No. 296.!
[2!] Eine Adreſſe.
Wir haben nicht daran gezweifelt, daß es Menjchen genug gibt, die mit trium-
“ bhirender Miene auf das Schaufpiel hinklicken; welches der kaiſerliche Henker
MeindifHgräß zu Wien im Namen der Monarchie aufgeführt hat; wir dachten
ng audy wohl, daß diefelben Menſchen um Beſchönigungen und Entſchuldi-
gungen der dort verübten Gräuelthaten nicht verlegen ſein würden; allein auf
eine Erfheinung, wie ſie uns der Gemeinderath zu Wien vor die Augen führt,
Fonnten wir nimmermehr gefaßt ſein; bis Ddahin reichten nicht unſere menſch-
lihen Begriffe, „Der Gemeinderath hat die Milde und Humani-
tät dankbar annehmen gelernt“, welche Se. Durchlaucht, der Fürſt
MWindifhgräß, zu üben nidht ermüdeten., — „Seltene Langmuth,
tiefe Einficht, feines Gefühl, rücdfichtevolle Schonung“ haben
Se. Durchlaucht gegen Wien bewieſen; Se. Durchlaucht haben „mit Milde
den Befehl eines milden Herrſchers vollzögen“; der @ememb_crc}tb
bringt Sr. Durchlaucht ſeinen „tiefempfunzenen 2 anf“ dar. Das ſind
die Augdrücke, in denen der Gemeinderath zu Wien eine Aeſſe an den Für-
ften Windifchgrätz abgefertigt hat! Wer hält hier nicht uuwillkührlich inne und
fucht ſich zu Tammeln, um dieſe Thatſache faſſen zu können. Ja, es liegt eine
eniſetzliche, eine ungeheure Anklage in jenen Worten,
Woͤhin nur die Theilnahme für das Schickſal Wiens gedrungen, da wurde
nannt, und der Gemeinderath von Wien, vor deſſen Augen eine halb zerſtörte
Stadt liegt, deren Trümmer die Zeugen der emporendſten Schandthaten gewes
ſen, zu deſſen Ohren ſich täglich das Todesröcheln ſtets neuer zum Richiplatz
geſchleppter Schlachtopfer hinwindet, dex Semeinderath in Wien iſt im Stande,
die zum Himmel ſchreiende Thaten des kaiſerlichen Genexals mit den WortenMilde
und Humanität“ zu bezeichnen; er kann es nun für eine Tugend halten, daß die
Zerſtörungswuch und Mordluſt des Fütſten ſich nicht weiter erſtreckt hat; er
ſpricht in den ſchmeichelhafteſten Ausdrücken ſeinen tief empfundenen Dank dar-
über aus, daß der Fürſt an Milde noch den milden Herrſcher überboten het.
Was iſt das aͤnders für einen Wütherich, als eine Ermunterung zur Grauſam-
keit und Unmenſchlichkeit? —
BGaͤtte der Gemeinderath zu Wien dem Fürſten Windiſchgrätz gedaukt für
die / Energie“, mit welchex er in Wien die „Ruhe und Ordnung“ wieder her-
geſtellt, wir würden vielleicht gelacht, vielleicht gezürnt haben über die Bexirrun-
auch nichts weiter geſehen, } )
verdammen müffen, deren Streben wir uns aber doch zum Wenigſten aug einem
beſtimmten Gedanken, aus einer beſtimmten Auffaſſung der Verhältniſſe zu er-
klären vermögen. Die ganze Schändlichkeit jener Adreſſe liegt aber darin, daß
ſie nicht den Standpunkt einer beſtimmten Partei bezeichnet, daß ſie ſich viel-
mehr erdreiſtet, geradezu alle die Thaten, gegen welche ſich das menſchliche
Gefühl, der menſchliche Gedanke ſträuht, als einen Act der Menfchlichkeit hin-
zuſtellen, daß ſte c& wagt, die Unmenſchlichkeit als eine Tugend zu preiſen.
Wie Vieles gehört zu einer folchen Verſunkenhen! Wer ſollte im Angeſicht
dieſer Erfahrungen nicht ſchamvoll ſein Antlitz vexhüllen und trauern über die
Menſchen, mit denen er zu leben genöthigt iſt. Nein, hier kann es keine Ver-
ſöhnung, kein Mitleid mehr geben; gegen ein ſolches Gezüchte darf man nur
nöch den Haß predigen; es vexdient die Vertilgung. Es enthüllt ſich uns in
der Adreſſe des Wiener Gemeinderaths, dem ſich mit ähnlichen Dankſagungen
die Wiener Bourgeoiſie angehängt hat, wieder der Chaxacter einer Menſchen-
klaſſe, die ſich mit zum Volke rechnet, die aber mit der hündiſchſten Gemeinheit
ſtets alle Thaten des Volkes ausbeutet, um davon einen Vortheil zu ziehen,
die ſich mit der heuchleriſchſten Unterwürfigkeit von jeder Mitſchuld rein zu wa-
ſchen ſucht, wenn das Volk in fruchtloſem Kampfe ſeine Kräfte verſchwendet
hat, die es aber nicht verſchmäht, die Frucht des Sieges an ſich zu reißen, an
welchem ſie ſelbſt keinen Theil hat, die nichts anderes weiß, als die Thaten
des Volkes durch den Hohn ihrer Feigheit zu beſudeln. ;
Gewiß! Wer eine ſchlechte Thaͤt begeht, der verdient Verachtung und
Abſcheu; aber noch verabſcheuungswürdiger iſt wahrhaftig Derjenige, der im Ge-
fühl der Sicherheit es über ſich zu bringen vermag, eine ſchlechte That zu
preiſen, ohne zugleich den Mutß zu beſitzen; ſie mit begehen zu helfen. Die
Thaten der Crogten, die Thaten des Windiſchgrätz müffen zurückſtehen gegen
die Adreſſe des Wiener Gemeinderatyes; Gräuelſcenen, wie ſie Wien erlebt, hat
die Geſchichte ſchon öfters geſehen, allein zu der Adreſſe des Wiener Gemeinde-
rathes beſitzt ſie kein Gegenſtück mehr. —
— —
( Mannheim, 4. Dezember. Bekannt ſind die verſchiedenen Ver-
ſuche, welche bereits die Polizei zur Unterdrückung unfever democratiſchen Blät-
ter angeſtellt hat. Namentlich ſind es der deuifche Zuſchauer, die Seeblätter
und die Mannheimer Abendzeitung, welche bald nach der Verkündigung der
„Breßfreiheit“ mit den empörendſten Verfolgungen heimgeſucht wurden; wirk-
lich vernichtet ward die deuiſche Volkszeitung; der deutſche Zuſchauer ſollte wohl
in gleicher Weiſe eben durch die Verhaftuͤng und Unſchädlichmaͤchung des Verlegers,
H. Hoff, unterdruckt werden. Man verzechnete ſich; der Zuſchauer erſchien fort.
Beſſer war der Erfolg bei der Mannheimer Abendzeitung; dieſelbe verſchwand
auf 4 Wochen aus der politiſchen Tagespreſſe; die Bemühungen des Volks-
mannes A. von Soiron mußten — gleichzeitig mit den gewaltthätigen Maßre-
geln gegen den nach Bruchfal abgeführten und nach vierinonatlichel Gefangen-
ſchaft freigeſprochenen Verleger und Redakteur zuſammenwirken, um ein ſolches
Reſultat zu erzielen.! Gegen die Seeblätter ſetzie ſchön früher ſich Herr Mathy
in Bewegung; ſie waren ihm vorzüglich ein Dorn im Auge; ſie hatten längſt
angefangen, ſich mit ihm, mehr als ihm lieb ſein konnte, zu beſchäftigen. —
Herr Mathy hat ſich gerächt und ſeinen beruͤhmten Polizeiſtreich gegen Fickler
ausgeführt; Fickler ſchmach'et ſetzt zwar im Sterker, aber die Seeblätter fanden
demungeachtet Mittel fortzuerfcheinen; auch die Hochverrathsproceſſe, womit
man die nunmehrige Redakion verfolgte, konnten ihken Muth nicht beugen;
Egenter vermochten ebenſo wenig, ſie in ihrer Ausdauer zu erſchüttern. Jetzt er-
ſchöpft ſich die Polizei in neuen Anſtrengungen; ſie verbietet, natuͤrlich unter
einem geſctzlichen Vorwandt, die Seeblätter. Die Redaktion gibt „an die Le-
ſer der Seeblätter“ folgende Nachricht:
— Geſtern, am 30. November, wurde der verantwortliche Redakteur der
Seeblätter, S. N. Letour, wegen angeblicher Verbreitung von Flag-
ſchriften, verhaftet und, ungeachtet feiner Proteſtation gegen dieſe polizelliche
Gewaltthat, noch im Laufe des Tages nach Stockach abgeführt.
Die Polizei, die nichts verabſäumt, um'die ihr verhaͤßten Seeblätter zu
unterdrücken, beeilt ſich, die Herausgabe derſelben ſogleich zu verbieten.
Wir haben bexeits die nöthigen Schritte gethan und hoffen, in einigen Tagen
die Seeblaͤtter wieder erſcheinen laſſen zu können; zugleich bitten wir die ver-
ehrlichen Leſer, dieſe augenblickliche Unterbrechung, die wir nicht zu hindern
vermochten, gütigſt zu entſchuldigen.
Konſtanz; am 1. Dezember 1848.
Es braucht hierzu keiner weiteren Bemerkung. Im Angeſichte ſolcher That-
ſachen wird Niemand im Zweifel ſein, daß wir uns noch voͤllſtändig im duͤn—
kelſten Polizeiſtaate herumbewegen.
7 NMannbheim, 4. Dez. Heute wurde die Nummer 287 der Mannh.
Abendztg. (1 Dez) mit Beſchlag belegt und der verantwortliche Redakteur we-
gen „Herabwürdigung der großh. Staatsregierung“ vor Gericht geladen! Das
Verbrechen jener Nummer findet ſich in zwei Zeilen des Artikels „+++ Karls-
rube“, dort, wo von der Wahl bes Abg. Häuſſer und Thiebauth's verlän-
gerter Haft die Rede iſt. Die Sache wäre, da eine gerichtliche Freiſprechung
ſicher zu erwarten ſteht, nicht der Erwähnung werth, wenn ſie nicht zeigte,
Heidelberg, 30. Nov. Zur Gründung eines Zweigvereins des von
der Linken in Fraͤnkfurt geſtifteten „Märzvereins,“ traten geftern Abgeordnete
mehrerer volksthümlichen Vereine unſerer Stadt zuſammen. Wie wir verneh-
men, ſollen dieſe ſogleich Satzungen für den zu gründenden Heidelberger März-
vexein entwoxfen baben, um ſie kommenden Saniſtag in allgemeiner Verſammi-
hieſigen volksthümlichen Vereine zur Berathung und Annahme vor-
zulegen.
„ Franffurt, 4. Dezember. In der heutigen Sitzung erſchien der
Präſident don Gaͤgern wieder in ſeinem Präſidentenſtuhl, ohne jedoch mitzuthei-
len, welchen Eindruck, er von ſeiner Bergnügungsreife nach Berlin zZzurückge-
bracht habe. Der Reichskriegs⸗Miniſter Peucker antwortele auf die vorgeſtern
von, Wiesner eingebrachte Interpellation, die Abwendung der Schmach von
deutſchen Truppen betreffend , gemeinſchaftlich mit barbariſchen Horden zu Feide
ziehen zu müſſen, mit der Hinweiſung auf die noch nicht erfolgte Löſung der
oͤſterreichiſchen Frage, vor welcher das Reichsminiſterium in das Necht der öſter-
reichiſchen Regierung, ihre Arnice beliebig zu verwenden, nicht eingreifen Fönnte.
Dann nahm er die angegriffenen Ehre der croatiſchen Armee in feinen reichs-
miniſterlichen Schutz, ſie gehörte ebenfalls zum öſterreichiſchen Heere, das ſich
ſtets durch Disciplin und Tapferkeit ausgezeichnet und für die Ehre und Frei-
heit Deutſchlands gekaͤmpft habe. Trotz der glänzenden Beweiſe, welche die
Einnahme Wiens für Beides geliefert (vergl. den Antrag Zimmermanns von
Spandow) beruhigte ſich Wiesner nicht bei dieſer Antwort, ſondern kündigte
einige Auträge für die Zeit an, von wo dringliche Anträge minder ſyſtematiſch
unterdrückt werden würden.
Darauf wurden von Gagern aufs Neue zum Präſidenten, Simſon aus
Königsberg und Beſeler aus Schleswig zu Vieepräſidenten gewählt.
Auf der Tagesordnung ſtand der I, Artikel des Verfaffungs-Abſchnittes:
„Der Reichstag.“ Derſelbe beſteht aus zwei Häuſern, dem Staatenhaus und
dem Volkshaus. Ueber dieſen Artikel und den nächſten, welcher die einzelnen
Beſtimmungen für das Staatenhaus enthält, wurde eine allgemeine Debatte
cröffnet, was Rüder zwar vergeblich zu verhindern ſuchte, dafür aber deren
Schluß durchſetzte, nachdem 4 Redner, Nauwerck, v. Watzdorf, Tellkampf und
Jahn geſprochen hatten. Die erſten Beiden verfaßten das Cin-, der Dritte das
Zweikammer-Syſtem, während Jahn gar nur die Staatenkammer alg unerz
läßlich die Volkskammer als entbehrlich darſtellt. Nach Schluß der allgemeinen
Debatte erfolgte die beſondere über S. 1, ward jedoch nach einer entſchiedenen
Rede Freudentheils gegen das veraltete Prinzip des Zweikammer-Syſtems, das
nichts als ein doppeltes Beto ſei, um damit den Wagen der Bewegung der
vorwärts ſolle, aufzuhalten, und nach einigen gehaltloſen Phraſen Bally’s wie-
der geſchloſſen, worauf Dahlmann alg Berichterſtatter unter allerhand Redens-
arten die Zähne gegen die Linke fletſchte. Es erfolgte die Abſtimmung und o
Wunder, es gelang dem Präſidenten v. Gagern ſogleich auf den erſten Griff
eine Fragſtellung, gegen die kein Einwand erhoben wurde. Ob er das
wohl in Berlin gelernt hat? Freilich Iag auch nur der Entwurf und ein An-
trag Vogts vor, (ein zweiter vom volkswirthſchaftlichen Ausſchuß wurde zu-
rückgezogen) zu ſagen: der Reichstag beſteht aug den zu einem einzigen Hauſe
vereiniglen Vertretern des deutſchen Volkes. Dieſer wurde mit 331 gegen I5
Stimmen abgelehnt; der Entwurf mittelſt einfacher Abſtimmung angenommen.
Ehe man zu Art. IL überging, wurde die Berathung über die Frage der
Mediatifirung eingeſchaltet. Der Berfaffungs- Ausfhuß hat in dem Brricht
ſeiner Majorität, erftattet durch Beſeler von Greifswalde, Zagesordnung bean-
tragt, zwei Minoritäts-Erachten fordern Ueberweiſung der Sache an die Een-
tralgewalt; das Eine mit dem Auftrag: die Medtatifirung der kleinern Stgaten
oder wo ſie nicht angehe, deren Vereinigung im Staatoverbunde auf dem Wege
des Vertrages zu ermitteln, und kräftigſt zu unterſtützen, das Andere mit der