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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 176 - No. 206 (1. Juli - 31. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44007#0837

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23. Juli

1t8465









Mittwoch

+ Ueber politiſchen Dilettantismus und ſeine Ber
griffsverirrungen.

Sirit einiger Zeit entladen sich im Mannheimer Journal wahr-
hafte Wolkenbrüche von leitenden Artikeln, jeder Tag bringt einen
neuen und wenn es so fort geht, so haben die Abonnenten am Ende
des Halbjahrs ein vollſtändiges Staatsrechts. Compendium, ausge-
schmückt mit Gloſſen und Randgloſſen. Wir nun erlauben uns, in
Beziehung auf logiſche Präciſion und richtige Begriffsbeſtimmung,
Ciniges in Betreff der jüngsten dieser leitenden Artikel zu bemerken,
da wir der Ueberzeugung leben, daß Begriffsverwirrung, Verrückung
des richtigen Standpunktes und Erhebung individueller Ansichten zur
Allgemeinheit für kein Verhältniß verderblicher iſt, als für die poli-
tiſche Entwicklung in Deutſchland.

Das M. J. hat in mehreren auf einander folgenden Nummern
über das Wesen des wahren und falschen Royalismus und Liberalis-
mus ſich ausgesprochen, diese politischen Richtungen einander gegen-
über gestellt und nach seiner Art charakteriſirt, definirt und kritiſirt.
Diese Charaktcriſirung, Definirung und Kritiſirung gab nun das
eigenthümliche Reſultat, daß wahrer Royalismus und wahrer Libe-
ralismus als identiſche, als wesentlich auf demselben Prinzip beru-
hende politische Richtungen dargestellt wurden, welche nur den fal-

schen Liberalismus und den falschen Royalismus als Feinde sich

gegenüber und zu bekämpfen haben. Nach der Ansicht des M. J.'s
beſtänden also die politiſchen Kämpfe und Bewegungen vornehmlich
in- dem Streite des wahren Liberalismus und wahren Royalismus
mit dem falschen Liberalismus und falschen Royalismus. Es iſt
dies in der That eine neue Entdeckung, wir haben bis jett ge-
glaubt, daß der Gegensatz der politischen Richtungen in etwas ganz
Anderem beſtehe, als in einem Bunde des wahren Royglismus und
wahren Liberalismus gegen den falschen Royalismus und falschen
Liberalismus. Doch davon nachher, betrachten wir hier vorläufig
den formellen Grund dieſer wundersamen Behauptung des M. J.'s
Logisch die Sache betrachtet, geht der Fehlschluß des M. J.'s wie
alle Fehlschlüſſe aus einer falschen Prämisse hervor und diese iſt
hier die begriffsverwirrende Definition vom wahren Royalismus und
Liberalionus. + Das M. I. stellt nämlich folgende Begriffe von
Liberalismus und Royalismus auf : 1) Die Grundlage dieser bei-
ven politiſchen Richtungen iſt wesentlich dieselbe: Menſchlichkeit, Va-
terlandsliebde und Gerechtigkeit. 2) Beide erkennen nachmals als
ihre Grundlage an: (die Wahrheit) die Aufgabe des Staats bestehe
in der Entwicklung sämmtlicher im Schooße desselben ruhenden Kräfte;
diese Aufgabe sei nur zu löſen, wenn Fürſt und Volk sich wechsel-
ſeitig Vertrauen schenken, und die nothwendige Voraussetzung dieses
Vertrauens ſei die unerſchütterliche Heilighaltung der beſtehenden
Gesegze. Die Verschiedenheit der beiden Richtungen iſt mehr bedingt
durch die äußere Stellung der Personen, als durch die Versſchieden-
heit der Prinzipien, von welchen sie ausgehen. Folgt nu noch eine
Aufzählung der Merkmale dieser äußern Verschiedenheit.
_ _Dies iſt die Definition, die das M. J. vom Royalismus
und Liberalismus gibt. Nun ist aber bekanntlich die Definition eines
Begriffs analytiſch die vollſtändige Zusammenfassung aller der
Mertmale, die zu seinem Dasein gehören, oder synthetisch die Dar-
legung der Idee, die ihm zu Grunde liegt. Definitionen aber, wie
: die vorliegende, passen eben so gut auf die Rechtspflege oder auf die
Nationalökonomie, als auf den Liberalismus und Royalismus. Auf
solche Weise aber zu definiren, heißt man mit der Stange im Nebel
j herursfahren, allgemeine Phrasen machen, unklare Vorſtellungen haben
u s. w. Cs iſt in der That amüsant. Derjenige Mensch also, dessen
Ansichten die Menschlichkeit, Vaterlandsliebe und Gerechtigkeit als
HOrundlage haben, derjenige Menſch, der ferner noch cinmal als
Grundlage anerkennt: die Aufgabe des Staates bestehe in der Ent-
wickelung sämmtlicher im Schooße deſſelben ruhenden Kräfte; diese
Aufgabe ſei nur zu lösen, wenn Fürſt und Volk sich wechſelseitig
Vertrauen schenken, und die nothwendige Voraussetzung dieses Ver-
trauvens sei dieune rschütterliche Heilighaltung der bestehenden Geseße:
rin solcher Mensch iſt ein wahrer Royaliſt oder auch ein wahrer
Liberaler. Nun, wir haben bis jetzt immer geglaubt, die erſte Grund-

lage, die conditio sine qua non einer wahren politischen An-
sicht sei deren Vernünftigkeit, auch waren wir bis jetzt immer ge-
meint, daß niemals der Staat eine Aufgabe zu lösen habe, dieweil
er die Wirklichkeit einer Idee ist, sondern nur die Staatsverfassung,
weshalb denn auch alle politischen Parteien niemals mit dem Staate,
sondern immer nur mit der Form des Staats, mit der Staatsver-
faſſung es zu thun haben. Es ist die Kenntniß dieses Unterſchiedes
gewöhnlich das Cigenthum eines jeden Publiciſten, unentbehrlich aber
demjenigen, der öffentlich auftreten und die Unterschiede der politi-
schen Parteien dem Volke klar zu machen übernimmt.

Die Definition des M. Js. muß also ſchon deshalb unrichtig
sein, weil ihr die zu einer wahren Begriffsbeſtimmung unumgänglich
nothwendige logische Präciſion abgeht, in Folge welchen Mangels
ſie, ſtatt alle wesentlichen ausschließlichen und charakteriſirenden Merk-
male des Begriffes aufzuzählen, in allgemeinen Phrasen sich bewegt,
die eben so gut für einen andern Begriff paſſen, als für den zu
definirenden.

f Allein die Definition tes M. Is. iſt auch ihrem Inhalte nach
vollkommen falsch und unrichtig.
politiſche Richtung, welche 1) im Gegensatz zum Republikanismus
die monarchiſche Regierungsform für all.in vernünftig hält, deßhalb
auch anstrebt, und 2) in diesem Streben die Macht des Regenten,
welchen er als einen Selbſtzweckhabende ,- für sich beſtehende Gewalt
anerkennt, auf Koſten der Volksrechte auszudehnen und zu befeſti-
gen trachtet. ~ Da nun aber der Staat seiner Idee nach die Wirklichkeit
der Freiheit iſt, und diese Freiheit nur darin beſteht, daß die Individuen
und ihre besonderen Intercssen ihre vollſtändige Entwicklung und die Aner-
kennung ihres Rechtes haben, so kann nur diejenige Siaatsverfaſ-
sung die vernünftige sein, welche diese Idee des Staats am Bersten
verwirklicht. – Eine politiſche Richtung, welche die Verwirklichung
dieser Idee nicht anstrebt, kann daher auch keine Wahrheit enthal-
ten, der Royalismus strebt die Verwirklichung dieser Idee des
Staates nicht an, es kann deßhalb alſo auch von keinem wahren
Royalismus die Rede sein. ~

Wenn daher das M. J. vom wahren oder falſchen Royalismus
spricht, so iſt dieß eben wieder eine traurige Begriffsverwirrung,
die ihre Entſtehung darin hat, daß man die gutzläubigen
Royaliſten und die raffinirten, die mala lide Royaliſten mit
einander verwechselt. – Wahrheit haben beide nicht für sich, sind
aber Anhänger der Unwahrheit aus verschiedenen Gründen. Die
einen aus Geiſtesbeſchränktheit, weil sie bona lille und gewohn-
heitshalber ihren mit der Muttermilch eing. sogenen Begriffen an-
hängen, die andern aber aus Raffinirtheit, weil sie, um ihre
Zwecke zu erreichen, den Royalismus als Schild aushän-
gen. Man heißt dieſe Partei auch Ariſtokraten, Absolutiſten, und
ſie sind bei weitem die zahlreichſten, ja als politiſche Partei nur
allein vorhanden, denn die gutgläubigen Royalisten, die ohne secun-
däre Zwecke zu verfolgen, aus reiner Verehrung an der Person des
Monarchen hängen, bilden keine Partei, sondern beſtehen aus we-
nigen dünngesäeten Individuen.

Welche politische Partei hat nun aber die Wahrheit auf ihrer Seite,
welche die Vernunft? Natürlich keine andere als diejenige, welche eine
Staatsverfassung zu erreichen sucht, darch welche die Idee des Staates
verwirklicht wird. Nun gibt es aber eine politische Richtung, welche eine.
Staatsverfassung anſtrebt, durch welche die Individuen ihre vollständige
Entwickelung und die Anerkennung ihres Rechtes erlangen, und
diese politische Richtung bezeichnet man unseres Wissens allgemein
mit dem Namen Liberalismus. ~ Dieser Liberalismus muß alſo,
weil er die Idee des Staates am Reinsten zu verwirklichen: trachtet,
auch die Wahrheit auf seiner Seite haben und ebendeßhalb dem
Royalismus entgegengesetzt ſein. ~ Dem Begriff nach ist er es auch
dem gutgläubigen Royalismus , hiſtoriſch und thatsächlich aber ge-
wöhnlich nur dem bösgläubigen Royalismus oder vielmehr dem
Absolutismus. Die politischen Gegensätze unsrer Zeit und besondees
auch in Deutschland bestehen daher nicht in einem Kampfe zwischen
dem wahren Royalismus und Liberalismus einerseits und dem fal-
schen Liberalismus und Royalismus anderseits, sondern im Kampfe
zwischen dem Absolutismus und Liberalismus, im Kampfe zwischen
denjenigen, welche auf Koſten der Volksrechte die Regenten-Gewalt

Royalismus iſt nämlich diejenige


 
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