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Mannheimer Abendzeitung — 1848

DOI Kapitel:
No. 155 - No. 181 (1. Juli - 30. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44565#0647

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Der Moment der Entſcheidung, die Kriſe der deutſchen Freiheitsbewegung
iſt vorüber. Das deutſche Volk, das in dieſem ſchönen Völkerfrühling, in der
Zeit, wo beim Geſang der Nachtigallen und beim Dufte der Roſen ſich gut
von Liebe, Glück und Freiheit träumen läßt, die alten, längſtgewohnten Ketten
des Feudalismus abſchütteln zu wollen ſchien, hat wieder einen Herrn bekom-
men. „Die kaiſerliche, die ſchreckliche Zeitw iſt geendet. Freue Dich, deutſcher
Philiſter, der Du bisher vom Geſpenſt der Anarchie Nachts aus dem Schlaf
geweckt wurdeſt! Du kannſt Dein vergrabenes Geld wieder aus der Erde her-
vorholen, die Curſe der Staatspapiere ſteigen, die „Ruhe“, die vielerſehnte,


haber ſtehenden Truppen erlaubt wieder, Geſchäfte zu machen; das Capital
kann die Arbeit wieder ausbeuten, wie zuvor; die Früchte der Revolution ſind
vernichtet; Deutſchland, das „Heimathland der beſten Bedienten“, hat wieder
einen Herrſcher. Mit welchem Wohlbehagen wird dieſe Nachricht vernommen!
Wie ſüß ſchmeckt ſie dem Ohre des treuen Deutſchen, der faſt drei Monate lang
von den aufregenden Reden der Wühler, von den Manifeſten der Demokraten,
von den Artikein der cenſurfreien Zeitungen beläſtigt und aus ſeiner gemüthlichen
Ruhe aufgeſchreckt wurde! Wie manches Champagnerglas mag heute geleext
werden; ich glaube, die Thränen in den Hütten der Armen fließen kaum ſo
reichlich, wie der Wein in Paläſten und Villen.
Das deutſche Parlament, dieſe ehrwürdige, gelehrte Verſammlung in der
Paulskirche zu Frankfurt, die an Orden und Adelsdiplomen reicher iſt, als die
preußiſche Garde, hat die Bitte erfüllt, welche die Meerkatzen im Götheſſchen
Fauſt an die Hexe ſtellen:
„Sei doch ſo gut,
Mit Schweiß und Blut
Die Krone zu leimen“
Man hat einen Kaiſer gemacht. In der That, die deutſchen Profeſſoren
haben, nachahmend ihr Vorbild, den Famulus Wagner im Fauſt, ein ſolches
Individuum auf künſtliche Weiſe zu Stande gebracht, und ſo haben wir an
der Stelle eines lebendigen, leibhaftigen Kaiſers nun den Homunculus eines


Weiſe verſchwinden wird, wie es entſtanden iſt.

Der gute Salomo, welcher erklärte: „Es gibt nichts Neues unter der
Sonne“, iſt heute Lügen geſtraft. Ein „proviſoriſcher“ Kaiſer, (denn etwas
Anderes bedeutet die ſogenannte Executivgewalt des Parlamentes nicht) iſt ſelbſt
in Deutſchland unerhört, wo wir „proviſoriſche“ Karlsbader Beſchlüſſe hatten,
die faſt dreißig Jahre andauerten, wo wir uns einer „proviſoriſchen“ Zenſur


„proviſoriſch“ drei und dreißig Jahre lang von abſoluter Fürſtengewalt gezüch-
tigt wurden, ſo ſehr, daß wir an die ruſſiſche Knute, die jetzt über Berlin nach
Deutſchland eingeſchmuggelt wird, längſt ſchon gewöhnt ſind. Ein proviſo-
Dieſer Unſinn erweckt noch mehr Gelächter, alg Trauer.
Das deutſche Parlament, das feierlich die Volksſouveränität erklärte, hat
ſich zu einer That entſchloſſen, die der deutſche Bund, dieſe vielverrufene und
geſchmähte Leiche, welche heute in Frankfurt ſtill und klanglos beerdigt wird,
nun und nimmermehr, nicht unter der Herrſchaft der Karlsbader Beſchlüſſe,
nicht unter dem Scepter eines Metternich, gewagt hätte. Es wird kein Menſch


desgeſandte in Frankfurt vor dem Februar 1848 die unverantwortliche, an kein
Geſetz und keinen Richter gebundene Diktatur Deutſchlands auf Eines Fürſten.
Haupt geladen hätten, daß dann ganz Deutſchland wie Ein Mann aufgeſtan-
den wäre, um ſich durch Revolution vor mehr, wie ruſſiſcher Gewaltherrſchaft
zu bewahren. Und jetzt, in der Zeit der Rede- und Preßfreiheit, wo man aller


geworden iſt, wagt man, uns ruſſiſche Diktatur, ruſſiſchen Abſolutismus an-
zubiefen. . Warum fürcdhten wir die MRuffen;, wenn wir uns In
Deutſchland einen ruſſiſchen Kaiſer ähnlichen, einen allmäch-
tigen, einen amn kein Geſetz, an kein Parlament gebundenen,
einen unverantwortlichen Gewalthaber gefallen laſſen? Reichen
wir — freundlich die Hände, denn wir ſind heute Moskoviten ge-
orden!
In den Tagen des März, und in Oeſterreich noch im Mai, beſieg'e das
teutfche Bolk auf den Barrikaden die Soldatenherrſchaft der Fürſten. Das Volk
Etlärte ſich für ſouverän und berief ein Parlament, um dieſe Souveränität ge-
Dies Parlament, auf den Barrikaden entſtanden, durch das
Blut der edelſten deutſchen Bürger geweiht, durch das Vertrauen des Volkes
geehrt und durch ſeine Steuern bezahlt, dies Parlament, an dem die Hoffnung
der Mehrheit des deutſchen Volkes hing, hat in die „unverantwortlichen? Hände
Eines deutſchen Fürſten mehr Gewalt zurückgegeben, als alle zuſammen je be-
* haben. — Die deutſche Sprache hat keine Worte, um dieſe That zu
ildern.

Durch eine Reihe ähnlicher Handlungen hat ſich das Parlament zu dieſer
letzten, verwegenſten That vorbereitet. Es hat geduldet, daß bis auf heute der
deutſche Bund beſtehen blieb, in dem der Glaͤuben des Volkes alle Reaktion
conzeutrirte, durch die es bisher unglücklich geworden iſt. Es hat geduldet,
daß die Bewohner des Sroßherzogthums Baden, von Truppen überhäuft und.
inſultixt, nicht nur an der Umänderung ihrex Staatsform, welche die Mehrheit
wünſchte, gehindert, fondern in grüßere Schmach und Knechtſchaft gebraͤcht


gedulbet, daß die Mainzer Bürgerſchaft von einem tyranniſchen, preußifchen
General, der nach unbekannten, geheimen Geſetzen regierte, und ſeiner rohen,
betrunkenen Soldateska ärger, als eine Heerde Vieh mißhandelt wurde,









Es hat geduldet, daß das unglükliche Heimathland der Vaterlandsliehe
und Freiheitsbegeiſterung, daß Polen wiederuͤm auseinaͤnder geriſſen und getheilt
wurde. E
Es hat geduldet, daß die Siege, welche das deutſche Bolk in Schleswig-
Holſtein gegen die Daͤnen erfocht, und welche viel Geld und Menfchenieben ge-

Frieden überlaſſen. Es hat geduldet, daß faſt in allen deutſchen Staaten
Ständekammern zuſammengekommen ſind, welche für ſich Geſetze und Verfaſſun-
gen mit den Fürſten „vereinbaren“; es hat geduldet, daß hierdurch der Deuf-
ſchen Einheit, wie der Souveränität des deutſchen Volkes, welches teine Ber-
einbarung mit den Fürſten zuläßt, Hohn über Hohn geſprochen ift. Es hat
Alles geduldet, was die Reaktion wagte, oder wodurch dieſelbe befördert winde;
es hat Nichts zum Schutze des Rechtes und der Freiheit gethan. Alles für
die Fürſten, nichts für das Volk, das war der Wahlſpruch des ſoge⸗!
nannten deutſchen Parlamentes. E
Nachdem durch dieſe negativen Thaten das Parlament Schritt für Schritt
ſich vom deutſchen Volke getrennt hatte, wagte es ſich endlich an den Hauptge«
genſtand ſeiner volksmörderiſchen Beſtrebungen. Eine Woche lang freilich wurde
gezögert und Ferien gemacht; man wollte erſt im Stillen wühlen und beſtechen,
man wollte erſt im Geheimen über dieſe Angelegenheit einig ſein, ehe man das
mit vor die Oeffentlichkeit zu treten wagte. Endlich kam die erwünſchte Zeit.
Prag wird zuſammengeſchoſſen und die demokratiſch-nationale Volkoͤerhe-
bung daſelbſt durch Kartätſchen, die altima rat’o regum (den letzten Beweis-
grund der Fürſten) zurückgedrängt; in Berlin ſcheitert der republikaniſche Auf-
ſtand und wird durch Zeitungen und Parlamentsreden alg Raub und Plünde-
rung gebrandmarkt; in Paris, und dies iſt das Wichtigſte, wird der Krieg
der Zukunft, der ſoziale Krieg, unter den der Freiheit und Humanität ungün
ſtigſten Bedingungen eröffnet; fünftauſend Arbeiterleichen füllen die Straͤßen
der republikaniſchen Hauptſtadt, die Seine ſchwillt an von Blut und Thränen;
mit bleichem Entſetzen vernimmt die Menſchheit die unerhörte Kunde, und die
Bourgeviſie zittert vor dem bloſen Worte „Wepublif“: da frohlockt das Parla-
ment und denkt, die Stunde ſei gekommen, wo es die Souveränität des vdeutz
ſchen Volkes einem unverantwortlichen Fürſten zur Beute oder zum Geſchenke
hinwerfen kann. —
Das Parlament hat, um nur das Wichtigfte, das Schlagwort, hier anzufüh
beſchloſſen: ; ; —
Erſtens:
Zweitens:





Der „Reichsverweſer“ iſt unotrautwortlich⸗. *
Derſelbe iſt nicht an die Befehlüffe der Nationalverſammlung



das Parlament ſich ſelbſt mit Füßen getreten und die Ausführung der von ihm
gefaßten Beſchlüſſe von dem „unverantworltichen“ Belieben eines Fürſten abz —

Drittens: Der Erzherzog Johann von Oeſterreich ſoll Neichsverwefer
ein. 2
Jede weitere Kritik dieſer Beſchlüſſe iſt unnöthig; e& wäre ein Mißtrauens-
votum gegen die geſunde Vernunft des Volkes, wollte man die „Unverantwortz
lichkeit“ dieſer Beſtimmungen noch beweiſen. 18
Wir haben eine proviſoriſche Revolution gehabt; ſie hat uns einen Yrovi-
ſoriſchen Kaiſer gebracht. Ob uns wohl eine definitive Revolution einen deft-
nitiven Kaiſer bringen wird? Ich glaube es nicht. 2

Deutfch lande

- Lörrach, 27. Juni. Hier haben geſtern die Soldaten eine denk
dige moraliſche Niederlage erlitten. — Nachdem ſich nach dem 1. Juni das
Militär ſo ziemlich aus dem Oberlande entfernt hat, und Alles den gewohnte
ruhigen Gang ging, nur die Parteien ſich geiſtig gegenſeitig bekämpften-
ten wir plötzlich die Nachricht, daß wieder Militär einrücken werde u
lich es war ſo. Es kam das zweite Infanterie Regiment, und die berüchtigten
Hinkeldeiſchen Dragoner. Als Grund gab man die Gründung der demokratifchen
Vereine an. Sie kamen den Samen der Zwietracht zu ſäen, allein es gelang
nicht, was ſſie bezweckten. Von den Exceſſen in Kauͤdern werden ſie erjahren
haben, wobei friedliche Bürger ihrer republikaniſchen O©rundfäge we uf
eine ſo ſchmähliche Art von den Dragonern überfallen und ſchäudlich
wurden, nachdem das Officierscorps die erſte Veranlaſſung dazu g
ſoll. Ueberall, wo dieſe Soldateska hinzog, ſollte Unruhe geſtifte
23. Juni zogen zwei Compagnien Infanterie hier ein, und ſcho
Weſen zeigte, was ſie ſuchten. Am verfloſſenen Sonntage ſollte nun Sa
tanz beginnen, allein unſere Bürger, durch die Vorfälle in Kaͤndern bekehrt, ;
ſich zurück und hüteten ſich, mit einer ſo rohen Soldateska zuſammen
Am Abend trat ein Feldwebel in Civillleidern in das Engel Wirths
daſelbſt Streit zu ſuchen; man bemerkte jedoch in ihm den Soldater, WaS. C
gu widerlegen fuchte, vis er ſich entfernte. Nach kulzer Zeit erfehien r Wieder,
und zwar diesmal in Uniform, nebft einer Menge Soldaren, w4
zur Thüre hinaus und die Treppe binab geworfen * *
Genugthuung. Die Bürgerferklärten ſich entſchieden 4 — *
men, und da der Platz zum Tumultuiren doch zu HEM —— — . 2
Ungeftümm wirder weiter und hieben noch einen zUhig auf‘ der Strape Wn
den Schuhmachergefellen. Des andern Zags mafen noch Hinfeldet’fchen Dra
‚ goner ein, nunfvar das Maaß voll. Diefe Dfiziere erfundigte ſich genau nach den
Fuhreru del eublilaniſchẽ Partei, ſtießen Drobhungen gegen. fie aus und fuchten

HL u Erer veizen, Der eine fagte, er wolle mit zehn Dragsnern die Re-
fellſt zu Exceſſen zu reizen. Der 199 . ( — v
publik aucden Köpfen treiben, ein anderer kablte einem Tambour eine Maaß Bier,
weifer in KRandern einem Republikaner EINE Ohrftige gegeben hake. u. @, m. Waͤh⸗

Sotdaten truppenweiſe durch die Stadt. Ein Haupt-

rend des Tages zogen die *
2 2— uud der ſollte im Engel begonnen werden, in weldhem






















 
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