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Mannheimer Abendzeitung — 1845

DOI Kapitel:
No. 329 - No. 358 (1. Dezember - 31. Dezember)
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Dienstag 2. Dezember

154.46.





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Landtagsverhandlungen. |

** Karlsruhe, 27. Nov. Dritte Sitzung der Zweiten Kammer
Unter dem Vorsit des Alters präſi d enten: v. Ißflein Regierungsbank:
Staatsrath Nebenius. Diskussion über die beanstandete Wahl des Reg.-
f stscs Ulett. gFeslésrt).. Veschwerdepunkte für unerheblich oder we-
nigftens für zweifelhaft; allein die Anschuldigung wegen des angeblichen
Briefes iſt ihm erheblich. Wenn er gleich eine doppelte Deutung zulasse, so
sei doch jedenfalls der Inhalt von der Art, daß er einen ganz niederträchti-
gen Verſuch einer Beſtechung in sich faſſe, und die öffentliche Moral fordere,
etwas Derartiges nicht leicht zu nehmen, sondern einen Nichtigkeitsgrund da-
raus zu machen. Seinem gestern ausgesprochenen Grundsat, jede Wahl auf-
recht zu halten, wenn ihm nicht ganz klar sei, daß dabei eine Gesetz - oder
Ordnungswidrigkeit vorgegangen, welche die Vernichtung der Wahl begründe,
bleibe er auch hier treu. Es liege kein Beweis vor, und einen solchen Ver-
lange er, um die Beanſtandung einer Wahl auszuſprechen. Der Say, daß
eine einfache Beschwerde der Betheiligten hinreiche, um die Thatsachen wenig-
ftens in so weit als wahr anzunehmen, daß man dem Gewählten der ihm
durch den Wahlakt übertragenen Funktion entheben könne, würde zu entsegli-
c<en Folgen führen. Schon im Civil- und Kriminalverfahren gelte von jeher
der Grundsat, nicht zu urtheilen ohne Beweis, auch kein provisorisches Ue-
bel (Arreft in Strafsachen) hinzuzufügen ohne Beweisgründe zu einem ftarken
Verdachtz wie viel mehr müsse man in einem Falle, wie der vorliegende,
wo nicht allein die Wichtigkeit des Rechts des Gewählten in Frage sei, son-
dern auch das Interesse und das Recht der Kammer, vollzählig zu sein, da-
rauf sehen, daß kein Gewählter vor Herfſtellung eines Beweises auf den
Grund einfacher Beschwerden und Denunziationen hinausgejagt werde.
Aus den 99. 7 und 8 der Geſchäftsoronung gehe hervor, daß bei Un-
giltigkeitsgründen, oder in solchen Fällen, wo nicht der Wahlakt an und
für sich ſclbſt, alſo das Wahlprotokoll und seine Beilagen, die Ungiltigkeit
darthun, die Unterſuchung im Voraus zu führen sei und die Akten voraus
eingeschickt werden müssen, damit in der Diskussion in der Kammer die Be-
weiſe vorliegen. Die Beschwerdeführer seien nicht gehindert gewesen, ihre
Beſchwerden und Thatsachen zu rechter Zeit bei dem Amte vorzubringen, eine
Unterſuchung zu veranlassen und die Aktien darüber mit den Wahlakten vorle-
„gen zu lassen.. Dieß haben aber die Bittſteller unterlassen, wahrscheinlich in
d er Ueberzeugung, daß das Resultat nicht zu ihren Gunsten ausfallen könnte ;
deßhalb hätten sie die Kammer mit bloßen Behauptungen ohne Beweise über-
rumpelt. So könnte jede zwischen ein paar Cujonen verabrevete falsche De-
nunciation einen Gewählten seines Repräsentationerechtes verluſtig machen
und ihn der öffentlichen Verachtung hingeben; namentlich könnte ein solcher
Grundsatz nach Umſtänden für die Mitglieder der Opposition gefährlich wer-
den, besonders da die Beschleunigung oder Verzögernng der Untersuchung
von der Regicrung abhängt; zumal könnte dies geschehen bei einer andern
Zusammensetzung der Kammer und bei einem volksfeindlichen Ministerium.
' ~ Ic sage mit einem Redner von 1842: „„Eine Partei lebt und nährt sich
von den Jehlern der andern." – Die Fehler, welche die eine Partei heute
begeht, werde die andere Partei ein anderes Mal benüßen. Deßwegen mut
man nicht mit einem schlimmen Beispiele vorangehen, das einſt schlimme
Früchte bringen könnte. UNeberhaupt, Ehrlich dauert am Längsten! Wir wol-
len Gerechtigkeit nach allen Seiten hin üben! ~ Daß die Beilagen nicht un-
terſchrieben sind, iſt dem Redner nicht ganz unerheblich, weil dann doch der
Uebergeber (Mathy) nicht mit Beftimmtheit wissen könne, ob ſie mit oder
h e Wissen der Unterzeichner der Beschwerdeschrift abgefast oder ob sie nicht
ausgetauſchi worden; zudem seien 50 nur der zehnte Theil der Bürger in
Ueberlingen, und es liegt noch eine Gegenpetition von 30 Wahlmännern vor,
worunter sogar 6 seien, die dem Regierungsrath Abegg ihre Stimme nicht
gegeben. Dieß Alles zusammengenommen, kann er es nicht mit seinem Ge-

wiſſen vereinigen, für die Beanſtandung zu stimmen.

Hecker: Die Drohung, beute mir, morgen dir, kann mich nicht ſchrecken.
Dieſen Saal rein zu halten von jeder Fälschung, und Niemanden zuzulassen
auf dem die Anklage einer Fälschung lastet, dahin muß unser Beſtreben ge-
richtet sein. Und wenn man sagt, man könne morgen ein Mitglied der Op-
voſition unter einem volk.feindlichen Miniſterium durch ähnliche Beschwerden
von seinem Platze verdrängen, so sage ich: cher solle dieses geschehen, als
daß von einem solchen Mitglied zu Gesetzen mitgewirkt wird, die das innerfte
Wohl der Familien und des ganzen Siaats berühren. Unter der Reſtaura-
tion hat man Mauvuel mit Gendarmen aus dem Saale geworfen, aber noch
jest ſteht er hochgefeiert da, und die Geschichte hat ihn durchaus gerechfertigt.
Auch sy richt unsere politische Geseßgebung nicht bloß von gemeiner Beſte-
—thung, sondern überall wo ein so feiner Betrug, wie er in Versprechungen
liegt, vorkommt, muß eine Wahl für ungültig erklärt, oder beanftandet wer-
Yen, bis zu dem Tag, wo fich herausstellt, ob Diejenigen, die eine solche An-
tlage erhoben, wahr geredet haben, oder als Lügner daſtehen vor dem Lande.
Cine Stelle in der Wahlordnung (§. 72) hat man nicht angerufen, welche
sagt: „Sämmlliche Wahlmänner betheuern durch Handgelübde, daß sie nach
ihrer eigenen Ueberzeugung ihre Stimme ablegen wollen, wie ſie es für das
Beste des Landes am Dienlichsten erachten, daß sie in Bezug auf ibre Abftim-
yYuung weder von irgend Zemand eine Gabe oder irgend einen

Vortheil erhalten haben, oder je annehmen werde n, noch auch

um selbſt gewählt zu werden, einem Andern Ctwas gegeben oder verſyrochen
haben,“ ~~ und der oft angeführte g. 56 sagt: „Jede Einwirkung auf die
freie Watl iſt verboten.“ Hierin liegt der Hauptgrundſsaß ausgedrückt, und
ich wundere mich gegenüber dem Minoritätsbericht und den Zuriſten in dor
Famimer, wie man sagen mag, solche Fälſchungen der Wahlen, solche Ver-
lüÿrechungen, und wenn sie bloß phantaiſtische Gebilde tvären, feien keine ver-

„kein Schlingel“ können auftreten und den Sitz in diesem Hause mir rauber.

Es ift somit irrthümlich und vergeblich, wenn man meint, die Wahrheit könne

botenen Beftechungen, sondern erlaubt. Ich werde auf diese Behauptung
noch zurückkommen und fie zergliedern. Das aber sage ich schon jettt, daß
alle Völker, welche Repräseutativverfasſungen ha! en, die Engländer und Fran-
zoſen, die Sache ganz anders betrachten, wie denn uamentlich die leßteren
den Laffitte und Emil Girandin nicht zulitz „u, weil es hieß, daß wenn ein
Mal der Saal durch Fälschung entweiht worden, er immer anrüchig sei.
Eben darum hat auch ein Statut unter rem englischen König Willhelm Ul.
beſtimmt, daß Jeder, der Jemand um der Wahthl willen bewirthe, z. B einen
glänzenden Einftand ver spricht, wie es hier geschehen sein soll, un-
würdig sei, im Hause der Gemeinen zu flßen. Die AÄcte von 1706 hat jede
Art von Beftechung, auch solche von der geringsten Art mit Strafe bedroht.
Ein Versprechen iſt aber schlechter als die Gabe ſelbſe. Wenn man Jemand
einen Thaler auf rie Hand gibt, um ihn zu feilschen, so kann er ihn anschla-
gen oder nicht, wenn man aber zu ihm hingeht und eröffnet ihm Ausfichten,
die das ganze Gebiet der Phantasie mit allen möglichen Dingen bevölkern,
so iſt dieß viel niederträchtiger als der Thaler, den man einem Armen in
die Hand drückt, damit er fich Brod kaufe. Wenn solche Verbrechen bei einer
Wahl an den Tag kommen, so kann der Gewählte nicht als Abgeordneter
unter uns fißzen. Ich muß hier an einen Artikel in unserem Strafgesetzbuch
erinnern, den die Kammer ſelbft berathen hat, den die Juriften der Commiſs-
sion mitberathen haben, und kann meine Verwunderung nicht bergen, daß die
Sätze, welche dort enthalten sind, heute übersehen und in dem Mivoritätsbe-
richt vergessen wurden. Der Redner verliest diese Artikel (über Wahlbeſte-
ung) und fährt dann fort: Fünfundzwanzig Gulden ist freilich wenig und
ich hätte gewünscht, man hätte — vorausgesett unabhängige Gerichte und
keine Verwaltung wie die unsrige ~ 500 Pfd. Sterling angesett, womit die
Engländer die Watlbeftechung beftrafen und den Gewählten für unwürdig
erklären, Siß in dem Parlament zu nehmen. Vor uns liegt eine klar be-
stimmte, nicht wegzuraisonirende oder juriſtiſch zu zergliedernde Erklärung der
Wähler, welche besagt: „die in Folge geseßlichen Austritts unseres früheren
Abgeordneten ftaltgehabte Wahlmännerwatl beruht auf so verwerfl cen Grund-
lagen, auf so gemeinen Beſtechungen ~ wie die Versprechungen es sind, die
wir mit dem Beisatz conditio sine qua non vernommen haben ~– auf so ab-
soluten Fehlern und Mißachtung des Wahlgesetzes, daß wir die Ueberzeugung
hegen, diese Wahlmännerwahl und die daraus hervorgegangene Abgeordne-
tenwahl leiden an unheilbaren Gebrechen 1c.“
“ JIn rieser Eingabe fleht in Beziehung auf die Handkungen, die bei der
Watlkommission vorgekommen sind, ausdrücklich, ein Mitglied der Lettteren
hätte sich über die Perſon der zu Wählenden mit einem Wätler verftändigt,
ihn in ein Nebenzimmer geführt, wo derselbe einen leeren Wahtlzetiel mit
dem ihm bezeichneten Namen ausgefüllt habe. Wollen Sie weitere Beweise
von Wallbeftechung, andere unerlaubte Mittel als diese ? verlangen Sie elwa
noch die Namen ? Es liegt ja das Faktum vor. Eine Wahl iſt zu Stande
gekommen, nicht aus der freiwilligen Eniſcheidung der Wätler sondern nach
dem Willen des Bürgermeifters, welcher Stellen im Kornhaus und Spital ,
zu vergeben hat, sowie durch Zudrängen anderer Herren die eben ſo ein-
wirken können wie Jener. Ein Wäthter unterſchreibt nach dem Diktat Desje-
nigen, der ihn auf die Seite nimmt und gleichwohl heißt es nun in der
Kammer, es sei kein Cinfluß auf die Wahl geübt worden. Jürwahr meine
Herren, die Regierung und ihre Beamten haben schon auf frivolere Arnsſchul-
digungen hin rerliche Leute Jahre lang im Kerker herumgezogen, und hier,
wo es sich um die Reinheit und Unverletlichkeit der Volfsrepräſentation han-
delt, verlangt man Specifikation der Thatiachen und macht uns Vorwürfe,
wenn wir unser Haus von solchen nichtswürdigen Dingen frei halten wollen.
Wir müssen uns unbefangen benehmen gegenüber einer so klaren Erklärung,
wie sie hier vorliegt, und ich kann richt begreifen, wie man sagen mag, der
Form nach sei es nicht zuläſig, hier zu inquiriren. Zch sage, das Verbre-
<en muß verfolgt werden, bis die Verjährung es gedeckt hat. Was unrecht
zu Stande kommt, iſt kein Produkt, das zu der Landesveriretung mitwirker
kann, und so lange eine solche Fälschung behauptet iſt, und die Wahl des
Abgeordneten noch nicht definitiv gültig erklärt wurde, muß eine Unterfuchung
ſtatifinden, und es thut hierbei nichts zur Sache, wenn auch die Betheiligten
mucht gleich mit der Klage hervortreten. Man sagt freilich: „ein Cujon!!,
Ich vertraue aber der Moralität des Volks mehr als Denjenigen, die uns
damit schrecken wollen, daß solche Jälle häufig vorkommen könnten Wenn
aber auf jedem Landtage 10 Mitglieder aus der Kammer entfernt werden
müßten, so wäre es immer noch besser, als wenn nur Einer dasäße, mit dem
Verbrechen der Wallbestechung belaftet. Wohin kämen wir auch mit dem ent-
gegengeseßten Grundsatz? Der Redner führt diesen Gedanken näher aus,
vir.rlegt ireffend den Cinwand der Anonymität der Anschuldigung, und fährt
Fort:

Ich halte mich hier lediglich an die Thaifache, ohne Beziehung auf die
Person. Ich weiß vicht, ob der Brief von dem Regierungsrath Äbegg ge
schrieben wurdez allein die Anklage iſt einmal vorhanden und wir können
nicht davon freiſprechen, ohne vorgängige Untersuchung, denn sonft müssen Sie,
so oft Einer vor Ihrem Tribunal fieht und sagt, er habe diese oder jene
Fälschung nicht begangen, ohne weitere Untersuchung die Freisprechung er-
folgen lassen. Man wendet ein, der Beweis könne nicht geführt werden.
Ich weise auf ein Auskunftswittel hin, wozu gegriffen werden kann, wenn
jener Brief vernichtet, oder nicht zu den Atten zu bringen iſt. Den Leuten,
die den Brief gesehen haben, kann die Handschrift von Abegg Lorgewiesen
und denselben die Frage geſtellt werten, ob jener Brief dieselbe Handschriſt
getragen habe, und wenn diese Frage bejaht wird, so möchte ich sehen, ob
dieß für ein polttiſches Geschwornengericht nicht hinreichen kann und muß.


 
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