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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 176 - No. 206 (1. Juli - 31. Juli)
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Die Entwicklung des Zeitgeistee. in ihrer Zeit ſtehen und für des Geiſtes Fortschritt ein Herz haben;

*%% Vom Rhein, 2. Juli. Es haben fich aus der trägen Er vermählt sich mit dem Denken und Sinnen, mit dem Wollen und
Indifferenz, welche lange Zeit wie Bleigewicht auf der Gesellſchaftt Streben ſeiner Kinder, er wird in ihnen Fleiſch und Blut und nimmt
lag, in neueren Zeiten besonders zwei Gegensätze herausgesondert, die ihren Charakter, ihre Thatkraft, ihre Aufopferungsfähigkeit in Anspruch,
ſich im Allgemeinen als das Extrem der Ruhe und das der Bewe- er ſucht sich auszudehnen, bildet ſich seine Jünger und Vollſtrecker sei-
gung bezeichnen laſſen und die ſich in allen Lebensphären, in der nes Willens, denen es durch die Glieder bebt, was der Dichter singt:

Viſſerſchaft und Philosophie (Schelling auf der einen und Neuhege- Ich fühl's durch alle Nerven,
lianiemus auf der andern Seite), in dem religiöſen Gebiete (Stabi- Durch alle Adern glühn,
lität und abgesſchloſſene Orthodoxie auf der einen und freier Fortschritt Ich möchte Speere werfen,
des chriſllichen Geiſtes auf der andern Seite), im ſtaatlichen und Ich möchte Klingen schärfen,
politiſchen Gebiet (als der Gegensatz des fireng hiſtoriſchen und des , Und thatlos nicht verglühn! . ;
philoſophiſchen Principe), selbſt in der Kunſt (Neuromantik und mo- So beginnt der neue Zeitgeiſt in der Gegenwart eine entschiedene

derne Kunst) und in der Naturwiſsſenſchaft (als der einseitige Erfah- Macht zu werden, welche die öffentliche Meinung beherrscht, zur be-
rungeſtandpunkt einerseits und als die naturphiloſsophiſche Richtung stimmten Partei wird und in den besondern Verhältnissen des Lebens
anderseits) in beſtimmter Geſtalt ausgeprägt und geltend gemacht ha- ſich durchzusetzen strebt, denn die theoretische Wahrheit, das vernünf-
ben. Das lebendige Intereſſe der Gegenwart bewegt ſich einzia im tig erkannte Ideal soll und muß auch Leben und Wirklichkeit werden.
Kampf dieser beiden Richtungen des Gciſteslebens. Um diesen Brue Dahin drängt der nimmer raſtende Geiſt, als nach seinem nothwen-
in der Gegenwart zu erklären, iſt auf die Entſtehung weltgeschichtli- digen Ziele; und wenn dann der neue Zeitgeiſt die Macht der Zeit
ther Principien überhaupt zurückzugehen. Aber auch bei der Beant- geworden iſt, da führt er ſich durch die Erziehung und Bildung, durch
wortung dieser Frage theilen ſich die Ansichten der Gegenwart, in- Wiſſenſchaft und Leben bei der jungen Generation durch und geſtaltet
dem vie mechanische Betrachtungsweise der Geschichte die verschiedenen nach sich alle Sphären und Kreise des Lebens, die Kunſt, den Staat,
Richtungen und Principien des Zeitgeiſtes auf eine äußerliche und das sociale, wie das religiös- ſittliche Leben. Das Senfkorn iſt zum
zufällige Weise sich entſtanden vorfſtellt, eine andere gewissermaßen blühenden Baume geworden , deſscn Früchte die Menſchheit freudig
diplomatische Geschichtsanſicht ein ſicheres Juſte-milieu, welches klug koſtet. Abes was entſteht (heißt es) iſt auch werth, daß es zu Grunde
zwischen beiden Zündſtoffen hindurch lavirt, als vas Richtige bezeich- geht; die Blume welkt und die Frucht fällt ab, und es tritt in der
net und endlich eine dritte philoſophiſche Betrachtungsweise ein orga- Entwicklung des Zeitgeiſtes wiedey. die Periode des Verfalls ein, aus
niſches Verhältniß, eine nothwendige Wechselwirkung zwischen den welchem ſich nur Koime für di Zukunft herausgebären. Wenn das
Gegensätzen des Zeitgeiſtes annimmt, wonach aus dem abgelebten Ziel erreicht und das Prinzip in der Wirklichkeit durchgeführt worden,
Alten das neue Princip, wie ein junger Phönix ans der Aſche des so iritt eine Zeitlang ein Stilen ruhig sich ausbreitenden Genuſſes
alten, nothwendig hervorkeimt. Die legtere Anſicht erweiſt fich als ein; bald aber erkaltet das Feuer Ver Begeifterung zur Gleichgültigkeit
diejenige, welche durch die Erfahrung der ganzen Weltgeschichte vol- des Herkommens, das Herkömmliche und Utberlieferte macht sich breit
kommen beſtätizt wird und die darum ihre Berechtigung und Aner- und Unter der Decke schlummert bercits cin neues, junges Prinzip.
kennung in der Gegenwart finden muß. Der Kampf der Geg-nsätze Dem ſich im Verborgenen still regenden neuen Leben ftellt ſich das
iſt der Todeskampf des Alten und der Siegeskampf des Neuen, wel- Bestehende mit ſchroff.x Intoleranz entgegen und strebt ſein Emporkom-
ches aus der Vergangenheit , seiner Mutter, bie Nahrung gezogen men zu hindern. Aber der Gti läßt sich nicht dämpfen und niederhal-
hat, um sich zu freier Selbſtſtändigkeit zu erheben. Der Weltgeiſt ten, er will mächtig hervorbtechen; da wird der alte Zeitgeiſt zur
geht seinen langſamen, aber ſichern Gang unaufhaltſam vorwärts, Tyrannei und zum Fanatismus, der theoretiſch zur Suphiſtik und
und hier hat Schelling Recht, wenn er die Vernunft als unendliches Scheinrechtfertigung und praktisch zur tyranniſchen Selbſtſucht ſeine Zu-
Seinkönnen bezeichnet. Betrachten wir den nothwendigen organischen, flucht nimmt, und die neuerſtehenden Helden eines neuen Geiſtes zu
von Innen heraus sich forttreibenden Entwicklungsgang des Zettgeiftes, Martyrern der fortschreitenden Menschheit macht. ~ Die Anwendung
wie derselbe nach den ewigen Gesetzen aller Lebensentwicklung vor dieser Sätze ein andres Mal!

ſich geht, etwas genauer, damit der Leſer den Schlüſſel zur Lö-



ſung des Räthsels der Weltgeschichte, wie insbesondere des in der j Deutſchland.

Gegenwart obſchwebenden Kampfes jener beiden extremen Grundrich- * Mannheim, 3. Juli. Die | Weserzeitung - wundert ſich
tungen selber finde und danach sich über die einzelnen Erscheinungen am Schluſſe eines warmen Artikels über ſich selbt, daß sie, ein han-
ortentire. seatiſches Blatt, das Interesse des Zoll-Vereins gegen den in Süd-

. In den hin und wieder, wenn gleich selten, im Umkreis der Jahr- deutſchland erklungenen Ruf. nach Lostrennen von Preußen in Schutz
hunderte auftauchenden höher und liefer erregten Augenblicken der nehme. Sie erblickt ferner in dem Drohen mit dem Austritte eine
Geschichte, wo lebendige Begeiſterung für Großes ihr Panier aufpflanzt, Rechtfertigung für Diejenigen, welche vor der Hand den Eintritt
in Zeiten, wo eine unsichtbare Hand wieder ein inhaltſchweres Blatt nicht wünſchenswerth finden. – Wir können die Richtigkeit dieſes
der Weltgeſchichte umzuschlagen scheint, da werden die neuen Lehens- Schluſſes nicht zugeben. Der Nothschrei der deutschen Industrie, wel-
prinzipien von den Herren der Geſchichte ausgesprochen und zündend cher von der preußischen Regierung das geringe Maß von Zollſchutz
ſchlagen ſfe in die empfänglichen Gemäüther ein und werden, dunkel versagt wird, deſſen sie gegen die britische Uebermacht bedarf, ift
und unbewußt im Anfang, überall gefühlt, wo das Leben nicht zur nicht so auszulegen, als ob eine Rückkehr zu der früheren Vereinze-
umie erſtarrt iſt. Aber was so ahnungsvoll auftqucht, das fühlt lung verlangt werde. – Die Industrie verlangt seit Jahren einen
bald mächtig die inwohnende Kraft und Cnergie und vollendet sich kri- Zollſchut, der nicht mehr beträgt, als der in Zahlen nachgewicsene
tiſch und verneinend gegen das bisher Geltende, und im Kampfe mit Veortheil, welchen die englischen Schiffe vor den deutschen voraus ha-
en Anhängern des Alten erſtarken dem neuen jugendlichen Zeitgeit ben. Die meiſten Vereinsregierungen anerkennen die Nothwendigkeit,
die Schwingen, die Kraft wächſ't und der Kampf muß eben dazu den Schutz zu gewähren; sie wiſſen, daß die deutſche Induſtrie ohne
dienen, den neuen Geiſt zum Selbſtverſtändniß und zum klareren Er- diesen Schutz nicht nur zu keiner kräftigen Entwickelung gelangen
faſſen seines Zieles hinzuführen. Ruhmgekrönt geht der Sieger her- kann, sondern in den Anfängen ihrer Entwickelung zu Grunde gehen
vor und ſteht in der Fülle seiner Kraft da; | er neue Zeitgeist, nachhemn muß. Preußen allein widersetzt ſich beharrlich und gefährdet dadurch
h Glauben zu sich selber gewonnen, bildet seinen Inhalt zum beſtimm- nicht nur di- deutſche Induſtrie (seine eigene eingeschlossen ), sondern
éen Stfeme aus; um sich und seinen ganzen Standpunkt als vor der auch die Criſtenz des Zollvereins, sowie den Ruhm und den Einfluß,
. enden Vernunft berechtigt nachzuweisen. Damit ift das. exſte welchen es durch die Gründung desselben verdient und erlangt hatte.
. 1adium zurückzelegt und ein neues, die Einführung des Zeritgeiſtes Dessſenungeachtet wäre die Rückkehr zu der früheren Iſolirung viel
In die Wirklichkeit beginnt, sowie ſich der neue Geiſt des Wüllens und ſchlimmer; als das Verharren im Zollverein, selbt vom Standpunkte
er Geſinnung bemä htigt. Der Zeitgeift lritt in sein Mannesalter ein, der Industrie betrachtet, abgesehen von vaterländiſcher, d. h. deutscher
sr wird zum lebendigen Pathos derer, die mit lebendigem Bewußtsein Politik. Die allererſte Bedingung für die Möglichkeit einer deutſchen .


 
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