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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 18 (Juni 1910)
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Baum, Oskar: Sühne
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Viertel, Berthold: Eine Begegnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0146

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h'albem Weg entgegenziehen und sie mit Erunlc
ins Armpacher Erbschloß führen.

* *

*

„Und ich ?“ fragte sie ohne Betonung, aber ihre
Augenlider zuckten und sie schlug mit dem Horn-
griff ihrer Reitgerte immer grimmiger auf den
Eichentisch, gegen den sie den Rücken stemmte.
Knapp vor ihr Ulmar, der standfest und unanfecht-
bar auf ihr Haar sah. Das war rabendunkel und
glänzend.

„Ich werde mein Gelübde dem Kind nicht
brechen; der Rolf und seine Freunde sind mir auch
zu gefährlich.“

„Und ich ? I! Drei Jahre meiner Schönheit häbe
ich mit dir vergessen. Meine Verwandten werden
mich nicht als niedrigste Magd um dich dulden.
Wohin soll ich?“

„Ich habe niemandem etwas versprochen. Ich
Iasse meine Gefangene ohne Lösegeld ziehen, von
meinen Leuten ritterlich über das Gebirge führen
zu irgend einem Vetter oder Geschwister.“

Sie schlug mit ihrem Gertengriff gegen einen
Bierkrug, daß er in Scherben und Splittem zu Boden
klirrte.

„Wäre es dir lieber?“ brauste er auf, „wenn
sie mich irgendwo in der Fehde erschlagen und
du von ihnen davongejagt wirst?!“

„Aber Narrheit!“ brummte sie und wurde nach-
denklich. „Schließlich ist sie noch nicht hier. Ein
Blitz kann sie erschlagen oder ein verschmähter
Liebhaber. Sie kann krank werden. Man könnte
eine Krankheit übrigens auch zubereiten. — Nein!“
Sie hatte es gefunden und ging mit Schritten durch
das Zimmer, die von Siegerhochmut dröhnten. „Du
kannst sie kommen lassen, ja. Du wirst sie kommen
lassen.“

„Und??“

„Und . . . irgendwo lauert ihr ein Räuber auf,
der das Visier nicht hebt und mit seinem getreuen
Haufen die ganze Reisegesellschaft zusammenhaut.
Das könnte nicht schwer sein, weil man sich den
Ort aussuchen kann.“

Ulmar bekreuzigte sich. „Was, wenn ich lieber
didi erschlüge ?!“

„Mich?“ Verblüfft blieb sie stehen. „Von mir
weißt du, was man zu wissen braucht, und daß wir
sehr vergnügt miteinander auskommen, bisher be-
haglich zusammenblieben und in allen Stücken zu-
frieden waren. Was tust du, mein Lieber, wenn
es dir so geschieht wie dem Tannwarter, der eine
Frau bekam, die keine Frau war, oder dem Wilfer-
dingen, mit seinem Ehegesponst, dem auch die
Knechte genügten. Oder denk an die Gräfin von
Wolfenrot, die sterbebleich zu weinen nicht auf-
hörte, wenn er sie mal um den Leib nahm. Und
die Luxenhorn, die vorgequollene Augen bekam,
weil sie kein Kind hatte, und die Liebenfeld mit
der tollwütigen Eifersucht, und die . . . .“

* *

>

Blutiges Gewimmel und Kampfgeklirr durch das
Doppeldunkel einer Wildnis im Walde. Pferde
wälzen sich in letzten Schmerzen; Lanzensplitter
reißen schlafende Mädchenherzen auf; mit Todes-
augen liegen die Schützen starr im Gras umher.
Darüber hin tobt die Kampfwut der verzweifelten
Letzten. Es schwirrt und gellt von blutnassen
Schwertern und Befehlen, die niemand versteht.
Ein Knirschen berstender Helme — — gestöhnte
Flüche. Vom Haufen gesprengt flüchten und ver-
folgen Vereinzelte dort und da durch das Dickicht.

Ulmar wußte nicht viel vom Strauß. Die Seinen
hieben ihm die Bahn frei und die er suchte, war
bald gefunden. Er hob sie vor sich aufs Roß.
Eilig ging’s tiefer in den Wald.

Gern fühlte er den Druck der jungen Leibes-
Iast auf seinen Knien. . . . Dies zitternde zarte
Ding wäre also mein Eheweib geworden! Weich
und eckenlos kam sie ihm vor wie eine Aprikose
ohne Kern. Was sie wohl von ihm dachte?! Ob
sie ihn in diesem unwahrscheinlichen Zusammen-
hang erkennen würde?

In voller Nacht hielt er vor einer kleinen Lich-
tung. Das Mondsilber sickerte hier nur in schlanken
Streifen zwischen den Wipfeln durch.

„Wenn Ihr mich nicht zu sehr fürchtet, hoch-
geborenes Fräulein, will ich hier absteigen, wo wir
nicht völlig im Dunkeln sind. Ich möchte Euch dar-
über aufklären, daß ich kein Räuber bin, wie es
scheinen könnte, sondern wohlgeehrter Lehensritter

des Reiches. Ich habe Euch' einen größeren Dienst
erwiesen, als Euere Mutter vor sechzehn oder acht-
zehn Jahren. Ich kenne den Armpacher besser als
die, welche Euch ihm angelobten. Ich mußte EucH
retten, setzte ich mir vor, und ich vergönnt Euch
ihm auch gar nicht. Er ist ein wüster Gesell,
bei meinem Eid, und hat Jahr und Tag ein gif-
tiges Weib bei sich, die Euch nicht lebendig in ihr
Bett gelassen hätte. So stand es um Euer Glück!“
Er hielt die Hand auf dem Hals des Pferdes,
das er an einen Baum band, und sah scheu zu dem
stummen Schleier auf, der sie weiß umwallte. Sie
saß noch immer ohne Regung, wie aus Stein ge-
hauen. Da zog er sein Schwert, faßte es an der
Spitze und reichte ihr den Knauf. „Es ist nur
billig, wenn Ihr mir nicht traut.“

Mit beiden Händen hielt sie den Schwertgriff
fest, sonst aber rührte sie sich nicht. Da faßten
Ulmar Schauer der Erwartung, auch prickelnde
Begier nach Ueberraschung, und die Sehnsucht, das
Gesicht hinter dem Schleier zu erblicken. Er hob
das Visier.

„Ich glaube, daß Ihr mir wohlwollt; aber warum
bringt Ihr mich dann nicht unter Dach?!“

„Das kann ich nur, wenn Ihr mich Euerem
Bräutigam vorzieht.“

„Ihr seid mir fremd.“

„Erkennt Ihr mich nicht?!“ Er reißt ihr den
Schleier vom Haupt und wirft ihn mit dem Schwert
weit fort. „Wir sollen beide ohne Wehr sein!“
Er faßt sie kraftvoll um die Seite ....

Als er in Schlaf verfiel, entwand sie sich ihm,
kroch durch das Moos und suchte das Schwert.
Ob er auch so mannhaft und liebevoll, so stürmisch
und ehrerbietig war; der, dem sie nun den hei-
ligsten Eid gebrochen, den sie um sein Gemahl
betrogen hatte?! Sie fand das Schwert. Wäre
er gesühnt, der andere, den sie gar nicht mehr
kannte, der Vetter Ulmar? Wäre er gesühnt, wenn
sie diesen Herrlichen hergab, dem sie das Höchste,
das Einzige war? Der ihr sein Schwert, sein Leben
in die Hand gab, als sie ganz in seiner Gewalt
stand. Sie kniete und betete: „Gott, sieh auf mich!“
Dann beugte sie sich über ihn. Sein Hals glänzte
mädchenhaft neben den sonnbraunen Wangen und
dem dunkeln Bart.

„So straf ich tnich für deine Sünde!“ Bitter
gellt der Schrei zu ihrem wilden Schluchzen. Er
schlägt die Augen auf, sie stößt zu.

* *

*

Gott hat ein Zeichen getan, daß ich die Kraft
hatte, dachte sie, als sie bis zum Morgen durch den
Wald ritt und sich an Dörfern und Meierhöfen
vorbei zum Armpacher durchfragte. „Es war bei
Gott geschworen, wem ich zugehören soll, und
der dagegen frevelte, der Kühne, den hat Gott
geschlagen um seines heiligen Namens willen!“ —
Weißgrau von Reises'taub ritt sie zum Hof
herein. Am Brunnen vorbei und an den blüten-
schweren Linden.

„Zum Ritter wollt Ihr? Eine wichtige Mel-
dung? — Ja, er ist taub und stumm. Die Leiche
liegt dort drüben in der Burgkapelle. Dort könnt
Ihr auch die Herrin finden, die jetzt hier befiehlt.“
Ein kühler Dämmer durchfröstelte den niedern
Raum. Die Fliesen klangen unbeweglich stumpf
und steinern unter den Sohlen. Unbeweglich stumpf
und steinern wie das bleiche Weib mit den roten
Augen, das auf dem Fußboden neben der Bahre
kauerte. Sie regte sich nicht und Hilde trat schon
nahe heran: „Was für ein Höllentrug!? Das ist er
nicht. — Das kann er doch nicht sein!“

Die roten Augen bohrten sich in ihr Gesicht:
„Wer nicht? Wer, glaubst du, nicht?“

„Den Mann habe ich mit diesen Händen doch
erschlagen. — War es nicht Gott?!“

Das Weib am Boden nickte: „Gott.“

„So war er ’s selbst, und Gott hat mich ver-
sucht. So unbezwinglich heftig zog es mich zu
ihm! Und seine Liebe schlug um mich; so süß,
so süß! Wie konnte ich das für Sünde halten?!“
„Es war auch Sünde,“ nickte das Weib am
Boden.

„Du giftiges Weib! Dich nannte er giftiges
Weib! Wir waren mit jedem Kuß in Gottes Recht.“
Das Weib am Boden nickte: „Und allen ge-
schah recht, Gottes Recht uns allen!“

„Warum nur hat er sich verstellt?!“

Die roten Augen hoben sich wieder: „Höre,
dummes Kind! Warum du jammerst, frage doch!

Hat dir die Liebe wohlgeschmeckt ? Nur zu! Sie
wird dir immer süßer schmecken. Die schönsten
Junker aller Welt werden sich die Kniee wund
knien, um dir dies Glück bereiten zu dürfen. Du
glaubst, das ist Sünde? — Alles ist Sünde, viel- j
leicht auch das Beten, wenn es wohltut. Aber sün-
digt nur zuletzt, wenn’s Euch zu viel wird, kommt
ein Mönch und alles ist, als wäre es nicht ge-
schehen, wenn Ihr nur wollt; und dann, wenn Ihr i
ermüdet seid, dann wollt Ihr schon, und in den
frommen Häusern ist es kühl! Du glaubst mir
nicht?! Ich habe diesen Mann hier hingeschickt,
um dich zu morden; hab’ dich zur Mörderin ge-
macht und ihn gemordet. Ich gehe in ein Kloster,
bete ein wenig, und ehe ich sterbe, bin ich eine
Heilige!“

„Du hast ihn in den Wald geschickt, um mich
zu . . .“

Mit Todesgrauen schrie sie es und hielt die
Hände mit gespreizten Fingern starr vor sich, nach
rückwärts fliehend, die furchtgebannten Blicke den
roten Augen zugekehrt, die zornig zitterten: -
„Schreie nicht, schreie nicht! Sie schlagen mich
tot, wenn sie es hören.“

Sie aber schrie und lief zum Brunnen, wo die
blütenweißen Linden standen. „Gott hat gesündigt!
Die ihm blind gehorchen, sind gestraft.“ Wie hin-
geworfen fiel sie auf den Boden, wand sich in
heißem Weinen und in Krämpfen. Immer mehr
Burggesinde umstand sie, flüsternd und ratlos.

Am nächsten Morgen wurde die Pellsteinerin
verbrannt, weil es sich erwies, daß sie durch
Hexentrank den Armpacher gezwungen hatte, das
Schwert in den eigenen Hals zu stoßen.

Aber die junge Braut und Herrin jetzt ließ bald
nachher die unvermählten Ritter im ganzen Lande
zu sich laden, damit sie unter ihnen wähle. Und
die Bedingung stellte sie, daß jeder einzeln und
völlig unbekleidet sich ihr in ihrem Prunkgemach
erkläre, weil sie nur so entscheiden könnte, wer
der schönste sei.

Ein« B°geqnung

Von Berthold Viertel

Es war an einem unklaren Vorfrühlingstage.
Die Atmosphäre, voll dumpfer Erwartung, quälte
mich. Ich ging planlos, der inneren Stadt zu, und
drang, Beruhigung suchend, in das Gewirre der alten
Gassen.

In den alten Gassen war es anders. Nichts von
Erwartung, nicht die Unruhe des Vorfrühlings. Der
ungewisse Himmel schien hier, über all dieser zu-
sammengekauerten Enge, vom Leben vergessen,
von Gegenwart und Zukunft endgültig abgeschieden.
Gierig tastete sich mein Gefüh! in den feuchtkühlen
Spleen der Vergangenheit, der leise und stetig aus
den zusammengeschrumpften Häusern aufstieg.

Da kam mir, plötzlich aus einem Gäßchen
biegend. eine alte Dame entgegen.

Thr gelbes. spitzes Gesicht war abgestorben,
mondeskalt. An den Mundwinkeln waren zwei
famose Ealten, voll toten Kummers. die sich mir ins
Herz fraßen. als ich sie sah. Auch lächelte der
Mund. ohne sich zu regen, im Lächeln erstarrt.

Aber die Augen bewegten sich. Diese hellen,
wie farblosen Augen wanderten umher, schnell und
sinnlos. Verirrte. Weiße Härchen. die sich von dem
versteinerten Haarknoten losgelöst hatten. flatterten
um die vergilbten Schläfen und belästigten die
Augen ungestraft.

Den Kragen ihres Astrachanjäckchens hatte die
Dame aufgeschlagen. als ob wir im tiefsten Winter
gingen. Wahrscheinlich hatte sie die Jahreszeit
flbersehen. Trug sie doch einen Strohhut. nachge-
dunkeltes. wie zertretenes Stroh. mit schadhaften
Kornblumen geschmiickt. Den schwarzen Rock
zog sie mit schwarz behandschuhter Hand eng an
die Reine.

Und sie tänzelte kokett. sie tänzelte an mir vor-
bei, ohne mich iiberhaupt zu bemerken, mit einer
Grazie. die vielleicht bei den unterirdischen Festen
der Toten iiblich ist.

Tch folgte ihr. Sie ging zeremoniös und hob ihr
Kleld, wie sie es gelernt hatte.

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