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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 238 - No. 267 (1. September - 30. September)
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Montag

22. September

1845.







Des berühmten Tyeiner neueſtes Werk.

Das lang erwartete Werk, mit welchem Theiner seinem Beitritt
zu der deutsch -katholiſchen Kirche, nachdem er ihr schon angehörte,
auch wissenschaftlich oder wenigstens öffentlich vor der Kirche docu-
mentiren sollte, i nun endlich erſchienen. Es ift, soviel man aus
dem Titel und der Ausführung bis jetzt ersehen kann, eine Rechtfer-
tigung der reformatoriſchen Beſtrebungen in der katholischen Kirche,
durch eine Nachweisung der unheilbaren eingeriſſenen Mißbräuche, und
der Unmöglichkeit, vom Papſt und der gegenwärtigen römiſchen Prie-
fterſchaft einen mehr dem Geiſt der Zeit anpassenden Gottesdienft zugeſtan-
den zu erhalten. Theiner bat bekanntlich jein Pfarramt niedergelegt. Er
wendet sich nun in Form eines Sendſchreibens, deſſen erftes Heft vor uns
liegt, (vDie r ef ormatoriſchen Beſtrebungen in der kathol.
Kirche. Ein Sendschreiben zunächſt an die Gemeinden zu Pols-
nit, Grüſſau und Hundsfeld, dann zugleich an alle katholischen
Chriſten, denen die Offenbarung Jesu Chrifti als ewige und veilige
Wahrheit gilt“. Altenburg, Pierer. 118 S.) an seine frühere Pfarr-
kinder, um ſich vor ihnen zu rechtfertigen. Mit einem mäßigen ge-
lehrten Apparat set er die Mißbräuche und das Wesen
der von ihm verlassenen Kirche auseinander. Wir erfahren, daß er
ſich früher aller Polemik auf der Kanzel und als Seelsorger enthal-
ten und sich vielmehr, ganz einfach durch das reinere und bessere
Predigen und Adminisſtriren wirkend, den schon seit längerer Zeit le-
bendizen Beſtrebungen eines kleines Theils der ſchleſiſchen Geisilichkeit
angeſchloſſen hatte; bis ihn das hartnäckige Widerſtreben sei-
ner Obern gegen die Reinigung der Kirche und Lehre zur
Niederlegung seines Amtes brachte. Diese so viel erwähnten Miß-
brâuche werden nun auf die gewöhnliche Weise dargelegt, doch mit
ſteten Rückblicken und Anknüpfungen erleuchteter Priefter und Fürſten
in der katholischen Kirche. Ausführlicher it Theiner aber in dem,
was er über das Verhältniß des katholischen Prieſters und des recht-
gläubigen Katholiken überhaupt zum Staat und was er über die g ê-
mischten Eh en sagt. Er bcweiſt so einfach und bündig die Wi-
derſprüche, welche Rom fortwährend geduldet hat und nicht vermeiden
kann bei seinen widerſinnigen Gesetzen gegen die Keterz er
erzählt manche so abschreckende Beiſpiele von der wahren Gesin-
nungslosi gkeit und den unerlaubten Mitteln, der Kirche
ein paar Seelen mehr za gewinnen, er weißt dieſe Mittel
ſ0 ſchlagenn als gerade im Charakter der römiſchen
Kirche begründet nah, daß man, wenn man früher
die Darftellung beredter, lebhafter urd ergreifender gewünſcht
hatte, dem wackeren Manne jetzt dantt, daß er nicht durch
diese Mittel, die immer erregen, urd deren Anwendung bei der Ge-
genpariei gewöhnlich von vorn perein Verdacht erregt und tie Pole-
mik erleichtert, der Wirkung des Gesagten in den Weg getreten iſt.
Durch ditje Ruhe und Gründlichkeit wird und muß Theiners Buch
der deutsch - katholiſchen Sache großen Nutzen bringen, und ihr Viele
zuwenden gerade in dieser kritischen Zeit. Die erſte Bergeiſterung, wel-
the an der bloßen Bewegung genug hatte, ist vorbei; Modeſache, wenn
der Deutsch-Katholicismus es an einzelnen Orten gewesen iſt, iſt er
jezt nicht mehr, bei der zweifelhaften Gunft, die der Staat ihm
zuwendet, iſt er zu unbequem dazu. Der große Haufe dient ihm auch
nicht mehr, das Reden iſt ihm verboten, und die Streiter gegen Rom
ſind consignirt. Jetzt (sagt die Wes. Ztg.) ist die Zeit gekommen,
. wo die (s. g.) gebildeten Katholiken und alle Andern, die wegen des

Anfangs etwas tumultuariſchen Charakters des Unternehmens ſich da-
von abgtwendct hatten, durch ruhige Prüfung und die daraus her-
vorgehende Ueberzeugung gewonnen werden müssen; und dazu wird
Theiners Klarheit und Mäßigung vortreflich wirken. Besonders möch-
ten wir aber unsere Leser aufmerksam machen auf seine Bloßlegung
gweier der wundcſten Punkte des hierarchischen Sy stems: die
. ſ. g. Dissimulation, vermittelſt deren Rom für den Augentlick Al-

les nachläßt und zugeben kann, um nachher bei gelegener Zeit alles
gewährte Recht wieder zurückzunehmen; und die dem Frieden Euro-

pas feindselige Stellung, in welche die Hierarchie und mit ihr also
der ihr Gehorſame, sich durch die Proteſtation gegen den Re-
ligionsfrieden, auch gegen den weſtphäliſchen Friedens-
<luß und die deuts<e Bundesakte begebun hat (Weſs.-Z.)

Deutschland.

* Mannheim, 21. Sept. Ein dem Anschein nach über die
betreffenden Verhältniſſe wohl unterrichteter Mann, der seiner Angabe
zufolge in Mecklenburg geboren iſt , dort dreißig Jahre lang lebte
und für einen Augenblick hier verweilt, ersucht uns um Aufnahme
nachftehender Bemerkungen zu dem Artikel „„Aus Mecklenburg-, in
Nr. 253 und 254 d. Ztg.; unsere Leſer werden darin alsbald ſelbſt
auch die Verschiedenheit der Anſichten beider Correspondenten und der
denselben zu Grunde liegenden Auffaſſungsweise erkennenz eine Ent-
gegnung wird ohne Zweifel folgen: f i

„Der Artikel in Nr. 253 beginnt mit der Volksvertretung und
sagt: „Die Gutsbesitzer vertreten das ganze Volk." Das iſt nicht
ganz richtig, denn das Volk iſt, im Sinne, wie in andern Staaten
(Baden, Württemberg, Sachsen), gar nicht vertreten Y) da doch
nur dort von einer Vertretung des Volkes die Rede sein kann, wo
die Vertreter vom Volke gewählt werden, und dies geschieht in Meck-
lenburg nicht. Der Verfaſſer des erwähnten Artikels verſteht freilich
unter dieser Vertretung nur das Erscheinen auf dem Landtage, und
darin liegt wieder ein Irrthum, denn dort erscheint auch der Bür-
germeiſter jeder Stadt, der freilich weder als Vertreter noch zu ſei-
nem eigentlichen Amte von der Bürgerschaft gewählt ift. Uebrigens iſt
der ganze Begriff unrichtig aufgefaßt, denn es handelt sich überall
nicht um Vertretung des Volks, sondern nur um Bewilligung der
direkten Steuern, was man in gewisser Hinſicht freilich auch wieder
Vertretung nennen könnte. Was der erwähnte Artikel gleich zu An-
fang von der Stellung der Taglöhner sagt, iſt größtentheils richtig,
doch iſt hier nur die Schattenseite hervorgehoben. Unterzeichneter hat
mehrere Jahre in einer Gegend von Medklenburg gelebt, wo
viele adelige Güter sind, und iſt während dieser Zeit Beiſitzer bei ei-
nem Patrimonialgerichte gewesen, kann aber behaupten, daß dort Al-
les auf dem Wege Rechtens vor sich gegangen. Freilich hört man
von andern Seiten andere Thatsachen, wovon ich weiter unten eine
mittheilen werde. Die Macht der Gutsbesitzer iſt allerdings sehr groß,
denn wenn sein Richter, der zum Gerichtstage zu ihm kommt und
sein Gast iſt, nicht nach seinen Wünschen entscheidet, so kann er ſich
einen andern wählen. Was nun die in jenem Artikel erwähnten
Schläge betrifst, ſo kann Unterzeichneter auch darüber eine in Medklen-
burg sehr bekannte Anfkdote berichten, die vor wenigen Jahren dort
gescheben sein sol. Ein Gutsherr hatte einen seiner Leute geſchlagen,
es wurde Gericht in seinem Hause gehalten und er mußte 10 Thaler
Schmerzengeld zahlen. Als dies Urtheil ausgesprochen, fragt der
Gutsberr den Richter: „J? das Gericht jetzt aufgehoben ?-, der Rich-
t:r bejaht es und der Gutsverr zahlt gleich 20 Thaler, prügelt aber
den Mann in Gegenwart des Richters noch einmal. Der Richter
ſpricht von Berletzung der Achtung vor dem Gericht, doch da er es
für aufgehoben erklärt, kann er nicht viel machen. Um anzudeuten,
wie mitunter wohl auch das Recht gehandhabt wird , muß ich noch
einen Fall mittheilen. Auf einem Gute werden zwei Knechte auf ei-
nen entfernten Acker geſchickt um tort zu mähen; es wird vergessen,
ipnen das Frähſtück dorthin zu ſchicken; als die Zeit des Frühſtücks
längſt vorüber iſt,. sagt der eine von den Knechten zu dem andern,
wenn er kein Frühſtück erhalte, so arbeite er auch nicht, nimmt ſeine
Sense auf die Schulter, geht heim und der andere folgt ihm. Ur-
tbeil des Patrimonialgerichts: „acht Tage bei Waſſer und Brod und
Entziehung der bereits ertheilten Heirathserlaubniß.# ~ Der Schul-
unterricht iſt auf den ritterſchaftlichen Gütern freilich größtentheils
in traurigem Zuftande. Der Schullehrer , meiſtens Schneider von
Profeſſion, erhalt freie Wohnung und etwas Acker, um Kartoffeln
darauf zu bauen, baares Geld sebr wenig. Im Somnmerhalbjahre
hält er wenigstens keine Schule, weil er ſeinen Acker beßellen muß
und die Kinder auch anderweitig beschäftigt snd. So weiß icb einen
Fall, wo ein Schullehrer für das ganze Jahr drei Friedrichsd’or
erhielt. „Da Ihr keine Sommerschule haltet“, sagte die adelige Guts-
besizerin zu ihm, „so ziehe ich Euch einen Friedrichs?'or ab und Jbr
erhaltet von jett an nur zwei." ~ Das Vrrhältniß zwiſchen ten
Gutsbesitzern und den Taglöhnern konnte durch die Aufhebung der



*) Das sagt eben der Correspondent in Nr. 253, nur mit „etwas andern
Worten." Die Red.


 
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