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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

DOI Heft:
Nr. 22 (Juli 1910)
DOI Artikel:
Loos, Adolf: Damenmode
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0175

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Umfang acht Seiten

Einzelbezug: 10 Pfennig

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE


Redaktion und Verlag: Berlin-Halensee, Katharinenstrasse 5
Femsprecher Amt Wilmersdorf 3524 / Anzeigen-Annahme und
Geschäftsstelle: Berlin W 35, Potsdamerstr. 111 / AmtVI 3444

Herausgeber und Schriftleiter:
HERWARTH WALDEN

Vierteljahresbezug 1,25 Mark j Halbjahresbezug 2,50 Mark/
Jahresbezug 5,00 Mark / bei freier Zustellung / Insertions-
preis fiir die fünfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig

JAHRGANO 1910 BERLIN /DONNERSTAG DEN 28. JULI 1910/WIEN

NUMMER 22


Die Heroine

ZeichnuDgXvon Samnel Fridolln

INHALT: ADOLF LOOS: Damenmode / Asiatisches
Liebeslied / MYNONA: DerTod des alten Federhutes /
ALFRED DÖBLIN: Gespräche mit Kalypso über die
Musik / KARL KRAUS: So schlecht Wie einst / L. L.:
Von teutscher Art und Kunst / R. K. NEUMANN-LANK-
WITZ: Das bespuckte Genie / J. A.: Die Eroberung
Von Norderney / Warnung an die Provinzpresse / OSKAR
KOKOSCHKA: Menschenköpfe III / Zeichnung

Damenmode

Von Äudli Lods

Damenmode! Ein gräßliches Kapitel Kultur-
geschichte! Es erzählt der Menschheit geheime
Lüste. Wenn man in seinen Seiten blättert, erbebt
die Seele angesichts der fürchterhchen Verirrungen
und unerhörten Laster. Man vernimmt das Wim-
mern mißbrauchter Kinder, das GekreisCh miß-
handelter Weiber, den ungeheuren Aufschrei ge-
folteter Menschen, das Geheul derer, die am
Scheiterhaufen starben. Peitschenhiebe klatschen,
und die Luft bekommt den brenzlichen Geruch ge-
bratenen Menschenfleisches. La bete humaine . . .

Aber nein, der Mensch ist keine Bestie. Die
Bestie liebt, liebt einfach und wie es die Natur
eingerichtet hät. Der Mensch aber mißhandelt seine
Natur, und die Natur mißhandelt den Eros in ihm.
Wir sind Bestien, die man in Ställe gesperrt, Bestien,
denen die natürliche Nahrung vorenthalten wird,
Bestien, die auf Befehl lieben müssen. Wir sind
HausÖere.

Wäre der Mensch' Bestie geblieben, dann wäre
einmal im Jahre dde Liebe in sein Herz gezogen.
Aber die mühsam zurückgehältene Sinnlichkeit
macht uns jederzeit zur Liebe tauglich. Um den
Lenz wurden wir betrogen. Und diese Sinnlich-
keit ist nicht einfach, sondern kompliziert, nicht
natürlich, sondern widernatürlich.

Diese unnatürliche Sinnlichkeit kommt in jedem
Jahrhundert, in jedem Jahrzehnt in anderer Weise
zum Ausbruch. Sie liegt in der Luft und wirkt
ansteckend. Bald verbreitet sie sich gleich einer
Pest, die man nicht verbergen känn, bald schleicht
sie durch das Land, gleich einer geheimen Seuche,
und die Menschen, die von ihr befallen sind, wissen
sie voreinander zu verbergen. Bald ziehen die
Flagellanten durch die Welt und die brennenden
Scheiterhaufen werden zum Volksfest, bald zieht
sich die Lust in die geheimsten Falten der Seele
zurück. Aber: Marquis de Sade, der Kulminations-
punkt der SinnliChkeit seiner Zeit, dessen Geist die
grandiosesten Martern menschlicher Phantasie er-
sann, und das liebe, blasse Mädchen, dessen Herz
freier aufatmet, nachdem es den Flöh geknickt hät,
sie sind eines Stammes.

Das Edle am Weibe kennt nur eine Sehnsucht:
sich neben dem großen starken Mann zu behaupten.

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