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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 187 - No. 208 (6. August - 31. August)
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— s — —



































‚E, Volitiſche Reflexionen aus dem Gefänguiß.

(Fortſetzung.)

Wer aber bei der Beurtheilung der menſchlichen Dinge nicht von ſich ſelbſt,
vom Menſchen ausgeht, ſondern ſich auf irgend eine fremde, außer ihm liegende
Iutorität ſtützt, kann nie zu dieſer Vollendung der Humanität, zur Demokratie
kommen. Die fremde Autorität, von welcdher er ausgeht, beherrſcht ihn; er iſt
unſelbſtſtändig, unmündig, unfrei. Dieſe Autorität iſt entweder eine religiöſe,
oder eine hifloriſche. In beiden Fällen ſucht ſich der Menſch einen Herrn, der
dieſe Autotität ihm gegenüber ausübt; Gott und der König repräſentiren die
Autorität nach dieſen deiden Richtungen hin. Da der unfıeie Menſch die Au-
torität höher fchätzt, alg ſein eigenes Urtheil, welches er dieſer ganz unteroxdnet,
ſo hält er die Dienſte, welche er ſeinem Herrn leiſtet, für wichtiger, als die
Pflichten gegen ſich felbſt. Sein Leben beſteht im Dienen. Für den Mangel
an Selbſtftaͤndigkeit, den er, weil er das Bewußtſein ſeiner Menſchenwürde
nicht ganz aus ſich verbannen kann, immer im Geheimen ſchmerzlich fühlt, ent-



Herrn zu ſpielen und eine Autorität auszuüben ſucht.
terdrücken.

er kann alſo nur in einem Staate leben, in dem wegen der Ungleichheit der

der wahre Egoiſt/ wirtt nur für die Geſammtheit, für das Ganze, weil er nur
eine ſolche Thaͤtigkeit für ſeiner würdig hält; der falſche Egoiſt aber, der nicht


ſeinem Herrn. Deßhalb ſchwört man abſolutz monarchiſchen und ſelbſt auch
in konſtitutionellen Staaten nicht dem Vaterlande, dem Staate, ſondern dem

ſicht in die Geſammtheit auf; er fucht eine aparte, exkluſive Stellung fuͤr ſich,
weil ſein Schwerpunkt nicht in ſeiner eigenen Kraft, nicht in der allgemeinen


ganz perſönlicher, erkluſiver, aparter Natur iſt,
In einem unfreien Staate ſind daher auch nicht Alle durch die Liebe, durch
gegenſeitige Achtung und Anerkennung mit einander verpflichtet, ſondern die Ein-


ab. Wir haben hier den Staat der Zerſplitterung, der gegenſeitigen Anfein-
dung, der Unterdrückung, welchen Hegel mit dem Worte Nothſtaat bezeichnet.


ein Leben voller Widerſprüche, da ſie in ſich ſelbſt nicht den Maßſtab der au-
ßer ihnen liegenden Verhältniſſe finden. Es kann von Conſequenz nicht bei ih-
nen die Rede ſein, da Conſequenz die Treue des Menſchen gegen ſich ſelbſt iſt
und dieſe hier durchaus fehlt.
Diener unverantwortlicher Gewalten ſind höchſtens beharrlich in ihrer Incon-
ſequenz; das radikale Wort „Conſequenz“ kann man ebenſo wenig, wie „Cha-
rakter“ auf einen von Vincke oder Lichnowsky anwenden, ſo eifrig ſie auch ihre
prinziploſen, politiſchen Syſteme vertheidigen mögen. Ein Charakter wurzelt
in ſich, nicht in etwas Anderm, nicht in religiöſen Ueberlieferungen, in That-
fachen der Vergangenheit oder in dem Zufall der beſtehenden Verhältniſſe, ein
charaktervoller, conſequenter Menſch iſt deßhalb immer ſouverain, erkennt keinen
Herrn über ſich an, will keinen Diener unter ſich haben; er iſt Menſch, und
das Bewußtſein menſchlicher Würde und ſeiner eigenen Kraft genügt ihm. Er
iſt Dewolrat.

‚> Man hat in den letzten Monaten genug Gelegenheit gehabt, ſich von der
Inconſequenz der Parthei des unyerantwortlichen Reichsverweſers, welche alle
Fraktionen der monarchiſchen, ariſtokratiſchen und plutokratiſchen Reaktion in
ſich ſchließt, zu überzeugen. Dieſe Parthei, deren Prinzip die Autorität, deren
Energie der Glauben iſt, befand ſich in großer Verlegenheit, als durch die Re-
volution ihre Autorität geſtürzt oder wenigſtens zum Wanken gebracht wurde.
Ihr vorzüglichſtes Beſtreben ging darauf hin, wieder eine neue Autorität, ein
neues Dogma, eine neue Glaubensformel zu ſchaffen. Mit der „Liebe zu den
angeſtammten Fürſten“ wagte man nicht gleich wieder hexvorzutreten, weil der

die mit Franzoſenfreſſerei verbundene Vaterlandsbegeiſterung war ſchon in den


nen Ausweg; man ſtellte ſich auf die linke Seite und ſchrie mit den Republi-
kanern um die Wette Volksſouveränität. Man verſtand aber unter dieſem Worte
nicht, was einzig daxunter zu verſtehen iſt, die unbedingte Herrſchaft des her-
renloſen Volkes, die ſich in jedem Augenblicke offenbaren und zu jeder Zeit neue
Staatsformen hervorbringen kann, ſondern eine einzige abgeſchloſſene, iſolirte
That desſelben, die Wahl zum deutſchen Parlamente.
Nachdem dieſe Wahl vollendet war, brauchte man an das Volk und die
Revolution nicht mehr zu denken und man feierte unter dem Namen Volksſou-
veränität den neuen Herrn, der über Deutſchland geſetzt war, nemlich die Ma-
jorität des Parlamentes. Dies war die neue Autorität, die das glaubensſtarke
deutſche Volk ſich geſchaffen; auf die Knie und bete an, armer Knecht!
predigté man in Zeitungen, auf der Tribüne und der Kanzel. Wer nicht an
die Unfehlbarkeit dieſer Majorität, dieſes ünſeres politiſchen Pabſtes, glaubte,
wurde mit größexem Haſſe verketzert und verdammt, als einſt die Waldenſer
und Huſſiten. Schade, daß man die Apoſtaten nicht verbrennen Fann, daß
man ſie heutzutage mit Schimpfworten und Gefängniß allein beſtrafen darf!
Während man, beſonders von der äußerſten Rechten und vom Präſidium
in der Paulskirche, immer mit großem Pathos die Volksſouveränität prokla-
mirte, geſchah es, wie unter den Händen eines Bosco und Döbler, daß auf
einmal das Parlament ſouverän war und die Nation geknechtet. Die Petitionen
des Volkes wurden bei Seite gelegt; dringliche Anträge zum Schutze einzelner












Bürger oder ganzer Städte gegen die Brutalität der Behörden mit Hohn zu-
rückgewieſen. Die Revolution vexſchwand den Herren nach unDd nach aus, dem
Gedächtniß, und ſie glaubten, ſie ſäßen deßhalb in der Paulskirche, weil die
Fürften die Wahlen ausgeſchrieben hätten, nicht deßhalb, weil das Volk frei
ſein wollte. *

Indeſſen hat das Wort Volkeſonveränität doch immer einen revolutiona-
ren, Tepublikaniſchen, hochverrätheriſchen Klang. Man ſuchte die Autorität, die
Herrſchaͤft vom Volte noch mehr loszulöſen, als dies durch das, Parlament ge-
ſchehen war; man wählte den Reichsverweſer. Die Unmündigkeit, die Unſelbſt-
ſtaͤndigkeit des Parlamentes Fonnte ſich durch nichts deutlicher und abſchreckender
manifeſtiren, alg durch dieſe Wahl, Anſtatt auf die eigene, dem Voltke und
deßhalb auch dem Parlamente inwohnende Kraft ſich zu verlaſſen, kützte man
fich auf die verblaßten, hiſtoriſchen Erinnerungen einer für ganz Deutſchland
ſchmachvollen Kaiſerzeit und auf die Popularität eines Greiſes, beren einziges
Fundament eine gewiſſe Bonhommie, die „Mißheirath“ mit einer Bürgerlichen
und ein glücklich gewählter Toaſt war. Dies war der Nettungsanfer Deutſch-
laͤnds; dies die cinzige Perſönlichkeit, welche, wie der gutmüthige, aber für
feine Eiſenbahnaktien fehr beſorgte Philifier ſagt, Deutſchland vor dem Abgrunde
der Anarchie, d. i. der Herrenloſigkeit, retten konnte. Durch dieſe Thaͤt hat,
um ein Wort eines edlen Volkofrkundes hier anzuwenden, das Parlament ſich

Deutſch hand.
AKarlsruhe, 16. Auguſt. Auch geſtern Nachmittag zwiſchen 1—2


den Verhaͤßten durch Schreien

und Pfeifen Luft zu machen ſuchten. Trotz ſeines hochaͤdeligen Stdarſinns


ſoll'ſich deßhalb ſchon Vormittags 11 Uhr nach Baden begeben haben, wäh-
rend'die erbitterte Menge noch um 2 Uhr vor ſeinem Hauſe lärmte, weil ſie
ihn in ſeiner Wohnung glaubie. In Folge eines von einex größern Anzahl
Bürger an den Gemeinderath geſtellten Antrags fand nun Nachmittags 3 Uhr
eine Bürgerverſammlung im großen Rathhausſaale flatt, wo vier angeftellte
Perſonen czwei Offiziere, ein Folizeikommiſſär und ein Gensdarmerie-Brigadier)
alg die Urheber und Veranlaſſer der geſtrigen ſo bedauerlichen Borfällen be-
ſchuldigt wurden, daß ſie ihre Stellung mißbraucht, und eine wahre Men-
ſchenhetze, die Mißhandlungen und körperlichen Verletzungen ſo vieler und


felbſt aufgeſtellt, auf eine frevelhafte Weiſe herbeigeführt bätten. Die Ver-
fammlung faßte den faſt einſtimmigen Beſchluß, an die competenten Civil, und
Militärgerichte, das Erfuchen zu ſtellen, daß eine ſtrenge und unparteiiſche
Unterſuchung geführt, gegen die ſo ſtark gravirten vier Perſonen ſogleich Ver-
4 erlaffen, und dieſelben in gerichtlichen Gewahrſam gebracht werden
möchten.

Darmſtadt, 12. Aug. Geſtern früh wurde von Gerichtswegen im Bei-
ſein des Grafen Görlitz und des aus dem Arreſthauſe gebrachten, noch immer
in Verhaft befindlichen Bedienten deſſelben, Johann Stauff, die Ausgrabung
der Leiche der nun bald 14 Monate umgekommenen Gräfin Görlitz vorgenom-
men und die Leiche einer ärztlichen Unterſuchung unterworfen. Die Veranlaſ-
ſung zu dieſer, nach ſo langer Zeit allerdings Jaußerordentlichen Mahregel iſt
unbekaͤnnt, und es gehen darüber verſchiedene Gerüchte. — %.

Frankfurt. Eine Depeſche des ſchweizeriſchen Geſchäftsträgers in Paris
meldet dem Vorert Bern den Entſchluß der franzöſiſchen Regierung zur Nicht-
intervention in Italien und der bloßen Vermittlungsauerbietung in Genieinſchaft
mit England. Die vorherrſchenden Motive dazu feien die Lage der Finanzen
und wo möglich die Vermeidung eines allgemeinen europäiſchen Krieges, Ins
zwiſchen ſolle die Alpenarmee verſtärkt und bis an die äußerſten Grenzen vor-
geſchoben werden.

— Karl Albert ſoll Willens ſein, (ſagt der/ Niederrheiniſche Courier)


Savoyen. Man weiß nicht, ob dies eine Sühne iſt für ſeine Verwaͤhrloſung
der italieniſchen Sache oder um ſich die Souveränität der italieniſchen Staaten
vorzubehalten ohne den Anſchluß Piemonts und Savohens.

Wiesbaden, 15. Auguſt. So eben erfahren wir aus zuverläſſiger
Quelle, daß bei unſerem Miniſterium eine Verfügung des Reichskriegs-Miniſters
eingelaufen iſt, wonach in Folge des neueſten Beſchluſſes der Nattonalverfamm-
lung unſer Militärſtand bis auf 2 pEt. der Bevöikexung vermehrt werden foll.
Unfere Truppenzahl wird ſich auf dieſe Weiſe auf 9000 Mann ſteigern. Dieſe
Truppenvermebrung ſoll ſchleunigſt ausgeführt werden und wo möglich in 4
Wochen vollzogen ſein. Wie das auszuführen iſt bei unſerer leeren Staate-
kaſſe, wiſſen wir nicht; ebenſowenig als wir die Dringlichkeit dieſe ßregel
abſehen können. 2— —

Köln, 14. Aug. In meinem letzten Briefe theilte ich Ihnen mit, daß
eben der Aſſiſenhof wieder mit der alten Eaſſettengeſchichte beſchäftigt ſei. Die
Criminal⸗Prozedur hat 8 Tage gedauert. Eine fd große Theilnahme hat das
ublikum feit langer Zeit Feiner Verhandlung erzeigt, wie diesmal. Es war
übrigens, ich weiß nicht, ob ich es ſo nennen darf, au intereſſant, in das
gebeime Fanlilienleben eines adeligen Paares hineinzuſchauen. Der Angeklagte,
F. Laſſalle, hat nach ſeinem Vektheidiger Schneider (Präſident, der demokrati-




in welcher ſich ſeine ausgcheichneten Talente und ſeine Redbnergabe ſo glänzend
entfalteien, däß ſie eine allgemeine Bewunderung erregten, eine Rede, wie man
ſie hier felten von Juriſten?und noch nie von der Bank des Angeflagten will
gehoͤrt haben. Die Geſchwortnen erklärten ihn nach einer, 2 , ftündiger Bera-
fhung mit einfacher Majorität (7 gegen 5 Stimmen) für ſchuldig/ zu dem


 
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