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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 176 - No. 206 (1. Juli - 31. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44007#0797

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14. Juli

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1845



* Die Engläuder in Württemberg, eine Eiſenbahnfrage.

. * Mannheim, 12. Juli. Württemberg iſt in der Lage, eine
Eisenbahn der Länge nach durch das Land zu bauen. Die Haupt-
linie, von Stuttgart nordwärts bis Heilbronn mit einer Abzweigung
gegen die badiſche Eiſenbahn, südwärts bis Friedrichshafen am Bo-
benſee, hat eine Länge von etwa 75 Stunden; dazu kommen noch
einige Bahnstrecken im Interesse einzelner Landestheile, so daß die
ganze Ausdehnung der projectirten Bahnen die Länge von 120 Stun-
den erreicht. Die Terrainverhältniſſe gehören zu den schwierigeren,
der Aufwand für die 75 Stunden der Längenbahn iſt auf 30 Mill.
Gulden veranschlagt und könnte wohl zu 40 Mill. ansteigen. Ueber
den Nutzen und die Nothwendigkeit des Unternehmens waren die
Meinungen getheilt, und unter denen, welche die Ausführung für

unvermeidlich hielten, fürchteten Viele eine Ueberbürdung des Lannen

mit Schulden, Steuererhöhung, ökonomiſche Zerrüttung und zu große
Schmälerung der Staatsmittel für andere nützliche Verwendungen,
namentlich zur Erleichterung der Ablösung von Grundlaſten, für Stras-
senbauten, für den Volksunterricht u. s. w. – Die Regierung ſselbſt
ſchwankte, und obschon mit den Arbeiten begonnen, auch eine Anleihe
von 7 Mill. gemacht wurde, ist doch die Entscheidung auf dem ge-
genwärtigen Landtage noch zu erwarten. Da kamen plötlich Aner-
bietungen einer englisch en Geſellſchaft, die Bahnen, deren Aus-
führung die Regierung beſchliche, zu erbauen und zu betre.ben. Die
Geſsellſchaft erbot sich, die bisherigen Auslagen dem Staate zu er-
ſeßen, dit Tarife nicht höher als die badiſchen und baierischen zu stel-
len und [jede beliebige Caution, bis zum vollen Betrage der Bau-
koſten zu leisten. Sie begehrte keine Unterſtäitung vom Staate außer
deſſen unentbehrlicher Beiyülfe zur Expropriation, keine Zinsengaran-
tie; dagegen verlangte sie eine Conceſſion auf 80 Jahre, wobei dem
Staate anheimgesſtellt bliebe, auch vorher, doch nicht vor Ablauf von
15 Jahren, die Bahn zurückzukaufen. –~ Dieses Anerbieten machte
großes Aufsehen. Der in der Presse mit Leidenschaft geführte Kampf
lieferte in winigen Tagen eine unglaubliche Menge von Aufsätzen
und Abhandlungen, worunter vi.le verſtändige und gediegene Arbeiten.
Roch größeres Aufsehen macht dagegen die heute eingetroffene Nach-
î richt, daß die engliſche Gesellſchaft verschwunden sei. Dies kann uns
jedoch nicht abhalten, ein Bild des Kampfes und einen Ueberblick
über den Stand der Sache zu geben, welche in Kurzem von den Kam-
mern verhandelt werden wird. Wir setzen als ausgemacht voraus,
daß die Längenbahn durch Württemberg gebaut werden soll, daß es
ſich alſo nur um die Frage handelt, ob das Unternehmen von dem
Staate oder von einer Gesellschaft ausgeführt werden soll, falls näm-
lich ftatt den abzanden gekommenen Engländern bleibende Deutsche sich
, melden. Wer die Ueberzeugung hat, daß im Intereſſe der Gesammt-
heit cine Staatsbahn vorzuziehen sei, der wird sich gegen die Ueber-
laſſung an die englische Gesellſchaft erklären, nicht weil sie aus Eng-
ländern besteht, ſondern weil sie eine Privat- Gesellſchaft iſte, Wer
dagegen einer Privatbahn den Vorzug gibt, aber die Engländer selbft
dann zurückweiſt, wenn eine andere Gesellſchaft nicht vorhanden iſt,
der nimmt seine Gründe nicht aus der Sache, sondern aus Befürch-
kungen und Antipathie, )jer, welche eher in Leidenschaften und per-
ſönlichem Intereſſe ols \n dem Verftande und dem allgemeinen Beſten
ihren Grund haben. Inter den Gegnern des englischen Anerbietens
unterſcheiden wir daher zwei Klaſſen. Die Eine will, daß der Staat
die Eisenbahn baue und betreibe, und unterſtützt ihre Ansicht durch
triftige Gründe. Die Andere will vor Allem, daß der Bau den
Engländern nicht geſtattet werde, und zeichnet sich durch heftige
Ausrufungen und Worte aus, z. B. „Warum nicht lieber gleich das
ganze Land kaufen!" — „Die Britten haben kein Herz und Einge-
weide für unser Volk (im Gegensage zu den Herzen der deutschen
Heldmänner, die dem Volke so zärtlich schlagen)" - „feindselige
.mdlinge, Charlatans, Intriguanten, beschnittene und unbeschnittene
«lanten, u. s. w." — Diese patriotiſche Ergießungen ſind es,
e durch die allgemeine Zeitung ihren Weg nach England gefun-
und dem breiten Witze des John Butkl Stoff zur Beluſtigung
en haben. Es iſt merkwürdig, wie heftig eine gewisse Abart
deutschen Patriotismus werden kann, wo sie von der Polizei

s zu riskiren, aber Geſpenſter zu fürchten hat.

Wir haben den Streit in den württembergiſchen und andern
Blättern aufmerkſam verfolgt, und glauben den Stand der Parteien
in Folgendem richtig zu bezeichnen.

Gegner des Anerbietens der englischen Gesellschaft sind:

1) Die gesammte politiſche und kirchliche Reaction wegen ihrer
Antipathie gegen bürgerliche Freiheit und Proteſtantismus, die ſie
an den Namen Englands knüpfen.

2) Die Industrie und der Großhandel, jene wegen des Ge-
dankens an die übermächtige engliſche Concurrenz gegen ihre Fa-
brikate, den sie auf jede andere Beziehung zu England oder Eng-
ländern irrig überträgt; dieser, weil er fürchtet, «er werde den
Transport seiner Waaren auf einer von der englischen Geſellſchaft
gebauten und betriebenen Bahn theuerer bezahlen müſſen, als auf
einer Staatsbahn. Y

3) ces , welche den Geſsellſchaftsbahnen überhaupt und
auch in dem hier gegebenen Falle abhold sind, wozu neben den
meiſten Nationalökonomen ein Theil der Beamten kömmt. Dieſe
dritte Klaſſe liefert den beiden erſten den besten Theil ihrer Gründe
während sie sich ihrerseits nicht frei hält von den Irrthümern der
beiden erſtern. ſ

Für die Ueberlaſſung der Eisenbahn an eine Privatgeſellſchaft,
folgeweiſe für das Anerbieten der englischen Gesellſchaft, haben ſich
erklärt: ' s Hu

1) Der Finanzminister, indem er den Wunsch ausgesprochen
hat, die ursprünglich als Staatsbahn dekretirten Linien nach Heil-
bronn und an den Bodensee der Privatinduſtrie zuzuweisen.

2) Die Kammer der Standesherrn und die Eiſenbahncommiſ-
sion der zweiten Kammer , wenigstens sollen diese nach vorläufigen
Mittheilungen dem Fivanzminister zuſtimmen; offiziell iſt darüber
noch nichts bekannt. :

3) Die Landwirthe und die Gewerbe, also der eigentliche Mit-
telſtand, weil dieser weiß, daß er es iſt, welcher die Koſten des
Baues größtentheils tragen müßte, während er glaubt, daß der
Nutzen hauptsächlich den Großgewerben und dem Handel zufiele.
Ein Aufsatz im „Beobachter. sagt daher geradezu: Die Frage über
Staats- und Privatbau in Württemberg iſt eine Frage zwiſchen der
Industrie und der Lantwirthſchaft. „Sollen die Landwirthe (und
Handwerker) den Induſtriellen und Kaufleuten Bahnen zur Gratis-
benutzung erbauen?- ~

Es iſt ziemlich einleuchtend, daß der Hauptgrund für diese An-
ſicht in der Besorgniß liegt, der Ertrag der Bahn werde nicht hin-
reichen, um neben dem Aufwand für den Betrieb, für Ersatz von

Material, für Reparationen am Bahnkörper und an den Gibäuden,

auch noch die Mittel zur Verzinsung und Tilgung der für den Bau
conirahirten Schuldenmaſſe zu liefern. Selbst im günſiigen Falle
werden für eine Reihe von Jahren, bis zur Vollendung des Baues
und noch einige Zeit nachher, nämlich bis zur Vervollſtändigung der
großen, die Meere verbindenden Linien, wovon die württembergiſche
Bahn ein Glied iſt, jährliche bedeutende Zuschüſſe aus der Staats-
kaſse erforderlich sein. Diese Besorgniß läßtsich nicht durch die Behauptung
wegdemonſtriren, daß die Bahn gut rentiren werde. Die Schulden
müssen gemacht werden, wenn der Bau beginnen ſoll; die Verzinsung
(die Tilgung kann verschoben werden) fängt daher an, ehe die Bahn
vollendet iſte. Die Nothwendigkeit von Staatszuſchüſſen iſt demnach
für die nächſten Jahre gewiß, di. Zukunft aber iſt ungewiß. Die
Summen, welche der Staat zu diesem Zwccke verwenden muß, kann
er nicht zu andern Zwecken verwenden; er wird daher entweder die
Steuern erhöhen, was besonders den Landwirth und Handwerker,
der am Stärksten belaſtet it, drücken würde, oder man wird andere
Verwendungen von Staatsmitteln beſchränken. Da aber voraus ſchon
werter der Aufwand für das Militär, noch für Besoldungen und Pen-
ſionen, noch andere „unproduktive- Ausgaben Gegenſtände der Erspar-
niß sein werden, so wird man an den Verwendungen für die Beför-

derung der Landwirthschaft und des Lokalyerkehrs ſparen. Der Staat

wird ſeine Beihülfe zur Ablösung der Grundlaſten und zum Straßen-
bau auf unbestimmte Zeit vertagen, oder auf ein Geringſtes zurück-

führen. Demnach wären gerade diejenigen Klaſſen, welche am Mei-
ſten zu dem Eiſenbahnbau beitragen müſſen, durch die Verwendung
ihrer Steuern für die Eisenbahnſchulden benachtheiligt. ~ Um diese


 
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