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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 30 (September 1910)
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Scheu, Robert: Das Duell
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Rittner, Tadeusz: Und Pippa tanzt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0244

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forschen und die Verschiedenen Kräfte nachzu-
weisen, die sich gegenseitig stützen oder reiben.

Die Gleichung hat mehrere Unbekannte. Zu-
nächst ist die soziate Von der psychologischen
Antagonie foszulösen. Auf der einen Seite h'andelt
es sich um einen Kampf zweier ständisdhen Auf-
fassungen, nämlich der ritterlichen und zivilen Per-
sönlichkeit; auf der anderen Seite um den Kampf
der Individualpersönlichkeit mit der Rechtsstaats-
ordnung. Diese beiden Antagonien decken sich
nicht, sie kreuzen sich nur mit einem kleinen Teil
ihres Umfanges. KriegerisChe Wertung und indi-
vidualistische RaChe — das sind die beiden Stützen
des Duells in der heutigen Gesellschaft; sie stammen
aus zwei entgegengesetzten Welten, aber sie kom-
binieren und durchdringen sich allerdings gern.

Das Duell als militärische Einrichtung beruht
auf der HoChwertung deS kriegerischen Spieles und
ist auch historisch aus dem sCherzhaften Turnier her-
vorgegangen. Es ist ganz natürlich, daß der Offizier
den Kampf um die Ehre in seiner Berufsform aus-
trägt. Der Offizier, Sofern er mit seinem Beruf
nicht zerfallen ist, muß den persönlichen, physisChen
Kampf für den selbstverständlichen Ausdruck der
Persönlichkeit halten, da die Anerkennung einer an-
deren Waffe den Grundtrieb seines Berufes negiert.
Nicht, weil 1 seine Ehre eine empfindlichere ist,
sondern weil' infolge der Spezialität seiner Ehre der
Degen wesentlich zum Ausdruck seiner Persönlich-
keit gehört, ist der Offizier an das Dueli gebunden.
Müssen ja aucb kriegführende Staaten den Begriff
der Waffenehre krampfhaft steigern, weii sie ein-
mai an die Waffen appelliert häben und ein Wider-
spruch' darin liäge, das Werkzeug der ultima ratio
nicht zu glorifizieren. Ganz getrennt von diesen
marschieren jene Duellverehrer, welche an diesem
I nstitut hängen, um sich dem amtlichen Richter zu
entziehen. Für sie ist das Duell ein Mittel, den In-
stinkten freien Lauf zu lassen, und sie vor den Ein-
griffen einer kaltblütigen Zivilisation zu schützen.
Aber wie verschieden sind wieder die Gründe, aus
denen das Duell gefordert und aus denen es ver-
folgt wird.

Was bekämpft der Staat im Duell? Man ist
darüber einig, daß das gesChützte Rechtsgut nicht
das Leben, sondern die Sittlichkeit sei. Es ist das
S p i e 1 utns Leben, dasi von den Duellgegnern ver-
dammt wird. Ist dies aber auch der wahre Be-
stimmungsgrund für die staatliche Gesetzgebung, so-
weit sie sich im Strafgesetz offenbart? Mißtrauen ist
hier am Plätz. Der Instinkt unserers StrafgesetzeS’
ist hier ein anderer. Ihn zu erraten, geben die Be-
stimmungen über die Notwehr genügend Anhalts-
punkte. Der Staat entwaffnet die Bürger.
Wenn er dann als Militärstaat mit sich 1 selbst in
Widersprucb gerät, so offenbart sich darin nur seine
höhere Konsequenz. Weit entfernt davon, sich
selbst ins Gesicht zu sChlagen, führt er nur seinen
Ieitenden Gedanken aus, eben den Gedanken der
ungleichen Bewaffnung der Stände, des un-
gteichen Selbstgefühls, das zu erziehen er sich vor-
genommen hat. NiCht um Sittlichkeit und Unsittlich-
keit händelt es sich, sondern um das Vorrecht der
Selbstbestimmung, um das Vorrecht der Waffe, um
die Entwindung des Degens. Wenn dies praktisch'
als Konflikt zwischen dem Strafgesetz und der
militärisChen Vorschrift ,in Erscheinung tritt, so
nimmt eS eben der Staat in den Kauf, da die Form
des Konfliktes die einzige ist, in der die Ungleichheit
aufrechterhalten werden kann. Besitzt man doch
das glückliche Korrektiv der Begnadigung, durch
die Üem zwieslpältigen Zustand das GefährliChe ge-
nommen wird. Der Widerspruch ist demnaCh nur
ein scheinbarer, eine Maske!

Also auch aus diesem rein politischen Gesichts-
punkt ergibt sich die Forderung, die das Duell be-
strafenden Gesetze aufzuheben. Es erweist sich
neuerdings, daß das Duell prinzipiell freigegeben
werden muß, söll es effektiv bekämpft werden.

Der Militärstaat betreibt eine ganz besonderS
geschickte Politik, indem er individualistische Argu-
mente für Zwecke ausspielen läßt, welch'e der Macht-
politik angehören. Daß aber rein individualistische
Gründe bestehen, die ganz anders abzulCiten sind,
macht das Problem so sChwierig.

Die induvidualistisChe Idee des Duells besteht
darin, daß man für gewisse Handlungen und
Aeußerungen mit seiner ganzen Existenz einsteht
und seine Persönlichkeit verwettet, um dadurCh allen
Aeußerungen seines Lebens ein höheres Gewicht zu
sichern. Durch die zum Gnindsatz erhöbene Un-

verzeihlichkejit all seiner Worte und Taten hebt
der Duellpflichtige das Niveau seines ganzen Lebens,
weil, nun alles belangreich', inhaltschwer relevant
wird und jede Lebensäußerung über den BereiCh des
Augenblicks und der Laune hinausgreift. Es ist
eine enorm gesteigerte Pietät, die in einer solChen
Verantwortlichkeit zum Ausdruck kommt, eine
Pietät, die etwas Erhäbenes hat, aber unmödern ist,
in einer Zeit, wo daä Individuum wieder auf seine
„tausend Seelen“ stolz ist. Nicht die Genugtuung,
die einer schuldet, sondern die Wichtigkeit, die
er sich selbst beilegt, ist der leitende Gedanke.
Darum ist es ein Vorrecht, also Recht und nicht
Pflicht.

Der Beweis des Mutes durch das Duell ist nicht
einrnal etwas Sekundäres. Es gehört sChon Viel
Feigheit dazu, um auf diesen Gesichtspunkt über-
haupt zu verfallen. Mut wird vorausgesetzt. Die
Ehrlosigkeit des Duellverweigerns liegt nicht in der
Feigheit, sondern in der Gleichgültigkeit gegen
eigene Gesinnungen, die ais zu unwürdig erscheinen,
um mit dem Degen verteidigt zu werden. Liegt
ja auch im Vorwurf der Lüge nach ritterlicher Auf-
fassung das Befeidige|nde nicht etwa in der im-
putierten VerlCtzung einer religiösen Wahrheits-
pflicht, söndern einzig und allein in der darin ein-
geschlössenen Zumutung der Abhängigkeit, also in
dcm Angriff auf unsere Souveränität. In der
Diplomatie beispielsweise, wo dieser Verdadht nicht
mitspielt, ist die Lüge eine anerkannte Tugend.

Um die Komplikation voll zu machen, tritt in
dieses Wirrsal noch' fein unbewußtes Motiv ein,
nämlich die Sehnsucht nach einem Korrektiv
siegestrunkener soziafer Uebermacht. Wir leben in
einem Zeitalter fortschreitender politischer Freiheit,
aber gleichzeitig sich verdichtender sozialer Ab-
hängigkeiten. DurCh die Notwendigkeit, sein Leben
irgendwie als Karriere zu konstruieren, gerät der
moderne Mensch in ein unübersehbares Netz von
Rücksichten und Zwangsanstalten, die jeden seiner
Schritte zur Resultante von lauter Notwendigkeiten
maChen. Immer bedenklicher verstärkt sich das
Gewicht wirtschaftlicher Rücksichten, immer voll-
kommener setzen sich' Verstellung, Unterdrückung
der natürliChen Affekte durch. Der Druck der viel-
seitigen Abhängigkeit ist so stark angewachsen, daß
selbst die Rechtsdurchsetzung illusorisch wird. Der
formale Anspruch, beruhe er nun auf dem Straf-
oder ZivilreCht, wird vernachlässigt; denn die Aus-
übung und DurchSetzung der Rechte steht nur dem-
jenigen zu^ dessen Macht von vornherein größer
ist. Wo bereits das Uebergewicht feststeht, dort
kann eS durch Verträge gesteigert werden; dagegen
sind Verträge für die wirtschaftlich Schwachen ohne
Wert. In diesem entsetzlichen Druck des schweigen-
den Duklens liegt der Grund unserer Nervosität.
Das Abreagieren Verschwindet aus der Oekonomie
unseres Gemüts.

Da ist dann die Aussicht und MögliChkeit eines
Duells immerhin eine Beruhigung für den entnervten
Staatsbürger. Soweit es sich um die landesüblichen
Ehrenbeleidigungen handelt, kann durch eine nach-
drütkiiche Strafverfolgung eine Auflösung der Span-
nung biS zu einem gewissen Grade erzielt werden
und insbfern ist der Kalkül richtig, daß durch eine
Reform der betreffenden Gesetze eine Verminderung
der Duelle herbeigeführt werden kann. Bei sonsti-
gen Eingriffen in die Persönlichkeit — wie; beispiels-
weise in die Sexualsphäre — kann die noch so
energischfe InterVention eines Dritten keine wahre
Genugtuung sthaffen. Daher kommt es, daß gerade
die unritterlichste Zeit an diesem Erbstück mit einer
gewisSen Zähigkeit festhält. Das Duell ist hier ein
psychologisches Hilfsmittel, in dem Sinn, wie man
gesagt hat, der Gedanke an den Selbstmord sei
ein Trost, mit dem man über manche böse Nacht
hinwegkomme.

lndem w,ii zu unserem Gleichnis zurückkehiv.i,
wiederholen wir die Meinung, daß die Lösüng dieses
Problems nur durch einen konzentrischen An-
griff von mehreren Seiten herbfeigeführt werden
kann: Zur Klärung und Demaskierung ist vor allem
der Konflikt zwischen Gesetz und Gesellschaft auf-
zuheben und das Duell prinzipiell freizugeben.
Durch diesen Schachzug, der der Aristokratie sChein-
bar entgegenkommt, wjrd es in Wahrheit seinen
aristokratisCh-militärischen Charakter einbüßen und
auf seine individualistischfen Motive zurücksinken.
DurCh eine strengere Verfolgung der vulgären
Ehrenbelfeidigung kann das Gemüt zimlich entlastet
werden, bei tieferen Eingriffen in die Persönlichkeit,

wie beispielsweise beim Ehebruch, wird man die
Entscheidung den Betroffenen überlassen müssen,
und eä inzwischfen der philosophischen Erleuchtung
überantworten, neue Konventionen und Grund-
anschauungen vorzubereiten. Eine verfeinerte ge-
sellschaftliche Kritik, gesteigerter Gerechtigkeitssinn
und Rückkehr zum natürlichen Empfinden werden
gleichfalls die Spannung entlasten. Aber die her-
vorragendste Aufgabe fällt einer höheren Sozial-
politik zu, welche neue Gegengewichte schäfft und
die Nerven entlästet. Man denke an jene hferrliche
Stelle der Orestie, wo endlich dem Schlachten ein
Ziel gesetzt, die Blutrache entthront und der Areopag
von der Göttin Athene gegründet wird. Wie von
Firnenlicht übergossen strahlt die Szene und ein er-
habener Schauder verkündet das beginnende Regi-
ment der Mensfehlichkeit. . . . Heute gilt es, einen
neuen Areopag zu gründen, der den Stacheldraht
einer überspitzten Ordnung zerschneidet, die Rechte
des Gemütes zum Siege führt und eine höhere Frei-
heit erfindet.

Und Pippa tanzt

Von Thaddäus Rittner

Pippa tanzt. Aber die Maßgebenden sind nicht
zufrieden. Nämlich: la grande foule und die kleinen
Rezensenten. Sie \vird nicht nur ignoriert. Sie wird
gehaßt.

Was hässen la grande foule und die kleinen
Rezensenten ? Die Ironie. Die ganze künstlerisChe
Physiognomie Pippas jist ironisCh. Das ist meine
Empfindung. Ungewollte Ironie. Dasl heißt: Eine
EigensChaft der Dichtung, niCht des Dichters. Wie
denn überhaupt das Gewollte das SchleChteste an
diesem und an jedem Drama ist. Pippas SChönheit
ist ironisCh. AHes Frühere von Hauptmann wai
bitterer literarisCher Ernst. Darum war alles Frühere
sö beliebt. Darum erhielt Hauptmann sö sChöne
Grillparzer- und andere Preise. Für Pippa bekommt
er gar nifehts. Sie ist der Pferdefuß. Eine kom-
promittierende GeSChichte. Kurzgesagt: Eine Dich-
tung.

Pippa hat ihre eigene Luft. Ein Königreich
deS 1 Ofases ,in Schlesien. Die Leute sind in der
Gläshütte besChäftigt oder leben Von ihr mittelbar.
Aber nicht die Arbeit gibt der Dichtung den Grund-
ton (wie in den „Webern“), Söndern das Material
der Arbeit. Dasl ist das CharakteristisChe. Aus dem
GegenSatz zwischen der häßlichen Arbeit und dem
schönen Material ergibt siCh das Leitmotiv des
Ganzen. Das Glas stammt aus Venedig, wie Pippa,
die Tochter desl Glastechnikers Tagliazlzoni. Und
diesfes „Venedig“ — mehr eine SehnsuCht als eine
Stadt — gibt dfem Dramä einen zweiten Hintergrund.
Den rein poetisChen neben dem Ort der Handlung.

Rauhe Bauernhände erzeugen zarte Blumen-
wunder aus Glas. Ahnungslos. Hungrige Bauern-
augen verschlingen jdie tanzende Pippa und leiden
an ihr, äber sie sehen sie niCht. Sie tanzt vor ihnen,
aber nicht für sie.

Pippa ist die echteste weibliche Schöpfung des
früheren Literaten. Traurig echt in ihrern Schicksal.

Sie ist „die Schönheit auf Erden“. Sie ist das
Weib. Jedenfalls ist sie dazu da, mißverstanden
zu werden. Vor Männern zu tanzen, die sie aus
Bewunderung zerreißen oder — heiraten möchten.

Zwei feymbolische Tänze am Anfang und am
Ende. Das erstemal im Wirtshaus — eine „Pro-
duktion“. Und zum SChluß in der Hütte Wannsi —
eine höchst feigene sexuelle Angelegenheit. Zwei
Bifder von einer impoSanten Perspektive.

Im Wirtshaus. Unter den zuschauenden Bären
ist auCh Ider „Glashüttendirektor“. Ein gewöhn-
liChfer Mensfeh. Aber doch unter den Bären ©in
Weltmann. Seine Galanterie hat eigene feine I^u-
ancfen. Zuerst kommandiert er, das „verlauste“
Mädel Söll tanzen. Aber Pippa ersfeheint, und er
behandelt Sie zart — wie Glas. Der Herr Direktor
„liebt“. Hat sogar Von Pippa Träume. Er sagt
ihr, daß sie aus dem Glasöfen stamme. So riChtig
träumt er von Pippa. Er sagt ihr: „Wenn die
Weißglut aus dem Ofen brifeht, sehe ich dich oft
ganz sialamanderhäft in den glühenden Lüften mit
hervörzittern.“ Da läßt siCh plötzlich ein grotesker
Riese vernehmen, ein früherer Glasbläser, „der alte
Huhn“. „Vo dar hoa iich o sfehunn Träume ge-
hott. . . .“ DaSl ist unheimlifeh. Jenseits von lite-
rarisfeh und szenisfeh'. Aus dem Schfesischfen ins

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