwurgerichte noch dieſes Jahr verkündigt werden moͤchte, ſcheint vereitelt zu
werden; der Berichterſtatter Obkircher der erſten Kammer hat mehrere Aende-
rungen vorgeſchlagen, ſo daß es an die zweite zur nochmaligen Berathung
zurückkommen muß. Der Freiherr v. Andlaw wuͤnſcht ſogar gegenüber dem
entſchiedenen Willen der deutſchen Nation, daß man das Ganze bei Seite lege
und erſt Erfahrungen ſammle, und auch der von der Regierung in die erfte
Kammer berufene G. R. Hirſcher hat gar viele Bedenken gefunden. So ſteht
aber die erſte Kammer noch immer in ihrem alten, nicht mehr zeitgemäßen
Weſen da, und man hört nichts davon, daß Aenderungen in naher Zukunft
zu erwarten ſeien, obgleich die erſte Kammer in Sachſen ſſich ſelbſt abgeſchafft
hat, in Heſſen ꝛc. bereits neue Wahlgeſetze vorgelegt ſind.

Freiburg, 1. Dezember. Heuͤte endlich iſt Advokat Carl v. Rotteck
ſeiner langwierigen, beinahe achtmonatlichen Haft, gegen Caution entlaſſen
worden und dahier eingetroffen.

Frankfurt, 2. Dezbr. Die heutige Sitzung der Nationalverſammlung
war wieder einmal ein trauriger Beweis, wie wenig der herrſchende Theil der-
ſelben von parlamentariſchem wie von gewöhnlichem Anſtand hält! Poltern,
Toben, Schreien, Trommeln, das waren die Argumente, mit denen bei verſchie-
denen Gelegenheiten wiederholt die Majorität ihre unſtatthaften Anträge zu Be-
ſchlüſſen erhob. — Nach Eröffnung der Sitzung interpellixte zuvörderſt Wiesner
das Reichsminiſterium wegen des volksrechtlichen Bündniſſes, welches Ungarn
früher dem deutſchen Reiche angeboten. Zur Zeit wären durch Windiſch-Grätz,
welcher über das von Blut und Brand rauchende Wien nach Ungarn gezogen,
und eg hermetiſch mit Bajonetten und Kanonen von allem Verkehr mit Deutſch-
land abgeſchnitten habe, alle Handelsbeziehungen geſtört, und ſei davon der


Deßhaͤib fragt er: ) Welche Vorkehrungen hat das Reicheminiſterium getroffen/
um ben Handelsbeziehungen zwiſchen Deutſchland und Ungarn den gebührenden
Schutz zu ſichern? 2) Hat daͤs Reichsminiſterium etwa jetzt, wo, wie es heißt,
Abgeſandte der Magyaren am Hoft zu. Ollmütz eine friedliche Beilegung des
groͤßen Zwiſtes anſtreben, die günftige Gelegenheit benutzt, um mit der ganzen
Energie, welche die bedrehten deutſchen Intereſſen gebieteriſch verlangen, für
Herſtellung des Friedens zu Interveniren Ferner: Windiſch· Grätz habe gedroht,
die ganzen Provinzen Ober- und Niederöſterreich in Belagerungsſtand zu Der-
ſetzeu; gegen dieſe widerrechtliche und muthwillige Bedrohung habe der Landtag
von Steiermark Proteſt eingelegt, was freilich bei der Uebergewalt der Ho s


 
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