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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 1 – No. 30 (1. Januar – 31. Januar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44007#0017

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5. Januar

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rate, worüber die Redak-

Raum 4 kr. ~ Briefe
und Get. rtzite man

1815.





Deutſchland.

++ Aus dem Staate Baden. (Ueber das pennsylvanisſche
Beſſerungsspſtem in Strafanſtalten.) Nachdem nun 1n den Kam-
mern das Strafgesetzbuch und die Strafprozeßordnung berathenund viel-
fach Gegenſtand der Besprechung unter den Bürgern, insbesondere
dem Theile derselben geworden war, die nicht blos Alles, was da
auftaucht, blindlings loben, oder Anderen nachreden, wird es dem
Zweck dieser Blätter entsprechend sein, auch ein gemeinverſtändliches
Wort über das Syſtem der Strafanſtalten, beziehungsweise die Art und
Weise der Behandlung ter Verbrecher in derselben zu reden, zumal
die Frage in dieser Zeit auch für einige andere deutsche Staaten von
hoher praktischer Wichtigkeit iſt. Darüber iſt man ſo ziemlich einig,
daß der bisherige Zuſtand unbefriedigend war, daß die Strafanstal-
ten oft mehr den Wunsch zur Rückkehr dahin, als Furcht vor den-
selben erregten und daß mancher erſt in der Strafanstalt seine Er-
ziehung als Verbrecher vollendete. Ohne Zweifel wird über kurz
oder lang in Bezug auf die Cinrichtung der Gefängniſse ein Gesetzes-
entwurf vorgelegt werden, da schon bei Gelegenheit der Budsgetbera-

t thungen von der Regierungsbank Versicherungen deßfalls gegeben

worden. Um so dringender aber iſt vie Aufforderung ſich ein bis-
c<en umzuſehen in der Welt und sich ein Urtheil über die Einrich-
tung ter Strafanſtalten zu bilden, und nicht von der Schlaffheit
und Fehlerhaftigkeit der jegigen Einrichtungen auf ein gerade entge-
gengeſetites System der Unmenſchlichkeit zu verfallen, und dabei muß
man immer im Auge behalten, daß der Zweck der Strafe ein doppel-
ter, nämlich der der Sühne der Schuld und der der Beſſerung iſt.
Verfolgt man bloß den einen dieser Zwecke, so muß man auf Ab-
tt!!! !? r qt ü eit Ute Gſtczse
u. ualen gege c & " . . g. ; ,

welcher die größere Zahl der Verbrecher mehr aus Rohheit und mit-

telſt Anwendung phyſisſcher Kraft als geiſtiger Raffinirtheit begangen

wurden, fanden wir nur die Anwendung körperlicher Qualen
an der Tagesordnung, Foltern, Mit-glühenden-Zangen-zwicken,
Pfählen, Viertheilen, Rädern. –~ Nun aber, wo wir körperlich
schwächer geworden ſind, wo auch die Verbrechen, welche mehr gei-
ſtigen Aufwand fordern im Zunehmen sind, sinnt man auf geiſtige
Joltern und Strafen, die unseres Dafürhaltens unmenschlicher sind,
weil leut e Theil des Menschen, sein geiſtiges Leben affi-
eiren. Zur Sache.

Die Quäker in Amerika, welche das Blutvergießen beziehungs-
weiſe die Todesstrafe der göttlichen und menſchlichen Gerechtigkeit
und Ordnung zuwider erachteten, schlugen als Aequivalent derselben, die
einsame Einsperrung vor. Der todeswürdige Verbrecher sollte seine
That nicht mit dem Leben büßen, er sollte aus dem hellen fro-
hen Tag des Lebens in die traurige Nacht der Cinsamkeit, in enge
Kerkerzelle, verwiesen werden, um über seine That und ſich, ferne
von der Berührung mit der Welt und den Menschen, nachzudenken.
Der Gedanke fand Anklang, was als Ersatmittel der Todesſtrafe er-
dacht war, sollte bald sür alle Strafen benutt werden und in der
letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wurde im Staate Pennsyl-
vanien eine Strafanſtalt in dieſem Sinne eingerichtet. Seit dieser

Zeit beschäftigt man sich in allen Ländern mit einer zweckmäßigen
_ CErinrichtung von Strafanſtalten und vier Hauptsyſteme haben ſich

gebildet. Unsere Absicht kann nicht sein, in alle Einzelnheiten und
MttegÑn rs Syfteme einzugehen, aber das Wesentlichſte wollen

Das erste dieser Syſteme iſt das altpennsylvaniſche, von dem

Vande seiner Entſtehung also benannt. Danach wird der Gefangene
vhne Beschäftigung die ganze Strafzeit hindurch in seiner Zelle in
kinſamer Haft gehalten, Tag und Nacht ferne von der Welt und
ihren Beziehungen, ferne von den Mitgefangenen, und nur den Ge-
fangenwärter oder Vorsteher des Strafhauſes bekömmt er von Zeit
zu Zeit zu sehen, nur zum Unterricht oder zur Ermahnung, zur Be-
Jehrung und Besserung erhält er Beſuche.
4 Das neuere pennsylvanisſche Syſtem weicht von dem älteren da-
rin ab, daß der Gefangene in der einsamen Zelle arbeitet.

Ein drittes iſt das von Auburn.

Hier iſt der Sträfling außer den Arbeitsstunden, namenilich des

Nachts in einsamer Haft. Dagegen arbeiten die Sträflinge unter
der ſtrengſten Aufsicht gemeinschaftlich, jedoch iſt ihnen absolutes

Schweigen auferlcgt. Er sieht die Mitſträflinge, er arbeitet im näm-

lichen Raume, aber kein Wort, kein Zeichen iſt ihm gestattet, und
Strafen treffen Denjenigen der das Schweigen bricht, das Verbot
der Mittheilung übertritti! Endlich iſt das Auburn'ſche Syſtem da-
hin modificirt, daß die Verbrecher in gewisse Claſſen gebracht sind,
die so in Abtheilungen zu gemeinschaftlicher Arbeit bei unverbrüchlichem

Schweigen angehalten werven. Die Claſſification hat den Zweck,

ſelbſt bei der schweigſamen Arbeit nicht die Verbrecher bunt unter
einander zu stellen. Auch ist die Art und Weise der Behandlung je nach
den verschiedenen Claſſen ſtrenger oder milder. In der ersten Claſſe
befinden sich die, welche peinliche Verbrechen und von solcher Art
und Umſtänden begangen haben, daß sie es verdienen, unter die am
ſtrengſten Behandelten eingereiht zu werden, ebenso die Rückfälligen.
In die zweite Claſſe kommen die andern zu peinlichen und von
den zu correctionellen Strafen Verurtheilten diejenigen, welche aus
Rückſichten unter die strengſt behandelten Correctionellgeſtraften ge-
reiht zu werden verdienen. In die dritte Claſſe kommen die übrigen
Correctionell-Beſtraften und in die vierte junge Verbrecher unter 16
Jahren. Wahrhafſte Beſſerung kann den Austritt aus einer der ſtren-
geren Claſsen in eine andere bewirken. Von seinem Verdienste wird
für den Sträfling etwas zurückgelegt, so daß er nicht völlig hülflos
aus der Anstalt in die Gesellschaft tritt. ~ Schon aus dieser kurzen

Darſtellung iſt erkenntlich, welche dieser Systeme neben der Errei-

chung der Strafzwecke auch noch die Humanität nicht aus den Au-
gen verlieren, und auf den Menschen menschlich wirken. Wie viele
Berbrechen zählen die Gesetzbücher auf : die unterlassene Anzeige, eines

von einem Anderen begangenen Verbrechens iſt für ein Verbrechen

erklärt, die Beleidigung fremder Regenten, die Erregung von Haß
unv Berachtung durch eine öffentliche Rede, der Beſitz eines Vorraths

Schriften hochverrätheriſchen Inhalts, die Theilnahme an einer Ju-

lirevolution, wenn sie mißglückt; ein Hochverrath an einem aus-
wärtigen Staat im Ausland begangen, frecher uud unehrerbietiger
Tadel, Verspottung der Landesgesetze, kurz eine Menge Dinge können
unter Umständen für ein Verbrechen erklärt und darunter gesetzt wer-
den, von Rechtswegen, aber iſt darum der Verbrecher absolut ein
Auswurf der Menschheit! Der Mann, der für seine weinenden hun-
gernden Kinder dem Reichen ſtiehlt, iſt noch darum, weil er dieses
Verbrechen beging und zur Strafe gezogen wird, kein absolut schlech-
ter Kerl. Niemand vermag die Verirrungen des menſchlichen Her-
zens richtig zu würdigenz wer weiß was aus dem Diebe geworden
wäre, würde er nicht auf der Straße geboren, in der Noth erzogen
worden, im bösen Beispiel versunken sein; wer weiß vornherein ob
nicht die guten Anlagen überwiegend oder in Schlaf gelullt oder
nicht geweckt sind. Wie mancher sieht äußerlich vornehm auf den
verurtheilten Verbrecher herab, während sein Herz ihm sagt: die
kleinen Diebe fängt man, die großen läßt man laufen. Darum muß
man bei Einrichtung von Strafanstalten das Kind nicht mit dem
Bade ausschütten. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt,
ſagie der große Lehrer, der der Ehebrecherin verzieh. Darum muß
man auch im Verbrecher noch den Menschen, den Unglücklichen, den
Verirrten, nicht vergeſſen, dahin trachten, raß die Strafe wirklich
eine Strafe, eine Sühne sei und moralische Kräftigung und Beſſerung
erzielt werte, nicht aber ihn unmenschlich martern und quälen, und
zur Verzweiflung treiben. (Schluß folgt.)

RK. Köln, 31. Dec. Der Verkauf des vor Kurzem bei Leske
in Daraſſtadt erschienenen, von H. Püttmann herausgegebenen
Bürgerbuches iſt geſtern den hiesigen Buchhändlern polizeilich
untersagt worden. Die Polizei soll jedoch bei keinem Buchhändler
ein Exemplar vorräthig gefunden haben. Leske wird sich wahrschein-
lich über das Verbot des Buches freuen, da es notoriſch iſt, daß
gerade verbotene Bücher wegen der Kräftigkeit der Speisen, die ſie zu

enthalten pflegen, vom Publikum erſt recht gekauft und mit Heiß-
hunger serſchlungen werden.


 
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