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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 117 - No. 145 (1. Mai - 31. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44007#0579

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Freitag





23. Mai

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und Geld erbittet mag
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1845.





Deutſchland.

+ Aus der Pfalz, 20. Mai. Mittwoch den 14. Mai starb
" in der Nähe von Bern Dr. J. Siebenpfeiffer aus Lahr, Bür-
ger zu Bötzingen im Kanton Bern. Seit etwa anderthalb Jahren
war sein Geiſt einem unheilbaren Blödſinne verfallen und der Tod
erlöste seinen Körper von einem mehr als traurigen Dasein, das er
vom Ausbruche seiner Krankheit an in der Irrenanstalt des Dr.
Tribolet zu Bümpylitz hingeſchleppt hatte. Es gab eine Zeit, wo
Siebenpfeiffer viele Freunde und noch mehr Feinde hatte, wo sein
Rame viel genannt wurde in den schönen Rheinlanden. Gönnen
wir ihm jetzt, wo er nicht mehr iſt, ein Wort der Erinnerung, ſchlicht
und ſchmucklos, wie es ſich zient an einem Grabe, das den Leiden-
ſchaften Halt gebieten soll.

Siebenpfeiffers Jugend fiel in die Jahre, welche Deutschland
unter dem Drucke der Napoleon’ſchen Herrschaft verlebte. Er ſtudirte
die Rechts- und Cameralwiſsenſchaften und trat in seinem Vaterlande,
Baden, in die Geschäfte, als die jezt noch beſiehenden Steuergesetze
eingeführt wurden (1810— 1814). Nachdem im Jahre 1814 die
Rheinprovinzen von den Heeren der Verbündeten besett worden wa-
ren, erhielt Siebenpfeiffer eine Stelle bei der öſterreichisch-baierischen
Administrationscommiſsslon, welche bis zur definitiven Zutheilung an
einen deutschen Staat das Land zu verwalten hatte. Mit umfassen-
den Kenntniſſen ausgerüſtet und mit ausdauerndem Fleiße begabt,
hatte sich der junge Mann bald mit der Gesetzgebung und Verwal-
tunz der Provinz bekannt gemacht und deshalb lag der baieriſchen
Regierung daran, ihn im Dienste zu behalten. Er zeichnete sich aus
durch eifriges Wirken für Verbeſſerungen der ökonomiſchen und ge-
ſellſchaftlichen Berhältniſſe des an Deutschland zurückgefallenen Lan-
des, und ein Haudbuch über das Verwaltungsrecht, welches er ver-
faſite, beweist die Gründlichkeit in den seinem Amte nöthigen Kennt-
niſſen. Bald wurde er zum Landcommisſsär in Homburg ernannt,
und dort verlebte er die glücklichſten Tage seines Daseins, an der
Seite einer trefflichen Gattin aus einer angesehenen Familie zu Frei-
burg im Breisgauz eine einzige Tochter war die Feucht dieser Che,
die Freunde der Eltern. Noch lebt Siebenpfeiffer unter den Bewoh-

nern Homburgs in gutem Andenken. Raſstlos thätig für alles Gute, .

war er oft streng, wo beschränkte. Einsicht, alter Schlendrian oder
böſer Wille ihm hindernd entzegentraten. Urvarmachung öder Strecken,

Verbesserungen des Acker- und Weinbaus, Anlage neuer, Herſtellung
verfallener Straßen, viele nüuliche Einrichtungen, deren sich die dor-

tige Gegend jetgt erfreut, schreiben sich von der Verwaltung Sieben-

pfeiffer's her; auch das gesellige Leben suchte er durch Gründung von

Muſikvereinen und Veredlung dec Volksvergnügungen zu heben. +

Da kamen die Julitage von 1830, fie lenkten die Ideen auf

das Gebiet der Politik und führten die Denkenden weit über die

Grenzen der Amtsgeschäfte und Orisangelegenheiten auf die wichtig-

ſten Fragen der Staatsverfaſſung , der bürgerlichen Freiheit und ih-

rer Garantien. Siebenpyfeiffer's Feuergeiſt erfaßte die Fragen der Zeit.

Hätte er nicht zu den heutzutage seltenen Naturen gehört, welche den

eigenen Vortheil dem allzemeinen Beſten, wie sie es erkennen, unter-

sÿronen, — er hätte durch kluge Benutzung der Umſtände eine hohe

Stufe auf der Leiter der Hierarchie erklimmen können. Allein er

trat als politischer Schriftsteller auf. Im Anfange schienen ihm die

Inſtitutionen des Rheinlandes und die baieriſche Verfassung voll-

kommen ausreichend, um alle diejenigen Reformen, deren er die öffent-
Iichen Zuſtände bedürftig erachtete, auf gesctzlichem Wege zu erlangen.

Als aber einerseits die Reformbeſtrebungen den Spielraum nicht fan-

den, den ihnen die Grundgesetze und Einrichtungen, wie ihm schien,

hätten gewähren sollen; da anderſcits der politische Gesichtskreis ſich

Weiter zog und nicht nur die Rheinlande, sondern ganz Deutſchland
in ſich schloß: so trat auch Siebenpfeiffer, wie andere Schriftsteller

der damaligen Zeit, mit kühnen Gedanken hervor, die, in Hand-

lungen verwandelt, ihre Rechtfertigung im Siege, oder ihre Wider-

legung im Kerker finden. Die Zeit iſt noch nicht gekommen, über
jene Vorgänge ein unbefangenes Urtheil in der deutschen Tagespreſse

z> geben; noch erregen sie zu leicht Furcht oder Hoffnung; wir laſſen

]: e unberührt hinter dem Vorhange, den ein Geſchichtschreiber weg-
ehen wird. Im August 1833 stand Siebenpfeiffer mit seinen Freun-
ven vor dem Schwurgerichte zu Landau. Die Geschworenen fanden,

daß die in Wort und Schrift dargelegten Gedanken nicht zu einer
That gediehen waren, welche das Geſetz als ſtrafbar bezeichnet, und
ſprachen darum das „Nicht ſchuldig- aus. Die Angeklagten wurden
nun wegen Vergehen, die ſie durch Wort und Schrift begangen
hätten, vor das Zuchtpolizeigericht geſtellt und die meiſten wurden
zu der höchſten Strafe, welche dieſes Gericht aussprechen konnte, zu
zweijährigem Gefängniſſe, verurtheilt. Unter ihnen Siebenpfeiffer.
Er entkam aus dem Gefängniſſe zu Frankenthal. Wie? das iſt ein
Räthsel, welches bis heute nicht gelöst ward, und nun auch schwer-

lich je gelöst werden wird. Die näheren Umſtände waren höchſt

merkwürdig. Siebenpfeiffer beobachtete darüber stets ein unverbrüch-

liches Schweigen. zatils
Er kam in die Schweiz und nahm seinen Wohnsitz in Bern. .

Die dortige Regierung, kaum erſt aus der Volkswahl hervorgegangen

und an die Stelle der gestürzten Patrizier getreten, deren Erfahrung
und Kenntniſse in öffentlichen Dingen ihr abgingen, brauchte Män-
ner, welche Beides besaßen; sie brauchte ferner Lehrer für die neu-
errichtete Hochſchule, durch welche ſie den Söhnen der wohlhabenden
Bürger und Bauern Gelegenheit geben mußte, ſich die Bildung zu
erwerben, welche bis dahin ausschließlich den Söhnen des Patrizier-
adels geboten war. Siebenpfeiffer war der damaligen Regierung
willkommen. Er erhielt eine Profeſſur der Rechts- und Staatswiſsen-
schaften an der Hochſchule und wurde außerdem mit wichtigen Ar-
beiten für die Regierung sattſam beschäftigt. Um seine Stellung im
Lande zu sichern, erwarb er das Bürgerrecht in der Gemeinde Böz-
zingen, bei Biel, einem ansehnlichen, wohlhabenden Orte, da wo die
große Heerſtraße nach Basel das Aarthal verläßt, um den Jura zu
überschreiten. Wohl dem Manne, daß er dieſen Schritt gethan!
Man höätte ihn sonst eben so wenig ruhig sterben laſſen, als man

seine deutschen Collegen, die ihre Lehren nicht nach dem Belieben

einrichten wollten, in Ruhe leben und nach Utberzeugung lehren
läßt. : :

Wie früher als Verwaltungsbeamter, so jetzt als Lehrer, wid-
mete ſich Siebenpfeiffer seinem Berufe mit Cifer, Fleiß und Erfolg.
Neben dem französiſchen Rechte lehrte er Nationalökonomie, wofür
er, nicht gewohnt, Anderen nachzusprechen, ein eigenes System ent-
warf und sorgfältig ausarbeitete. Allein, wenige kurze Sonnenblicke
abgerechnet, war sein Leben von da an bis zu Ende trübe, voll Kum-
mer und tiefem Sealenschmerz, der endlich seinen Geiſt in ſchwarzes
Dunitel hüllte, lange bevor sein Athem erlosch. t. .4 ;

Siebenpfeiffer hatte ein vorherrſczend nervöſes Temperament,. im
höchſien Grade empfänglich für Eindrücke und reizbar; seine Empfind-
lichteit war gesteigert durch lange Kerkerleiden, und körperliche Ein-
wirkungen, mehr aber noch rohe Verletzungen seines zarten, tiefen
Gemüthes durch ~ sagen wir es gerade heraus ~ durch deutſche
Landsleute mehr als durch Schweizer, ~ ſtörten häufig den Gleich-
muth .der Seele, der zum dauernden Ertragen eines harten Schick-
ſsals nöthig iſt. Eines harten Schickſals! Denn was waren für
Siebenpfeiffer Amt und Gehait, persönliche Stellung und Auskommen
gegen die Verbannung aus dem Baterlande, an dem er mit glühen-
der Liebe hing, gegen die Vernichtung seiner höchſten Wünsche und
Hoffnungen für dieses Vaterland, gegen das Schwinden seiner Ideale
unter den Fußtritten der Wirklichkeit; gegen die Täuschung aller Er-
wartungen von seinem neuen Wirkungskreiſe, von den Menſchen, die
er ſich größer gedacht hatte, von den Verhältnissen, die er in der
Nähe gar klein antraf! ~ Dogdgh, all’ dieſen schädlichen und stören-
den Einwirkungen begegnete sänftigend, mildernd, tröſtend und er-
hebend die treue Gattin, eine Frau von ruhigem, klarem Geiſte und
muthiger Gesinnung. Aber schon im Jahre 1835 ſtarb sie in Folge
einer langen schmerzhaften Krankheit. Er sah sie leiden, er pflegte
ſie selbſt uud überließ keiner fremden Hand die nnabläsſigen Sorgen,
die ihr Zuſtand Tag und Nacht erforderte. Er sah sie ſterben; mit
ihr war sein Engel zum Himmel geflohen und der Dämon gewann
Macht über ihn.

Siebenpfeiffer arbeitete fort in seinem Berufe; er ward Sup-

Pleant bei dem Dbergerichte und wie man sagt, verfaßte Er das Ur-

theil in dem Riesenprozeß gegen die patriziſche Verſchwörung vom

Erlacherhof; er trat als Sekretär des Juſtizdepartements in die Ge-

ſchäfte der Rechtspflege und ließ seine Lehrſtelle ruhen unter dem


 
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