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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 209 - No. 234 (1. September - 30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44565#0949

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w Die Verwirklichung der neuen Forderungen
24 der Kaſſauer.

qiesbaden, 11. Scht. Um die Erbärmlichkeit unſerer öffentlichen Zu-


licks auf die am 4, März von dem naſſauiſchen Volksſtamm
‚oa geftellten und von dieſem anerkannten Forderungen und auf das,
7* — p. im Laufe eines hatben Jahres zur Verwirklichung

derſelben geſchehen iſt.

Wi efordext:
Wir haben gef 17 Allgemeine Volksbewaffnung.

Ja einer Proklamation von 9. April (welche mit: „Naſſauerl“ beginnt
aud mit „ dolph““ſchließt, ohne all jenen ſeitdem wieder aufgelebten und mit
4 — — Erfolg, vertheidigten Firlefanz von „Wir von Gottes
Onaden 26., — „Frauengunft, Aprilenwetter“ u. ſ. w. heißt es im Sprüch-
ol ) , in deeſer Proflamation heist e$: ——

„Durch ein prov. Geſetz iſt die Volksbewaffnung geordnet;
„ſoweit die vorhandenen Vorräthe reichten, ſind die Waf-
„fen in Eueren Händen; für die Anſchaffung der noch feh-
„lenden ſind die nöthigen Schritte längſt gethan worden.“

Vergleichen wir damit die Wirklichkeit! Wir haben allerdings die „allge-
meine Voͤllsbewaffnung“, aber nur auf dem Papier. Wir haben ein Geſetz
über die Organiſation, Dder Bolföwehr, das in ſeinex Art vortrefflich ' genanut
werden kann aber es fällt keinem Menſchen ein, daſſelbe zu vollziehen.
einzige Ort, wo wir eine organiſirte Bürgerwehr hatten, wax Wiesbaden. Aber
fie mußte dem Miniſtexium zum Opfer fallen. Einige Infubordinationen in
der 1. Compagnie der jüngſten Altersklaſſe reichten bin, um einen Feldzug der
Reichsarmee hiexher zu veranlaſſen und die geſammte Bürgerwehr zu entwaff-
nen.. Man hat zwar eine fo genannie Reorganiſation derſelben Gu deutfch:
Säuberung) vorgenommen, allein man hat die Waffen nur anerkanyten Rück-
ſchrittsmännern und intifferenten Caſtraten wiedergegeben, dagegen jeden, der
nuͤr im Entfernteſten im Geruch demokratiſcher Geſinnung ſtand, davon ausge-

en. -
wwfi%aé aber das übrige Land, außer Wiesbaden, anbelangt, ſo fehlt es
überall am Beſten zu einer Volkebewaffnung, nämlich an den Waffen. Ob»
gleich es in der herzogl. Proklamation vom 9. April heißt, die nöthigen Schrite

es blos eines Rückb


bis jetzt ſchon wieder fünf Monate verfloſſen ſind, ſo ſind doch bis jetzt im Gan-


getreue Reſidenz“ allein 2000 erhalten (und dieſe Reſidenz Leichnet ſich eben ſo
fehr, wie z. B. auch Darmſtadt und Karlsruhe durch ihre Begeiſterung für die
„Bisherigkeit“ aus), es ſind alſo auf das ganze übrige Land höchſtens 2000
Gewehre gelommen, d. h., da wir etwa S000 volkswehrpflichtige Männer
annehmen können, auf den 40 oder den 80Mann eins!!! Das ift die „all-
gemeine Volksbewaffnung!“ Wie verlautet, will die Regierung die Anſchaffung
weiterer Waffen bis dahin verſchieben, daß das frankfurter Paͤrlament ein ein-
heitliches Gewehrkaliber für ganz Deutſchland feſtſetze, das heißt: bis auf den
Sankt⸗Nimmers⸗Tag!
Wir haben gefordert: !
2) unbedingte Preßfreiheit. *

Dieſe haben wir aͤllerdings. Allein die Preßvergehen werden von unſern
bisherigen heimlichen Inquiſitionsgerichten in dex Form des bisherigen ſchriftli-
chen und geheimen Inquiſitionsprozeſſes unterſucht und von Richtern abgeur-
theilt, welche der Miniſter jeden Augenblick willkürlich verſetzen und penſionixen
kann, ja welchen er noch am 19. Juli ein Vermahnungsſchreihen hat zugehen
laſſen, daß ſie ſich in Allem im Minifteriellen Sinn gebaren müßten, und dap,
falls ſie es wagten, demokratiſche Ideen zu hegen, die Niederlegung ihres Am-
tes „eine Ehrenſache für ſie ſei.“ ;

Wir haben alſo eine „freie Preſſe“, welche auf Gnade unb Ungnade der
Willkür eines unfreien, verſetzbaren, penſionirbaren, dem Belieben des jewei-

ligen Miniſters zur Berfügung ſtehenden Richterſtandes anheimgegeben iſt.
Wenn das nicht „die Preßfreiheit und dicht dabei der Galgen“ iſt, ſo weiß ich
nicht wo das ehrenwerthe Mitglied des ſeeligen Vexeinigten Landtags! Herr
von Thadden-Tiegloff die Verwirklichung ſeines Beals finden ſoll. Die facti-
ſche Wirklichkeit entfpricht vollkemmen dieſem geſetzlichen Zuſtand. Unſere Preſſe
iſi gleich Null. Wir haben ein Regierungsblatt (die „Naſſauiſche Allgemeine
Zeitung“ in Wiesbaden), welche über Alles, was nur den entfernteſten An-
ſchein von demokratiſcher oder oppoſitioneller Tendenz an ſich trägt, mit den
gemeinſten Schimpfworten, Charactervexdächtigungen und Dehuyciationen her-
fällt, und dafür Seitens des Miniſteriums hevorzugt und ſabventignirt wird.
Unſere beiden andern Zeitungen möchten wohl opponiren aber es fehlt ihnen
an Muth dazu. Ihre ganze Oppoſition beſteht in Winken und Andeutungen,
welche nur derjenige verſteht, welcher zwiſchen den Zeilen leſen kann. Man
lann es ihnen kaum übel nehmen. Vestigia terren!
Das iſt unſere Preßfreiheitl
Wir haben gefordert d

2 — — eines deutſchen Narlaments.
Dieſem Wunſch iſt allerdings willfahrt worden. Dagegen war die Wahl
der Parlamentsmitglieder die indirecte, und von dem Wahlrecht waren alle noch
nicht verheiratheten und in die Gemeinde recipirten Bürger ausgeſchloſſen.
Bei den Wahlen hat der Einfluß unſeres Miniſters ſo üderwogen, daß
ſich der ſchlagende Beweis führen Läßt, wie die Wahlen von Schepp und Mar
von Gagern lediglich ein Werk des Miniſters ſind. Dieſe Beiden und er ſelbſt
ſtimmen im Parlament mit der Recheen— wogegen diejenigen Abgeordneten wel-
che nicht der Miniſter, ſondern das Bolk gewählt hat, nämlich: Hehner, Schulz

und Schenk, mit der Linken, d. h. nach, dem Willen des Volkes ſtimmen.

Das iſt die zweifelhafte Verwirklichung unſerer dritten Forderung.














Ferner haben wir gefordert: Ö

‚ A, Sofortige Vereidigung des Mititärs auf die Berfaflung: — .

Sie iſt geſchehen. Man hat aber kurz darnach die Soldaten daͤhin beleh-

ren laſſen, daß neben dieſem Eid auf die Verfaſſung der alte abſolutiſtiſche

Fahneneid, welcher blinden Gehorſam und noch mehr als das verſpricht, in uns

geſchwächter Kraft fortbeſtehe, ja alg der ältere höher zu reſpectiren ſei! Da-

mit * denn die Beeidigung auf die Verfaſſung zu einer reinen Komöbdie ge-
worden. 59 B


ger, oder überhaupt als etwas anderes, wie bloße Maſchinen der Vernichtung
und Puppen des Parade-Lurus, zu betrachten, geht daraus hervor, daß der
Oberſtlieutenant von Reichenau das Militär von- der Theilnahme am freien
Vereinigungsrecht ausgeſchloſſen, und für den Fall der Zuwiderhandlung mit
den Strafen der veraͤlteten Kriegsartikel (welche in Oeflerreich zur Zeit Jo-
ſephs II. gegen die undisciplinirbaren Rotten der Landsknechte erlaſſen und von
Naſſau adoptirt, in Oeſterreich längſt abgeſchafft, in Naffau beibehalten worden


Wir haben weiter gefordert? *
5. Das Recht der freien Vereinigung.

*

Wir haben allerdings Volksverſammlungen halten dürfen, ſo lange alg
Hergenhahn noch Führer der Oppoſition war, und die Volksverſammlungen ſich
in ſeinem Sinne ausſprachen und von ſeinen Creaturen geleitet wurden. Nach-
dem aber Hergenhahn Miniſter geworden, nachdem diẽ Volksverſammlungen


da wurden ſie „mißliebig.“ Wie der Oberſtlieutenant v. Reichenau cein Schwa-
ger Hergenhahn's) dem Militär ſein Antheil an dem freien Vereinigungsrecht
abgeſchnitten batte, ſo erließ Hergenhahn am 13. Juli ein miniſterielles Rund-
ſchreiben an ſeine ſämmtliche Staatsbeamte (ſogar an die Richter der oberſten
Serichtshöfe) , durch welches er ihnen jede umminiſterielle Betheiligung an po-
litiſchen Dingen verbot, fie alſo geradezu von der Theilnahme an dem Recht
der freien Vereinigung und Verſammluͤng in politiſchen Angelegenheiten auss
ſchloß. Damin nicht genug, leitet man Rieſenunterſuchungen gegen die mißlie-
bigen Voltsverſammlungen unter dem Titel „wegen Drohungen und Gefährdung
der Sicherheit des Staats! (—- ganz neu erfundene Verbrechen, von welchen
Carpzow und Feuexbach nichts wifen—) ein, zu deren Durchführung man das
Perſonal des Eriminalgerichts verdoppeln oder gar verdreifachen müßte. Faſt
gibt es Niemand, der an einer Volksverſammlung Theil genoͤmmen hätte und
nicht auch zugleich wegen Drohung und Gefährdung der Sicherheit des Staats“
in Unterſuchung ſtünde. Daß in Folge davon/ fowie in Folge des reichskriegs-
miniſterlich von Veuker ſchen Feldzugs nach unſerer friedlichen „Neftdenz“ das
Recht der freien Vereinigung nur noch auf dem Papier exiſtirt, iſt leicht be-


Als Motto über unſere freie Preſſe und unſer freies Vereinigungsrecht
ſollte man jene Worte Hergenhahn's ſetzen, welche er neulich in Sffentlicher


eher frei werden, als bis es ein gründliches Mißtrauen gegen die freie Prefſe


gegen Hergenhahn, den getreuen Schildknappen und Eoͤrreſpondenten der Hei-
delberger Hofrathszeitung, welcher ſich in den Märztagen ſo unerwarteter und
zweideutiger Weiſe an die Spitze der bereits ohne ihn und trotz ihm vollſtaͤndig
vorhandenen Volkserhebung als „Führer“ oder „Anführer“ hinſtellte!) und jene
andere Behauptung, welche er in derſelben Sitzung hinwarf: „In den Voiks-
gerſammlungen herrſcht nicht der Geiſt der Wahrheit, fondern der Geiſt der
Lüge, man leitet darin die fonſt wohlgeſinnten Bürger irre, weil ſte von Staats-
angelegenheiten nichts verftehen.“ 8* *


ganze Exiſtenz nux dem „dummen Volke“ verdankt, dem der Umſtand, daß das
Volk ſeine Haut für ihn zu Markte getragen, ſeine dermalige Stellung erwor-
ben hat. Bet idm, wenn ixgendwo, berühren ſich die Extreme. Auf die Pro-
klamation der Volksſouveränität folgt auf dem! Fuße die Theorie von dem
„beſchränkten Unterthanenverſtande!“ 27*

Das iſt der Mann, welcher bei der Uebernahme des Portefeuille erklaͤrte,
er übernehme das Miniſterium nur zu dem Zwecke, am die errungenen Volts-
rechte um ſo ſchneller und ſicherer in das Leben führen zu können. *
(Schluß folgt.) ;



So. Sitzung der konſt. Nationalverſauumluug. —
Montag, den 18 September.

Die Paulskirche iſt mit Truppen umſtellt; zwiſchen ihnen und der Pauls-
kirche bewegen ſich dichte Volksſchwärme: die Gaͤllerien find überfült,
Robert Blum verlangt, es ſoll in das Protokoll aufgenommen werden,
daß in der Sitzung vom 16. gegen allen parlaͤmentariſchen Brauch durch eine
Abſtimmung entſchieden wäre, die Anträge des Ausſchuſſes micht getrennt, wie
ſie vorlagen, zur Abſtimmung zu bringen. Wäre das geſchehẽn, fo wäle der
Ferner ſolle zu Protokoll genom-
men werden, daß bei der Abſtimmung Nichtabgeordnete auf den Sitzen der Re-
präſentanten gefeſſen hätten. Herr v Gaͤgern läugnet das; nur im Raume
zwiſchen der Diplomatenloge und der Rechten haͤtten Zuhörer geſtanden. Blum
beharrt darauf, der Herzos von Auguſtenburg ſei in den Reihen der Abgeord-
neten geweſen. Als die Gallerie darüber ihr Erſtauen äußert, droht Gagern


Hr. v. Gagern behauptet zornig, es habe ihm Niemand vorzuſchreiben,
wie er die Geſchäftsordnung handhaben ſolle (%), * * —

Hierauf folgt die Bekanntmachung, daß Abg v. Hermann das ihm ÜLec-
tragene Mandat zur Bildung eines neuen Miniſteriums zurückgegeben und 4

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