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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 146 - No. 175 (1. Juni - 30. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44007#0721

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Freitag

27. Juni

1845







Deutſchland.

* Mannheim , 26. Juni. Der Berliner % Correspondent
der „Augsb. Allgem. Zeitung- schreibt: „Das beklagenswerthe Ereig-
niß vom vorigen Monat scheint einer Löſung entgegen zu gehen,
welche das Gefühl des preußiſchen Vaterlandsfreundes wieder aufrich-
tet. Ich rede nicht von der allgemeinen Stimmung die im ganzen
übrigen Deutschland, ja in Baden selbſt, nicht entſchiedener sich da-
rüber aussprechen konnte als es hier geschah, ich wiederhole nicht
die Aeußerungen sehr hochgeſtellter Männer; es iſt das seit drei Wo-
chen beobachtete officiele Schweigen unserer Staatszeitung selbſt, was

deutlicher als alles Andere spricht. Nur eine untergeordnete Behörde .

hatte auf einem Seitenwege den Schein des Rechtes für eine Maß-
regel zu vindiciren versucht, die jezt von Niemand, welcher Ansicht
er auch ſei, anders denn als eine Calamität betrachtet wird. Ich
will Ihr Blatt nicht mit Gerüchten füllen, die jede Stunde wechseln.
Die Gerüchte über das Warum ermangeln so jeder innern Wahrheit,
daß selbſt Diejenigen, welche zu Anfang aus patriotischem Pflichtgcfühl
zu vertheidigen suchten, jetzt schweigen. Erfreulicher ſind die Gerüchte
darüber, welchen Eindruck der Vorfall allerhöchſten Orts hervorge-
bracht hat. Sie auszusprechen hieße der höchſten Willensmeinung
vorgreifen, zu der wir uns mit vollem Vertrauen getröſten dürfen,
daß ſie in ihrer Weisheit Mittel finden wird, die Schmach des ge-
kränkten Gaſtrechts, welche tiefer uns drückt als die persönlich Ge-
kränkten, wieder auszugleichen. Wir verweilen lieber bei frohen Be-
trachtungen , beim Gedanken , daß jedes moralische Unrecht, jede
Wahnkrankheit, wenn ſie ihren Gipfel erreicht hat, di- lösende und
heilende Kriſis von selbſt vorruft. Jedermann weiß wie das Syſtem
der überängſtlichen Beaufsichtigung, wie das demoraliſirende Delato-
renweſen dem Geiſt und Herzen unseres Königs zuwider iſt, wie er
ſeit seinem Regierungsantritt ſich entschieden dagegen ausgesprochen,
und nur nothgedrungen in Das gefügt hat, was seine Umgebungen
ihm als unerläßlich vorſtellten. Dicß Syſtem hat ſich übergipfelt, sich
selbft geschlagen. Dieß war vorauszusehen. Daß es auf diese Art
geſchehen mußte, iſt für Preußen zu beklagen, aber welche Regierung
darf behaupten, daß sie nie Mißgriffe und Utebereilungen begangen
hat? Ein Umschlag, wohlthätig für noch viel andere und wichtigere
Verhältniſsſe und begründer auf das Vertrauen zwischen Volk und
König, iſt abzusehen. Aber man hardelt unrecht, das Uebel allein
auf Schuld des kurmärkischen Syſtems zu schieben, für das man
jetzt einen nach poterzirteren Grad in dem s. g. Ukermärkiſchen fin-
den will. Der vorwaltende Einfluß der Kurmark, oder, wenn man
will, des kurmärkischen Junkerthums hat freilich Preußen vielen
Schaden gethan, faſt zu allen Zeiten wirkte es retardirend, und war
ein Hemmſchuh für den Aufschwung des Königsſtaates Preußen. Es
iſt nur zu wahr, daß die großartigſt königlichen Gedanken durch die
kurmärkiſche Verwickelung in die Ausführung oft zu halben Maßre-
geln wurden. Aengstlich, an der Scholle klebend, ohne welthiſtori-
ſchen Umblick, zäh, auch selbſiſch iſt die kurmörkiſche Art, das sei
zugegeben, aber ſie ift ehrlich. Es iſt nicht der Stoff aus dem die
Natur Premierminifter, Feldherren, Philoſophen und Speculanten
bildet, in großen Krisen der Geschichte weiß der kurmärkiſche Conser-
vatismus ſich gar nicht zu rathen und zu helfen; aber rechtlich in
seinem Grund und Wesen, bildet er in ruhigen Zeiten gemessene,
'thätige und tüchtige Charaktere aus, erprobte Feſtungscommandanten,
redliche Verwalter, unparteiische Richter, eiſenfeſte Landwehrcomman-
deure und selbſt kühne Huſarengenerale. Ein solcher Schlag erhebt
ſich zwar nicht zu den geiftigen Höhen der Zeit, aber auf ſittlichem
Fundamente ruhend verirrt er auch nicht zu den Tiefen ihrer De-
moralisation. Das zeitweilig anscheinend begünftigte Angeber -, Ver-
dächtigungs- und Ueberwachungswesen ift daher diesem Conſervatis-
mus fremd und offenbar nur ein giftiger Anflug von anderwärts her.
Der Altpreuße gibt sich vertrauensvoll der Hoffnung hin, daß eine
freiere Luftftrömung in Folge dieser Kriſis das Gift des Argwohns
forthauchen wixd. Er hofft, vaß das beklagenswerthe Ereigniß nicht
einen ncuen Riß zwischen ihm und ſeinen deutschen Brüdern verur-
sache; wenn er entſtanden, daß er durch Acte des Vertrauens wieder
ausgeglichen werde. Er hofft aber auch, daß seine preußiſchen Mit-
brüder nicht aus gerechter Entrüftung über einzelne Verirrungen seine
huten Eigenschaften blindlings verdammen mögen. Die kurmärkiſche

Art bleibt, trotz aller ihrer Mängel, ein Kern des preußischen Kör-

pers. Sie ift nicht sein Arm und nicht sein Fuß, ſie denkt, handelt
und bewegt sich nicht für ihn, aber sie ruht für ihn, ſie sammelt
und läutert die Säfte. Wie ein Alexander ohne ſcinen Vater Philipp,
ſo wäre kein Friedrich Il. ohne einen Friedrich Wilhelm I. möglich
gewesen, und dieser in seiner engumgränzten schlichten Ehrenhaftigkeit
iſt der wahre Repräsentant des kuriaärkischen Charakters..

~ An die badischen Abgeordneten v. Ihſtein und Hecker wird
jetzt auch von Berlin aus, namentlich in den literarischen und ge-
werbtreibenden Kreisen, eine Adresse vorbereitet. In dieſer Sache
wird wohl vorerſt keine weitere officielle Auskunft erfolgen (13, da die
abgegebene Polizeierklärung, welche lediglich auf das Paßverhältniß
fußt, keineswegs bloß dem Polizeipräsidium angehört, sondern mit
unmittelbarer Uebereinſtimmung des Ministeriums des Innern (!) erfolgt
zu sein scheine. Ein Artikel der in Basel erscheinenden Schweizeri-
ſchen Nationalzeitung. welcher diese Ausweisungsgeschichte von Baden
aus beſpricht, hat hier großes Aufsehen erregt, und wird nicht dau

beitragen, die großen Beſchränkungen, welche hier in der letzten Zeit

allen aus der Schweiz kommenden auferlegt worden, zu mildern.
Seit den neuen Wirren in der Schweiz iſt hier noch ein ſtrengeres
Syſtem der Absperrung und Beaufsichtigung in Bezug auf alle per-
sönlichen und literariſchen Elemente, welche jenem Lande angehören,
angenommen worden. Besonders iſt dieß auch jetzt bei allen in der
Schweiz erscheinenden Druckschriften zu bemerken, die den beſtehenden
Censurgesetzen nach eigentlich schon in der Kategorie verboten sind
und nur ausnahmsweiſe, auf Antrag der Verleger in jedem einzelnen

Fall, vom hieſigen Polizeipräsidium zum Debit zugelassen werden,

von denen aber jetzt noch, was früher für unnöthig gehalten wurde,
besondere Verbotsanzeigen erlaſſen werden.

§ Karlsruhe, 25. Juni. Während der [drei letzten Tage
hat hier eine außerordentliche General - Verſammlung des badischen

Centralinduſtrie-Vereins stattgefunden. Es wohnten derselben, außer

den badiſchen Induſteriellen, eine bedeutende Anzahl von Gewerb-
treibenden aus andern Zollvereinsſtaaten, namentlich aus Baiern,
Würltemberg und Preußen bei. Die im Interesse der deutschen
Induſtrie bei bevorſtehendem Zollcongreß zu treffenden Schritte,
hauptsächlich in Bezug auf die Aenderungen im Zolltarif, bildeten
den Hauptgegenſtand der Erörterung, die im Ganzen einen sehr
lebhaften Charakter trugen, was wohl dem Uniſſtand beizumeſssen iſt,
daß die Gerüchte, der größte Zollvereinsſtaat werde auch diesmal
wieder seinen Bevollmächtigten bei der Zollconferenz in einem den
Wünſchen der deutschen Induſtrie znwiderlaufenden Sinne inſtruiren,
immer mehr an Conſiſtenz gewinnen. Die in der württembergiſchen
Kammer gefallenen Hinweiſungen und Andeutungen in Bezug dar-
auf, fanden in der Versammlung ein lautes Echo und zuletzt ei-
M M UB
dieselbe, mit Hinweis auf die Gefahr noch längerer Verweigerung
der Begehren der deutschen Juduſtrie für das Beſtehen des Zoll-
vereins selbſt, um kräftige Wahrung ihrer Interesſſen beim nächsten
Zollcongreß anspricht und in dieser Beziehung Anträge auf Aen-
derungen im Zolltarif stellt, die im Wesentlichen mit denen zusam-
menſtimmen, über welche die Sachverſtändigen in Stuttgart sich ver-
einbart haben.

Karlsruhe, 22. Juni. (Oberrh. Z.) Die Ausweisung un-
serer Volksmänner v. Itzſtein und He >er aus Berlin iſt noch von
keinem andern Tagesgeſpräch verdrängt. Im Gegentheil – was
bisher von preußischer Seite zur Rechtfertigung der Maßregel bekannt
U;. hat den Stoff und das JIntereſſe dieser Discuſsion sehr
vermehrt. —

Bei der vorherrschenden Stimmung über die Ausweisungsgeschichte
mußte es sehr auffallen, einen alten Pensionär an öffentlicher Gaft-
haus-Tafel von den Ausgewiesenen sagen zu hören: „Es iſt ihnen
recht geschehen; was brauchen sie in der Welt herumzureifen ; sie sol-
len daheim bleiben... Natürlich erregte eine so naive Aeußerung all-
zz Erſotpen; es gab sich aber Niemand dazu her, etwas zu

icdern.


 
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