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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

DOI Heft:
Nr. 36 (November 1910)
DOI Artikel:
Strindberg, August: Das tausendjährige Reich
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0289

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Umfang acht Seiten

Einzelbezug: 10 Pfennig

DERSTURM

WOCHENSCHRIFT, FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE

Redaktion und Verlag: Berlin-Halensee, Katharinenstrasse 5
Fernsprecher Amt Wilmersdorf 3524 / Anzeigen-Annahme und
Geschäftsstelle: BerlinW35, Potsdamerstr. 111 / Amt VI 3444

Herausgeber und Schriftleiter:
HERWARTH WALDEN

Vierteljahresbezug 1,25 Mark j Halbjahresbezug 2,50 Mark/
Jahresbezug 5,00 Mark / bei freier Zustellung / Insertions-
preis für die fünfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig


JAHROANO 1910 BERLIN /DONNERSTAG DEN 3. NOVEMBER 1910/WIEN NUMMER 36

INHALT: AUGUST STRINDBERG: Das tausend-
jährige Reich / PETER HILLE: Das Mysterium Jesu /
ERNST SCHUR: Die Luftseuche / FRIEDRICH MELLIN-
GER: Fieber / ELSE LASKER-SCHÜLER: Gedichte /
ALFRED LICHTENSTEIN: Mabel Meier / ALFRED
DÖBLIN: Berliner Theater / TRUST: Notizen [Trianon-
theater / Der ernste Ulk / Der ulkige Ernst] / OSKAR
KOKOSCHKA: Menschenköpfe /VI: RICHARD DEHMEL

Das tansendjährige Reich

Von August Strlndberg

Im Jahr 998 war Rom ein deutsches Kaiser-
tum und der deutsche Kaiser Römer gcworden.
Otto der Dritte, vori seiner griechischcn Mutter
Theophano erzogen, hatte ihre Sehnsucht nach dem
Süden geerbt. Er lebte deshälb meist in seinern
Pal'ast auf dem Mons Ayentinus, hfclt dort Hof
und pl'ante, Rom in die Hauptstadt des deutschen
Refches zu verw'andeln. Der Kaiser war zwanzig
Jahre, ehrgeizig, phantastisch, fromm und grausam.

Während einer Abwesenheit war der alte
Römergeist erwacht und der edte Senator Cres-
Centius hatte sich als Vollcstribitn aufgestellt, Rom
voh den DeutsChen befreit den Papst Oregiorius
den Fünften vertrieben una Johannes den Sech-
zehnten eingesetzt.

Der Kaiser kehrte schhel! nach Rom zurück,
nahm Crescentius mit seinem Papst gefangen und
fieß darauf den Römern ein lebendiges Schauspiel
aufführen, das wohi ihre Väter, sie aber noch nie
gesehen hatten.

Der Leoninische Stadtteil umfaßte die vatikani-
schen Hiigel mit der ältesten Peterskirche und
einem päpstlichen Palast, der abwechselnd mit dem
lateranischen tbewohnt wurde. Er hing mit der
Stadt durcb den pons Aelius oder die Brücke
Hadrians zusammen. Am Brückenkopf auf der
Stadtseite befand sich das Orab Hadrians, ein turm-
artiges Oebäude, in dem die Kaiser bis zu Caracalla
begraben lägen. Als die Ooten Rom einnahmen,
wurde das Orab als Festung benutzt, was es lange
Zeit blieb.

AIS die Römer am Morgen des Jahres 998 er-
wachten, sahen sie zwölf große Holzkreuze auf
der Burgterrasse Hadrians errichtet. Oberhalb
stand der Erzengel Michjael mit gezogenem Schvvert,
den einst Qregorius der Große aufgesjtellt hätte.

Auf der Aeliusbrücke War viel sch.aulustiges
Volk versammelt, unter ihnen ein französisCher
Kaufmann und ein gotischer Pilger, der von Westen
über den feoninischen Stadtteil gekommen war.

Die Sonne war längst aufgegangen, und das
Schwert des Erzengels flammte.

Wunsch und Zeichnung von
Oskar Kokoschka

Was sind das für Kreuze dort? fragte der
Pilger und sChützte die Augen vor den Strahlen.

Zwölf! Solten sie vieileiCht die zwölf Ajvostel
bedeuten ?

Nein, die haben ausgelitten; und der fromme
Kaiser kreuzigt dje Jünger des Herrn nidrt von
neuem.

Ja, der Kaiser! Der Sachse! — Weder der
Gote noch der Longobarde, noch der Franke sollte
Rom bekommen, sondern der SaChse aus dem ver-
fluchten Volk, das Karl der Große von der Erde
ausgerodet zu haben gläubte — er sandte zehn-
tausend nach Oallien hinein, um den Feind mit
diesen Wilden zu beglücken, und er entiiauptete
viertausendfünfhbndert an einem Tag, obne eine
schläflose Nacht zu häben. Wunderbar sind die
Wege des Herrn!

Dfc Letzten werden rnänChmal 1 die Ersten!....

O Herr Jesus, Erlöser der Welt! Es bewegt
sich etwas am Kreuz!

Bei Oott... Ich kann nicht hinsehen! Es sind
gekreuzigte Alensclien!

Zwei Römer standen neben den Fremdlingen.

Hermann, du bist gerächt! sagte der eine.

War Arminius SaChse? wandte der andere ein.

Wahrseheinlich, da er im Harz; wohnte.

Vor tausend Jahren ging Thusnelda hier auf
den Straßen im Triumphzug des Germanicus Und
trug den ungeborenen Thumelfcus unter ihrem
Herzen. Daß tausend Jahr nötig sind, um sich zu
räcben!

Tausend Jahre sind wie ein Tag! Aber sind
nicht diese unsere römischen Brüder am Kreuz auch
Märtyrer für Roms iFreiheit?

Märtyrer für unser Recht; aber diesmal hatten
sie Umecht, weil es deu Oöttern so geficl.

Die Szene änderte sich. Unterhalb der Burg
wurde der Volkshäufe von Soldaten geöffnet.
Rüeklings auf einem Esel kam Papst Johannes der
Sechzehnte angeritten. Ohren und Nase waren ab-
geschnitten und seine Augen ausgestoChen. Der
kläglfche Anblick wurde noch gräßlicher dadurch,
daß eiine Schweinsblase über seinem Kopfe im
Winde wehte. Das Volk schwieg und schauerte.
Es war doch immer Christi Statthalter, der Nach-
folger Petri, wenn auch kein Märiyrer.

Ein Sizilianer stand auf der Brücke neben einem
Juden. Seit hündert Jahren ungefähr war Sizilien
im Besitz der Muhamedaner.

Der muß vvohl 1 für seine Vorgänger leiden!
sagte der Jude, das ist der christliche Glaube:
satisfactio viCaria.

Oelitten muß werden, antwortete der Sarazene,
und ich weine nicht, daß die Schwleinerei ein sol-
ches Ende nimmt! Hundert Jahre haben die Päpste
wie Kannibalen gelebt. Du erinnerst dich an
Sergius den Dritten, der mit der Hure Theodora
und ihren Töchtern lebte. Und Johannes der Zehnte
führt das Leben fort mit Mutter und Tochter
Marozia, die mit eigener Hand zuerst seinen Bruder
tötet und dann den Papist mit einem Kissen er-
stiCkt. Johannes der Zwölfte wurde schon mit
neunzehn Jahren Papst. Er ließ sich bestechen,
und hat einen Zehnjährigen jn einem Stall zum
Bischof geweiht; ibeging Blutschande mit der Kon-
kubine des Vaters und vervvandelte den Lateran in
ein BiordeW! Er jspielte Karten, trank und sChwur
bei Jupiter und Venus.... Das weißt du wohl !

Ja, antwortete der Jude, die Christen leben
in Oehenna, seit sie den einzigen und wahren Oott
verließen. Die Tioren stahlen uns die Messias-
verheißung, aber die Verheißung Abrahams bljeibt
uns. Rom ist ein Irrenhaus, Deutschländ ein
Schlächthaus, und Frankreich ein Hurenhaus! Er-
freulch bleibt es jedenfalls, wie sie sich gegen-
seitig umbringen.

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