1848.
No.
A6. Sitzung der konſt. Nationalverſammlung.
Montag, den 24. Juli 1848.
Eröffnung der Sitzung erſt nach „I0 Uhr. Das Protokoll vom 22. wird
vorgeleſen und genehmigt. Bom 7.—22, Juli ſind 6525 fl. eingegangen, im
Ganzen bis dahin 27,751 fl. 47 kr., ſo wie höchſt bedeutende Beiträge an
Kohlen und Eiſen.
Reichsminiſter v. Schmexling bringt zur Kenntniß der Verſammlung,
daß nach einer Depeſche des General Wrangel der Waffenſtillſtand, der die
Runde durch alle Zeitungen gemacht, nicht abgeſchloſſen fer (Beifall), das Reichs-
miniſterium aber entſchloſſen ſei, die nöthigen Streitkräfte aufzubieten, um den
Krieg mit Dänemark energifch fortzuſetzen und zu Ende zu hringen.
Wegen der Blokade von Trieſt ſei eine determinirte Aufforderung an die
ſardiniſche Regierung ergangen, dieſelbe zu beendigen,,
Zlur Tagezordnung übergehend, läßt der Präfident eine Eingabe der
Poſener Abgeordneten zur conſtituirenden Verſammlung Preußens an die Na-
tionalverſammlung verleſen, welche ſich gegen die vorzenommene Theilung des
Großherzogthums Poſen und Einverleibung eines Theils in den deutſchen
Bund ausſprechen, und gegen jede Entſcheidung ihrer Angelegenheiten, die
xicht von den Vertretern des Landes im Verein mit der vkrfaſſungsmäßigen
Regierung ausgehen, proteſtiren. Zu dem Bericht ſind 12 Anträge eingegan-
gen, welche ebenfalls verleſen werden.
Ruge ſtellt den Antrag, daß die vorläufig zugelaſſenen Abgeordneten ſich
der Theihnahme an der Verhandlung wie an der Äbſtimmung über die gegeu-
wärtige Frage zu enthalten hätten.
Fürſt Lichnoweky widerſpricht.
Kerſt (aus Poſen) poltert eine Rede heraus, in welcher er für die Poſe-
ner Deutſchen Gehör in dieſer Sache fordert.
Schaffrath unterftüßt Ruge, widerſpricht der Anſicht, daß die Deutſchen
in Polen ſtaatsrechtlich zu Deutſchland gehören, und bezieht ſich auf den Brauch
aller parlamentariſchen Verſammlungen, ſogar auf den des Bundestags: dieje-
nigen Abgeordneten, welche perſönlich bei einer verhandelten Angelegenheit be-
theiligt ſind, von den Verhandlungen darüber auszuſchließen. Naͤch einer län-
geren Discuſſion über die Frageſtellung entſcheidet ſich die Majorität der Ver-
ſammlung dahin, die anweſenden Pofenſchen Deputitten bei der Verhandlung
über die vorliegenden Fragen zuzulaſſen, worauf dieſe Deputirten erklären, daß
ſie ſich der Abſtimmung freiwillig enthalten würden; nichtsdeſtoweniger ſtellt
Präſident die Frage, ob ſie auch zur Abſtimmung zuzulaffen — ſie wird
verneint.
Präſident vermuthet — ohne allen Grund — er ſei mißverſtanden wor-
den und, obſchon kein Abgeoxdneter ſich auf ein Mißverſtänduiß beruft, macht
ſich das eigeymächtige Vergnügen, noch einmal abſtimmen zu laſſen, ja er geyt.
in ſeiner Willkürlichkeit ſo weit, eine ganz andere Frageſtellung vorzuſchlagen,
zu der ſich aber die Betheiligten nicht verſtehen. Wohl aber verſtehen die Cenz
tren den Wink des Präſidenten, und erheben ſich in großer Anzahl, doch bleibt
das Reſultat zweifelhaft, eben ſo das der Gegenproͤbe; die Stimmen werden
gezählt, eine Majorität von 52 Stimmen macht den Plan des Präſidenten zu
nichte; die Nichtzulaſſung wird mit 234 gegen 182 Stimmen entſchieden.
Der Berichterſtalter Stenzel pevorwortet den Bericht und feine eigene
Unparteilichkeit. Polen ſoll nach ihm aus zwei Nationen beſtehen, aus dem
Adel, der eigentlichen Nation, neben den faſt rechtloſen Bauern und den Städte-
dewohnern, welche, da das Städteweſen den Polen fremd ſei, rein deutſcher
Entſtehung wären. Lange hiſtoriſche Vorleſung, die endlich Yrafident mit
der Bemerkung unterbricht, daß eine Kritik der polniſchen Geſchichte nicht hier-
her gehöre. *
Göden (aus Poſen) will, daß man erſt den deutſchen Brüdern und dann
den Fremden gerecht werde, und daß man im Oſten das ſühne, was im Suͤd—
rung der Polen und Deutſchen in Poſen hervorgerufen. Bald aber hätten jene
ſchen Nationalitäten entſtanden, deſſen Grauſamkeit, namentlich das Schießen
Shrapnells — er damit entſchuldigt, daß man im Kriege nicht — mit Boͤn—
bons werfe (oh! obl). Aus dem Siege ur dieſem Kampfe, aus der deutſchen
Abſtammung folgert er das Recht der Deutſchen in Pofcn, zu Deutſchland ge-
zogen zu werden.
Senff, auch ein Poſener, ſtrengt ſich vergebens an, ſeine Stimme über
abfolute Unhörbarkeit hinaus zu ſteigekn. — Nachdem er geendet, bemerkte eine
Stimme, er habe ſich als Sprecher gegen den Antrag einzuichnen laſſen und
dafür geſprochen. *
Blum mahnt daran, nicht zu vergeſſen, wie Polen Jahrhunderte lang
der Wall gegen nordiſche Barhareigeweſen, wie viel ihm Deutfchland dafür zu danken
habe, wie viel es ihm zu danken habe für die gaſtliche Aufnahme vieler Einwanderer,
die dort ſeit Jahrhuͤnderten gefunden, was manın Deutſchland noch jetzt nicht habe, volle
Gewiſſensfreiheit, die ſogar den überall ausgeſtoßenen Juden ein ſicheres Aſyl gewährt
habe (Beifall). Das polniſche Volt ſei ſeir 80 Japren zerriſſen und gekuebelt, und.
Deutſchland habe dazu reichlich beigetragen. Wer das polniſche Volt in den Koth
getreten, dürfte ihm nicht vorwerflu, es iet ſchmutzig.
moralifirt und von Stufe zu Stufe geſunken ſein,
Deutſchland eine heilige Schuͤld, es wieder zu heben.
habe durch jeine damaligen einzigen Vertietet, das müffe jetzt das Voſt wieder
ſühnen. Der Redner fuͤhrt einige Aeußerungen des Altern v. Gagern über die
Theilung Polens an, um zu zelgen, wie Deutſchland zur Sühne des Unrechts
gegen Polen verpflichtet ſei (Beifall). Nichts fei bis jetzt zu dieſer Sühne ge-
ſchehen. Von der Jetztzeit hätten die Polen auch die Wiedergeburt ihres Vater-
landes erwaͤrtet, man möge ihre Handlungen beurtheilen, wie man wolle, ein
aber um ſo meyr ſei es für.
Was einſt das Volk geſündigt
{
edler Trieb habe ſie, das müſſe jeder anerkennen, dazu getrieben. Man möge
das territoriale oder nationale Prinzip anwenden, die Durchſchneidung Poſens
ſtehe im Widerſpruch mit den Beſchlüſſen über Schleswig, Böhmen, Ztalien
u. ſ. w. Ja er gehe noch weiter. Konſequenz der Durchſchneidung Poſens ſei
es, auch die Oſtſeeprovinzen von Rußland, Elſaß von Frankreich zuͤ reklauti-
ren, das ja gar unter dem Joche einer Republik ſchmachte. Eauter Beifall.)
Der Bericht enthalte keine einzige Thaiſache, aus welcher die Nothwendig-
keit hervorgehe, deren Möglichkeit er anerfennen wolle, daß Polen ſeiner Be-
freiung wegen ein Stück voͤn ſeinem Grund und Boven an Deutſchland abtre-
ten müſſe. Wollte man aber auch dieſe Nothwendigkeit annehmen, ſo fehle doch
darin jeder Beweis, jede Begründung, waͤruin die vorgeſchlagene Demareations-
linie gerade ſo, wie ſie vorgeſchlagen, gezogen werden ſolle. Die Verſammlung
ſolle ſie, ohne einen Grund dafür gehoͤrt zu haben, in Bauſch und Bogen gut-
heißen, und er begreife nicht, wie ein ſolcher Bericht der Nationalverſammlung
habe gorgelegt werden können. Wer die Zheilung Polens fordere, der fordere
jene Nation, von der die Bewegung der Freiheit ausgegangen, auf, ihr Wort
zu löſen, das ſie gegeben habe: Polen wieder herzuſtellen, ſei es auch mit der
unglücklichen, widerſtandsloſen Polen wende man dasfelbe zu, was man Ruß-
land und Frankreich zuwende, weil ſie ſtark ſeien; man handle nicht übermüthig
zu. Deshalb beantragt er, daß durch die Centraigewalt eine neue, unpartetiſcht
Unterſuchung der Sache vorgenommen werde. Er ſchließt mit einer Stelle aus
einem Briefe der Maria Thereſia, daß ſie ſich ſehen zu laſſen ſchäme in einer
Zeit, wo um ein elendes Stück von Polen die Ehre und Reputation Deutſch-
lands in die Schanze geſchlagen worden. (Lauter Beifall.)
Jordan, deducirt die Anſprüche Deutſchlands auf den Netze-Diſtrikt re.
aus der Geſchichte und aus der Naͤtionalität der Bewohner, und erklärt den,
ſtehen, unter eine polniſche Regierung zu ſtellen beabſichtigen, „mindeſtens für
einen unbewußten Volksverrätßer.“ Ja ſogar das Bedürfniß Deuiſchlands
führt er als Grund dafür an, jene Diſtrikte in Beſitz zu nehmen! Er bezwei-
felt, daß Polen einen Wall gegen Rußland bilden werde, ſieht vielmehr darin
einen natürlichen Bundesgenöſfen Rußlands, und geht ſo weit zu bebaupten,
die deutſchen Polenfreunde verlangten nichts dringender, als daß Deutſchland
um Polens willen einen Krieg mit Rußland beginnen ſollte. (Zuruf: Iſt
ſo dürfe man nicht die eigene Würde und Selbſtſtändigkeit vergeſſen; diẽ Polilit,
welche die Befreiung Polens um jeden Preis fordere, ſei eine kurzſichtige, eine
furchtſame Politik der Feigheit. Die ſogenannte Gerechtigkejt anlangend, ſo
ſtehe Deutſchland das Recht des Stärkeren, das Recht der Eroberung zu! Wolle
man Poſen zurückgeben an die Polen, ſo müſſe man Deutſchland bis an die
Havel zurückgeben an die Slaven. (An welche denn?) Die Theilung Polens
das Lob der Quelle, aus der ſeine Reden entſprungen, auf das Lob — des Preuſ-
ſenthums, ſo daß es Mühe koſtete, ſich vor der Illuſion zu bewahren, man
höre Herrn v. Vincke ſprechen.
Ihm widerlegt Vogt. Der Bericht und die bisherigen Reden hätten ſich
nur im Allgemeinen gehalten. Thatſachen, auf welche hin man ſich für das ım
aber Thatſachen überhaupt nicht, oder nicht mit der gehörigen Klarheit vorgebracht
werden, ſo müſſe er um ſo mehr ſich dem Antrage auf 'eine nochmalige Unter-
luchung der Sache durch die Eentralgewalt anſchiießen. Man habe den Polen
den Vorwurf gemacht, daß ſie nicht Beamtenſtellen übernommen hätten; wenn
e8 ahex ein Vorwurf ſei, ſich nicht zum Werkzeug derer herzugeben, die man
für ſeine Unterdrücker anſehe, fo möge die polniſche Nation dieſen Vorwurf
pinnehmen. (Beifall) Die gerühmten Vorzüge der preußiſchen Herrſchaft vor
der früheren polniſchen träten in ein anderes Licht, wenn man bedenke, daß
in dex früheren Zeit jene Vorzüge auch in Deutſchland und Preußen nicht exi-
ſtirt hätten, auch dort ſei vor der erſten franzöſiſchen Revolutibn eben fo wenig
(Großer Beifall.) Es ſei Politik aller Unter-
drücker geweſen, ſich als Wohlthäter, die Unterdkückten alg Undankbare darzu-
ſtellen. ; .
Die Demarkationslinie könne er gar nicht beurtheilen, die Verſammlung
eben ſo wenig. Niemand wiſſe hier, wo die Grenze zwiſchen dem polniſchen
und deutſchen Elemente ſei. Auf den Vorwurf, man habe ſich von der deut-
ſchen Bevölkerung Poſens losſagen wollen, bemerkt er, daß es Niemanden ein-
gefallen, ſich von einer rein deutſchen Bevölkerung irgend eines Laͤndes loszu-
jagen. Man habe den Wunſch nach Befreiung Polcus eine politiſche Salti-
mentalität genannt; nun ſeien Preußens Verdienſte um dte Befreiung des Volks
vom Adel ſo ſehr gerüymt worden; er habe nicht gewußt, daß zu den Vor-
würfen, die man Preußen mache, auch noch der der poluiſchen Scutimentalität
fomme, Was gegen die Barbarei Rußlands geſagt worden, habe niemals dem
Volke gegolten, ſondern der ruſſiſchen Despolie. (Bravo!) Wir würden die
Erſten ſein, die dem ruſſiſchen Volke die Hände reichen (Bravo!), dabei aber
auch die Erſten, die der ruſſiſchen Tyrannei entgegentreten (Bravbh), aber wir
werden uns nie des Mittels bedienen, das hier angewendet wurde! Polenhaß
zu predigen, weil man keinen Haß gegen Rußland wolle. (Rauſchender Beifall.)
Wenn es wahr ſei, daß der polniſche Bauer von der Knute ſeines Herrü
befreit worden ſei, ſo ſei die Demarkationslinie nur eine halbe Maßregel, Preuſ-
ſen hätte ganz Polen von der Knute befreien ſollen, jerſeits und diẽſſeits jener
Linie (Beifall). Frankreich gegenüber wolle er auch die Selbſtſtändigkeit Deutſch-
lands gewahrt haben; aber ein Anderes ſei es, dieſe Selbſtſtändigkeit im wohl-
überlegten Kampfe vertreten, ein Anderes, ſich unüberlegt in einen Kries ſtür-
zen. Dieſe ſei zu ermitteln durch Belehrung über die Sachen; ſei das Schwert
einmal gezogen, ſo ſei es zu dieſer Belchrung zu pät. ;
Er ſpricht den Wunſch aus, daß das Raichsminiſterium, welches durch den
glücklichen Umſtand, daß der Miniſter des Auswärtigen früher an der Spitze