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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 187 - No. 208 (6. August - 31. August)
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Kreuzer. — Briefe und Gelder: fret einzuſenden.











Die verſchiedenen Stufen der Neaktivn.

Wir ſind zu der Anſicht berechtigt, daß die Reaktion vollendet iiſt.
ſt mit einer Schnelligkeit 8
eg nur in Revolutionszeiten möglich iſt, in welchen die Völker in wenigen
Monaten die Geſchichte ganzex Jahrhunderte durchleben. Dieſe Schnelligkeit
darf uns nicht erſchrecken im Gegentheil, wenn irgend Etwas im Stande iſt,
freudige Hoffnungen für die Zukunft zu erwecken, ſo iſt es dieſe Entſchieden-
heit und Schamloſigkeit der Keaktlon. Sechs Monate ſind verfloſſen, feitdem
die Kunde von der glorreichen franzöſiſchen Februarrevolution die alte Welt
aus ihren Fugen brachte; alle Throue zitterten und man brauchte kein Dichter
und Phantaft zu ſein, um eine glückliche, yerrenloſe Zukunft dem geſammten
Europa zu profezeien. Und jetzt fehen wir die Herrſchaft unſerer alten Fürſten,
gegen welche die neue Vewegung gerichtet war, mit allen möglichen faktiſchen
and geſetzlichen Garanticen umgeben, welche felbſt einen
laus zufrieden ſtellen müſſen. Bajonette und Parlamentsbeſchlüſſe ſind in ge-









AB








chenden Nemeſis zu erſparen. Dieſe RNeaktion iſt mit einer merkwürdig plan-
mäßigen Conſequenz bewerkſtelligt worden, und es verlohnt ſich wohl, ihre ver-
ſchiedenen Stufen und Phaſen zu unterſcheiden, damit wir, wie einſt die Roͤ—
mer, aus der Taktik unſerer Gegner Kriegskunſt lernen.

Jede Revolution fängt damit an odek macht es doch zu ihrem nächſten
Ziele, daß ſie die Autoͤritaͤt, welche dis verzangene Periode beherrſchte, ſtürzt.


Pflicht und Ehre gehtetet! Dieſt Sucht zu glauben und unter dem
Schutze von Dogmen und Autoritäten eln ſicheres bequemes Leben zu führen,
hat auch in dieſem traurigen Sommer bie Reaktion, wenn nicht veranlaßt, ſo
doch wenigſtens bedeutend begünſtigt.

Die Autorität, welche in Deutfhland bisher das politiſche Leben beherrſchte,
war die durch Beamten und Militär geftüßte und geſchützte Fürſtenherrfchaft.
eoiſie f behaglih und alidlich unter Ddem Schutze diefer
vtacht; das Pol tartat verhungelte Die Mevyolutkion kam,
torität, die Ehrfurcht, mit velcher früher das gläubige Volk
ſtammten Landesherren, gleich wie an die Hoheüprieſter der politiſchen Myſte-
rien, hinaufgeblickt hatte wurde vollſtändig ruinirt, nicht fo ſehr durch ein
Ankämpfen des Volkes gegen dieſelbe, alg vielmehr durch das Benehmen der
groͤßeren Regierungen. Die „ritterliche, herzerwärmende Treue gegen den Lan-
besherrn, ſelbſt in ihrer Uebertreibung noch fhön«, ſcheute ſich nicht, vor dem
Hatel Guizot und in den Straßen von Berlin tauſendfache Morde zu begehen

das moraliſche Anfehen del Regieruͤngen ver-
materiellen Kräfte
derſelben bedeutend geſchmaͤlerk waͤren. &s mußte, da die Regierungen allen
Nimbus und Heiligenſchein verloren hatten, eine neue Autorität geſuͤcht wer-
den, dies konnten ſich die fürftlichen Familien und die
hehlen, Mr durch die Aufſtellung einer neuen
gierenden Bewegung Meiſter werden. Dem armen perwaiſten Volke mußte ein
neuer Herr gefeßt verden. Man fand ihn in der Perſon des Parklaments.

Der erſte Schritt der Reaktion war der, daß man das Syſtem der Be-
auftragung mit dem der RNepräfentation verwechſelte. Das Parlament iſt der

an ihren ange-

Autorität konnte man der ne-


Rechte; das Volk ſteht über den Parlaͤment, hat echenſchaft von demſelben zuͤ
, die Sundamentalbefchlüffe Ddesfelben zu genehmigen,
er zu verwerfen. Es tann vieſes Rechtes ſich in jeder Weife bedienen, durch
4 9 Surüdnabme der Wahlen. Das Darla-
ment iſt verpflichtet, in jeder Beziehung und bei
Wünſchen, den Befehlen des Volkes, feines ſouveränen Herrn nachzukommen.
Diefe Stellung des Parlaments iſt nur von einem ſehr kleinen Theil ſeiner
Mitglieder begriffen worden; die Mehrheit Derwechfelte die Volksfouveranität


der Repräſentation, und wandte die parlamentariſche Unverantwortlicheit, welche
ihn gefetzlich zuſtand, nicht gegen die Fürſten an, wie
Waͤhler lag ſondern gegen das Volk felbſt.

Das Parlament betrug ſich unberantwWortlidh dem deutſchen Volke ge-
genüber. Das gutmüthige Volt hatte fich duͤrch die Wahlen einen neuen Herın
gefeßt „ eine neue Ruthe gebunden,

Die Gallerien werden vom Präſtoium der Frankfurter Verſammlung mit
unvergleihlicher Berachtung, ja Brobheit bepandelt. Jede Kritif der Parla-
mentsbeſchlüſfe wird verboten; oas Parlament iſt unverantwortlicher und un-
fehlbaxer als der Papſt des Mittelalters. Haben wir doch in den letzten Ta-
gen die Gallerien der Paulskirche durch Hajonnette räumen ſehen, eine Bru-
talität, die an die berliner Märztage erinnert. Die Petitionen, welche daͤs

** werden kaum beachtet,
wenn ſie nicht von Ergebenheilsphraſen und (oyaler Lakaiengeſtunung überſtrö-
men. Die wenigen Abgeordneten, welche noch nicht die letzten Faͤden „wodurch
fie mit dem Bolke zufammenhängen, zerfehnitten haben, welche fich nicht unde-


Leroͤckſichtigen, werden kaum zum Worte gelaſſen und von dem Lärmen der
Rechten übertäubt, wenn ſie endlich auf vielfaches Erſuchen die Tribüne beſtei-
gen durften. *

In der That, die Befürchtungen, welche das berüchtigte Promemoria des
Herrn von Lepel kurz vor dem Behinn der Parlamentsſitzungen erweckte, ſind















Da man die Unterordnung des Volkes unter das Varlament zu Stande
gebracht hatte, konnte man weiter gehen. Die Autorität des Yarlaments ſtand
glauben koͤnnen.
Man mußte die Herkſchaft noch mehr vom Voͤlke trennen, und wo möglich,
in die unnahbaren wolkigen Höben abſoluter Fürſtenmacht hinaufrücken, denn
zu einem unbekannten Golte betet das Volt am inbrünſtigſten. Es wurde alfo
der unverantwortliche Reichsverweſer geſchaffen, eine unbekännte politiſche Größe.
Dieſes ganze Inſtitut eines proviſorifchen Kaiſers wurde abſichtlich in ein ma-
giſches Dunkel gehüllt, damit eg dem Boltt deſto mehr imponiren ſollte.

Man wählte einen Mann, deſſen politiſche Vergangenheit und Ueberzeu-
gung dem Volte unbekannt war, ſo daß die Lerſchiedenſten, fabelhafteſten Ge-
rüchte über die Art und Weiſe, wie er ſein Amt antreten würde, im Volke
umherlaufen konnten; man gab ihm keine beſtimmten Inſtruktionen und Geſetze
mit in ſein Amt; die Erklärungen, welche er ſelbſt erließ, die wenigen Worte,
welche er zu den ihn begrüßenden Abgeordneten und Bürgern Praͤch, waren
ſo unbeſtimmt und nichtsfagend, daß man ſie im Simt der Rech en wie der
Linken verſtehen konnte, Fonder ganzen Reichsverweſerwahl weiß das Pu-
blifum eigentlich nichts Anderes, alg rie Anzahl der Schüffeln, welche dem


Neihsminifteriums geben uns Muffchluß über-die Plane und Zwede der Reichs-
verweſerſchaft und laͤſſen gewiß in Dden Herzen der deutſchen Bürger keinen Reſt
Lon Glauben an ein volkoͤthümliches Regiment des öſterreichiſchen Prinzen übrig.
Freilich, wenn man den Zuͤbettaͤrin der frankfurter Bürger bei dem mehrma-
zieht ſo ſollte man wirklich glauben, die

Nachdem nun durch die herrifche anmaßende Stellung des Parlaments und
durch die Reichsverweſ'rwahl ein doppelter Volksbetrug ſtatt gefunden hatte,
glaubt man, kühn zur Vollendung des Werks gehen und die alten Verhältniſſe
Nachdem das Parlament ſich über daͤs
Volk, der Reichoͤverweſer über das Parlament geſtellt hatte, mußten die Für-
ſten über den Reichsverweſer geſetzt werden. Die Unverantwortlichkeit des Par-
Jamentes gegenüber dem Volle, und des Reichsverweſers im Verhältaiß zum
Parlamente, mußte auf die Fürſten übertragen werden, in ihrer Steilung zum
Neichsverweſer. Dles letzterk iſt gefhehen. Die nordiſchen Fürſten, ſelbſt den
kleinen Herrn von Braunfdyweig nicht ausgenommen, erklären, daß die Trup-
ben nur auf ihren unverantworllichen Befehl ſich dein Kommando des Reichs-
verweſers unterordnen ſollen. Es iſt alſo Johann gewiſſermißen nur der Ge-
nexal der Fürſten. Mit dieſer Auffaſſung der Verhältniſſe erklärt ſich der Reichs-
kriegsminiſter, der preußiſche General Peuker in ſeiner letzten Note vollſtändig
einperſtanden. Er ſagt, das vorgeſchriebene Hoch ſei in keiner Weiſe als eine
politiſche Huldigung anzuſehen, ſondern nuͤr eln militäriſcher Gruß. Durch
die Reichsverweferwahl fei den einzelnen Regiexungen nicht iin Mindeſten ihre
Souveränität geſchmaͤlert worden. Hütre es, deutſches Volk! Nachdem das
Parlament die Volksſouveränität feierlich , freilich nur zum Scheine, proklamirt
hat, fagt die durch dasſelbe Varkament eingeſetzte Behörde, daß die Fuͤrſten
nichts an ihrer Sonveränität verloren hätten. 4—

Wir haben alſo ganz die alten Verhältniſſe, nur mit neuen Stützen der
Willkürherrſchaft verſehen! Der deutſche Bund, dieſes große Nationalunglück
unſeres Volkes, der Verfaſſer der Kaͤttebadet Beſchlüſſe und der Henker der _
Demagogen, hat ein neues, unpexantwortliches fürſtliches Haupt erhalten. Hr.
Peufer hat die Naivität, zu erklären, die Reichsverweſerſchaft habe nur zum
Ziele, die Demokraten zu verhaften uͤnd ihre Vereine aufzulöſen. Er beruft
ſich auf die Wiesbadener Vorgänge. Er geſteht, nur deßhalb den Oberbefehl
aller deutſchen Truppen übernömnien zuͤ haben, um das Gehäſſige diefer polt
zeilichen Willkürmaßregeln von den einzelnen Regierungen abzuwaͤtzen. Sanı
wie der alte Bundestaͤg, auf den ſich die ſüddeuiſchen Fürſten berufen Fonnten,
wenn ſie feierlich garantirte Grundrechte des Voltes, wie die freie Preſfe ung
vorenthielten. Sie werden auch jetzt dieſes Voͤrwaͤndes nicht entbehren, wenn
es gilt, die Verpflichtangen vom Wärz dieſes Jahres zu erfüllen. V

— —

4 —

TTT Mannhein, 10. Auguſt Es gab eine Zeit und ſie iſt noch nicht
ganz voͤrüber, wo jede Megung der Fteihtu von der SGewalt auf brutale Weiſe
niedergehalten, ja im Keime erſtickt wuͤrde. Jeder Verſuch der Freiſinnigen,
ſich zu vereinigen, wurde mit Macht bekämpft, die Vorkämpfer der Freiheit in
Lerkern vergraͤben. Auch jetzt noch zeigen ſich hier und da Selüfte, in ähnli-
er Weiſe fortzufahren, nur nach einem andern Syſtem. Die Männer des
Fortſchritts werden auch jetzt noch mit ſo unausgeſetzten und öfters ſo keinlichen
Kliizeilichen Navelſtichen verfolgt, das es kaum zu verwundern wäre, wenn Die
Meiſten die Geduͤld verlieren und ſich von einem Felde zurückzögen, das voll
on Dornen und Neſſeln, voͤll von zeitraubenden Verhören, voll von Sporteln,
Geld- und Gefängnißſtrafen, voll voͤn Poliziſten und Gensdlarmen E
Aber! — Nicht damit, nicht mit dem Zurückziehen vom Kampfplatze iſt der
Sache der Freiheit gedient; eben fo wenig, wie mit leeren Phraſen und hohlem
Wortgeklingẽt. Zehn- und zwanzigmal voͤn der Nebermacht zurüdgedbrängt, muß
der wahre Volfs- und Vatexlandsfreund immer wieder neue Angriffe machen;
alle Zage muß er neue Angriffgpläne auf die Macht der Finfternik, des Trugs
und der Willkür entwexfen; mit dem Leben muß er abgeſchtoſſen haben, und,
im Hinblick auf die heilige Sache des Rechts, muß er, im vollen Vertrauen
auf ihren endlichen Sieg, in den Kampf treien. Wer das nicht kann oder nicht
will, der iſt nicht berufen, ein Führer zu ſein in den Tagen der Entſcheidung.

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