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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 87 - No. 116 (1. April - 30. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44007#0483

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Montag 2§

. April

1815





Denutſchland.

+ Aus Sachsen, im April. Die „Vaterlandsblätter-- beurtheilen
in ihren beiden lezten Nummern die „Versammlung deutſcher
Gewerbtreibenden- welche am 16. d. M. in Leipzig ſtatt
hatte, und dieses Urtheil geht im Allgemeinen dahin, daß dieſe Ver-
sammlungen einen andern Charakter annehmen müssen, wenn der
deutschen Induſtrie irgend etwas Ersprießliches daraus erwachsen soll;
bis jetzt seien ſie nur ein ſchwacher Anfang, zu dem man aber kein
besonderes Vertrauen haben könne, da die innere geiftige Kraft zu
fehlen scheine. Dieß zeige ſich besonders in der Theilnahmloſigkeit
der Anwesenden, die da hören wollen aber nicht reden, lernen
aber nicht lehren und Alles ruhig hinnehmen, was ihnen
der Ausschuß bietet, sſo daß an eine Berathung oder Beſprechung,
an einen fruchibaren Aus tauſ< der Ansichten und Gedanken
gar nicht zu denken sei. Was die „Baterlandsblätter“ im Einzelnen
berichten, beſtätigt dies Urtheil; dabei knüpfen ste an die Vorträge
der Hrn. Bodemer und Böcking einige sſo wahre und treffende Be-
merkungen, daß wir gern diesen Theil der Kritik vollſtändig mitih:i-
len, wie folgt:

Daß Hr. Bodemer den Gegenstand von seinem , des Fabri-
kanten Standpunkt, aus betrachtet, kann ihm Niemand verargen.
Er hat auf demselben wichtige Wahrheiten gefunden, unter denen be-
sonders hervorzuheben, daß die sogenannte Hausarbeit bei fortſchrci-
tender Entwicklung mehr und mehr verschwindet, und an ihre Stelle
die vortheilhastere Arbeit in geschloſſenen Etablissements tritt; daß der
Staat mit faſt allen seinen Laſten am Drückendſten auf dem Armen
ruht, daß dieser die meiſten und höchſten Steuern bezahlt dadurch,
daß seine täglichen Bedürfniſſe durch indirecte Steuera vertheu-

ert werden, während die Luxusgegenſtände freier ausgehen; daß alle

Vereine, wie wohlmeinend auch aufgefaßt, dem Armen nur zur Laſt
und zum Nachtheile gereichen, welches der Redner von den Mäßig-
keits-, Thierquälerei-, Sonntagsfeier- u. a. Vereinen ſchlagend nach-
wies; u. s. w. Aber das Alles ſind Dinge, die an der Oberfläche
haften und die Grundursache des Uebels weder zu Tage fördern, noch
Mittel zur Abhülfe finden laſſeen. Nicht nur die C sogenannte
Hausarbeit, sondern alle kleinern Etabliſſements verschwinden allmälig
bei der jetzigen Entwickelung der Induſtrie, indem tas große Capital
vie kleinen erdrückt und verschlingt und dadurch mehr und mehr allmächtig
wird. Diesen Entwickelungsgang aber kann man bei dem Utbergewicht,
rvelches das Capital jetzt schon über die Arbeitskraft ausübt, nur mit
Bangen wegen der Folgen sehen, denn diese Folgen zeigen uns im
äußerſten Hintergrunde eben nur Millionäre und Bettler. Die Vor-
theile der geſchloſſenen Etabliſſements wird Niemand beſtreiten, inso-
fern man das Vortheilyafte, was sie bieten und bieten könnten, was
überhaupt in der eigentlichen Vergesellſchaftung und Gemeinsamkeit
liegt, auch auf das Leben, nicht blos auf die Arbeit anwendet. Aber
bei dem jetzigen Gange der Dinge haben die geschloſsenen Ctabliſse-
ments auch ihr sehr Gefährliches, indem sie die ohnehin ſchon über-
große Abhängigkeit des Arbeiters noch vermehren und den letzten
Reſt seiner Selbſtſtändigkeit dem Fabrikherrn anheim geben.
Wenn nun aber vollends Herr Bodemer in dem Sammeln dex Ar-
beit in geſchlosſenen Ctabliſſements die „Organisation der Arbeit- für
vollendet hält, so beweist Das blos , daß er über seinen Gegenstand
ſich unmöglich vollftändig unterrichtet hat. Was die Socialiſten über
bieſen Punkt schreiben, das sollte keinem Fabrikherrn unbekannt sein,
gleichviel, ob er den Socialismus für eine Aufgabe unserer, oder
einer künftigen Zeit, oder für ein bloses Hirngeſpinnſt hält. Die „Or-
ganisation der Arbeit- hat den Zweck, das Mißverhältniß zwischen
Capital und Arbeitskraft aufzulösen, dem Arbeiter die freie Schaltung
mit seiner Arbritskraft zurück zu geben und ihn aus einer Maschine
wieder zum Menschen zu machen. Wenn man anerkennt, daß der Staat mit
allen seinen Laſten und Bedürfniſſen vorzugsweise und fast ausſchließ-
lich auf den arbeitenden Claſſen ruht, so muß man auch die Grund-
ursachen davon aufdecken, nämlich: die völlig rechiloſe Stellung des
| Armen im Staate, wie in der Geſellſchaft. Der Besitz, das Capi-
tal allein hat politische Rechte, macht die Gesetze, vertheilt die Steuern;
die Armen, die überwiegende zahlreichſten Klaſſen der Bevölkerung ſind
nirgends selbſt vertreten, haben keine Stimme und befinden ſich deß-
halb in einem Zuſtande völliger Rechtloſigkeit. + Muß man die in-

in die Möglichkeit

also nur elender würden...



haltloſe Oberflächlichkeit des Redners – eines Sachkenners in einer
Versammlung von Sachkennern – tadeln, so kann man Ton und
Form seines Vertrags noch weit weniger billigen. Derselbe schien
nämlich keinen andern Zweck zu haben, als die Versammlung zu be-
luſtigen und ihr dann in der heiterſten Laune ihre Zuſtimmung ab-
zugewinnen. Das herzzerrcißende Elend, welches in gewissen Schich-
ten unserer kranken und unnatürlich entwickelten Geſellſchaft lagert,
die ungeheure Gefahr, die für unsere Gegenwart und Zukunft aus
dieſem Elend emporwächſt, und die große Aufgabe, das Elend zu
mildern und der Gefahr vorzubeugen, sollte ein derartiges Verfahren
ausschließen, am Wenigsten eine förmliche Jagd nach sogenannten
und wirklich „schlechten Witzen" zulassen, und es iſt ein bezeichnen-
des Urtheil, welches man vielfach beim Auseinandergehen hörte:
„Der Vortrag über die arbeitenden Claſſen war vortrefflich; ich habe
ſo viel lachen müssen, wie seit langer Zeit nicht..n Wahrhaft empö-
rend aber war die wegwerfende Beurtheilung der Beſtrebungen , ent-
laſſenen Sträflingen wieder eine ehrenvolle und nährende Stellung
in der Gesellſchaft zu geben. Vergeſſe man doch nicht, sich zu fra-
gen, wie Viele der Unglücklichen, die durch ein Verbrechen gegen die
Geſellſchaft sündigen und dafür gestraft werden, gerade den Zuſtänden

der Gesellschaft die Schuld ihrer Ausartung und ihres Unglücks zu-

zuſchreiben ein Recht haben; und daß es nicht allein eine Sühne, son-
dern auch eine Maßregel der Klugheit iſt, die Berirrten wieder
zu verseßsn, fich ehrlih, zu ernähren. –
Sollten unsere Arbeiter, wie behauptet wurde, wirklich noch auf der
niedrigen Stufe des Urtheils stehen, wie der Redner in dieser Beziehung
ſieſtellte, so ſind sie darüber eben so sehr zu beklagen, als daß sie ~ nach des
Redners Ausspruch ~ mit Neid auf das Schickſal der Züchtlinge blicken
müſſen. Wahrlich, mankann nichts Schlimmeres vonihremZuſtandesagen.
Endlich muß man sich mit wirklichem Abscheu abwenden von der An-
ſicht, daß es Nichts nüte, den Arbeitern „„Reden zu halten, Vorle-
sungen für sie zu veranstalten und ihnen Bücher zu ihrer Ausbildung
in die Hände zu geben; Mittel, durch welche sie nur das Bewußt-
sein ihres schlimmen Zuſtandes erhielten, ohne Beſſerung deſsſelben,
Wenn diese Anficht auf dem Standpunkte
des Fabrikanten die herrschende wäre, wenn man den beglückenden
Einfluß der Bildung verkennen, die Folgen derselben fürchten, wenn
man nur bewußtloſe lebendige Arbeitsmaschinen haben wollte, denen
man höchſtens etwas mehr Fulter zuwenden solle, wie der Maſchine
etwas mehr Del, damit sie beſſer läuft ~ dann gäbe es in der That

nichts Verdienſtlicheres, als den entwürdigten Menschen zu erheben
und zu befreicin. Das Ende des Vortrags war: Dem Arbeiter
'iſt nur zu helfen durch Arbeit, genügende Arbeit aber

gibt es nur durch Schutzzoll; zwei Unrichtigkeiten in einem
Athem! Denn die sſchleſſſchen Weber hatten und haben Arbeit, und
doch hungerten sie, und die Verzweiflung führte sie zum Verbrechen.
Der Arbeiter verdient ja nur das karge Leben, und „Leben heißt
bei ihm nichts mehr, al s Nicht-Sterben... Seine Kinder, seine
Alten, seine Kranken, seine Schwachen, und er selbſt, wenn die Arbeit
nur einen Augenblick stockt, ſind dem Elende Preis gegeben. Man
wird einwenden, die Noth sei nirgends auf einen solchen Grad ge-
stiegen, wie 1in Schlesien; das iſt bedingungs weise wahr ,, aber eben
ſo wahr iſt es, daß dort nur ein natürlicher Entwickelungsgrad des
jetzigen Induſtriesyftems eingetreten iſt! wenige sehr begüterte Arbeit-
geber auf Tausende von Arbeitern, unbedingte tyranniſche Herrſchaft
des Capitals über die Arbeitskraft. Nein, der Arbeiter braucht eben
ſo nothwendig, als Arbeit und Verdienſt, Recht und Gerechtig-

keit, Emancipation vom Capitale, Zurückerſtattung der verloren

Menschenwürde, Selbſtſtändigkeit, Unabhängigkeit und freie Schaltung
mit seiner Kraft und seinem Talente. Alle Zölle der Welt ~– die
übrigens zunächst dem Capitale wieder zu Gute kommen und dem Ar-
beiter nur Broſamen gewähren würden = alle denkbaren günſtigen
Handelsconjurcturen können diese Güter nicht ersetzen. Man wird
einwenden, diese könne der Fabrikant nicht geben, sondern nur ver
Staat, und dieser Einwand iſt richtig. Aber die Stimme des Fa-
brikanten iſt die wichtigste in dieſer Frage und sie sollte zuerſt zu

Gunsten dicser Forderungen erſschallen. Und mündig spreehen

können die Fabrikanten ihre Artkeiter, können ſie betheiligen an
dem Gewinne, welchen sie bis jetzt vorzugsweise genoſsen, se zu Ra-


 
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