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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 126 - No. 153 (1. Juni - 30. Juni)
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oierteljährlih 2 M, I0 Fr., im




lag. ——E— —
der: frei einzuſenden.



oſtaufſ






E Das Parlament und die Rebolution

Kuge fagte nach den Barrikadenſiegen in Berlin in der Einleitung zu ſei-
ner — Die Revolution ift gemacht; fegt beginnt dDie Res

orm. Es gab in jenen Tagen eine Menge Männer, felbfi von der äußerften
Wnfen, welche dieſe Meinung theilten. Die, Begeiſterung des Nomentee riß
gelbft die Verftändigften fort, und während die Coyalen auf vie Berfprechungen
de8 Königs vertrauten, glaubten die Andern, daß der entfehtedene Sieg des Bol-
fg über die Soldateska jede militärifhe und pokizeilihe Reaktion unmöglich


Regierungen; die Andern, die Uebelwollenden, die

Hondren Willen der 2*
— Preffe/ hauten den egierungen Feine Kraft zur Re

Maänner der „ſchlechten
aftion mebr 3u.

2 bder andern aͤber aus einem Übertriebenen Selbſtgefuͤhl und einem Vlinden
Bertrauen auf die eigne Kraft hervorging. Diefer Sorglofigfeit iſt 8 ZUzU-
ſchreiben, daß wir in unſern Tagen eine Reattion haben entftehen fehen, welche





ner duͤrſten und Miniſter in füßen Schlummet gewiegt, zwei ſchöne Frühlings-
monaͤte hindurch von Gluͤck, von Frieden und von Freiheit träumte, wird plöt
lich durch Flinien⸗ und Kaͤrtätſchenſchüſſe, denen das unglückliche Potenvolk und
die Mainzer Bürger erliegen, gufgeweckt und ſieht mit Erſtaunen und Entſetzen,


nellen Nedensarten und Landtagsphrafen, der geheimen Inqriſitionsprozeſſe a la
Baͤmbaͤch und Campg , der Ausnahmsmaßregeln und der Polizeiherrſchaft in
weht wie verdoͤppellem Maße, wiedergekehrt ſind. Die Kerker, in welchen
aan fruͤher unſere Weidig's und Jordans hinſiechen und verbluten Heß, ſind



fehnend und hoffend nach den Edelſten ſeiner Männer, nach den Fräftigften
Morkämpfern feiner Freibeit umſieht, ſo zeigt weinend der Patriot nach dem
Muslande hin, wo die Männer unferer Schnſucht und Begeiſterung, verfolgt
Lon den Schergen der Polizei, geſchmäht und verleumder von der cenfurfreien
vreffe in freund» und thatenkofer Berbannung umberirren. ‘ —

Das

Berlin erorbert hai. Wir erwarten, daß auf den Gräbern unſerer Brüder,


Eiche deutſcher Freiheit, die Palme des Friedens aufwachſen würde; wir ſehen
aber nur Cypreffe und Trauerweiden.

x N ®

Doch ich verhalte mich elegiſch während ich eine Kritik ſchteiben wollte.


dern 7 Gefuͤhl und Leidenſchaft in die —774 — Wenn die Tragweite
unſerer Gedanken größer iſt, als die der Ereigniſſe, ſo erwecken in uns dieje-
nigen Begebenheiten und Zuſtände, welche wir für die Gegenwart haſſen, bekla-
gen, ja verabſcheuen, für die Zukunft Hoffnung und Freudt. Es iſt, wie jeder
einfihtsvolle Arzt weiß, nothwendig, daß jeder Krankheitsſtoff, der im Körper
des Menſchen liegt, an die Oberflaͤche hinausgetrieben werde, damit man die
Kraukheit erkennen und heilen könne. Aus dieſem Geſchichtspunkt betrachtet,
müſſen wir die allzuſchnelle und unvorſichtige Reaktion niit Freude und Dank
begrüßen, denn der größere Fehler unſerer Feinde macht unſern großen Fehler
wieder gut. Die groͤßte Krankheit des deutſchen Volkes, das Vertrauen auf
ſeine Fuͤrſten, iſt, glaube ich, in den letzten Tagen gründlich geheilt und dieſe
Heilung, dieſe Radikalkur iſt die groͤßtt, ja die einzige Wohlthat, was das
deutſche Volk von ſeinen Regierungen erhalten hat.

Wir müſſen uns zu der Einſicht entſchließen, daß wir erſt am Anfang der-
ſenigen Ereigniſſe und Ummwälzungen ſtehen, deren Ende wir ſchon zur Zeit des
Vorparlamentes feiern zu können glaubten. Eine folche Einſicht kann nur Klar-



ein ſolches





des Siſyphos/ welcher die ſteinerne Laſt der Vergangenheit auf den Berg der


Marmor // herunterrollen fieht. Die Janusköpfe mit den Doppelgeſichtern, welche
zur ſelben Zeit in die Vergangenheit und Zukunft blicken, haͤben von je her



ſelben Gelächter verfallen, mit welchem man die Prahlereien eines Fallſtaff und


der Freiheit muß ſich zu fauſtiſcher Entſchiedenheit enlſchließen und auch für ſich
die Worie des Dichters in Anſpruch 2* * —
In's hobe Meer werd ich hinausgewieſen;
Die Spiegelfluth erglänzt zu meinen Füßen;
Zu neuen Üfern loct ein neuer Tag.

Agnif und Zuſtände ſo gründlich verwirrt und verwickelt, daß nur das Schwert
eines Aleranders den goͤrdiſchen Lnoten löſen kaun. In Italien beſiegt man
Dynaſtien und ſtiflet Repuͤbliken; die neueſte Theilung volens und del














dauer des preußiſchen Soldatenregimentes unmöglich, die Monarchit in Oeſter-
reich iſt durch die Flucht des Kaifers und die neuͤeſten Barrikaden in Wien ebenfo
gründlich geſtürzt, wie der Thron Louis XVI. nach der Flucht nach Vinee
die friedliche Politik Lamartin’s ſtirbt an der Polenfrage und an der
gewordenen Aufhebung der Nationalwerkſtätten; Krieg waͤchſt in
den Europa's, wenn auch der Zaar in Petersburg mit ſeinen
den zu Hauſe bleihen ſollte und die Chartiſtenbewegung in Eng









werden für uns {n gedoppeltem Maße wiederlehren, und
ſich verhehien, daß der Boden aller unſerer beſtehenden Zuſtände unterwühlt iſt,
und wit auf einein Bulkane ſtehen, deſſen Ausbruch wir ſchon nach Tagen, ja
ſaſt na Stunden voraus beftimmen fönnen. —
Wir wollen hier eine Frage nicht unterdruͤcken oder verſchleiern zu deren
Aufſtellung und Beantwortung mir uns berechtigt halten Wie betragen
fich die Vertreter des deutfchen Voltes diefen großartigen Er
etgniffen gegenüber? Auf dieſe große Frage lann man nur eine Meine
Autwort geben. Während in Wien die Flucht des Kaiſers und in Berlin die
Nucktehr des Prinzen von Preußen neue Barrikaden errichtet, haben die Ver-
treter der Nation nichts Anderes zu thun, als über das Reglement zu be-
rathen. Während die Reaetion in Mainz mit merkwürdiger Entſchiedenheit die
chenden Geſetze entwaffneten Bürger ven be-
4a8l










_ ‚ ißt, gebt die eonſtituirende Berjamm
wicche ſich für fouverän erllärt hat, welcht durch den Sieg deutfcher
über bie Deeußifge Solbatesfa cı möglih geworben i, mit unerhört
g%iftigfc&_;gut Tagesordnung uͤber Sechs Tage nach dem Zufa















Nativnalverfammlung hat das Frankfurter Polizeiamt, bedrodht
durch einige reiche Bourgeois, die Frechheit, deuiſche Staatsbür
frefen Stabt Fraͤnkfurt zu verweifen. Die Nationalverſa .
Parlament, wie ſich ditfes Revolutionstribunal C!) lieber



Hand Kegt, daͤß durch die Willführ des Frankfurter Poltzeiamtes,

der Auſicht der Frankfurter Spießbürger - Politit fhreiben, aus der
ſen Fann, der freien Preſſe gerade an dem Sitze des deutſchen Parl
Empändlichfe. Stoß verfekt MWie hat-aber die Hohe con
ſammlung Zeit; ſich um Preßfreiheit, um die Rechte und die Freiheit deu
Bürger zu kümmern? Es muß fa erſt das Reglement berathen, dann
deutſchen Fuͤrſten ihre Civilliſten und Apanagen feſtſetzen und endlich
deutſchen Kaiſer wählen! Das lumpige Volk, diefer Haufen von Handwer



achlet werden vom ſouͤveraͤnen Paͤrlamente, von fenem neuen Herrſcher von
Goͤttes Gnaden, der in den Wolken abſoluter Gelehrſamkeit ſitzt und keinem

andern Herren dient, als ſeinem neu erfundenen Gögen, der Tagesordnung. -
Und was war denn bisher an der Tagesordnung? Hat das Parlament it

gend ein Recht des deutſchen Bolkes feſtgeſtellt, irgend eine Freiheit garantirt,
ſrgend eine Confequenz aus dex RNevolution gezogen, durch welche e& defche
woͤrden iſt? Iſt durch das Parlament in den fünfzehn kangen traurigen






aſt vom Nacken des müden, des erſchöpften Voltes hinweggenommen? Hat
das Parlament, die Vertretung des deutſchen Volkes, auch nur das Gerinßſte

beſchloſſen gegen die deutſchen Fürſten, welche in den Tagen des März fogut,








Die Antwort iſt ein trauriges, ein herzzerreißendes Nein, ein tkleints W


von Reden, die in der Paulskirche gehalten worden ſind. *
Wenn wir die Wirkſamkeit der Nationalverſammlung mit den Erwartun-

gen und Hoffnungen vergleichen, mit der das deutſche Voͤll ſein Parlament be-
‚ grüßte, ſo haben wir Gelegenheit, Bemerlungen zu machen, welche uns das
Verſtändniß der nächſten Zukunft ſehr erleichtern. Die angefangene Revolution
wurde in den erſten Tagen des Maͤrzmonates nur ducch die Hoffnung auf dae
Parlameut unterbrochen Das deutfche Volt glagbte in ſeiner Mehrzahl die
Entwickelung ſeiner Freiheit auf geſetzlichem Wegt geſichert, und legie deßhalb
die Waffen nieder. Die Ungerechtigleiten und Erbaͤrmlichkeiten der beſtehenden
ſocialen und politiſchen Verhältniſſe duldete man mit Großmuth ſolange, bis
daß das deutſche Parlament auf ruhigem geſetzlichen Wege neue, freie Staats-
formen ſchaffen würde. Die republikaniſche Schilderhebung von Hecker und
Wiruve namentlich iſt nur an dem Vertrauen, welches das baͤdiſchẽ Volt auf
das Parlament ſetzte, geſcheitert. Die guten Leute glaubten, das Parlament
würde die einzigvernünftige und für die Zukunft mögliche Staatsform, die Re-
publik ſchaffen, und es wäre deßhalb kein Kampf nothwendig. Die badiſchen
Parlamentswahlen haben bewieſen, daß dieſe Auffaſſung der politiſchen Stim-
mung im Großherzogthum Baden die einzig richtige iſt * 2
Aehnlich verhaͤlt ſich die Sache in Heſſen. Naſſau, Rheinbaiern, in der preuß
— in Berlin, ja faſt in ganz Deutſchland. Die Urſachen, daß die
Wahlen in den meiſten Gegenden nicht in dieſem Sinne ausgefallen ſind, liegt
an dem trügeriſchen Doppelwahlſyſten, wodurch im größten Theile von Deutſch-
land die wahre Stimmung des Volkes unterdrückt oder verfälſcht wurde
Die Unternehmungen der Republikaner im Großherzogthum Baden
durch den geheimen Bundestagsbeſchluß vom 4. Mai, durch den
Reichsverfaſſung ver ſiebenzehn Vertrauensmänner und vor All















den politiſchen Ueberzeugungen des deuiſchen Volkes genügt hätte, ſo we
allerdings berechtigt, Hecker wegen ſeiner Voreiligleit zu tadeln. Jetz
da man ſieht, daß jeder friedliche, geſetzliche Weg, auf dem das deutfche Volt
zu lang vermißten Rechten und lang erfehnter Freiheit gelangen könnie, ver-
ſchloſſen iſt, wird man nicht nur den Muth und die Euͤtfchloͤſſenyeit Heder’s,




 
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