Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0047
DOI issue:
Nr. 6 (April 1910)
DOI article:Baum, Peter: Aus einem neuen Roman
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0047
hilialt: die Eifersucht. Man erinnerte sich, daß er
fjesa&t hatte, nur die Qewißheit der unwandelbaren
‘reue seiner strahlenden Frau mache es ihm
,T|öglich, so gefährlich über ihr zu träumen. Diese
überraschend abgebrochene, glückliche Träumerei
'virkte heiter trotz dem Angesichte des Todes.
Inmitten der leichttrauernden Schar stand der
:,ngegraute Estorff ernst und würdig, ohne sein Ohr
der Umgebung zu leihen. Auch als der Qeistliche
yon der rätselhaft hereingebrochenen Qeistesver-
'virrung über eine begnadete Stirn sprach, war kein
leisestes Zucken seiner feierlich gesenkten Brauen
bemerkbar. — Die Beschwörungsworte des Prie-
sters bannten die bösen Geister aus dem Dunst-
kreise des Leibes und der Seele des Toten. Als die
^eihrauchfässer geschwungen wurden, mußte von
Estorff ein wenig niesen, worauf er sein Qesicht
'vieder in die ernsten Falten zurechtrückte.
Die Gemahlin, deren blasse, vornehmwüchsige
Schlankheit man bewundernd mit den Augen um-
Sab, zitterte mehrmals, am meisten, als der Sarg
*h die kalten Steine hinabsank. Ihre Wimpern waren
bef über das bleichbepuderte Antlitz gesenkt, das
keine Tränenperle verunzierte. Man hatte sie ver-
Sebens gemahnt, der angreifenden Zeremonie fern-
7-ubleiben. Sie wollte bis zum letzten Augenblick
<n der Nähe ihres geliebten Freundes zubringen.
Sie zitterte wieder, als sie nachher aus dem
Wagen stieg und die Treppe hinaufwankte. Der
Anblick ihres Heimes ergriff sie ebenso, wie der
offene Rachen des Grabes vorher.
Des Abends fanden sich einige Freunde, welche
Junggesellen waren, zusammen. Bei Herrn Estorff,
der an der Reihe war, wurde diniert. Er war zu-
vorkommend, jedoch von einer leichten Trauer be-
schattet. Als der Wein das gedämpfte Qespräch zu
luuterem Hall anfachte, blieb er von einer sanften
Gemessenheit.
Es war ein schöngeistiger, etwas frivoler
Kreis. Immer wieder kam er auf den Toten zurück,
Uuf seine kleinen Schwächen. Wenn er um die
Mittagszeit einen Ehemann in ein Kaffeehaus gehen
sah, erzählte er nachher die Qeschichte eines zer-
störten Bundes. Weiterschreitend dachte er es sich
dann motivierend und erfindend aus. Und so waren
unzählige Mären aus seinem Munde im Umlauf. —
Man war ungewiß, wer ihn gehörnt hatte, denn die
Tatsache schloß man aus seinem Tode. Herr von
Estorff machte ein verwundertes Qesicht, daß man
so leichtsinnig iiber einen teuren Toten reden
mochte. Er errötete zornig, indem er sagte, die
Vornehm gesinnte Frau sei über jeden solchen Ver-
dacht erhaben. „Keiner weiß, wann ihn der Wahn-
Witz überfällt und ob er dann genug Edelsinn behält,
die Hand nur gegen sich selbst zu richten.“ — Ueber
diese Rede mußten einige lächeln, denn sie konnten
einen edlen nicht mit einem gestörten Sinn zu-
sammenreimen.
Als die Qäste die Treppe heruntergegangen
Waren, blieb er eineWeile versunken imSaale stehen.
ftie Diener. die abdecken wollten, schickte er zu
Bett. Langsam, zwischen versonnenen Pausen,
löschte er die Kerzen. Ans Fenster tretend, schaute
er hinaus. Das Licht gegenüber, zu Lebzeiten Ari-
mans ein Signal, war auch heute, nachdem die
Leiche das Haus verlassen, ausgeblieben. Er
schaute an dem dunklen Hause hinauf und fand es
JTanz natiirlich, daß eine Pause im Liebesspiel ein-
trete.
Als die Qräfin frühmorgens ihr Zimtner vor
sich aufdämmern sah, rief sie leise nach ihrem
Sohn. Er schlief, damit sie nicht allein sei, im selben
Eimmer. AIs er sich nicht rührte, legte sie ergeben
die Hände unter ihren Kopf und erschrak von neuem
vor der Tatsache des Todes. Es beruhigte sie
iibrigens etwas, daß er nichts erfahren haben
konnte. Immer von neuem rief sie sich dies ins Qe-
dächtnis zurück. — Da riihrte sich der Knabe. Sie rief
ihn zu sich ins Bett; der Knabe schlang die Arme
•im ihren Körper und sie fingen beide an zu weinen,
>ndem sie sich immer von neuem umarmten. Oft,
Wenn sie sich fürchtete vor irgend einem gesell-
Schaftlichen Netz, das eine intrigante Freundin ihr
Selegt hatte, oder vor dem einstigen Tode oder vor
Enbestimmtem, hielt sie so ihren Mann in den Armen.
Keckere Wünsche von ihm, hätte sie dann als
Klumpheit empfunden, als ein nicht Versenken in
'hre seelische Flucht zu ihm. — Nun ist er kopf-
schüttelnd von ihr gegangen. Sie wird keine Ruhe
mehr finden. — „Wir werden keine Reisen mehr
machen, dies Haus nie mehr verlassen, wo unser
teurer Vater lebte,“ schluchzte sie. Der Knabe
Krach von neuem in ein verzweifeltes Weinen aus.
Als es ganz hell gewordenwar, hatte sie nach der
Kinderfrau geklingelt und ihr ihren Sohn übergeben.
Dann überließ sie sich der Zofe, welche zuerst ihre
Tränen auslöschte und unter ihrer Anweisung aus
ihr das Kunstwerk machte, welches das Symbol
des Qrams und zugleich eine Lockung zur Sünde
war. Als sie vor den Spiegel trat und den Kopf
gramvoll zurücklegte, lächelte sie ein wenig zufrie-
den über ihren Anblick und mußte sich dann zu-
sammennehmen, nicht wieder zu weinen. — Nachher
erschien sie im Salon und hörte mit gesenktem Qe-
sicht die Tröstungen, welche man ihr hersagte.
Man fand es groß, daß sie so viel Fassung be-
wahrte. Insbesonders die Männer waren gerührt
von soviel melancholischer Anmut.
Estorff stand ernst und steif unter ihnen. Früh-
morgens hatte er einen Brief erhalten. In dem
stand: „Mein Qott, wenn Sie so bald wie möglich
mein Haus meiden, werde ich Ihnen ewig dankbar
sein. Der Vergessenheit, wenn Sie das trösten wird,
können Sie nicht anheimfallen. So ewig, wie an
meine Schuld, ist mein Qedenken an Sie. Ich
wünschte, ich könnte mit meinem Schmerz ihn,
dessen ich nie würdig war, trösten. Ich vertraue
auf Ihr gefühlvolles und edles Herz. Meiden Sie
unter irgend einem Vorwand den Ort unserer
Sünde, an dem ich in Buße ausharren muß.“
Diesen Brief war sie ihrem verstorbenen Qe-
mahl schuldig gewesen.
*
Die folgende Zeit blieb sie allein in ihren
weiten Räumen, auch verweilte sie in Verstecken
des Parkes. Nach Monaten schrieb sie wieder an
ihrem Tagebuch. Sie füllte es mit Erinnerungen an
den Toten. Nie hatten andere Qefühle als an ihn
ihr Herz bewegt. Auf diesen Blättern lebte der un-
getrübte Zusammenhang zweier Menschen, der jäh
zerrissen wurde. Als blicke der Tote iiber ihre
Schulter, so vorsichtig wog sie die Zeilen, als
spähe er nach Schuld in ihrer Seele, so sorgsam
ordnete sie ihre Qedanken:
Die Liebesgötter stehen traurig über dem Ka-
min. Nie wird mehr das Feuer unter ihnen ent-
ziindet, damit er mich in die Arme schließt. Ich
liege auf der Erde, und kein Schritt naht, mich auf-
zurichten. Keiner zieht mir die Hände von den ver-
weinten Augen. Auch er klagte mir, wenn er litt
von der schlimmen Luft draußen, denn er
hielt mich für seine beste Qefährtin. — Was
bewog ihn, mich allein zu lassen. Zwei Tage
vor seinem Hingang sagte er zu mir: Du hast
mir alles gegeben, was Götter schenken. Wahr-
lich, ein Qeist der Wirrnis war über ihn gekom-
men. Seine Stirne wußte nichts von der Hand, die
sich gegen sie erhob, sonst hätte er mich mitge-
nommen in das Land der Schemen.
*
Einmal bildete er sich ein, die kleine Marion
zu lieben. Um ihn zu überzeugen, daß er sich irrte,
äffte ich ihr Tag und Nacht Qang und Stimme nach.
Es ekelte ihn nachher, sie zu hören. — So ist die Ur-
sache unseres Begehrens oft nur ein zu flüchtiges
Hinsehen.
*
Er wollte nichts davon hören, daß wir wegen
unserer Räume und Kunstwerke bewundert wer-
den. Er beschämte mich da, indem ich klein vor
ihm stand. Nachher, als er von der Reise seines
Bruders erzählte, sagte ich, er rühme sich immer
seiner Familie. Es war rührend, wie er sich ver-
teidigte. Er merkte nicht, daß meine Worte ein
Rückschlag waren.
*
Er verzieh mir, weil es ein Beweis meiner
Liebe zu ihm war, daß ich aus dem Porträt seiner
Cousine die Hände ausgeschnitten hatte. Es waren in
der Tat, ich muß es gestehen, bewunderungswür-
dige Hände. Seine Cousine schrie oft in meinen
Armen und wollte sich losreißen, wenn ich zärtlich
zu ihr war. Auch sie sah beim Begräbnis gramvoll
aus. Mir war es, als warf sie mir haßerfüllte Blicke
zu. Wo wir beide so viel verloren, sollte sie liebe-
voller empfinden. — Ich verzeihe ihr alle Künste,
womit sie ihn versuchte, wenn sie lateinisch sprach,
von dem ich nichts verstehe.-Er war so
sorglos und ließ sich von so vielen umstricken.
Immer mußte ich über ihn wachen. Und die kleine
Corella mit ihrem verbrannten Qesicht. Alles ver-
zieh er mir, weil ich sein treuer Page war.
*
Er sagte, ich liebe jdie sich unähnlichsten Men-
schen, die sich einander nie nähern können. Von
Stern zu Stern möchte ich mein Lager aufschlagen.
Aber daß meine Qefährten zusammenkommen
müssen, ... so werde ich von den Jungfrauen,
Frauen und Mädchen zerrissen.
*
AIs er einmal zum Duell ging, sagte er:
Hoffentlich wird man das Blutgeschwür von Eitel-
keit, dem man meinen Namen gibt, aufstechen. Ich
sagte ihm: Wenn man es bei mir versuchte, würde
ich doch schreien.
*
Er war wie eine Reliquie in gläsernem
Schrein, vo allen Seiten zu sehen und selbst von
durchscheinender Haut. Die Qeheimnisse, die er
bewahrte, trank ich Nacht für Nacht von seinem
Munde. Da war keine Falte seines Herzens, dic
ich nicht lüftete. Als ich ihn kennen lernte, hielt
ich ihn für verschiossen und wahrhaftig. Nachher
wußte ich, daß er log und leicht zu durchschauen
war. Seine Liebe zu mir fraß ihm den Qeist. Er
war töricht vor mir, wie sehr er vor den anderen
brillierte. „Schade,“ sagte ich ihm, als er das Qarn
hielt, „ohne deinen Geist wärest du erst ganz du
selbst.“ Er ist mir nicht mehr böse wegen dieses
Scherzes. Er verlor oft alle Fässung vor mir.
*
Er konnte bei seinen Freunden nichts von mir
verbergen, so daß sie den Qewändern meines
Lagers und den Netzen, den Verschränkungen
meiner Liebkosungen nachsannen, so daß ich je
ihrer aller Dirne wurde; deshalb löste ich mich
nach und nach aus seinen Armen. Ich blieb ihm
sein getreuer Traumgespiel, der traute, abendliche
Kamerad seiner Qitarre. Er schien mich selbst seit
der Zeit noch zarter zu lieben.
*
Schrecklich ist es, wenn mich ein gutes, liebes
Erlebnis mit ihm als gegenwärtig überfällt.
*
Er war von erschütternder Qüte. Qanze
Nächte konnte er bei mir sitzen und meine Hand
halten, wenn ich Angst hatte. Er ging nicht zur
Audienz zum König, weil ich ihn bat bei mir zu
bleiben und verlor daher seinen Rang. Aber wenn
er mit seinem Bruder eine Absprache hatte, ent-
fernte er sich, sollte ich selbst im Sterben liegen.
Als er morgens zurückgeeiit war, weinte er, wei!
es mir schlechter ging. Er hat mich immer sehr
geliebt.
*
Du bist kalt und klar, sagte er zu mir. Aber
dann konnte ich mich klein machen auf seinem
Schoß. Er erzählte mir seine Qefühle. Sie waren
schleichend wie Schlangen, feige, wie Hirsche und
wechselnd, wie Katzen. Nur über seiner Liebe zu
mir stieß er immer ins Horn. Konnte ich etwas da-
für, daß er mir selbst die Fährten und Dachsteige
seiner Träume lehrte. Ja, oft, wenn er vor mir
kniete, hätte er die Erde für mich geopfert. Dann
begehrte ich, daß wir beide unter den Sternen allein
seien. Aber er klammerte sich an seinen Bruder,
seinen Freund. Da ließ ich ihn fahren, und er wollte
mich nicht lassen; so waren wir oft sehr verzwei-
felt — Viel Eigenwillen gäbe ich dahin, ihn noch
einmal neben mir zu sehen. Das ist das traurige,
lebten wir auf einem neuen Stern wieder auf, wäre
es wie im alten Jahr.
*
Komm! Mich selbst auslöschen! Aber er hätte
auch im Jenseits Gefährten.
♦
Meinen lieben Jungen. Wie oft habe ich ihn
gestraft, weil er mich an seinen Vater erinnerte.
Dieser anhängliche Blick; und die Flucht vor mir,
wenn seine Kameraden kommen. Seit er starb,
waren wir sehr zärtlich miteinander. Der Tod ist
ein Zurückholen von leider Verbrauchtem. Ein
Rückerleben, ein Wertwiederhersteller, ein uner-
bittlicher Zertrümmerer von Glück, das auch vor-
her nicht mehr zu heilen war.
*
Auch wieder diese Lügen. Qestern sagte er
mir, er habe mich am aller-allerliebsten auf der
Welt. Dabei dieses beleidigte Erröten, wenn sie
ihn ein Muttersöhnchen nennen.
*
Er fiihlt sich über seinen Hofmeister erhaben,
wie etwa ein Qott schon in der Kindheit iiber den
Menschen thront. Er hingegen fühlt ein kamerad-
schaftliches Wohlgefallen an dem leicht auffassen-
den Knaben, dessen Zurückhaltung er für kindliche
Scheu hält, die er zu überwinden trachtet.
*
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fjesa&t hatte, nur die Qewißheit der unwandelbaren
‘reue seiner strahlenden Frau mache es ihm
,T|öglich, so gefährlich über ihr zu träumen. Diese
überraschend abgebrochene, glückliche Träumerei
'virkte heiter trotz dem Angesichte des Todes.
Inmitten der leichttrauernden Schar stand der
:,ngegraute Estorff ernst und würdig, ohne sein Ohr
der Umgebung zu leihen. Auch als der Qeistliche
yon der rätselhaft hereingebrochenen Qeistesver-
'virrung über eine begnadete Stirn sprach, war kein
leisestes Zucken seiner feierlich gesenkten Brauen
bemerkbar. — Die Beschwörungsworte des Prie-
sters bannten die bösen Geister aus dem Dunst-
kreise des Leibes und der Seele des Toten. Als die
^eihrauchfässer geschwungen wurden, mußte von
Estorff ein wenig niesen, worauf er sein Qesicht
'vieder in die ernsten Falten zurechtrückte.
Die Gemahlin, deren blasse, vornehmwüchsige
Schlankheit man bewundernd mit den Augen um-
Sab, zitterte mehrmals, am meisten, als der Sarg
*h die kalten Steine hinabsank. Ihre Wimpern waren
bef über das bleichbepuderte Antlitz gesenkt, das
keine Tränenperle verunzierte. Man hatte sie ver-
Sebens gemahnt, der angreifenden Zeremonie fern-
7-ubleiben. Sie wollte bis zum letzten Augenblick
<n der Nähe ihres geliebten Freundes zubringen.
Sie zitterte wieder, als sie nachher aus dem
Wagen stieg und die Treppe hinaufwankte. Der
Anblick ihres Heimes ergriff sie ebenso, wie der
offene Rachen des Grabes vorher.
Des Abends fanden sich einige Freunde, welche
Junggesellen waren, zusammen. Bei Herrn Estorff,
der an der Reihe war, wurde diniert. Er war zu-
vorkommend, jedoch von einer leichten Trauer be-
schattet. Als der Wein das gedämpfte Qespräch zu
luuterem Hall anfachte, blieb er von einer sanften
Gemessenheit.
Es war ein schöngeistiger, etwas frivoler
Kreis. Immer wieder kam er auf den Toten zurück,
Uuf seine kleinen Schwächen. Wenn er um die
Mittagszeit einen Ehemann in ein Kaffeehaus gehen
sah, erzählte er nachher die Qeschichte eines zer-
störten Bundes. Weiterschreitend dachte er es sich
dann motivierend und erfindend aus. Und so waren
unzählige Mären aus seinem Munde im Umlauf. —
Man war ungewiß, wer ihn gehörnt hatte, denn die
Tatsache schloß man aus seinem Tode. Herr von
Estorff machte ein verwundertes Qesicht, daß man
so leichtsinnig iiber einen teuren Toten reden
mochte. Er errötete zornig, indem er sagte, die
Vornehm gesinnte Frau sei über jeden solchen Ver-
dacht erhaben. „Keiner weiß, wann ihn der Wahn-
Witz überfällt und ob er dann genug Edelsinn behält,
die Hand nur gegen sich selbst zu richten.“ — Ueber
diese Rede mußten einige lächeln, denn sie konnten
einen edlen nicht mit einem gestörten Sinn zu-
sammenreimen.
Als die Qäste die Treppe heruntergegangen
Waren, blieb er eineWeile versunken imSaale stehen.
ftie Diener. die abdecken wollten, schickte er zu
Bett. Langsam, zwischen versonnenen Pausen,
löschte er die Kerzen. Ans Fenster tretend, schaute
er hinaus. Das Licht gegenüber, zu Lebzeiten Ari-
mans ein Signal, war auch heute, nachdem die
Leiche das Haus verlassen, ausgeblieben. Er
schaute an dem dunklen Hause hinauf und fand es
JTanz natiirlich, daß eine Pause im Liebesspiel ein-
trete.
Als die Qräfin frühmorgens ihr Zimtner vor
sich aufdämmern sah, rief sie leise nach ihrem
Sohn. Er schlief, damit sie nicht allein sei, im selben
Eimmer. AIs er sich nicht rührte, legte sie ergeben
die Hände unter ihren Kopf und erschrak von neuem
vor der Tatsache des Todes. Es beruhigte sie
iibrigens etwas, daß er nichts erfahren haben
konnte. Immer von neuem rief sie sich dies ins Qe-
dächtnis zurück. — Da riihrte sich der Knabe. Sie rief
ihn zu sich ins Bett; der Knabe schlang die Arme
•im ihren Körper und sie fingen beide an zu weinen,
>ndem sie sich immer von neuem umarmten. Oft,
Wenn sie sich fürchtete vor irgend einem gesell-
Schaftlichen Netz, das eine intrigante Freundin ihr
Selegt hatte, oder vor dem einstigen Tode oder vor
Enbestimmtem, hielt sie so ihren Mann in den Armen.
Keckere Wünsche von ihm, hätte sie dann als
Klumpheit empfunden, als ein nicht Versenken in
'hre seelische Flucht zu ihm. — Nun ist er kopf-
schüttelnd von ihr gegangen. Sie wird keine Ruhe
mehr finden. — „Wir werden keine Reisen mehr
machen, dies Haus nie mehr verlassen, wo unser
teurer Vater lebte,“ schluchzte sie. Der Knabe
Krach von neuem in ein verzweifeltes Weinen aus.
Als es ganz hell gewordenwar, hatte sie nach der
Kinderfrau geklingelt und ihr ihren Sohn übergeben.
Dann überließ sie sich der Zofe, welche zuerst ihre
Tränen auslöschte und unter ihrer Anweisung aus
ihr das Kunstwerk machte, welches das Symbol
des Qrams und zugleich eine Lockung zur Sünde
war. Als sie vor den Spiegel trat und den Kopf
gramvoll zurücklegte, lächelte sie ein wenig zufrie-
den über ihren Anblick und mußte sich dann zu-
sammennehmen, nicht wieder zu weinen. — Nachher
erschien sie im Salon und hörte mit gesenktem Qe-
sicht die Tröstungen, welche man ihr hersagte.
Man fand es groß, daß sie so viel Fassung be-
wahrte. Insbesonders die Männer waren gerührt
von soviel melancholischer Anmut.
Estorff stand ernst und steif unter ihnen. Früh-
morgens hatte er einen Brief erhalten. In dem
stand: „Mein Qott, wenn Sie so bald wie möglich
mein Haus meiden, werde ich Ihnen ewig dankbar
sein. Der Vergessenheit, wenn Sie das trösten wird,
können Sie nicht anheimfallen. So ewig, wie an
meine Schuld, ist mein Qedenken an Sie. Ich
wünschte, ich könnte mit meinem Schmerz ihn,
dessen ich nie würdig war, trösten. Ich vertraue
auf Ihr gefühlvolles und edles Herz. Meiden Sie
unter irgend einem Vorwand den Ort unserer
Sünde, an dem ich in Buße ausharren muß.“
Diesen Brief war sie ihrem verstorbenen Qe-
mahl schuldig gewesen.
*
Die folgende Zeit blieb sie allein in ihren
weiten Räumen, auch verweilte sie in Verstecken
des Parkes. Nach Monaten schrieb sie wieder an
ihrem Tagebuch. Sie füllte es mit Erinnerungen an
den Toten. Nie hatten andere Qefühle als an ihn
ihr Herz bewegt. Auf diesen Blättern lebte der un-
getrübte Zusammenhang zweier Menschen, der jäh
zerrissen wurde. Als blicke der Tote iiber ihre
Schulter, so vorsichtig wog sie die Zeilen, als
spähe er nach Schuld in ihrer Seele, so sorgsam
ordnete sie ihre Qedanken:
Die Liebesgötter stehen traurig über dem Ka-
min. Nie wird mehr das Feuer unter ihnen ent-
ziindet, damit er mich in die Arme schließt. Ich
liege auf der Erde, und kein Schritt naht, mich auf-
zurichten. Keiner zieht mir die Hände von den ver-
weinten Augen. Auch er klagte mir, wenn er litt
von der schlimmen Luft draußen, denn er
hielt mich für seine beste Qefährtin. — Was
bewog ihn, mich allein zu lassen. Zwei Tage
vor seinem Hingang sagte er zu mir: Du hast
mir alles gegeben, was Götter schenken. Wahr-
lich, ein Qeist der Wirrnis war über ihn gekom-
men. Seine Stirne wußte nichts von der Hand, die
sich gegen sie erhob, sonst hätte er mich mitge-
nommen in das Land der Schemen.
*
Einmal bildete er sich ein, die kleine Marion
zu lieben. Um ihn zu überzeugen, daß er sich irrte,
äffte ich ihr Tag und Nacht Qang und Stimme nach.
Es ekelte ihn nachher, sie zu hören. — So ist die Ur-
sache unseres Begehrens oft nur ein zu flüchtiges
Hinsehen.
*
Er wollte nichts davon hören, daß wir wegen
unserer Räume und Kunstwerke bewundert wer-
den. Er beschämte mich da, indem ich klein vor
ihm stand. Nachher, als er von der Reise seines
Bruders erzählte, sagte ich, er rühme sich immer
seiner Familie. Es war rührend, wie er sich ver-
teidigte. Er merkte nicht, daß meine Worte ein
Rückschlag waren.
*
Er verzieh mir, weil es ein Beweis meiner
Liebe zu ihm war, daß ich aus dem Porträt seiner
Cousine die Hände ausgeschnitten hatte. Es waren in
der Tat, ich muß es gestehen, bewunderungswür-
dige Hände. Seine Cousine schrie oft in meinen
Armen und wollte sich losreißen, wenn ich zärtlich
zu ihr war. Auch sie sah beim Begräbnis gramvoll
aus. Mir war es, als warf sie mir haßerfüllte Blicke
zu. Wo wir beide so viel verloren, sollte sie liebe-
voller empfinden. — Ich verzeihe ihr alle Künste,
womit sie ihn versuchte, wenn sie lateinisch sprach,
von dem ich nichts verstehe.-Er war so
sorglos und ließ sich von so vielen umstricken.
Immer mußte ich über ihn wachen. Und die kleine
Corella mit ihrem verbrannten Qesicht. Alles ver-
zieh er mir, weil ich sein treuer Page war.
*
Er sagte, ich liebe jdie sich unähnlichsten Men-
schen, die sich einander nie nähern können. Von
Stern zu Stern möchte ich mein Lager aufschlagen.
Aber daß meine Qefährten zusammenkommen
müssen, ... so werde ich von den Jungfrauen,
Frauen und Mädchen zerrissen.
*
AIs er einmal zum Duell ging, sagte er:
Hoffentlich wird man das Blutgeschwür von Eitel-
keit, dem man meinen Namen gibt, aufstechen. Ich
sagte ihm: Wenn man es bei mir versuchte, würde
ich doch schreien.
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Er war wie eine Reliquie in gläsernem
Schrein, vo allen Seiten zu sehen und selbst von
durchscheinender Haut. Die Qeheimnisse, die er
bewahrte, trank ich Nacht für Nacht von seinem
Munde. Da war keine Falte seines Herzens, dic
ich nicht lüftete. Als ich ihn kennen lernte, hielt
ich ihn für verschiossen und wahrhaftig. Nachher
wußte ich, daß er log und leicht zu durchschauen
war. Seine Liebe zu mir fraß ihm den Qeist. Er
war töricht vor mir, wie sehr er vor den anderen
brillierte. „Schade,“ sagte ich ihm, als er das Qarn
hielt, „ohne deinen Geist wärest du erst ganz du
selbst.“ Er ist mir nicht mehr böse wegen dieses
Scherzes. Er verlor oft alle Fässung vor mir.
*
Er konnte bei seinen Freunden nichts von mir
verbergen, so daß sie den Qewändern meines
Lagers und den Netzen, den Verschränkungen
meiner Liebkosungen nachsannen, so daß ich je
ihrer aller Dirne wurde; deshalb löste ich mich
nach und nach aus seinen Armen. Ich blieb ihm
sein getreuer Traumgespiel, der traute, abendliche
Kamerad seiner Qitarre. Er schien mich selbst seit
der Zeit noch zarter zu lieben.
*
Schrecklich ist es, wenn mich ein gutes, liebes
Erlebnis mit ihm als gegenwärtig überfällt.
*
Er war von erschütternder Qüte. Qanze
Nächte konnte er bei mir sitzen und meine Hand
halten, wenn ich Angst hatte. Er ging nicht zur
Audienz zum König, weil ich ihn bat bei mir zu
bleiben und verlor daher seinen Rang. Aber wenn
er mit seinem Bruder eine Absprache hatte, ent-
fernte er sich, sollte ich selbst im Sterben liegen.
Als er morgens zurückgeeiit war, weinte er, wei!
es mir schlechter ging. Er hat mich immer sehr
geliebt.
*
Du bist kalt und klar, sagte er zu mir. Aber
dann konnte ich mich klein machen auf seinem
Schoß. Er erzählte mir seine Qefühle. Sie waren
schleichend wie Schlangen, feige, wie Hirsche und
wechselnd, wie Katzen. Nur über seiner Liebe zu
mir stieß er immer ins Horn. Konnte ich etwas da-
für, daß er mir selbst die Fährten und Dachsteige
seiner Träume lehrte. Ja, oft, wenn er vor mir
kniete, hätte er die Erde für mich geopfert. Dann
begehrte ich, daß wir beide unter den Sternen allein
seien. Aber er klammerte sich an seinen Bruder,
seinen Freund. Da ließ ich ihn fahren, und er wollte
mich nicht lassen; so waren wir oft sehr verzwei-
felt — Viel Eigenwillen gäbe ich dahin, ihn noch
einmal neben mir zu sehen. Das ist das traurige,
lebten wir auf einem neuen Stern wieder auf, wäre
es wie im alten Jahr.
*
Komm! Mich selbst auslöschen! Aber er hätte
auch im Jenseits Gefährten.
♦
Meinen lieben Jungen. Wie oft habe ich ihn
gestraft, weil er mich an seinen Vater erinnerte.
Dieser anhängliche Blick; und die Flucht vor mir,
wenn seine Kameraden kommen. Seit er starb,
waren wir sehr zärtlich miteinander. Der Tod ist
ein Zurückholen von leider Verbrauchtem. Ein
Rückerleben, ein Wertwiederhersteller, ein uner-
bittlicher Zertrümmerer von Glück, das auch vor-
her nicht mehr zu heilen war.
*
Auch wieder diese Lügen. Qestern sagte er
mir, er habe mich am aller-allerliebsten auf der
Welt. Dabei dieses beleidigte Erröten, wenn sie
ihn ein Muttersöhnchen nennen.
*
Er fiihlt sich über seinen Hofmeister erhaben,
wie etwa ein Qott schon in der Kindheit iiber den
Menschen thront. Er hingegen fühlt ein kamerad-
schaftliches Wohlgefallen an dem leicht auffassen-
den Knaben, dessen Zurückhaltung er für kindliche
Scheu hält, die er zu überwinden trachtet.
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