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56. Sitzung der konſt. Nationalverfammlung
Montag, den 7. Auguſt.
Frankfuxt,?. Auguſt In der heutigen Sitzung der Nationalverſamm-
lung 110 die Gallerien zun Erſticken voll und ſtechen auf's Erfreulichſte ab
ega die in den Legten Sitzungen auffallende Leere,
dır ogenannten politiſchen Verbrecher der Gegenſtand der Tagesordnung, deſſen
Furderte voͤn Petitionen von Männern und Frauen beantragten! Es war ein
Stik Revolution, das hier zur Aufführung kam, und wahrlich, der ganzen Dar-
flelling fehlte auch nicht der revolutiongxe Charakter, Lärm, Tumult, Skan-
dal/ Loben, Sturm, Orkan, aufgehobene Fäuſte, Kriegszuſtand der Tribune
aund des ganzen Bureau's, Aufhebung der Sitzung mittelſt des einfachen Zei-
cheis des Sirohhutaufſetzens Seitens des Präſibenten. Verhallendes Toſen der
ſich verlaufenden Verſammlung und ihrer Hürer — dies iſt das Bild der heu-
tigen Sitzung. Sie wird einſt in der Geſchichte unſerer politiſchen Entwicke-
lung diefelbe Stelle einnehmen, welche in dex chriſtlichen Kirchengeſchichte die be-
annte Prügelräuderſynode in Ehalcedon behauptet. Es fehlte nur noch, daß
pie Gallerie ihren Platz verließ und in die Verſammlung herabftieg, aus der
ſie die Abgeordneten vertrieb, — wir hätten dann eine Szene erlebt, wie ſie in
den Auguſt⸗ und Septembertagen in Paris nicht vorkam, Doch will ich hier
nicht voͤrgreifen, ſondern Ihncn den Verlauf der ganzen Sitzung ſo vollſtändig
und gedraͤngt wie möglich vorführen.
Das Protofoll und 53 neu eingelaufene Pelitionen für die Republikaner
waren verlefen, da trat Herr Widenmann als Berichterſtatter auf und bemerkte,
judem er ſich mit viel Behagen auf dem alten Rechtsboden erging, er habe
zwar wohl Mitleiden für die unglücklichen einzelnen Vexirrten, ſtelle aber die
Liebe zum Vaterlande noch höher und beantrage deshalb das Uehergehen zur
Tagesordnung. Hr. Widenmann ſtand nicht wie ein Berichterſtatter da, der
prüft, ſondern wie ein Sffentlicher Auklägex, wie ein Polisiſt, der nur nach
Scheingründen für das Berderben ſeiner Schlachtopfer ſucht, nicht aber zugleich
das vorbringt, was zu ihrer Vertheidigung gehört. Selbſt neue Schriften von
Heinzen und Struve citirte er,
Faner droͤhende Gefahr zu beweiſen. Ibſtein entgegnet ihm würdig und einfach,
faſt zu gemäßigt, daß die vorgeleſenen Stellen ın Ddiefen Buchern doch die Ge-
Bruchſal und die Flüchtlinge beantragt. Er gibt zu bedenken, daß dieſe ihren
Berufstreifen entzohen feien, daß die oberländiſchen Familien zu. Bettlern ge-
maͤcht würden. Die ausgefprochene Amneſtie wird Beruhigung in's Volk brin-
gen, Die Gallexie ruft lautes Bravo, Vincke und Jahn beantragen deren Räu-
mung, der Präſident (Soirvon) dropt damit ſo laͤnge, bis endlich die Ruhe
wieder hergeſtellt iſt. Die Rechte wüthet, die Linke klatſcht Beifall.
Hagen von Heidelberg ſpricht in ſehr gemeſſenen Ausdrücken für die Am-
ftaltung feien ſie Alle am Ende Hochverräther (Lärm von der Mechten): Ja,
wir Ale, die wir gearbeitet haben und noch arbeiten, das poſitive Recht zu
Boden zu werfen. Uns ſchützt nur die Macht der Revolution vor der Verfol-
gung voͤn Seiten der alten Regierungen. Heckex und Struve ſind nur um
einen kleinen Schritt weiter gegangen, als wix; es wäre nicht großmüthig, nicht
gerecht, wenn wir ihnen und den Ihren nicht Amneſtie ertheilten. Bei keinem
Volke iſt eine ſolche Kluft zwiſchen Gedanke und That, zwiſchen der Idee und
ihrer Verwirklichung, als in Deutſchland. Nur zu Zeiten iſt dieſe Kluft über-
ſprungen, nux große Naturen verhalfen dem Volke zu Uebergängen. Im März
D, S, mwar eine jener Epochen, wo das Volk alle Hinderniſſe beſeitigen wollte,
die der Einheit und Freiheit entgegenſtanden. Es war hier nicht verdammlich,
wenn man glaubte, den Neſt der alten Barbarei ganz zu Boden werfen zu
fönnen und ein ganz neues Deutſchland aufzubauen. Darin ſind unſere Auf-
ſtaͤndiſchen völlig gerechtfertigt. Unſere Bewegung muß mit dem vollſtändigen
gangsftufen. Die dynaſtiſchen Intexeſſen müſſen verjchwinden, ſie laſten wie ein
Alp auf unſerer Entwickelung. Die republikaniſche Geſinnung überwog ſo in
Kampfe. Das war eine Täuſchung, eine Berblendung. Allein ſollte man gegen
die,. welche die Freiheit wollen, härter ſein, als gegen die, welche Das Bolf
33 Jahre lang unterdrückten? Seien Sie wenigſtens großmüthig; laſſen Sie
dieſen Tag einen Freudentag unſexer armen unglücklichen Gefangenen ſein. ,
Schoder hält der hadiſchen Regierung eine Lobrede und ſpricht gegen die
Amneftie, Durch ſie würde man nur wieder einen neuen blutigen Kampf her-
beiführen und den Hochvexrath ſanktioniren. (Lautes Ziſchen auf der Gallerie)
Simon von Trier: Es iſt zunächſt die Inkompetenz der hieſigen Verſamm-
lung behauptet worden; allein ich niuß geſtehen, daß ich dieſen, Einwand we-
nigfiens nicht von denen exwartt, welche funft gegen Den Terrorismus der Ein-
heit und gegen die Gewaltthätigkeit der Uebergaͤnge ſind. Man feßt, wenn es
zum Nachtheil der Freiheit iſt, die Verſchmelzung der deutſchen Staaten zu ei»
nem poliliſchen Lörper voraus, und man verleugnet ſie, wenn ſie der Freiheit
zu gut käme. Die deutſchen Regieruugen waren einig, die Bundeztruppen don
dier einzelnen Staaten zur Unterdrückung des Aufſtandes nach Baden zu ſen-
den. Herr Widenmann ſelbſt gibt zu, daß der Aufſtand einen mittelbaren An-
griff gegen das geſammte Deutſchland, enthielt, und jetzt ſollen wir die Ent-
fheiduͤns dieſer wichtigen Angelegenheit von uns weiſen und dex dadiſchen
Regierung uͤbertaffen? Es handelt ſich hier um einen Alt der allgemeinen Wohl-
fahrt und. Sicherheit, um einen Att der Öefeggebung, und wir müſſen ihn er-
laffen, denn. bei uns beruht die geſchgebende Gewalt, da der Reichsverweſer
nur die exekutive Behörde bildet.
No. 190.
jetzt noch der geſetzliche Beweis für die einzelnen Aufſtände, und könne deßhalb
di Amneftie nicht ertheilt werden; allein die Amneftie geht von der Gefetzge?
bung aus und ſetzt nicht die gerichtliche Inſtruktion der Verbrechen voraus.
Die Gründe für die Ainneſtie liegen in ber Notorität und im Volksbewußt-
ſein. Dieſer Maßſtab allein iſt an den badiſchen Aufſtand anzulegenz wird er
amneſtirt, ſo ſind die übrigen geringeren deutſchen Aufſtände von ſelbſt mit am-
neſtirt. Man hat ferner hervorgehoben, daß keiner der ſogenannten politiſchen.
Verbrecher ſelbſt um Amneſtie eingekommen ſei, aber, meine Herren, muthen
Sie Niemand zu, daß er zu ſeiner Niederlage noch die moraliſche Demüthigung
Was die Sache ſelbſt aber anbetrifft, ſo zweifelt Niemand daran, daß wir
eine großartige Revolution erlebt haben, das alte Syſtem hat ſie heraufbe-
ſchwolen und die Schwingungen dauern noch heute fort. Wir fordern die Am-
gefogen haben, ſondern für das Volk, pelches die Freiheit erkampfen wollte,
und weiter vordrang als der Sieg ihm folgen konnte. Warum, meine Herren,
fordern wir die Amuͤeſtie nicht für die Metternich/s und Bodelſchwinghs?
Sie ſitzen unangefochten auf ihren Landgütern, während das Volk in den Ker-
kern verfhmachtet, (Endlofer Jubel auf der Gallerie, die Rechte tobt und be-
antragt die Räumung der Gallerie bei’m Präſidenten, womit di ſer au droht/
ohne indeſſen augenblicklich die Ruhe herbeifühxen zu Fönnen,) Alle Ueberſchrei-
tungen ſind die nothwendigen pſychologiſche Folge des allzugroßen Druckes. Das
iſt ein altes NMaturgefeg, Die Zeiten der Refoxmatſonen und Staatsveraͤnde-
rungen ſind darum auch die Zeiten der Amneftie, Hr. Widenmann beruft ſich
auf dag Jabr 1789, um zu beweiſen, daß felbft die franzöſiſche evolution
auch nicht fogleich, fondern erſt nach zwei Jahren die Amneſtie bewilligt hat, Allein
wir alle Phaſen derſelben durchmachen müſſen, dann möchte leicht in Zeit von
1/ Jahr eine gewaltige Veränderung mit Hrn. Widenmann und vielen anderen
Herren, die hier ſitzen, vorgegangen ſein. *
Ich will Sie aber auf die Humanität, die Sie zu uͤben haben, hinwei-
ſen. Zu allen Zeiten, bei allen Revolutionen hat die Amneſtie den Sieg über
die Raͤche der fiegenden Partei davongetragen. So war es {n England, in
Schweden und das ganze Deutſchland, meine Herren, ſollte kein IWort des
Eriedens , kein Wort der Berföhnung haben? Uebrigeüs kann ich die Größe
des fittlichen Verbrechens Seitens der Republikaner und Heder’s nicht im
Geriugften anerkennen. Hecker iſt Republikaner und hat nur einen Nechnungs-
fehler gemacht; ich kann ihn nicht verdammen, Da er ſich nur in der Energie
des Voͤlkswillens getäuſcht hat! Es iſt ſehr bequem, vom ſicheren Schooße
der Paulskirche oder vom weichen Sopha aus Hecker einen Hocdhverräther an
den Hals zu werfen. Ein Hochverräther iſt derjennge, welcher die Grundlage
der Verfaſfung eines Staates alg eine ſchlechte mit den Waffen in der Hand
mehr, wogegen der gemeine Verbrecher nicht aus Den, beſtehenden Verhältniſſen
heraustritt; denn hälte er überhaupt nicht die Fähigkeit, eine ſittliche Ordnung
zu begreifen, ſo wäre er kein Verbrecher, ſondern ein Bloͤdſinniger.
Es ſitzen in dieſer Berſammlung viele ehemalige Hochverräther; wer 3, 8
mit den karliſtiſchen Waffen gegen die beſtehende Ordnung der Dinge in Spa-
nien auftritt, iſt ein Hochverräther. Es iſt ihr gemeinſames Schickſal daß ſo-
rend man im umgefehrten Falle ſie verfolgt und einkerkert! Es iſt unwahr,
daß Hecker ſich direkt gegen die Nationalverfammlung gewandt hHätte; eS war
nicht feine Abficht, dieſe zu vexnichten. Hecker befürchtete vielmehr nur, daß
der Aufſchwung in Baden bald der alten Lethargie Platz machen, daß das
Volk bald in den alten Schlaf zurückſinken würde. Wenn der Bericht ſagt,
daß das Volt in Baden die Reßublit verabſcheut habe, ſo ſagt er eine Lüge.
Ini Gegentheil ſtand dort die Sache für die Republikaner fehr günſtig. Deß-
yalb überreichten die Herren Struve und Fickler dem badiſchen Bundestags-
geſandten Welcker am 5. April eine Eingabe an die badiſche Regierung, deren
Weiterbeförderung von ihm verſprochen worden iſt. In dieſer Cingabe fordern Die ges
nannten Männer die Regierung des Großheriogthums auf, zur Erhaltung von
Friede und Srdnung, das badiſche Volk, deffen Stimmung Beforgnig errege,
abſtimmen zu laſſen, ob es eine monarchiſche oder republikaniſche Regierungs-
form wolle.
Auf dieſe Unbefangenheit Fickler war ſeine Gefanstunehmung die IAnt-
wort. Es ſind aber auch außerdem Mittel genug vorhanden, die Stimmung
des Landes kennen zu lernen. Von den zwanzig Deputirten, weldhe Baden
ſchickte, ſind nur ſieben konſtitutionell, aber auch dieſe ſind nicht Konſtitutionelle
vom reinſten Waſſer, da ſich unter ihnen welche befinden, die in Wirthshäu-
ſern mit Heckerauf das Wohl der Republik anſtießen (Soiron bei der Ver-
ſammlung in Offenburg). Ich bemerke zugleich ausdruͤcklich, daß die Herren
Baſſermaͤnn und Mathh nicht in Baden gewählt ſind. Vicepräſident v.
Soiron: „Das ſind Perſönlichkeiten; ich muß den Redner bitten“ — Simon:
ner erwähnen cdit Linke und die Gallerieen rufen „Weiter!“, woͤrauf der Red-
ner fortfährt): Die Ruhe iſt allerdings in Baden wieder hergeftellt, aber
wie? Es ift die Ruhe eines Grabes. Läßt Jemand auf der Straße Heder
oder die Republik hochleben, ſo ſperrt ihn die Polizei gleich ein, ſie löſt ſämmt-
liche demokratiſchen Bereine auf und beweiſt dadurch am Beften, wie ſicher
die Regierung der konſtitutionellen Geſinnung ihrer Bürger iſt. In Preußen
und Oẽſterreich hat man noch nicht gewagt, was man in Baden unternommen
hat; das Aſſociationsrecht beſteht in jenen Ländern noch unverkümmert fort, in
beiden iſt mehr Hoffnung zur freien Entwickelung vorbanden, als im ücrigen
Deutfchland, das zuletzt zuͤm unterdrückten Süddeutſchland zuſammen ſchrumpft.
Nur einen Geſichispunkt gebe ich zu: den Trieb der Selbßerhaltung. Ich
wuͤrde nicht für die Amneſtie ſprechen, wenn man eine neue Schilderhebung in
Baͤden beabſtchtigte; ich würde Ihnen nicht eine Maßregel zumuthen, welche