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Mannheimer Abendzeitung — 1848

DOI Kapitel:
No. 126 - No. 153 (1. Juni - 30. Juni)
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_8 Ueber Gewiſſensfreiheit, Glaubensfreiheit, Denkfreiheit.



Das Volk iſt in Frankfurt zuſammengetreten, um zu beweiſen, daß es
ſouvträn fei, Es widerlegt thatſächlich, die Anſicht der „Staatöweifen“, daß
die Majeſtät nicht in der Gefammtheit des Volkes, fondern kaͤngſt in die Hände
der Einzelnen (Fürſten) niedergelegt, daß dieſer der Repräſentant der Macht-
vollkommenheit der Geſammtheit ſei, und ſomit die Majeſtät beſitze. Nein, noch
immer fließt die höchſte Gewalt in ſteter Urſpruͤnglichkeit aus dem Volk, in
ibm liegt die Majeſtät. Nur die Ungunſt der Zeiten oder die ſog. Geſchichte
pat diefe naturgemäßen Auſchauungen getrübt, nächrem Willkůr, nachdem Ge-
walt eine entgegengeſetzte Praxis zur Geltung gebracht hatte. Es kamen _ fodann
die Staatsgelehrten und deduzirten aus der einfachen Thatſoche cin göttliches
Gvom Himmel gefallenes) Recht, oder ſie philoſophirten von heimlichen (laten-
ten t) Urverträgen aus Urzeiten und dergl. Myſtik.

Wir haben Grund all ſolchen Ouark über Boxd zu werfen und auf
zuatbmen als freie — ſouveränt Nation. Wir brauchen iegt nichlé mebr als
unfern Berſtand für unſer Bedürfniß. Weder die Gefhichte, noch die
Menſchen, die ſich als die Bewahrer ihrer Lehren brüſten, die Erbengötter, ſol-
len uns hemmen, wenn wir der Nation einen Vortheil verſchaffen woͤllen.

Wir ſchicken dieſe Bemerkungen voraus, um im Voraut 8 alle Ein
wendungen, die man vom Steckenpferd der Geſchichte und 44
in den Vorſtellungen der Zeitgenoſſen heruntex zu machen gewohnt iſt, a zu-
ſchneiden, wenn wir über die vom Volt geforderte Ölaubens$ ı6 Frei-

eit ſprechen. k —
— iſt im Auge zu behalten, daß das Wort Gewiſſenofreiheit
ſchon ſo verſchiebene Begriffe in ſich geſchloffen hat. Die Worte bleiben ſtehen,
aber der Strom der Büdung fluthet durch ſie inurchz und jede Zeit legt in
die Schale einen andern Kern, einen nenen Begriff. Man darf nicht vergeſ-
ſen, daß die öffentliche Gewalt ſammt ihren Syſtematikern immer von der Grund-
des „chriſtlichen“ Staates? ausging, Ddaher man in aͤltertr Zeit, als
man anfing, von Freibeit in Gewiſſensidee, ſachen zu ſprechen, vor-
erſt nur das beſchraͤnkte Gebiet der katholiſchen und kroteſtantiſchen
Wirren ver Augen hatte. Später, als naͤch den Gedanken der Zeit
der laxe Begriff des chriſtlichen Staates faſt nimmer zu deſiniren war, und
nacheem Juden und Sekten im Chriſtenthum ſelbſt in Deutſchland Raum zuͤ


weit, daß Gewiſſensfreiheit hieß 1) Man kaln Niemand zur Religionsver-
anderung zwingen. 2) Jedem ſteht frei, das Bekenntniß zu wechſeln. 3) Aus-
übung des Lultus odex der Goͤttesverehrung iſt geftattet czuweilen nur im
Hauſe aus „politiſchen Gründen“). 4) Keinem darf wegen ſeiner Religion der
öffentliche Schutz verſagt werden. Damit iſt nun kaum der Toleranz, geſchweige
der Freiheit in religiöſen Dingen das Wort geredet.

(Anders als „religiös“ Denkende dürfen nicht in die Staatsgeſellſchaft
aufgenommen werden, D, h. nicht einmal geduldei. Toleranz Ebt ſchon eine
gewiſſe Geſtattung der religiöſen Praxis, der Bethätigung von Anfichten voͤr—
aus, wenn auch noch mit Äusſchluß der Geſtattung poͤlitifcher Rechte.)

Heutigen Tages kann man im Allgemeinen annehmen, daß die Theorie
unſerer Politiker nur inſoweit geläutert iſt, daß ſie zum we nigſten die To-
leranz beanſpruchen. Sie reden zwar ſchon von Freiheit, wiſſen aber von iß-
rer eigenen Befangenheit Nichts. Ueber dieſe Bornirtheit konnte ſich ſogar das
allgemeinere Zeitbewußtſein der ſog. Gebildeten überhaupt noch nicht hinaus-
ſchwingen, es rumort die hiſtoriſche Begriffsverwirrung in den Köpfen und nur
bis dahin ſind die Meiſten klar, daß das Gebiet der Freiheit ſeine Grenzen
in der Religion, im Glauhen ſelbſt habe. So namentlich der Liberalismus
und der Raditalismus des Liberalismus. Ich ſagte „bis dahin klar“, näm-
lich nicht ſich klar, ſondern überhaupt klar, d. h. der unbefangene Beobachter
kennt die ganze Tragweite ihrer Gedankenwürfe; die Herren felber meinen, ſchon
bis an den Horizont des Menſchenbewußtſeins zu reichen, weil ſie über dieſe
Grenzen hinaus unſchuldig ſind.

(Fortſetzung ſolgt.)

Deutſchland.

Bruchſal, 16. Juni. Mit großer Freude theile ich Ihnen die Nach-
richt von einer biedern Thaͤt wackerer Landleute mit. Die Bewohner mehrerer
Gemeinden des Hanauer Ländchens, namentlich der Gemeinden Lichtenau, Helmz
lingen, Memprechtshafen und Mukenſchopf ſandten heute einen großen Voͤrrath
von leinenen Kleidungsſtocken, mehr denn 100 Hemden, eine große Auzahl-
Strümpfe, Socken, Taſchentücher, Weſten, Röcke und Hoſen hierher, damit ſoͤlche
an die bedürftigſten der hieſigen politiſchen Gefangench vertheilt und dieſen bei
der drückenden Sommerhitze durch friſche Kleidung erquickende Labſal bereitet
werde.





Dank, tauſend Dank den wackeren Gehern, dexen Herz noch waxm ſchlägt
für das Unglück der axmen Gefangenen. Wie ſchön ſteht ihre edle That und
menſchliche Geſinnung da neben der potitiſchen — und der beſitzgieri-
gen Gefühlloſigkeit des ſtädtiſchen Spießbürgerthums! Ihnen, den wackeren
Hanauer Landleuten bangte es yicht, alg der Gedanke der Freiheit die Welt
puxchzuckte; fie fuhren nicht ängſtlich nach dex Tafhe, als man auch SGerechtig-
keit für die Beſitzloſen verlangte; ihx richtiger un? natürlichex Sinn jagte ihnen,
daß Zie erobernde Größe und Freiheit des Vaterlandes nicht das Vexrdexben
der Einzelnen mit ſich führen könne. Darmn ſind aber auch die unglücklichen
Bewohner des penſylvaniſchen Hauſes ihnen keine „Hochverräther!, wie ſie, vor
Urtheil und Recht, herzloſe Geſinnung willig bezeichnet, ſondern ſie ſehen in ih-
nen nur die bedauernswerthen Opfer der gemeinſamen Sache der Freiheit,
denen vor Allen Rückſichten der Menſchlichkeit gebühren!

Dank nochmals Euerer wackeren That, Anerkennung Euerer biederen Ge-

ſinnung!
5* Müllheim, 16. Juni. Im 5 Wahl-Bezirk, (Müllheim,
Schönau 26.) iſt der von Ibſtein vorgeſchlagene (?) Candidat Goͤttſchalk zum Ab-
ordneten iu die Nationalverſammlung erwaͤhlt woͤrden.

Frankfurt, 16. Juni. So eben verbreitet ſich das Gexücht, daß
Trieſt, ungeachtet der energiſchen Moteſtation ſämmtlicher Conſuln der verz
ſchiedenen fremden Staaten, von der fardinijchen Flotte angegriffen und be-
ſchoſſen worden ſey. Morgen das Naͤhere.

O München, 13. Juni. Die republikaniſchen Ideen finden mmer mehr
Anklans unter dem Volke, und bei einein großen Thelte deffelben ſchwindet die
als Tradition, als Ammenmährchen zu betkachtende Anhäuglichkeit an das „an-
geſtammte Fürſtenhaus. Nur der Broße, der Bourgeois! wiederſetzt ſich die-
ſer republikaniſchen Geſinnung, fa er verfolgt dieſelbe jetzt um fa heftiger, weil
man ihm weiß gemacht hat, daß dreihunderk der angeſehenſten Familien Oeſter-
reichs nach München überſiedeln wollen, wenn München ſo ruhig bleibe, wie
hisher, wenn es alſo nur hie und da dem Könige und den Behoͤrden die Fen-
ſter einwirſt, gleich darauf aber dem Erſteren wieder ein rührendes Lebehoch,
einen Fakelzug bringt, und nachdem es die Krone und ihr Anſehen in den.
Staub getreten hat, derſelben zu Ehren eine Illumination veranſtaltet und je-
dem, der nicht beleuchtet, mit dem Einwerfen der Fenſter droht. Dreihundert
dex erſten, angeſehenſten adeligen Familien Oeſterreichs nach München! Welch
beſſere Lockſpeiſe kann es für den Lokalpatriotismus des Brotzen geben? Die
Häuſer werden wieder im Preiſe ſteigen, die Gewexbe beſchaͤftigter werden, kuͤrz
Alles wird wieder blühen! Darum los auf die Nepulikaner, die den Unter-,
gang der Stadt, wollen! Der Bretze, der keinen beſondern Muth paͤt, und in
dieſer Angelegenheit niemand vorzuſchieben weiß, muß indeſſen mit dem Los-
ſchlagen einhalten, und wird aller Wahrſcheiulichkeit nach nicht dazu koͤnimen.

Der König befindet ſich in finanzieller Notſ. Sein Herr apa, Exkönig
Ludwig, hat ſich von ſeiner Civilliſte für das Etatsjahr 184748 zur Zeit ſei!
ner Regierung ſo viel vorſchießen laſſen, daß für die Periode vom. Antritte
ſeiner Regierung bis zu Ende Septenibers d. J. kaum 50,000 fl. verbleiben.
Zwar immerhin eine ſchöne Summe für einige Monate, aber zu wenig für
einen föniglihen Haushalt und für einen Hoffiaat, Dder feines Gleichen fucht.
Der Erkoͤnig klagt gleichfalls über Gelvmangel und verweigert dem Bildhauer
die Bezahlung der bereits punktirten Marmorbloͤcke für Statuen in die nun
nicht zu Staͤnde kommende Befreiungshalle bei Kehlheim, eines der tollſten
Unternehmen des Exkönigs. Der alte Herr wollte jüngſt nach Berchtesgaden,
um dort leichter ſeine geliebte Lola Montez zu ſeben; ſein Herr Sohn waͤt
aber ſo unzart, ihm dieſes zu verbieten und ihm für den Ungehorſamsfall mit
Einziehung ſeiner Apanage von jährlich 500,000 fl. zu droͤhen! Während
Hercules noch am Scheideweg ſtand, war die öſterreichiſche Polizei ſo zuvor-
kommend, das arme 4 aus Salzburg zu verweiſen um ſo das beabſich-
tigte Stelldichein zu vereiteln.

Statt der zu Waſſer gewordenen Adreſſe an Prof. Fallmeraier iſt mun
Line Anſprache an ihn zu Stande gefommen und Vereits mit Hunderten voͤn
Unterſchriften verſchen. Sie iſt inſofern von Bedeutung, als darin den Sen-
dergelüſten der baier. Regierung entſchieden entgegengetrtien wird, und Viele
ſie unterzeichnet haben, die fonft dieſen Sondergclüſten unbedingt Beifall zoͤll-
ten. Ditſe Anſprache iſt folgenden Inhalts:

Oeffentliche Stimmen in Deutfchland haben Baiern beſchuldigt, in der
gegenwärtigen großen Angelegenheit des geineinſautn VBaterlandes ſolche Ab-
fichten zu hegen, welche die wahre Einigung der deutſchen Völker zu hindern
oder Baiern von ihr autzuſchließen verniöchiin. Dem gexechten Unwillen, wo-


zen Ration einen öffentlichen Ausdruck geben. Wir erklären biermit feierlich,
daß wir der deutſchen Nationalſache mit der aufrichtigſten Laterlandsliebe zu-
gethan und jedem Abſonderungeheſtreben gänzlich frem® {ind. Wir halten feſt


Nationalverſammlung das volle Vertrauen, daß ſie ſich dem deutſchen Verfaſ-
ſungswerke zur gemeinſamen Wohlfahrt, Ehre und Freiheit aller deutſchen Völ-


 
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