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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 268 - No. 298 (1.October - 31. October)
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Dienstag

28. October

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* JUeber Volksſchriften und Kalender.

Es ift wohl eines der erfreulichften Zeichen unserer Zeit, daß
ſich die für das Volk berechneten Schriften täglich vermehren. Das
Volk soll zum Selbſtbewußtsein gebracht , soll aufgeregt werden aus
yem Halbdunkel seiner Begriffe und zur klaren Einsicht seines Zuftan-
des, zum Bewußisein seiner Rechte gelangen. ; G

îWohtyl keine Art von Schriften iſt hierzu tauglicher, als die Ka-
lender, weil ſie auch in die ärmften Hütten getragen und für einen
großen Theil des Volkes während des Winters faſt als die einzige
Vectüre und der einzige Stoff der Unterhaltung und des Gedankenaus-
tauſches zu betrachten sind. Es iſt deßhalb von großer Wichtigkeit,
in welchem Geifte dieſe Schriften gehalten find, und es iſt keine fo
leichte Sache, als man glaubt, den für diese Leserklaſſe angemessenen
Ton zu treffen. Erfte Bedingung ift wohl eine ganz genaue Bekannt-
ſchaftmit dem Volle ſelbſt und zwar vornehmlich mit dem Landvolke. Der
Berfaſser eines Kalenders muß nothwendig auf dem Lande geboren
und erzogen sein, sonst wird es ihm niemals gelingen, hier das
Rerhte zu treffenz denn mit jener affectirten künftlichen „Naivetät der
Stubenmädchen zu Leipzig., in welchen besonders die von Norddeutſch-
land ausgebenden Volksſchriften gehalten sind, ift es nicht gethan,
ebenſo wenig mit der Halbkultur der sogenannten gebildeten an-
gemeſſenen Trivialitä. Was Börne als die Kunſt in 3 Tagen ein
guter Schriftsteller zu werden bezeichnet, ift auch auf die Kalender
anwendbar, nämlich zu schreiben, wie man denkt. Dazu gehört na-
türlich vor Allem, daß man recht denkt, daß man freiſinnig und zwar
entschieden freiſinnig denkt. Die Volksschriften haben die Aufgabe,
durch den Geiſt, in welchem sie gehalten sind, durch die Form, in

welcher jeder einzelne Aufsatz auftritt, das Volk auf seine politischen

und socialen Verhältnisse hinzuleiten. , , |
HOetrachtet man aber von dieſer Anforderung aus das Kalender-
wesen, wie es bis in die neueſte zeit fortschlendriante, so war freilich
wenig Ersprießliches wahrzunehmen. Fades Zeug, Anetdotenkrämerei,
ſchlechte Witze, langweilige Erzählungen, das war das Futter, womit
das Volk abgeſpeisi wurde. Erft in neuerer Zeit zeigte sich wieder
eine lebendigere Bewegung unter diéser Gattung von Volksſchriften,
und die HH. Gutſch und Rupp in Karlsruhe haben das Verdient,
zuers einen Kalender den Anforderungen der Zeit gemäß edirt zu ha-
ven. Die Holzſchnitte zu dem Gtivattersmann ſind nicht zu verachten und
haben unter dem Landvolk viel Aufseben erregt; auch dem Kalender
großen Absatz verschafft. Auch der Text wurde, im Bergleich zu dem
früheren Misere, beſſer, obgleich noch sehr viel zu wünſchen übrig
bl:ibi. Bert h old Auerbach, ein Literai von Profeſfion, Beletri-
ſtiker und Mitglied einer Literatinclique, die cinen der größten litera-
riſchen Induſtriebelden, den Herausgeber der Europa, unter sich zählt,
iF wegen dieser Umftände nicht wohl in der Lage, ein Volksbuch in wahr-
aft freiem und freiſinnigem Geiſte zu schreiben. Wer sich in unserer
Zeit zum Ritter der Orthodoxie aufwirft, wer jene nirgends anfoſ-
ſende, überall sich durchwindende Geschmeidigkeit, die man selbſt \Liebe--
zu nenzven beliedvt, zu ſeinem Banner erhoben, wird zwar woßhl ei-
nige loyal-liberale Phraſen erzeugen, aber niemals Etwas prodrueriren,
das vom Geiſte entschiedener Freiheitsliebe durchweht ift. So iſt auch
ver Gevaitersmann ein großes Taſchentuch der Lirbe, in welches ganz
bequem unsere heutigen Factlichen und öffentlichen Verhältnisse einge-
bunden werden können und friedlich neben einander wohnen, zaſam-
mengehalten von der „Liebe,, , die Niemand weh thut. Ein Wenig
romantischer Neudeuischthümelei, die nachgerade hoffäbig geworden, et-
was Moral, einige künftliche Naivetät und etwas Sentiment in der
Erzählung, ſo iſt die Miſchung gerecht und das Volk wird in jenem
untertbänigen optimißischen Zufriedenheitsduſel erbalten, in welchem es
vor Jedem ein Kompliment macht. Der vorige Jahrgang des Gevat-
tersmann war ſo, der heurige iſt nicht besser, wohl noch etwas mat-
ter. Das Beste dacan find die Holzschnitte. – Ein anderer Kalen-
ex ist uns zu Gesichte gekommen, der unjere Anforderungen biss.r be-
‘Öêdigt. Es iſt der „Rheinländische Hausfreund", einſt von Hebel,
von einem Anonymus verfaßt. Wir enthalten uns hier einer
iern Kritik, werden aber in den „Rhein. Blättern-- Einiges daraus mit-
Ten und so die Schrift selbſ für sich sprechen laſſen. So viel ift gewiß.

r Verfaſſer hat den rechten Ton angeſchlagen, er iſt mit dem Volks-



leben ganz genau bekannt und das Ganze ift von einem entschieden
freiſinnigen Geifte durchwehl. Wir verweiſen in dieser Beziehung nur
auf die „Briefe eines Soldaten aus der Garniſon-., die zugleich mit
den Gevattersmann'’ſchen des vorigen Jahres verglichen werden kön-
nen. Im Interesse der Sache, für welche wir kämpfen, wünschen wir
dieſem Kalender eine große Verbreitung unter dem Volke. Da der-
selbe nur jechs Kreuzer koſtet, ſo wäre es leicht, denselben überall zu
verbreiten, wenn nur irgend gutgeſsinnte Männer fich der Sache anneh-
men und in ihren Kreiſen für die Sache thätig sein würden. – Noch
nennen wir den . Badiſchen Hausfreund „, der Anfangs recht brave
Artik.l gibt, am Ende aber durch den Cinfluß des Verlegers gelitten
zu haben schein. – Zittels Landbote" ift zwar so zahm, daß er
aus der Hand frißt, aber jedenfalls, was sowohl seine Wirkung unter
dem Volke, als ſeinen literariſchen Werth betrifft, dem Gevattersmann
weit vorzuziehen.



Deutſchland.

*Mannheim, 27. Oct. Die Freiburger Zeitung enthält
eine Nachricht aus Konfianz, nach welcher Pf. Kuenzer sich vor
wenig Tagen in einer Predigt mit großer Lebhaftigkeit
titt N uz d er Deutsſ< - Katholiken ausgesprochen
haben soll! !? :

K Karlsruhe, 25. Oktober. Einen erfreulichen Berseis
ächter Humanität und vorurtheilsfreien Bürgerſinnes llieferte
dieser Tage das Wahlergebniß der hiesigen Gemeinde, indem zwei
isſraelitische Ehrenmänner, die Herren D. Kusel und Obergerichtsad-
vokat Ettlinger in den engern Bürgerausschuß gewählt wurden. Der
Vater des Erſtgenannten, Hr. Jakob Kuscl, geyörte viele Jahre hin-

-durch bis zu seinem Tode dieſem Kollegium an, und war wegen sei-
ner anerkannten patriotischen Tugenden als cin ſchr würviges Mitglieds a.

derselben geachtét. Charakter und Bildung der Reugewählten geben
die sichere Gewähr, daß auch sie das ehrende Zutrauen ihrer Mit-
bürger rechtfertigen werden. :

] Heidelberg, 24. Okt. In friſcher Gesundheit hat Profes-
sſor Gervinus vorzeftern seine Vorlesungen über die Geschichte der
letzten drei Jahrzehnte, roelche er wegen andauernden Unwohlseins
im vorigen Semester ſchon nach den drei bis vier ersen Stunden nicht
mehr fortsetzen konnte, vor cinem sehr zahlreichen Huditorium wieder
eröffnet. Um sich, wie es ſcheint, bei seinen Vorträgen nicht allzu-
sehr anſtrengen zu müſſen, erwählte er einen kleinern Hörſaal , den
sogenannten kleinen Pandectensaal; allein dersſeibe war bisher zum
Erdrücken voll, und das Jxteceſſe an den geiftreichen Vorträgen iſt
ſchon in den erſten Stunden
bereits ciangezeichneten
nöthig machen dürfte.

ſo geſteizert worden, raß die Zahl der

Zuhörer doh den großen Pandectensaal
Auch Schlosser wird nächſten Montag vor
einem großen Auditorium, das sich bereits b:i ihm gemeldet, seine
Vorlesungen über die neueſte Geſchichte eröffoen.

Mit großer Spannung steht man riner Brofchüre von Gervi-
nus über die Angelegenpeit der Deutſchkatholiken entgegen. Sie ſoll
eben unter der Presſſe sein 1:nd schon in den nächſten Tagen ausgege-
ben werden. Ohne Zweifel wird se um so größeres Arfſeyen erre-
gen, als sie diese reformatorischen Beflrebungen besonders von deutsch-
nationalem Standpunkte aus ihre große Bedeutsamkeit zuerkenren und
allen kleinlichen Bederklichkeiten entgegentreten foll.

Aus der Baar , Oct. {Oberrb. Ztg.) . Der Konftanzer
Pfarrgeiftlichkeit iſt eine wohlverdiente Züchtigung zu Theil gewor-
dent die Freiburzer Zeitung hat sie gelobt wegen der Ruhe, mit
welcher ſie den kirchliihen Reformen entzegensſehn. Es fehlt jetzt nur
noch, daß auch das Süddeutſche Kirchenblatt und di- Augsburger
Poſtzeitung den Herren ihren Beifall zu erkennen geben; und tazu
kann es wohl noch kommen. Denn in ciner Zeit der Eniſcheidung,
wie ſte jetzt vorhanden iſt, iſt eine Mittelftellung auf die Länge un-
haltbar ; man muß entweder an die Vertheidiger des Alten sich an-
ſchließen oder offen für das Neue sich erflären. Wer zwischen dem
Alten und dem Neuen in der Mitte steyen bleibt, unterliegt dem Fluche,
den jcde Halbzeit und Unentszdiedenheit mit sich führt, und ſchadet
dem Siege der guten Sache, indem er ven Augenblick der Entscheidung
hinausſchiebt, und so das Kofibarfte, die Zeit, verliert, Wir haben


 
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