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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 238 - No. 267 (1. September - 30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44007#1119

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Sonntag

Mannheimer Abendzeitung. ttt

28. September |

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rate, worüber die Redak-

eile oder deren
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&& YUleber die Beurtheilung der Gegner.

Mit keinem Worte wird wohl größercr Mißbrauch getrieben als
mit der Toleranz und keines roird wohl öfter in unverftandener Weise
angewendet. Nirgends aber ift wohl der Mißbrauch größer, als
bei Beurtheilung politiſcher Gegner und nirgends die Anwendung
unverftandener. Man hört da sehr häufig selbſt von Seiten Derjeni
gen, die dem Fortſchritte zugethan sind, die Behauptung aufftellen,
daß man auch den Gegnern Achtbarkeit zugeſtehen, daß man auch die
politiſche Ansicht der entgegengesetzten Partei anerkennen müſſe. In ih-
rer Allgemeinheit und als unbedingte Forderung der Freiheit der Mei-
nung aufgefaßt, hat diese Behauptung auch allerdings Recht. Frei-
heit der Meinung muß unbedingt herrschen, und wer in Wahrheit
freiſnnig, vom Geiſte der Freiheit durchdrungen ist, darf eben so
wenig ſeine Meinung als allgemein geltendes Gesetz Andern aufdrin-
gen und deren Freiheit unterdrücken, als er selbst der Gewalt das
Recht zugeſteht, seine eigene Meinung zu bevormunden. Das ift ja
gerade das Wesen der Freiheit, daß der Einzelne durch äußere Gewalt
nicht gehindert wird in seiner natürlichen Entwickelung und Aus-
breitung, daß der Cinzelne nicht gezwungen wird, auf eine seiner gei-
ſtigen Natur unangemessene Weise ſich zu äußern, sondern daß Jeder
Raum habe nach seiner Individualität sich zu entwickeln. Das ist
gerade tas Wesen der staatlichen Freiheit, daß der Staat jeder poli-
tiſchen Meinung Raum gebe, Das ist aber auch die Kraft des freien
Staates, daß in ihm der Einzelne seine politiſche Anſicht nicht allein
mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung, sondern auch nach seiner Ueber-
zeugung äußern darf. In der Schweiz wird Niemand in politische
Prozeſſe verwickelt, der die monarchiſche Regierungsform für beſſer
hält als die republikanische, und in Frankreich und England wird
man eben so wenig verfolgt, wenn man ſich für einen Republikaner
erklärt. *)

Anders lautet aber die Beurtheilung der Gegner. In einem
Staate, dcſſen Grundlage die Achtung und Wahrung der staatsbür-
gerlichen Freibeit, in cinem Staate, wo ein den Forderungen der
Freiheit und Vernunft angemesſſener Rechtszuſtand écxiſtirt, in einem
Staate, wo die Inſtitutionen, Gesetze und das Verwaltungssyſtem vom
Geiſte des Rechts und der Freiheit durchdrungen sind, da muß der An-
hänger einer politischen Partei auch seinen Gegner noch achten, vor-
ausgesetzt, daß deſſen Tendenzen den ersten Vernunft-, Rechts- und
Siitlichkeits- Grundsätzen nicht Hohn sprechen. Der Republikaner wird
zwar mit dem Anbänger der conſtitutionellen Monarchie nicht consentiren,
allein verachten kann er ihn nicht, ihn, deſſ.n Anſicht noch innerhalb
der Möglichkeit der ſtaatsbürgerlichen Freiyeit sich bewegt. Anders
aber in Staaten wo die erſten und natürlichſteen Voraussetzungen noch
fehlen, wo die wichtigſten Rechle noch fehlen, wo die Garantien ei-
nes sichern Rechtezuſtandes noch fehlen, ja wo selbft eidlich zugesagte
Rechte noch fehlen. ~ Wenn in einem Staate Solches der Fall ist,
dann gibt es nur eine achtungswerihe Partei, nur eine achtungs-
werthe politische Ansicht: Das iſt die Partei der Freiheit; Das iſt die
Insſicht, welche auf der Seite der Freiheit kämpft. So lange so
eben berübrte Grundlagen in einem Staate noch fehlen, so lange Preß-
freiheit, öffentliche Schwurgerichte, eine wahre Verfassung und eine
wirkſame Verfaſſung, Vereinsfreiheit, Verſammlungsfreiheit, Redefrei-
heit noch fehlt: so lange gibt es nur ein Entwcder-Oder: so lange
ſind die politischen Ansichten in zwei große Heerlager zu scheiden. ~
" Entweder iſt Einer ein Anhänger der Freiheit oder des Absolutiemus. –
Cin Mensch der in einem Staate, wo genannte Rechte und Freiheiten
noch fehlen, auf der Seite steht, von wo sie vorenthalten werden, ein
' Menſch, der sich zur Vollziehung von Maßregeln brauchen läßt, die

gegen die Sache der Freiheit gerichtet sind, hat keincn Anspruch auf
Schonung, hat ſeine Achtbarkeit verloren und es sind in Beziehung auf
. seine Beurtheilung nur Möglichkeiten denkbar. Entweder i er aus Unver-
ftand und Geifiesbeschränktheit ein Feind der bürgerlichen Freiheit,
in Werkzeug des Absolutismus, oder aus Mangel an Sittlichkeit. ~
Entweder kämpft er aus angebornem und anerzogenem Knechtesſinn gc-
gen die Freiheitsfreunde und läßt sich gegen ste gebrauchen oder mit



*) Siehe jedoch die franzöſiſchen Septembergesetze zc.

TEE



ſelbſibewußter Raffinirtheit, aus Gemeinheit der Gefinnung, aus nie-
derträchtigem verwerflichem Egoismus. Entweder fehlt ihm der Verftand
die Lage der Dinge einzusehen und seine Stellung richtig auffassen zu
können, oder sezt ihn seine jesuitiſche Moral über die Verwerflichkeit
seiner Stellung hinweg. –



Kaiſer Joseph II. und die religiöse Bewegung, *)

Es iſt ein jesuitiſcher Kunſtgriff, die antipapisſtisſche Richtung
der Deutschen als eine Neuerung, eine Frucht der Umtriebe ſstaats-
und religionsfeindlicher Demagogen darzuſtellen. Die Richtung iſt
a lt in Deutschland; ste tritt nur in unseren Tagen deutlicher und
kräftiger hervor, theils weil überhaupt das öffentliche Leben eine ge-
ſundere, thatkräftigere Weise ſich zu bekunden angenommen hat, theils
aber auch, weil die frechen Reaktionsversuche der Römlinge ſelbſt zu-
erſt dem gesunden Menschenverſtande und dem Geiſte des Fortſchritts
den herausforderndeu Handschuh zugeworfen haben. –

Die Richtung ißt alt und nicht Demagogen ſind auf
derselben vorangeschriteenn. – Obwohl ein Bekenner der ka-
tholiſchen Religion, erkannte Kaiser Joseph II. ihre vielseitigen Ge-
brechen und den veralteten Wuſt ihrer Gebräuche] und Satzungenz
ohne Menſschenfurcht suchte er dieselben zu beseitigen und ſonach
ſchritt er voran auf dem Wege als der Erſte der Deutschkatho-
liken, Diese Bezeichnung ist nicht unpassend; sie entspricht voll-
kommen den Absichten und der Gesinnung, welche aus der eigen-
händigen Korrespondenz dieses „deutschen Mannes auf dem

. Kaiserthron.. klar und deutlich hervorleuchtee. Dem Zweifeln-

den diene als Beweis die wörtliche Anführung folgender Stellen
ttt einem Briefe an den Kardinal Herzan, k. k. Gesandten zu
Rom !?

„Seitdem ich das erſte Diadem der Welt trage, ist die Philo-
sophie die beſtändige Richtschnur meiner Handlungen. Oſterreich
muß eine neue Geſtalt annehmen; die Macht der Priester
muß eingeschränkt werden. Es iſt unumgänglich nöthig, daß ich
aus dem Gebiete der Religion gewisse Dinge aussondere, die nie-
mals hätten hineingezogen werden sollen. – Da ich den Aberglau-
ben und die Sadduzäer verabſcheue, so will ich mein Volk davon
befreien. ~— Man wird mich freilich in Rom verklagen, als hätte
ich einen Eingriff in die göttlichen Rechte gethan, sie werden dort
schreien, daß der Ruhm Jsraels dahin iſt. Man wird voll Erbitte-
rung darüber sein, daß ich eine Reform unternommen habe, ohne
vorhergegangene Bevollmächtigung von Seiten der Satelliten des
Papſtes. Das iſt es eben, was den Fall des menschlichen
Geistes herbeigefübrt h at. – Nie wird ein Diener Roms
leiten wollen, daß der Lantesfürſt (Staat) ihn auf den Play fſtellt,
der ihm zukommt und ihm nur das Evangelium als Eigen-
thum läßt. Ist es nicht in ihren Augen eine wahre Gottesläſte-
rung, wenn man durch Gesetze es zu hindern sucht, daß die Söhne
Levi's aus dem Menſchenverſtand ein Monopol machen? Das
Prinzip der römischen Kirche war zu allen Zeiten mit
der gesund en Vernunft in geradem Widerspruche. Von
der Hochachtung der Päpste ging man zu ihrer Anbetung über und
zwar bis zu dem Grade, daß wir die Zeit wiederkehren sehen, wo
die Iſraeliten nach Bethel zogen, um die goldenen Kälber anzube-
ten. ~ Künftig soll allein das Evangelium gepredigt
werden und zwar durch unabhängige deutsche Geiſtliche, die nicht
den gesunden Sinn römischem Trug zum Opfer bringen. Ich werde
Sorge tragen, daß das neue Gebäude dauerhaft sei.
Die Generalsſeminarien werden Pflanzſchulen sein, worin ſich ver-
ſtändige Geistliche bilden werden; + die Pararrer, welche daraus
hervorgehen, werden den Geiſt der Aufklärung in der Welt verbrei-
ten und ihn durch weisen Unterricht dem Volke mittheilee. So
wird es endlich nach langen Jahrhunderten des Irr-
thums wieder wahre Christen geben, die, wenn mein Plan
gelingt, ihre Pflichten gegen Gott, gegen das Vaterland und gegen
ihren Nächſten kennen werden. Unſere Enkel werten uns ſegnen, d aß



#) tts zen geſtern angeführten „Fliegenden Blättern vom Bodensee“
I[H. G.


 
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