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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 287 - No. 313 (1. Dezember - 31. Dezember)
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— 8t 8—
































1848.





No. 292





[2!] Die Verſammlung in Braudenbnrg.

o hätte Friedrich Wilhelm demnach ſeinen Zweck erreicht, und, die Natio-
— — — — gebracht; der,i Berlin 4
Theil hat ſich in ſeiner Mehrzahl nach langem Sträuben gefügt; der Präſident
“Unruh ruft die Säumigen zuſammen und e$ unterliegt Leinem Zweifel mehr,
daß nach Ablauf der letzten Vertagung am 7. Dezember die Verhandlungen in
Brandenburg beginnen werden; nuͤr wenige dex Abgeordneten beharren feſt auf
ihrem frühern Entſchluß, uyd gchen nicht nach Brandenburg. Man muß al-
lerdings geſtehen, die Verhältniſſe in Preußen hatten ſich in den letzten Tagen
ſo geſtaltet, daß den noch in Berlin befindlichen Abgeordneten nur die Waͤhl
übrig blieb, ſich entweder zur Unthäligkeit »erdammt, zu ſehen „oder unter den
Willen des Königs zu beugen; der Zeitpuns „ in welchem ſie eine revolutionäre
Rolle ſpielen konnten, war unbenußt vorlibergefirichen. Wir glauben gerne,
daß Mancher bei diefem „Entweder — Oder“ mit ſichüber die Entſchcidung gefiritten
haͤt; es mochte gefährlich ſcheinen dex Verſammlung zu Brandenburg die aller
Vermuthung nach doch bis zur Beſchlußfähigkeit hinaufgetrieben worden wäre,
die Leitung der Geſchäfte allein in den Händen zu laſſen und dem Lande damit

zu Stande zu kommen drohte. —

Dieſe Rückfichten, die wenigſtens immerhin bei dem auf Unruh's Ruf nach
Brandenburg übergeſiedelten oder noch übexſicdelnden Theile der Natioualver-
ſammlung einen guͤten Willen vorausſetzen laſſen, ſind wohl im Stande, unſer
Urtheil in mancher Bezichung zu mildern, allein zu billigen vermögen wir den
Schritt nicht; er iſt jedenfalls eine Unmännlichkeit. Man denke ſich nur den

nicht nach Brandenburg zu gehen; und nun kommt die Verſammlung ohne ſie
zu Stande; da plötzlich iſt der Starrſinn gebrochen; und eines ſchönen Mor-
gens ſchleicht ſich Einer nach dem Andern, geſenkten Hauptes, während der
Sitzuns in die Domkirche zu Brandenburg hinein und fucht ſich in den Reigen
der Verſammelten ſeinen Platz auf. Die „widerſpenſtigen“ Mitglieder der Na-

ſie haben den Koͤnig einen Sieg feiern laſſen, wie ihn manchmal der Lehrer
über ſeine halsſtarrigen Schuljungen davonträgt. — Das Recht der Verlegang
war dem Könige durch die Nationalverſammlung abgeſprochen worden; die Ber-

Vermochte die Nationalverſammlung nicht, den ungeſetzlichen Schritt des

und zugleich ihre Mitwirkung zur Fortſetzung einer begangenen Ungeſetzlichkeit
anzubichen; es konnte ihr nichts übrig bleiben, mochten auch die Folgen ſein,
welche ſie wollten — alg den König und die Verſammlung zu Brand enburg
ihre Rolle durchſpielen zu laſſen und die Wahrung der Freiheit, die
Abwehr königlicher Unterdrückungsverſuche der Selbſthülfe des Volkes anheim-
zuſtellen. Die zurückgebliebene rechtmäßige Nationalverſammlung hätte ſich dann
immer noch das Andenken des Volkes erhalten und wäre für basſelbe bei den

zublaſen drohte, eine wirkſame Stütze geweſen; ihre Bedeutſamkeitl verſchwin-
det jetzt mehr oder minder; dem Könige iſt durch die wirkliche Majorität der
Nationalverſammlung ſeine Ungeſetzlichkeit beſtätigt; er „vereinbart“ auf unge-
ſetzlichem Grunde wiedex mit einer wirklichen geſetzlichen Nationalverfammlung;
er kann alſo nunmehr fortfahren, unter geſetzlichen Formen dem Abſolutismus
ein neues Stück Volksfreiheit zu erobern.
Wir ſehen alſo, die gegen ihren eigenen Beſchluß nach Brandenburg ge-

nicht, daß ihre dortige Wirkſamkeit für die weitere Entwicklung des Kampfes

ſprießlichkeit ſein kann ; allein ſie werden uns nur dann mit ſich über ahren Schritt
verſöbnen können, wenn ſie durch eine unerſchütterliche Haltung beweiſen, daß
ſie unter allen Fällen den Widerſtand des Volkes gegen jegliche Uebergriffe
königlicher Willkür unterſtützen, und vor dem möglichen Ausgang des Conflik-
tes keine Scheu tragen. — ;

Deutſchland.
Mannheimi, im Dezember. Die berühmte Weinheimer Unterſuchung

indem das Amt Weinheim, das den Karren verfehob, weil es durchaus ein
politiſches Kind an das Tageslicht bringen wollte, die Unterſuchung nach Frei-
burg überwaͤlzen will, während das dortige politiſche Unterſuchungsgericht die-
ſes Kind als ihm gehörig nicht anerkennen will. So ſtreiten ſich Die Richter
um die armen Angeſchuldigten, ja zum Theil erwieſenermaßen unſchuldig In-
haftirten; ſie müffen ſitzen, bis dieſer unſelige Streit geſchlichtet iſt, ganz nach dem
alten Liede:„Si delirant reges, pleetuutur Achiti! Das iſt die gute „Badi-
ſche“ Juſtiz?
— SS Sinsheim, 5. Dez Dieſer Tage wurden zwei neue Gemeinderaths-
wohnerſchaft freudig begrüßt wurde. Gewählt wurden der gewefene Gemeinde-
rath, Müllermeiſter Laubinger, ein freiſinniger, ehrenhafter Bürger, und an

perſoͤnlichen Verhältniffen — der Baſſermann-Malhyſſchen Schule angehört,




Schönfärber Speiſer, ein biederer, grundbravex und konſequenter Charakter und
ein Mann des entſchiedenen Fortſchritts — er ſaß auch über 100 Tage als politt-
ſcher Gefangener in Folge des Oſtermontagszugs nach Heidelberg. Wenn gleich



die Wahl des Neugewählten nicht ohne größere Thätigkeit ſeiner politiſchen
Freunde durchging — denn ſein Vorgänger war 22 Jahre Mitglied des Ge-
inderaths * liefert ſie immerhin den Beweis, wie weit die politiſche
Mündigkeit der hieſigen Bürgerſchaft gediehen iſt, und wie wenig das „glaubens-
brüchige Syſtem“ unſeres Abgeordneten Baſſerinann und Conſorten bei derſelben
Anthang und Beherzigung findet. Herr Baffermann , der wadere VBolfsmann
ſelig, dieſes neugebadfene Hofmänuͤchen mit dem Diplomatengeſichtchen und
dem hohlen Herzen, dürfte nur eine Rundreiſe zu den Urwählern ſeines
Bezirks machen, um die Anſichten derſelben über ſeine jetzige Perſönlich-
keit zu erfahren und er würde ſicherlich keine Wünſche und Aufträge wie ehe-
dem von ihnen entgegennehmen.

I0O ſagte, zu ſeinen Urwäblern möchte er ſich begeben — denn von ſei-
nen Wahlmaͤnnern wird ſchwerlich eine Mandatskündigung wie ſolche ſchon
zweimal projektirt war, in entſchiedener Mehrheit zu erzielen fein, da ſich unter


liſche, recht- und geſetzloſe Verfahren dieſes Blutmenſchen und Soldatenherrſchers
gut heißen; ſodann aber auch, weil die Landorte noch wanchen Wahlmann zäh-
len, der einen ſtarken Glauben an die verzwickte, armſelige Politik eines Aftet-
blätichens, des ſogenannten Landboten hat, das wöchenilich zweimal „zur Be-
lehrung und Aufklärung des Landvolks“ (?) erſcheini, und das ſich das ſchönſte
Armuthezeugniß ſeiner Befähigung dadurch ausſtellt, daß es ſeine Spalten
rcaktionären Flugblättern, pietiſtiſchen Salbadereien und — der deutſchen Zei-
tung entlehnten oder derſelben nachfabrizirten Artikelchen und Mittheilungen
oͤffnet. — Eine conſtituirende Kammer in Baden — und unfer Waͤhl-
bezirk wird den Beweis ſeiner politiſchen Reife liefern, wie die hieſige ehren-


Von der Bergſtraße, 1. Dez. Von den Städten Badens, welche
durch die, vox einer leidenſchaftlichen Ruckſchrittspartei gekemmten Foriſchritts-
bewegungen, in Elend geſtürzt ſind, nimmt leider auch Weinheim eine hervor-
ragende Stelle tin. Die Demolirung eines Stückes der Eiſenbahn daſelöſt gab
der Behörde eine ſicher nicht unerwünſchte Gelegenheit, diejenigen Männer der
Stadt gefänglich einzuzichen, zu deren Verhaftuͤng ſie ſchon länger eine Luſt
verſpürt, bis dahin aber nicht einmal den Schein der Gelegenheit auffinden
fonnte; die Demolirung der Eiſenbahn ſetzte die Regierung in den Stand, tiefe
Wunden einer Stadt zu ſchlagen, welche ſich ihr feit dem März durch muthi-
ges Streben nach Freiheit, befonders aber durch jene bekannte große Bolksver-
So befinden ſich denn ca. 50 Bürger von
dort im Bruchſaler Zellengefängniß, von denen die Mehrzahl Leute ſind, deren
Weiber und Kinder durch Enifernung der Ernährer der bitterften Noih inmitten
der rauheſten Jahreszeit preisgegeben ſind. Die Meiſten beſchuldigte man, le-
diglich um ſich ihrer durch Schloß und Riegel verſichern zu können, Mitwiſſer
der Eiſenbahnbeſchädigung zu fein, auf Ausfagen von den zuerſt Verhafteten,
welche von dem Amtmann beim erſten Verhöre nicht gefraͤgt wurden: Wen
haben Sie dabti geſehen? ſondern: haben Sie nicht den und den dabei geſehen?
Ein Jeder muß aus dieſem einzigen Beiſpiele erfehen, daß der Amtmann ſich
einer unerlaubten Kaptivirung bei Vollziehung ſeiner Pflichlen ſchuldig gemacht
hat. In ſeinem Kopfe war, ſo zu ſagen vorher bereiis eine Proſcriptionsliſte
entworfen Aber was konnte man auch anders von einem Beamten erwarten,
der ſich ſelbſt zur Führung der Unterſuchung erboten, und zwar aus dem Gruͤnde,
weil er durch mehrjährigen Aufenthalt eine gute Lokal» und Perſonalkenntniß
beſitze? Demnach hatte er wohlgerüſtet ſein Geſchäft antreten können. Der
Eifer dieſes Mannes läßt vermuthen, er wolle fo ſchleunig wie möglich ſeine
Karriere noch unter dieſem Regierungsſyſtem? machen. Soͤllte er Eiwas von
einem ahnungsvollen Propheten haben?! Doch mag dem ſein wie ihm wolle!

Die Pflicht einer Regicrung, welcher das Wohl ihrer Burger am Herzen
liegt, iſt es, ſo ſchleunig wie möglich dafür zu ſorgen, daß die Unterſuchung er-
ledigt werde, und die unſchuldigen, durch das Spionir-Syſtem und ſonſtige Maß-
regeln in den Kerker Geworfenen, ihren nothleidenden Familien wiedekgegeben
werden. Sie ſchmachteten bereits feit 2 Monaten hinter dumpfen Mauern;
180 Frauen und Jungfrauen Weinheims gehen die Kammer um baldige Er
ledigung, reſp. Freilaſſung ihrer nächſten Verwandten an, der ehrenwerthe De-
putirte, Pfarrer Lehlbach, ſchildert mit den eindringlichſten, waͤrmſten Worten
die Noth der Stadt, und die Regierung ſieht ſich bewogen zu — verſprechen,
daß die Unterſuchung baldigſt ihrem Ende entgegegengeführt werden foll. Was
es aber mit dieſem Verſprechen zu bedeuten hat, mag das beweiſen, daß keiner
der Verhafte ten bis heute weiter verhört worren iſt. Auf ſolche Weiſe verſtehn
die Regierenden, im Lande Liebe zu ihrem Regierungsſyſtem zu erzeugen! In
Weinyeim ſeloſt hireſcht eine dunpfe Verzweiflaag, die ſic ſtumm, wuthent-
braunt, die Lippen zerbeißt. Das Auftreten der Beamten und Ariſtokratenpar-
tei hält die Stimmung des Volkes danieder, ſo daß diejenigen, denen die Noth
der Gefangenen, die zurückgebliebenen Thraͤnen in die Augen lockt, es nicht wa-
gen, auf irgend eine Weiſe zu Gunſten der Unglücklichen aufzutreten. Woher
wäre es ſonſt zu erflären, daß von einer Stadt, wie Weinheim, welche ja ſonſt
zu allen Opfern für die Freiheit, für das Recht bereit iſt, durchaus nichts für
die in Bruchſal Schmachlenden geſchieht, wodurch es den Gefangenen möglich
gemacht würde, ſich die elende traurige Bürde der Gefangenſchaft zu erleichlern.
Aber die Leute in Weinheim glauben, daß alle von Bruchſal kommenden Briefe
auf dem Amte erbrochen werden, und in der Ueberzeugung, daß dieß nicht vergebens
geſchebe, unterlaſſen ſie Alles, wodurch ſie ſich auch im Entfernteſten nur zu
kompromittiren fürchten. Mögen dieſe Zeilen daher dazu beitragen, daß die
Regierung ihre Pflichten ſchleunigſt erfülle, und die wackern Bürger Weinheims
der Reaktion dadurch ins Geſicht ſchlagen, daß ſie ſich warm ihrer im Gefäng-
niſſe ſchmachtenden Mitbürger durch jede Art der Unterſtützung annehmen, auf
daß dieſelben mit um ſo größeren Muthe ihre Leiden ertragen!

Frankfurt, 5. Dezember. Die 129. Sitzung dex Nationalverſamm-
lung begaͤnn unter dem ſtörendſten und unangemeſſendſten Lärm, mit welchem
die anweſenden Mitglieder das Verleſen des Protokolls begleiteten.


 
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