Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0072
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Nr. 9 (April 1910)
DOI Artikel:Döblin, Alfred: Gespräche mit Kalypso, [5]: Ueber die Musik
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weder Eltern noch Kinder. Der Ton ist ein Atom.
Die Aufgabe, mit der sich Weise quälen, wie
aus gleichartigen ruhenden Atomen die bunt-
scheckige, rastlose Welt sich bilde, erwächst
darum dem Schöpfer der Tonwelt. Ist der Ton
verklungen, so hat er ausgelebt, spurlos: die
Musik muß den Tod des Tones aufheben, um zu
sein; der Spur des Lebens folgend, muß sie ihn mit
Wirksamkeit und Ursächlichkeit ausstatten, ihn
seiner Einsamkeit entreißen.
— Etwas Seltsames, höchst Erstaunliches be-
giebt sich hier; denn im Ton ist, wie mich Kalypso
lehrte, das Zueinander der Dinge leibhaftig ge-
worden; der Ton stellt selber Lebendigkeit dar;
darum eben unterliegt er nicht mehr den Ursachen
und Wirkungen, darum hebt er keine Lasten, dreht
keine Miihlenräder. Und so begibt sich das Er-
staunliche, nun Begreifliche, daß cr, der Träger
der Beziehlichkeit und des Lebens, tot erscheint,
weil kraftlos und kein Packträger. Die Musik
muß aber, will sie ihn lebendig machen, ganz miß-
verstehen, zurückbiiden, unter die Dinge stoßen! —
Auf dem Zwang zu diesem Mißverständnis wächst
die Musik. Es gilt, die Unvollständigkeit des gegen-
wärtigen Tones zu erzeugen. Echte Unvoll-
ständigkeit, nämlich das Wesen entwickelnde,
bleibt dem Ton versagt, dem fertigen, runden,
glatten. Die falsche Unvollständigkeit preist das
Volk überall; sie tritt auf in der Ursache, als in einer
wirklichen Sache, welche wesensfremd, das andere
Ding von außen stößt und bewegt; „Ursache“:
Das ist schon „erste Sache“.
Wie nun kann ein Toti gleich einem Ding
mit solcher äußeren Ursächlichkeit ausgestattet
werden? Ich will mir solchen Versuch er-
denken. Es „bewegt“ der Ton, der die andern
übertönt und beendet: dies erweckt nämlich den
Anschein, als hätte er sie zum Schweigen gebracht,
zum Schweigen bewegt. Ein Nach-Bild, ein
Schein des Zusammenhangs muß geschaffen
werden. Denn da die echte Unvollständigkeit den
Tönen versagt ist, kann Musik nur menschen-
herrlich sein. Und der Zusammenhang der Töne
bestimmt sich nicht als Schöpfung und Zeugung,
sondern als Satzung und Ordnung. Dies ist nun
eins und sehr wichtig: die Uebertragung der Schein-
Qesetze der Wirklichkeit auf die Töne, — der Ver-
such einer wirklichen Nachschöpfung zum Zweck der
Kunst. Es findet hier kein blindes freies Spielen
mit den Tönen statt, sondern man schafft sorgsam.
streng und ernst: man sucht den Tönen dasselbe
eigentümliche Leben einzuflößen wie den wirk-
lichen Dingen. Man lauscht ängstlich: gelingt es
oder gelingt es nicht? Man erwartet schon gliick-
voll die Qeburt der Musik. Der Tonschöpfer setzt
einen Ton und nennt ihn Herrscherton, Grundton.
Der ist bewegend. selbst unbewegt. Neben dem
mächtigen Ton ist dann für einen Andern kein
Platz. — Denn eben in der Unduldsamkeit, etwa
der Länge, der Stärke, der Höhe, zeigt er seine
Wiirde und den Anspruch seiner Macht — es sei
denn, der andere nehme seinen Willen an. Dies
heißt: er ende oder er werde ihm gleich. Der
Herrscherton hat ein großes Maul; Kunst iibt, wer
sich von ihm verschlingen läßt. Die Unverträglich-
keit und Ueberwertigkeit des Grundtons zwingt
jeden Nebenton zum Enden, oder was dasselbe ist,
zu einem zweiten, der die Unterwerfung des
Skiaventons anzeigt, sofern er dem Machtton nicht
schon von vornherein glich. So erzeugt er den
dritten Ton; der Grundton bildet das Ende der
Tonbewegung, die er so verursacht hat, selbst un-
bewegiich. Dies ist der Grundriß einer Musik, die
emfachste Bestimmung der Musik, als einer ton-
erzeugenden, tonverschlingenden Mascnine.
Nlemand kann König sein, ohne Land; die Unter-
werfung des Nebentons setzt das Vorhandensein
eines Nebentons voraus. Es miissen unabhängig
von dem Grundton Töne fließen, fremdwillig, den
Musikstoff zu bilden. Jene andern Töne, die der
Herrscherton beherrscht, treten, wie er selbst, aus
der Freude hervor. Wenn nun diese fremdwillige
Reihe der Töne einsetzt, so muß ich mich ent-
schließen, einen Herrscher zu ernennen, damit
das tönende Auf und Ab schwinde, damit die Reihc
aufhöre, und die Ordnung, der Zusammenhang, die
Musik entstiinde. Mit jenem, sehr lauten, oder sehr
langen Königston muß ich mich in den Kampf
stürzen, ihn festhaiten und schützen gegen alle An-
griffe. Fällt er, so schwankt der Boden, und das
Chaos bricht herein! „Halt, halt!“ muß ich über
die Reihe rufen. Mit einer Meute hetzt der stark-
knochige Jäger sein Wild und macht das Feld frei.
68
Statt eines Bewegers und Belebers fst cr Beender
und Mörder. Der Grundton herrscht nicht über diq
Töne, sondern erdrückt sie; folgen fremawillig viele
unterschiedene Töne aufeinander, so herrscht letzt-
lich diese wirre Reihe, und Grundton heißt das
Ende der Reihe, das er erzwingt durch seine Stärke
und Dauer. Er nützt seine Macht von Menschen
Gnaden schlecht, wenn er sich nicht selbst an den
fliehenden Tönen mißt, sie angreift, sich ihrer be-
dient und sie sich unterordnet. So wäre nur wenig
geschehen mit der Ueberwertung eines einzigen
Tones, um das Chaos zu beenden, und aus Tönen
Musik zu machen.
Es gilt die Unvollständigkeit des gegeti-
wärtigen Tones zu erzeugen: dieser Satz steht
über allen, die einen Zusammenhang fordenr, Te
Welt ist nicht aufzuhalten; sie ist nicht fertig,
immer unwirklich, sie wächst. Während ich hier
stehe, lodert die Welt, eine grelle Brandfackel,
durch alle Räume. So wenig sich der innere Zu-
sammenhang in Tönen geben läßt, läßt sich
der äußerliche, scheinbare der Ursächlichkeit
nachbilden. Die Fähigkeit jedes Fortschrittes, jedc
Stoßfähigkeit und Schwerkraft, ist den Tönen ver-
sagt; die Töne hier, von einem fremden Willen ge-
reiht, gelangen bisher nachbildend zu keiner Ord-
nung. Wir steigen vom Himmel zur Erde.
Der Königston, der Grundton stellte an die
Töne den runden, kiaren Anspruch, ihm gleich
zu werden, und dies war die einzige Handlung, in
der sich der Wille zur Musik erklären konnte: der
Grundton konnte nur enden. Die große Füüe der
anderen Töne trat dem Königston gegenüber, nur
als andere, schwächere Töne. In der Machtlosig-
keit auf den einzelnen Ton einzugehen, ihre Ver-
schiedenheit zu erfassen und sie nach ihrer Ver-
schiedenheit verschieden zu bewegen, lag die töt-
Iiche Schwäche des Ursachentons. Herrschen nun
muß ein Ton, denn nur in der Echtheit liegt Ord-
nung und Zusammenhang. Aber damit Musik ent-
stehe, die sich im Tonverbinden, nicht im Beenden,
erweist, muß der Herrscherton dem unter-
schiedenen Reichtum und der Mannigfaitigkeit dc
Töne gerecht werden, sich den Tönen nähern.
Macht darf dann nicht allein der Königston be-
sitzen, sondern es muß Stärke auch den anderen
in unterschiedener Größe innewohnen, datnit sie
sich ihm vergleichen können. Ein Adelsgeschlecht
muß geschaffen werden. Wenn aber von
Herrschen und Stärke die Rede geht. so gilt es
wohl zu bedenken, daß niemand stark heißen kann
in sich, sondern nur gegen anderes, weil sich
Stärke in den Leistungen beweist und danach
bemißt. Die unterschiedene Kraftgröße der ver-
schiedenen Töne wird musikalisch nur darum ge-
fordert, weil die Töne sich vergleichen sollen, damit
so eine Herrschaft, das ist Zusammenhang, ent-
stehen möge. Gefordert wird hier die Kraft iiber-
haupt nur um des Kraftverhältnisses willen, ge-
fordert wird das Kraftverhältnis. Zusammenhang
soll geschaffen werden; nicht also kann er schon
dadurch erreicht werden, daß den einzelnen Tönen
verschiedener Wert verliehen wird. Der Zu-
sammenhang der Töne liegt ganz in der Bewegung
eines auf den andern; der einzelne Ton hat nur
Sinn als Träger und Uebermittler einer Bewegung.
Die Frage: „wie Iäßt sich die Beziehung der Töne
regeln?“ verdichtet sich jetzt zu der: „welches
Maß läßt sich für die Bewegungsgröße finden?“
Um die Bewegungsgröße von Tönen zu messeti,
bedarf es eines Tonmaßes, denn die Töne kann mati
so wenig mit der Eüe messen, wie eine Dichtung
mit dem Steingewicht. Es gibt nun wohl ein festes
Maß, um genau das Beziehungsverhältnis der Töne
von einander zu bestimmen, das Verhältnis der sie
erzeugenden Schwingungen; doch ist dies kein
Maß der Töne, sondern eben der Schwingungen.
Ich weiß also, wenn Ich frage: „wie ordnet man
die Töne hintereinander, wie mißt man ihre Be-
wegungsgröße?“, daß daran aües Messen im
Tönenden seine Grenze findet, daß nur das Greif-
bare, Sichtbare sich wiüig der Zahl unterwirft. Es
kann nur Spielerei bedeuten, sagt man, dieser Ton-
fortschritt klinge wie 1:1 oder 1:2. Es gibt keitt
Tonmaß.
Die Weisen und Durchforscher der Natur
haben ihre Stimme erhoben und vermeint, es gäbc
ein solches Maß der Bewegungsgröße, man brauche
es nicht schaffen, sondern nur finden, — in der
Natur; eben dass Maß sei die Zahl der Bewegtmgs-
größe des tonerzeugenden Stoffes. Sie reden
davon, daß jeder Ton „entstehe“ durch eine Anzahl
von Schwingungen des Stoffes, daß derjenige Ton
einem andern nahestände, der doppelt so vi f
schwinge, als der andere, näher als einer, der dre
mal so oft schwinge, und so ähniich weiter. .
einfacher das Verhältnis ihrer SchwingungszahR’
sei, um so näher ständen sich die Töne an tmtsi
kalischem Werte. Ich weiß, der Ton ist ej !
anderes, das harte Ding und die Schwingung ei'
anderes, — doch sind sie verbunden: es sind di'
Dinge, die tönen. Und wunderbar crscheint nti 1
darum, daß doppelt so rasche Dingbewegung eine>
Ton erzeugt, der dem aus einfacher Schwingut'i-
ähnlicher klingt, als dem aus dreifacher und ffjtt^
facher. Auf die Innigkeit der Verbindttng von To<
und Ding deutet weniges so scharf, wie die aÜ (
Bemerkung: je einfacher die Beziehung d« 1
Schwingungszahlen, um so übereinstimmender dl f
Töne. Doch ist solche Beziehung von Ton um
Ding weit entfernt, die Musik zu einer Kunst de-
unbewußten Zählens zu erniedrigen.
Die Einfachheit und Uebereinstimmung is 1
schon keine Tatsache, sondern eitt menschliche 5
Urteil; es ist keine Tatsache, daß 1:1 einfacher is 1
als 1:2. Ob Töne nahe beieinander stehen ode f
übereinstimmen, sich ähneln, liegt nicht an def 1
Tönen selbst, sondern am Menschen, der sie höf 1
ttnd vergleicht. Wenn ich so spreche, ttnd meinf'
dies liege nicht an den Tönen, so muß ich jetzt nod 1
klarer unterscheiden. In dem, was vorhanden ist*
gegeben ist, was sich darbietet als Weltablai'f
liegt etwas wie eine Aufforderttng, |a ein Zwattg z' 1
urteilen, es sei so gegeben und niclit anders ge-
geben. Das Dargebotene verlangt Atierkenmtntl
Ein Blatt fällt vom Wind gestoßen vom BaumU
das geschieht ohne mich; ich erleide gleichsatf
den Anblick. In sich gezogen grübelt ja das Oc'
gebene, läßt sich nicht gern am Aermel streifei'-
blickt nur scheu von der Seitc dett Vorübef'
gehenden an, der es auf dem Stein am Wege sitzet 1
sieht. So scheu blickt mich das Gegebene ai’-
wenn ein Blatt vom Aste flattert. Doch freilich 1
ich bin es, der dies erleidet, an dem dies geschieht-
Dies ist zwar in gewissem Hinblick Leiden. abef
eine Beziehungsweise zu mir; von mir auch; gehöf*
auch zu meiner Bestimmtheit; ich bin im Fallen de"
Laubes: Blick um Blick. — Solches driickt die Ati'
erkennung atts. Wenn ich attch denen, die die We ,!
an den Menschen binden, nicht beistimmen \
— sie machen die Welt so zttr Liige — so
doch dies zu: die Welt wird mir mtr zttg '
der Weise der Anerkennung. Sie be ' ’
Weges, atif dem sie zu mir schreitet: we adt, m- |
ihr spreche, so darf ich nicht vergesse.and Roser- J
bin. der von ihr spricht, das ist: einer, " Lindett, |
andern redet: ich ergehe mich in Urtenen iani sie-
Soiche Beziehungs- und Urteilsweise, doch jene
der Anerkennung spricht in dem Satze: Das Blatt
flattert vom Baum, dieser Ton klingt so hoch, so
lang, so Iaut, jener so hoch, so lang, so laut. Went 1
ich nun aber sage, ein Ton sei so oder so hoch, sn
habe ich damit noch nicht gcsagt, dieser Ton sei
höher als jener, diese Bewegungsgröße ähnele jener.
Der Ton steht da fiir sich in seiner Bestimmtheit:
nichts in ihm weist attf die Umgebtmg ttnd iiber iht'
hinaus; was an ihm vorhanden ist, was er ist, ist
eben die Bestimmtheit, die rttnd, gewölbt auf eignen
Pfeilern ruht. Ich höre ihn wohi anders als den
andern, doch ist er nicht anders. Die Muschel hief
wird auch nicht zur Muschel dttrch den Sand, das
Blau wird nicht durch däs Griin; die Welt wiirdc
sonst ins blaß Unendliche verschwimmen ünd ver-
löre die Bestimmtheit. Nicht also kommt solche Be-
ziehlichkeit den Dingen ztt, sondern sie kommt z"
ihnen hinztt, — dttrch mich. Erst die Beziehung z"
mir läßt die Dinge so bezogen sein. Alle Musik abef
ruht nicht darattf, daß dieser Ton so hoch, jener so
hoch ist, sondern daß die Töne verschieden tind wi"
verschieden sie von einander sind. ruht attf der Be-
wegungsgröße. So zeigt sich die Musik, im Attgen-
blick, wo sie auf den Plan tritt, von Gedankenart.
ttnd obzwar attch in der echten Beziehlichkeit des
Geschehens sich der Gedanke in der Welt selbst
erweist, so bildet der Mensch hier. seine eigen-
tümlicheri Gedanken, die den Kreis seiner be-
sonderen und einzelnen Bestimmtheit malen. Ich
kann nun nicht zur Erklärung dieser Gedanket'
sagen, er raffe so einheitlich die Welt zusammen,
machte sie sich handlich; sein Tttn ist selbst eine
Welthandlung. Abgesehen von solchen Einzel-
bestimmtheiten und Handlungen seh ich keine Welt-
Daß er aber seinen „Lebensbedingungen“ mit
solchen Urteilen und Handlungen genüge. daß er so
etwa sehr sparsam über seine „Kräfte“ verfftge.
oder sich bereichere, sage ich nicht. denn dies hieße
Die Aufgabe, mit der sich Weise quälen, wie
aus gleichartigen ruhenden Atomen die bunt-
scheckige, rastlose Welt sich bilde, erwächst
darum dem Schöpfer der Tonwelt. Ist der Ton
verklungen, so hat er ausgelebt, spurlos: die
Musik muß den Tod des Tones aufheben, um zu
sein; der Spur des Lebens folgend, muß sie ihn mit
Wirksamkeit und Ursächlichkeit ausstatten, ihn
seiner Einsamkeit entreißen.
— Etwas Seltsames, höchst Erstaunliches be-
giebt sich hier; denn im Ton ist, wie mich Kalypso
lehrte, das Zueinander der Dinge leibhaftig ge-
worden; der Ton stellt selber Lebendigkeit dar;
darum eben unterliegt er nicht mehr den Ursachen
und Wirkungen, darum hebt er keine Lasten, dreht
keine Miihlenräder. Und so begibt sich das Er-
staunliche, nun Begreifliche, daß cr, der Träger
der Beziehlichkeit und des Lebens, tot erscheint,
weil kraftlos und kein Packträger. Die Musik
muß aber, will sie ihn lebendig machen, ganz miß-
verstehen, zurückbiiden, unter die Dinge stoßen! —
Auf dem Zwang zu diesem Mißverständnis wächst
die Musik. Es gilt, die Unvollständigkeit des gegen-
wärtigen Tones zu erzeugen. Echte Unvoll-
ständigkeit, nämlich das Wesen entwickelnde,
bleibt dem Ton versagt, dem fertigen, runden,
glatten. Die falsche Unvollständigkeit preist das
Volk überall; sie tritt auf in der Ursache, als in einer
wirklichen Sache, welche wesensfremd, das andere
Ding von außen stößt und bewegt; „Ursache“:
Das ist schon „erste Sache“.
Wie nun kann ein Toti gleich einem Ding
mit solcher äußeren Ursächlichkeit ausgestattet
werden? Ich will mir solchen Versuch er-
denken. Es „bewegt“ der Ton, der die andern
übertönt und beendet: dies erweckt nämlich den
Anschein, als hätte er sie zum Schweigen gebracht,
zum Schweigen bewegt. Ein Nach-Bild, ein
Schein des Zusammenhangs muß geschaffen
werden. Denn da die echte Unvollständigkeit den
Tönen versagt ist, kann Musik nur menschen-
herrlich sein. Und der Zusammenhang der Töne
bestimmt sich nicht als Schöpfung und Zeugung,
sondern als Satzung und Ordnung. Dies ist nun
eins und sehr wichtig: die Uebertragung der Schein-
Qesetze der Wirklichkeit auf die Töne, — der Ver-
such einer wirklichen Nachschöpfung zum Zweck der
Kunst. Es findet hier kein blindes freies Spielen
mit den Tönen statt, sondern man schafft sorgsam.
streng und ernst: man sucht den Tönen dasselbe
eigentümliche Leben einzuflößen wie den wirk-
lichen Dingen. Man lauscht ängstlich: gelingt es
oder gelingt es nicht? Man erwartet schon gliick-
voll die Qeburt der Musik. Der Tonschöpfer setzt
einen Ton und nennt ihn Herrscherton, Grundton.
Der ist bewegend. selbst unbewegt. Neben dem
mächtigen Ton ist dann für einen Andern kein
Platz. — Denn eben in der Unduldsamkeit, etwa
der Länge, der Stärke, der Höhe, zeigt er seine
Wiirde und den Anspruch seiner Macht — es sei
denn, der andere nehme seinen Willen an. Dies
heißt: er ende oder er werde ihm gleich. Der
Herrscherton hat ein großes Maul; Kunst iibt, wer
sich von ihm verschlingen läßt. Die Unverträglich-
keit und Ueberwertigkeit des Grundtons zwingt
jeden Nebenton zum Enden, oder was dasselbe ist,
zu einem zweiten, der die Unterwerfung des
Skiaventons anzeigt, sofern er dem Machtton nicht
schon von vornherein glich. So erzeugt er den
dritten Ton; der Grundton bildet das Ende der
Tonbewegung, die er so verursacht hat, selbst un-
bewegiich. Dies ist der Grundriß einer Musik, die
emfachste Bestimmung der Musik, als einer ton-
erzeugenden, tonverschlingenden Mascnine.
Nlemand kann König sein, ohne Land; die Unter-
werfung des Nebentons setzt das Vorhandensein
eines Nebentons voraus. Es miissen unabhängig
von dem Grundton Töne fließen, fremdwillig, den
Musikstoff zu bilden. Jene andern Töne, die der
Herrscherton beherrscht, treten, wie er selbst, aus
der Freude hervor. Wenn nun diese fremdwillige
Reihe der Töne einsetzt, so muß ich mich ent-
schließen, einen Herrscher zu ernennen, damit
das tönende Auf und Ab schwinde, damit die Reihc
aufhöre, und die Ordnung, der Zusammenhang, die
Musik entstiinde. Mit jenem, sehr lauten, oder sehr
langen Königston muß ich mich in den Kampf
stürzen, ihn festhaiten und schützen gegen alle An-
griffe. Fällt er, so schwankt der Boden, und das
Chaos bricht herein! „Halt, halt!“ muß ich über
die Reihe rufen. Mit einer Meute hetzt der stark-
knochige Jäger sein Wild und macht das Feld frei.
68
Statt eines Bewegers und Belebers fst cr Beender
und Mörder. Der Grundton herrscht nicht über diq
Töne, sondern erdrückt sie; folgen fremawillig viele
unterschiedene Töne aufeinander, so herrscht letzt-
lich diese wirre Reihe, und Grundton heißt das
Ende der Reihe, das er erzwingt durch seine Stärke
und Dauer. Er nützt seine Macht von Menschen
Gnaden schlecht, wenn er sich nicht selbst an den
fliehenden Tönen mißt, sie angreift, sich ihrer be-
dient und sie sich unterordnet. So wäre nur wenig
geschehen mit der Ueberwertung eines einzigen
Tones, um das Chaos zu beenden, und aus Tönen
Musik zu machen.
Es gilt die Unvollständigkeit des gegeti-
wärtigen Tones zu erzeugen: dieser Satz steht
über allen, die einen Zusammenhang fordenr, Te
Welt ist nicht aufzuhalten; sie ist nicht fertig,
immer unwirklich, sie wächst. Während ich hier
stehe, lodert die Welt, eine grelle Brandfackel,
durch alle Räume. So wenig sich der innere Zu-
sammenhang in Tönen geben läßt, läßt sich
der äußerliche, scheinbare der Ursächlichkeit
nachbilden. Die Fähigkeit jedes Fortschrittes, jedc
Stoßfähigkeit und Schwerkraft, ist den Tönen ver-
sagt; die Töne hier, von einem fremden Willen ge-
reiht, gelangen bisher nachbildend zu keiner Ord-
nung. Wir steigen vom Himmel zur Erde.
Der Königston, der Grundton stellte an die
Töne den runden, kiaren Anspruch, ihm gleich
zu werden, und dies war die einzige Handlung, in
der sich der Wille zur Musik erklären konnte: der
Grundton konnte nur enden. Die große Füüe der
anderen Töne trat dem Königston gegenüber, nur
als andere, schwächere Töne. In der Machtlosig-
keit auf den einzelnen Ton einzugehen, ihre Ver-
schiedenheit zu erfassen und sie nach ihrer Ver-
schiedenheit verschieden zu bewegen, lag die töt-
Iiche Schwäche des Ursachentons. Herrschen nun
muß ein Ton, denn nur in der Echtheit liegt Ord-
nung und Zusammenhang. Aber damit Musik ent-
stehe, die sich im Tonverbinden, nicht im Beenden,
erweist, muß der Herrscherton dem unter-
schiedenen Reichtum und der Mannigfaitigkeit dc
Töne gerecht werden, sich den Tönen nähern.
Macht darf dann nicht allein der Königston be-
sitzen, sondern es muß Stärke auch den anderen
in unterschiedener Größe innewohnen, datnit sie
sich ihm vergleichen können. Ein Adelsgeschlecht
muß geschaffen werden. Wenn aber von
Herrschen und Stärke die Rede geht. so gilt es
wohl zu bedenken, daß niemand stark heißen kann
in sich, sondern nur gegen anderes, weil sich
Stärke in den Leistungen beweist und danach
bemißt. Die unterschiedene Kraftgröße der ver-
schiedenen Töne wird musikalisch nur darum ge-
fordert, weil die Töne sich vergleichen sollen, damit
so eine Herrschaft, das ist Zusammenhang, ent-
stehen möge. Gefordert wird hier die Kraft iiber-
haupt nur um des Kraftverhältnisses willen, ge-
fordert wird das Kraftverhältnis. Zusammenhang
soll geschaffen werden; nicht also kann er schon
dadurch erreicht werden, daß den einzelnen Tönen
verschiedener Wert verliehen wird. Der Zu-
sammenhang der Töne liegt ganz in der Bewegung
eines auf den andern; der einzelne Ton hat nur
Sinn als Träger und Uebermittler einer Bewegung.
Die Frage: „wie Iäßt sich die Beziehung der Töne
regeln?“ verdichtet sich jetzt zu der: „welches
Maß läßt sich für die Bewegungsgröße finden?“
Um die Bewegungsgröße von Tönen zu messeti,
bedarf es eines Tonmaßes, denn die Töne kann mati
so wenig mit der Eüe messen, wie eine Dichtung
mit dem Steingewicht. Es gibt nun wohl ein festes
Maß, um genau das Beziehungsverhältnis der Töne
von einander zu bestimmen, das Verhältnis der sie
erzeugenden Schwingungen; doch ist dies kein
Maß der Töne, sondern eben der Schwingungen.
Ich weiß also, wenn Ich frage: „wie ordnet man
die Töne hintereinander, wie mißt man ihre Be-
wegungsgröße?“, daß daran aües Messen im
Tönenden seine Grenze findet, daß nur das Greif-
bare, Sichtbare sich wiüig der Zahl unterwirft. Es
kann nur Spielerei bedeuten, sagt man, dieser Ton-
fortschritt klinge wie 1:1 oder 1:2. Es gibt keitt
Tonmaß.
Die Weisen und Durchforscher der Natur
haben ihre Stimme erhoben und vermeint, es gäbc
ein solches Maß der Bewegungsgröße, man brauche
es nicht schaffen, sondern nur finden, — in der
Natur; eben dass Maß sei die Zahl der Bewegtmgs-
größe des tonerzeugenden Stoffes. Sie reden
davon, daß jeder Ton „entstehe“ durch eine Anzahl
von Schwingungen des Stoffes, daß derjenige Ton
einem andern nahestände, der doppelt so vi f
schwinge, als der andere, näher als einer, der dre
mal so oft schwinge, und so ähniich weiter. .
einfacher das Verhältnis ihrer SchwingungszahR’
sei, um so näher ständen sich die Töne an tmtsi
kalischem Werte. Ich weiß, der Ton ist ej !
anderes, das harte Ding und die Schwingung ei'
anderes, — doch sind sie verbunden: es sind di'
Dinge, die tönen. Und wunderbar crscheint nti 1
darum, daß doppelt so rasche Dingbewegung eine>
Ton erzeugt, der dem aus einfacher Schwingut'i-
ähnlicher klingt, als dem aus dreifacher und ffjtt^
facher. Auf die Innigkeit der Verbindttng von To<
und Ding deutet weniges so scharf, wie die aÜ (
Bemerkung: je einfacher die Beziehung d« 1
Schwingungszahlen, um so übereinstimmender dl f
Töne. Doch ist solche Beziehung von Ton um
Ding weit entfernt, die Musik zu einer Kunst de-
unbewußten Zählens zu erniedrigen.
Die Einfachheit und Uebereinstimmung is 1
schon keine Tatsache, sondern eitt menschliche 5
Urteil; es ist keine Tatsache, daß 1:1 einfacher is 1
als 1:2. Ob Töne nahe beieinander stehen ode f
übereinstimmen, sich ähneln, liegt nicht an def 1
Tönen selbst, sondern am Menschen, der sie höf 1
ttnd vergleicht. Wenn ich so spreche, ttnd meinf'
dies liege nicht an den Tönen, so muß ich jetzt nod 1
klarer unterscheiden. In dem, was vorhanden ist*
gegeben ist, was sich darbietet als Weltablai'f
liegt etwas wie eine Aufforderttng, |a ein Zwattg z' 1
urteilen, es sei so gegeben und niclit anders ge-
geben. Das Dargebotene verlangt Atierkenmtntl
Ein Blatt fällt vom Wind gestoßen vom BaumU
das geschieht ohne mich; ich erleide gleichsatf
den Anblick. In sich gezogen grübelt ja das Oc'
gebene, läßt sich nicht gern am Aermel streifei'-
blickt nur scheu von der Seitc dett Vorübef'
gehenden an, der es auf dem Stein am Wege sitzet 1
sieht. So scheu blickt mich das Gegebene ai’-
wenn ein Blatt vom Aste flattert. Doch freilich 1
ich bin es, der dies erleidet, an dem dies geschieht-
Dies ist zwar in gewissem Hinblick Leiden. abef
eine Beziehungsweise zu mir; von mir auch; gehöf*
auch zu meiner Bestimmtheit; ich bin im Fallen de"
Laubes: Blick um Blick. — Solches driickt die Ati'
erkennung atts. Wenn ich attch denen, die die We ,!
an den Menschen binden, nicht beistimmen \
— sie machen die Welt so zttr Liige — so
doch dies zu: die Welt wird mir mtr zttg '
der Weise der Anerkennung. Sie be ' ’
Weges, atif dem sie zu mir schreitet: we adt, m- |
ihr spreche, so darf ich nicht vergesse.and Roser- J
bin. der von ihr spricht, das ist: einer, " Lindett, |
andern redet: ich ergehe mich in Urtenen iani sie-
Soiche Beziehungs- und Urteilsweise, doch jene
der Anerkennung spricht in dem Satze: Das Blatt
flattert vom Baum, dieser Ton klingt so hoch, so
lang, so Iaut, jener so hoch, so lang, so laut. Went 1
ich nun aber sage, ein Ton sei so oder so hoch, sn
habe ich damit noch nicht gcsagt, dieser Ton sei
höher als jener, diese Bewegungsgröße ähnele jener.
Der Ton steht da fiir sich in seiner Bestimmtheit:
nichts in ihm weist attf die Umgebtmg ttnd iiber iht'
hinaus; was an ihm vorhanden ist, was er ist, ist
eben die Bestimmtheit, die rttnd, gewölbt auf eignen
Pfeilern ruht. Ich höre ihn wohi anders als den
andern, doch ist er nicht anders. Die Muschel hief
wird auch nicht zur Muschel dttrch den Sand, das
Blau wird nicht durch däs Griin; die Welt wiirdc
sonst ins blaß Unendliche verschwimmen ünd ver-
löre die Bestimmtheit. Nicht also kommt solche Be-
ziehlichkeit den Dingen ztt, sondern sie kommt z"
ihnen hinztt, — dttrch mich. Erst die Beziehung z"
mir läßt die Dinge so bezogen sein. Alle Musik abef
ruht nicht darattf, daß dieser Ton so hoch, jener so
hoch ist, sondern daß die Töne verschieden tind wi"
verschieden sie von einander sind. ruht attf der Be-
wegungsgröße. So zeigt sich die Musik, im Attgen-
blick, wo sie auf den Plan tritt, von Gedankenart.
ttnd obzwar attch in der echten Beziehlichkeit des
Geschehens sich der Gedanke in der Welt selbst
erweist, so bildet der Mensch hier. seine eigen-
tümlicheri Gedanken, die den Kreis seiner be-
sonderen und einzelnen Bestimmtheit malen. Ich
kann nun nicht zur Erklärung dieser Gedanket'
sagen, er raffe so einheitlich die Welt zusammen,
machte sie sich handlich; sein Tttn ist selbst eine
Welthandlung. Abgesehen von solchen Einzel-
bestimmtheiten und Handlungen seh ich keine Welt-
Daß er aber seinen „Lebensbedingungen“ mit
solchen Urteilen und Handlungen genüge. daß er so
etwa sehr sparsam über seine „Kräfte“ verfftge.
oder sich bereichere, sage ich nicht. denn dies hieße