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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 299 - No. 328 (1. November - 30. November)
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. Mannheimer Abendzeitung
Urt. Cra ““ œ gts ; d " EV M

Samstag

Das Ruſſenthum in Kurland, Eſthland, Livland.

Von der Oder, 6. Nov. (Köln. Ztg.) Die Nachrichten,
welche von der ruſſiſchen Gränze herüber zu uns dringen, melden in
traurizen Einzelheiten den eben so geschickten als unerbitterlichen Ei-
fer, womit das petersburger Cabinet nach und nach alle Unterschiede
der Abſtammung, Religion, Sprache und Sitte, die sich der vollkom-
menen Einheit des ungeheuern Reiches entgegensetzen, zu nivelliren
ſucht. Wir wollen hier nicht zurückzehen auf die furchtbaren Mittel,
wodurch das unglückliche Polen der legten Spuren ſciner Nationalität
beraubt worden 1s. Dasſelbe Werk der Invafion und Verſchmclzung,
welches Rußland mit seinen slawischen und katholischen Provinzen
vornimmt, wendet es nunmehr auch auf die protestantischen und deut-
schen Provinzen an. Die- proteftantische Kirche so gut als die katho-
liſche ſoll von der griechischen Staatsreligion verſchlungen werden. Die
deutschen Provinzen, auf welche es bier ankommt, find Li evland,
Kurland und Efthland. Von den Versuchen, dieselben zu ruſſi-
ficiren, ift in den Zeitungen schon lange die Rede gewesen, und wenn
dieſelben noch nicht habrin glücken wollen, so litgt der einzige Grund
eben tn der ftaunenswerthen Kraft, womit tie Civilisation immer der
Barbaxei zu widerſtreben pflegt.

Dem hohen deutſchen ädel der Provinzen, welcher in den Dien-
fien Rußlands feht, ift nicht der geringfe Dank zu ſagen: er iſt ein-

mal viel zu abhängiz und sodann viel zu entartet und entfremdet dem

deutschen Volkegefühle, als taß er der Allmacht des Kaisers ſich in

. den Weg zu fiellen wagen sollte. Der Widerftand ruht allein in

den Städten Riza, Dorpat und Reval. wo rine kernhafte Bevölke-
rung wohnt, die bis jetzt die linguiftiſchen Umtriebe glücklich von ſich
gewiesen und weniaftens den wiſsenschafilichen und geiſtigen Zusam-

. menbarg. mit Deutſchland. ervalten hat. Besonders konnte die Uni-

verſität Dorpat auch in kirchlicher Bezichung als der äußerſe Bor-
poſten des Proteftantismus gelten. Da uun eine barbariſche Sprache,
wie die ruſſiſche, gegen die deutsche sehr erfolalos ankämpfen mußte
und auf der andern Seite doch der Zweck der slawischen Propaganda
auf e;ne vollkommene Unterjochung urd Ausrottung der fremden
Vol!selemente gerichtet iſt, so glaubte man in der ruſſiſchen Kirche
eine geeignete Hülfe finden zu können. Deren Einwirkung fand in
ſo fern fiatt, als ſie an den reliziösen Zriſten Theil nahm, die fich
in den Provinzen erhoben hatten. Es war rämlich zwischen der lu-
theriſchen Geißlichkeit und den Herrnhutern über verschiedene goites-
dienftliche Formen ein Streit ausgeb: ochen, welcher von der kirch-
lichen Ob erbe b ör de gegen die Herrnhuter entschieten wurde.
Darauf haben die Letzteren ſich ganz von ter proteftantiſchen Kirche
loëgeſa.t und Miene gemacht, mit der griechischen in ein analoges
Merhältniß zu treten. Die Zahl der Hirrnduter ift in den dortigen
Gegenden richt unbcdeutend. ſie hat ſich besonders unter der Regie-
rung des Kaiſers Alexander vermehrt, der ſie, in Folge des piett-
Hiſchen Einfluſſes der Frau v. Krüdener auf seine Gefühle, ſeyr be-
günftigte. Die kluge Politik des petersburger Cabincts tat die Ge-
legenheit des Augenblicks wohl zu benutzen verſtanden.. Man ift den
Herrnhutern mit so vortheilpafien Anträgen entgegengekommen , daß
Fe ſich in Riga unter den Schutz des griechiſchen Biſchofs geftellt und
ihren Mottesdienft in einer griechiſchen Kirche unter dem Zusammen-
ſtrömen einer zahlreichen Volksmaſſe gefeicert baben. Während so
Rußland durch vermeintlichen Schutz der Gewissersfreiheit Trer nun-
gen befördert, die ihm zuletzt zur Beute fallen müſſen, wirkt es zu
Hemſelben Zweck auf die ärmery Volksklasſen durch ungleich _mehr
materielle Mittel. Es scheint, daß dermalen in den ruſſiſchen Oſtſer-
. Provinzen große Notb unter dem Landvolke herrſcht und Biele vor
Hunger ſterben. Auf solche Grundlagen hin yat man denn ein sehr
wirksames Mittel in Anwendung gebracht, um inmttien ſolches Elen-
des die riligiöſe Bekehrung zu betreiben. Jeder Bauer, der zur
griechiſchen Kirche übertritt, erh..lt eine Prämie vor 50 Rubziln, die
in Folge des großen Zudrangs hercits auf 20 herabgeſunken ſein soll.
Der Proſelgten ſind so viele, daß in einigen Sprengeln die prote-
ſtantiſche Geiſtlichkeit beinahe ihre ganze Gemeinde und damit di:
[ Yuelle ihres Einkommens verloren hat. Gegen solche Mi't.1 der

Urherredung und Einſchüchterung, wie sie die ruſs sche Regierung im
îDBunde mit der Kirche gebraucht, dürfte der Widerftand des deutfchiri

15. November

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-

Volksthums immer schwächer und schwächer werden und die Zeit
nicht fern sein, wo auch Eſthland , Kurland und Lievland dem ge-
waltigen Andrange der fanatiſchen Propaganda hülflos unterliegen
und gleich Polen das letzte Erbtheil ihrer Religion, Sitte und
Sprache verlieren werden. Und doch find ste nicht allein, wie Polen,
sondern gehören einer Familie an, die wie die deutsche gegen 50 Mil-
lionen zählt, die an .ſie zum Theil gränzt und in Macht und Blüthe
lebt, aber doch müßig zuschauen wird dem traurigen Untergange ihrer

Starnmgenoſsen! ?
_ Deutschland.
Conſtanz, 11. Nov. (Obrrh. Ztg.) Ibr Blatt hat bereits
über die Ausroeiſung des Predigers Looſe aus Eßlingen durch das
hiesige Bezirksamt berichte. Wir sind überzeugt, daß, wenn diese
Maßregel Tadel verdient, der Tadel nicht auf den hiesigen Behörden
laſtet, sondern ihr Verfahren die Folge all z eme in er Vorsſchriften



in Bezug auf die Deutsch: Katholiken iſt. ~

Stockach, 10. Nov. (Obrr. Ztg.) Gestern war der Prediger
Heinrich Looſe hier. Cr kam von Conftanz, wo er den zweiten deutſch-
katholischen Gettesdienft leitete. Lender turfte die Conftanzer Gemeinde
wieder keinen öffentlichen Gottesdienst halten und mußte ſich wieder
auf Schwerizergebiet flüchten. Hier war geſtern Abend große Verſamm-
lung der Freunde des kirchlichen Fortſchritts, in welcher Loose die
Tendenz des Deutſch-Katholizismus darftellte, die Einwürfe, welche
gegen denselben gemacht werden, widerlegte und eine Erklärung des
Leip:iger Glaubenebekenntn:s&s gab. Hierauf wurde von einem der Ay-
wejenden eine Erklärung aufgelegt, welche sofort von 12 Bürgern ur-
terzeichnet wurde. Somit beſteht von jetzt an hier eine ge-
gründete deutsſch:katvoliſche Gemeinde. :

+ Aus dem Großherzogthum Hessen. im November.

_In Nro. 284 d. Zig. erhebt sich abermals eine Stimme bezüglich

des dermaltgen Zuſtandes des JZnſtituts der Landgerichst-Actuariats-
Gehülfen in unſerem Staate. ~ Wird es wobl die letzte Stimm-
ſein, die ſich in diejer Angelegenheit zu erheben Ursache hat ? Wird
die Zeit der Erkenntnis über die Mängel tes Zuſtandes dicſes auf
die Rechtepflege so einflußr:ichen Standes eingetreten ſein ? Oder sol-
len seine Haupttigerſchaften auch noch fernerhin, in einem Uebeifleß
an Arbeit und Erfüllung schwerer Eerufsyflichten, aber in Mang!l
an Einkommen und in Entbehrung einer geticherten Exiftenz, in Mü-
hen und Beſchwerden, Kummer und Sorcen bestehen! Soll dieser
Stand auch noch fernervin, irotz der unbeſtreitbaren Wichtigkeit, die
seiner Stellung überbaupt und namentlich in dem Unterſuchungever-
fahren beigelegt werdrn muß, da der Actuar in dem geheimen Inqui-
ſitieneverfahcen tie einzige Controlle des Untersuchungerichters dildet,
taclöhnermäßig bezablt, der Beamtinwillkür blosgefielit und ohne ir-
gend eine geſchlitte Garantie für seine Zukunft belaſſen werden,
räorend doch Kanzlifien dei den Kollegien, obgleich nur rein mecha-
riſche Ardeiten ohne alle B.rartnortlichkeit verrichten, eine vir
mal höher: Besoldung, neben fefter Urftelung, beziehen? ~~

Alle dieſe Fragen werden durch einen unbefangenen Blick auf
dier gegenwärtigen Zuftände erzeugt, ebenso die Ayſicht, daß das ſeit
herige Syftem sch rein ſelbft überlebt hat. –~ ~

Hoffen wir daher, daß die Adhülfe , welche sicherem Vernehmen
nach, unsere Staatsregierung nun in aller Kürze eintreten laſſen will.
eine verdiente, sowohl dern ünsprüchen der Billigkeit als den For-
derunaen der Zeit Genüge leiftente sei. ~

Frankfurt a. M., 11. Nov. (Fr. I.) Ronge hat uns
nach einem Aufenthalt von drei Tagen verlaſſcen. Was die Zukunft
der bieſtzen Gemeinde betrifft, jo iſt zwar noch nichts entschieden ; den-
noch blicken alle Deutsch-Katholiken mit Vertrauen auf die Obrig-
keit und hcffen recht bald in Gemäßheit des Artikels 16 der Bun-
desacte, der da den verschiedenen criſilichen Religions-
parteien den Senuß bürgerlicher und politischer Rechte garantirt,
auf ſtaatliche Anerkennung. Auch in pecuniärer Beziehung heitert
sich der Blick in die Zukunft. Außer den reichen und sinnigen Ge-
schenken, welche neuertinzs, theils von hiesigen Bürgern, theils von
etlen Frauen, ter Gcmeinde wurden, überreichten letztere auch noch
450 fl., als den Urberschuß ihrer Sammlung, und bestimmten dies
Geld zur Bildung eines Kapitalſtecßss, teſſen Zinsen als Schulgeld
für Kindcr unbemittelter Aeltern zu verwenden sien. !


 
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