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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 268 - No. 298 (1.October - 31. October)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44007#1145

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4. October

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hat, die Zeile oder deren
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und et erbittet mas
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1845.











Deutſchland.

* Mannheim , 2. Oktober. Die Oberrh. Ztg. berichtet aus-
führlich über den Aufenthalt der „Reformatoren in Heidelberg.
Beim Empfang im Harmoniegebäude sprach fie Ronge kurz über
sein Streben aus. Als, sagte er, vor 300 Jahren in Deutschland
die große Reformation begann, da waren es die Großen und Mäch-
tigen, auf welche sie ſich ſtütte: die Stütz en der neuen Refor-
mation sind nicht die Großen, es sind die Bürger des
deutschen Vaterland e s. Er schloß mit einem Hoch auf die
deutschen Bürger. Do wiat characteriſirte in treffender Rede die
Feinde der reformatorischen Bewegung. Mit Rom, sagte er, wer-
den wir schon fertig, aber glauben wir nicht, daß damit der Sieg
ſchon unser iſt, ein anderer härterer Kampf steht uns bevor und hat
ſchon begonnen, der Kampf mit dem Pietismus, jenem giftigen Un-
geheuer, das in Hof - und Sumpfluft genährt, durch Deutschlands
Gauen ſchleicht. Es zu bezwingen bedarf es Kraft und Eintracht.
Laſſet uns zusammenhalten und mit macedoniſcher Phalanx einbre-
<en in die Reihen der Schwarzen! Kaum, fuhr er fort, iſt eine
Sache so vielfach verkannt und mißverſtanden worden, als die unsre.
Der Grund aber, auf den wir bauen wollen, iſt nicht die leere
Frivolität der neunziger Jahre des verfloſſenen Jahrhunderts, er iſt
auch nicht ver genügsame Rationalismus Bretſsſchneiders, auch nicht
die Alles verſöhnende Zschokke'sche Liebe, nein, der Grund, auf den

wir bauen, iſt der allmächtige Geiſt der modernen Wissenschaft.

Mit diesem Bundesgenossen müssen wir siegen und ihm bringe ich
mein Hoch. Endloser Beifall wurde der Rede des begeisterten Man-
nes. Alles drängte ſich berbei, Jeder wollte ihn und seine Freunde
sehen, Jeder einen Händedruck erhaschen. Und wer sie angeschaut,
den Ronge mit dem feſten, muthigen Blicke und Dowiat mit dem
durchbohrenden Feuerauge , der mußte ſich sagen, ja, diese Männer,
ſie werden es zu Ende bringen,, ihr großes Werk!

Die Gefühle und Aeußerungen der Bürger, als am 27. die
Kunde sich verbreitete, daß Ronge sowohl das Predigen, als das
Reden verboten sei, mag zu erzählen erlaſſen sein. Gegen Mittag
hatten ſich an 400 Männer zu einem Gaſtmatl unterschrieben, zu
dem man Ronge und seine Freunde geladen hatte. Und das Eſſen
î und Trinken wurde erlaubt, das Reden aber verboten. Eine Red-
nerbühne, die im Saale des Gaſtbauſes aufgeschlagen war, mußte
auf höheren Befehl wieder abgeschlagen werden. – – Vier hun-
dert Männer fanden an der Tafel im Gafthaus zum Prinz Max
wohl Raum; aber was will das sagen gegen die Tausende, die eine
Kirche gefaßt hätte? und an einem Gaſtmahl k ann nur der be-
mittelte Bürgersich betbeiligen; der unbemittelte dleibt
aus geſchlo ssen. Das Cssen begann. Zur Rechten Ronge's saß
der greiſe, im Wahrbeitskampf ergraute Paulus, zur Linken Vater

_ Winter. Dowiat, Hieronymi, Wilcker und mancher andere wackere

Kämpe war an den Tafelreiben zu schauen. Die Gallerie war von
Damen dicht besegzt. Advokat Küchler, Vorstand der heidelberger deutsch-
katholiſchen Gemeinde, ergriff zuers das Wort und verkündete, daß
Ronge nicht geſtattet worden, weder zu reden, noch zu predigen, noch
Gottesdienſt zu halten. Aber, setzt? er hinzu, „einen Trinkspruch zu
beantworten , iſt ihm nicht benommen. Ich habe von deutschen Frauen
und Jungfrauen einen Eichenkranz erhalten, mit der Weisung, ihn
auf Ronge's Haupt zu drücken. Frisches Laub von junger deutscher
Eiche. Möge, wie diese Ciche, unsere Kirche wachsen. Ich dbekränze
. Ronger's Stirne und rufe ihm ein dreifaches Hoch !" ~ Ronge erhob

ſich: „Deutsche Brüder und Bürger! Sie können wobl glauben,
daß es mir nicht gleichgültig, ja daß es mir schmerzlich iſt, mit Jh-
_ nen über die Reformation nicht sprechen zu dürfen. Aber die Stunde
wird kommen, wo wir es dürfen. Dichter und Weise haben es ja
verkündet, daß die deutsche Nation berufen sei, eine neue Zeit hervorzurufen.
Keine andere kann sich in Erfaſſang des Ehriſtenthums , in Wiſſenſchaft
- und Kunft vergleichen mit ter unsrigen. Das deutsche Volk ist beru-
en, die Wage der Gerechtigkeit und Liebe zu halten unter den Völ-
kern Europa’'s. Aber vor Allem muß dies Jedem zum Brwußtsein
Zommen, ein Irder soll eine Rolle spielen im großen Drama. Der
irrfte Kampf Deutschlands mit der Herrschaft Roms war, als dieses
mit Waffengewalt unser Land überzog. Der Genius Deutſchlands er-
'anb ſich, Varus stürzt: sich in sein Schwert. Der zweite Feind, der

vom Ufer der Tiber ausging, war das Papftthum. Es verderbte
Sitten und Religion. Aber tie Völker waren mündig geworden.
Deutjchland ging den zweiten Gang und Luther hob den Handschuh.
Die Hierarchie erzeugte aber eine geheime neue Macht, den Jesui-
tismus, die schleichende Liſt, die uns an den Rand des Verder-
b.ns gebracht hat. Jetzt thut der deutsche Geift den letzten Gang.
Die Nägel werden schon geschmiedet für den Sarg des Jesuvitismus.
Aber Sie wissen, meine Herren, daß ich keine Reden halten soll;
ich will nur eine Erklärung geben. Was Luther sagte, Andere
möchten sein Werk fortsetzen, das geschah nicht, man wollte nicht
fortschreiten, es entſtand der hierarchische Pietismus, der ſich
an den Bänken und Thronen der Minister gelagert hat. Dem Pro-
teſtantismus fehlt die freie Verfaſſung , er geht Hand in Hand mit
dem römischen Hierarchenthum. Sie werden aber sehen, der wahre
Protestantismus wird Hand in Hand gehen mit dem Neukatholicis-
mus. Die Stunde wird kommen, wo Deutschland eine allgemeine,
nationale Kirche haben wird. Mit dieser Idee habe ich begonnen.
Es muß und wird der Tag kommen, wo zwei deutsche Brüder, die
300 Jahre lang ſich befeindet haben, einander die Hand reichen,
wo wir eine deutſche Kirche haben werden. Die einige deutſche
Kirche hoch l’ (Stürmiſcher Beifall.)

§ Heidelberg, 2. Oktober. Gestern war eine vorberathende
Versammlung für die Wahlmännerwahl des IV. Diſtrikts ange-
sagt. Sie sollte in einer hieſigen Bierbrauerei abgehalten werden,
allein die Theilnehmer fanden ſich so zahlreich ein, daß man ſich
genöthigt sah, ein größeres Lokal aufzusuchen, welches man auch

in dem großen Saale des Gaſthofes zum „„Prinz Max-. fand, den

der Eigenthümer mit großer Bereitwilligkeit zur Disposition ſtellte.
An 500 Menschen mögen ſich eingefunden haben, wahrscheinlich
durch die Nachricht bestimmt, daß unser Vater Itz stein, der geſtern
Nachmittag einen Besuch hier machte, der Versammlung anwohnen
werde. AlUgemeiner Jubel empfing den rüſtigen, freundlichen Greis
bei seinem Eintritt, ~ der sofort, nachdem unser zweiter Bürger-
meiſter Biſsing in ungemein lebhaftem Vortrag die Versammlung

eröffnet und einige der größten Angriffe der Gegenpartie nach-

drücklich bezeichnet hatte, das Wort ergriff und die Verſammlung
anredete. – Mit seinem klaren, kräftigen Organe, in seiner des
Volks ansprechenden. gemüthlich- ernſten Weise, setzte Vater It stein
der Versammlung die Wichtigkeit der Heidelberger Wahl auseinan-
der, wichtig in unſcrer Zeit, für ganz Deutschland; wichtig für
Baden. JIch bedauere, die Worte, die er geſprochen, nicht näher an-
führen zu können, Worte, die nach den zu wiederholten Malen
scine Reden unterbrechenden Zurufen, und Beifallsbezeugungen zu
schließen, die Herzen der Versammlung mächtig bewegten und am
Schlusse der Rede ein enthuſiaſtiſches Hoch auf den verehrten Red-
ner hervorriefen. Nach Vater Itſtein erhob sich unſer Welcker,
um keinen geringeren Eindruck zu machen.

Er appellirte an die Chre, Rechtſchaffenheit, den Verstand und
die Freiheit der Heidelberger, und einen Blick auf die Zeitverhält-
niſſe werfend, bewies er in ungemein praktischer und nachdrücklicher
Y:iſe, E LGuntris diesmal 'eine ſtarke und Majorität habende

pposition sei.

Cin Hoch auf die ehrenhaften, rechtschaffenen, verständigen ei-
nigen Wähler Heidelbergs schloß seine Rede, die sichtbaren Eindruck
auf die Versammlung gemacht hatte. Die Begeiſterung und der
Enthusiasmus war allgemein, und wenn er auch nicht nachhaltig
sein sollte, so beweiſet er doch, daß den Männern, die ihn hervor-
riefen, die Wahrheit zur Seite ſtand und ihre Macht ihnen gelie-
hen. ~ Um 10 Uhr trennte sich die Versammlung, und wenn die
Frucht nur zur Hälfte die Saat erreicht, wenn die Wirkung nur
halb so groß iſt, als die Begeiſterung, so wird der 1V. Diſtriet ein
würdiger Nachfolger des dritten.

= Von der Pfinz, 2. Okt. Aus ziemlich sicherer Quelle
vernimmt man, daß Herr Bürgermeiſter Morlock in Durlach geson-
nen sei, in das Privatleben zurüzutreten; sollte sich diese Nachricht
beftätigen, sollte er diese wichtige Stelle eines Bürgermeiſters mit sei-
ner frühern Stelung eines Gaſtwirths zu vertauschen wirklich im Sinne
haben; so müßte man dies wahrhaft bedauern. Man kann zwar ge-
rade richt sagen, daß unter seirer Amteverwaltung vieles Ausgezeich-


 
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