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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 268 - No. 298 (1.October - 31. October)
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1845.



§* Volksbildung. ~ Die Vereine zur Verbrritung
nühlicher Bücher.

ortsetzung,)

Die fliegenden Gtgtece .. ſind dazu gemacht, nicht
nur dem beſchauenden oder handelnd in die Ereignisse eingreifenden
Manne tie Begebenheiten zu melden: ~ ihre Beſtimmung ift haupt-
fächlich, zu jeder Stunde an jcdem Orte eine Bergpredigt zu halten,
zu reden in der Werkftatt, auf dem Feld, in der Schenke am Abend
unter der Dorſlinde, zu reden, um den in mühesame Arbeit Versun-
kenen über den kleinen Kreis seiner Gedanken herauszuheben, damit
er sich betbeiligen lerne an der Schickſalslenkung seines Vaterlandes
und, den Gängelbändern entwachsen, ein „Hilf Dir selber !- mit der
That beantworten könne. q. Jiu

Den Zeitungen, in denen (wie irgendwo treffend gesagt wurde)
die tiefften Adern, die geheimsten Fasern der Zeitwünſche und Zeit-
meinungen offen liegen, it aufgegeben, mitten in einen Stoff hin-
einzugreifen und daran auf den Staat zweckende Lehren zu knüpfen.
Sie sollen dem Volke seine Herzenswünsche sagen, daß es dieselben
mit Luſt wiedererkenne als die seinigen, nur schöner ausgemalt, mit-
iheilbarer für Andere, deutlicher, ausführbarer. Durch immer quil-
lenden Saftzuguß sollen ſie verhindern, daß irgend ein Glied. des
Staatsbaues erlahme oder in tödtender Stockung verkümmere.

Ihre Lehre iſt ernſt und däſter ; denn sie wachen immer und
sorgen, daß ein Gemeinwesen nicht schlaff werde. Streng und mah-
nend iſt ihre Lehre, und sie müssen sich nicht scheuen, Etwas auch
hundert Mal zu sagen, daß es endlich Wurzel faſſe. ;

Die Zeitungen sind das erſte Schreibbuch eines Volkes. In
ihnen hört man den Athem der Geschichte ~ habt Acht, daß das
Land frei athme! : Y

Ein anderes großes Mittel, vergeiſtigend auf das Gemüth, ver-
ſittlichend, kräftigend auf den Willen der arbeitenden Stände zu
wirken, ist die Gründung von sog. Volkslese v ere inen und G e-
ſellſcb aften zur Verbreitung guter Bütcher.

Es iſt sehr anerkennenewerth, daß endlich der Anfang gemacht
wird, den alten Schlendrian zu brechen , zufolge dem die Jugend, be-
sonders die auf dem Lande, in dürftigem, ficbenjährigera Unterrricht
das Lesen und Buchſtabenmachen, tie vier Rechnungsarten und einige
Lieder und Sprüchlein eingebläut erhielt und dann = fortgeſchickt
rourde. Man hat begonnen, durch Singvereine und andere
Veranstaltungen, besonders abex durch wohlfeile oder unent-
geltliche Vertheilung von Schriften das Volk mehr den
„geiſtigen Genüſsſen- zuzubilden. – Olücklicherweiſe hat man night
den Weg eingeſchlagen, der früher von einigen Mährléeinsſchwärmern
oder altdeutschthümlichen, gothischkirchlichen Finßerlingen häufig ge-
predigt wurde, mit zur Schau getragener Selbfſtgefälligkeit, als stän-
den ſie dem Volke und seiner Einfachheit- näher , und wüßten seine
Bedürfniſſe beſſer, als die durch Leben und Treiben in der frechen,
alles Heilige antaſtenden, Neuzeit begriffenen Aufklärer. Sie ſchlu-
gen Volk ss agen vor.

Wir hegen nun zwar Ehrfurcht vor dem Geifte des germanni-
ſchen Stammes und sind von Achtung für die Schöpfungen unſerer
Vorfahren durchdrungen. Wir lesen mit innigem Entzücken den hür-
neren Sigfried und die schöne Genovefa und die Sagen von Fauft, dem
Schwarzkünſiler: — aber daß es heute an der Zeit sei, dem Volk
. als einzige oder als Hauptnahrung dieſen Stoff zu geben, wofür ihm
das Verſtändniß ausgegangen, das können nur Solche vorſchlager,
die es von den Tagesfragen abziehen und vermittelaltern wollen.
_ Das Volk ißt weggeſtoßen vom Born ursprünglicher Dichtung. Aber
es dürſtet! Dem alten Wiin ſind die Schläuche geriſſen, auch mun-
re Trank der Väter nimmer . . . wir müssen ihm jungen Moſt
eichen. –

Jedoch auch Das will uns nimmermehr gefallen, daß alle diese

Geſellſchaften zur Verbreitung nüglicher Schriften als Aushängeschild

Vor sich hertragen: sie würden sich in ihrer Thätigkeit von
kiner kirchlichen und ſtaatlichen, überhaupt von einer
Linseitigen Richtung fern halten.s ~ Bei solchen Worten
iſt uns immer sonderbar zu Muthe, und es will uns faf jedesmal

bedünken, als ob noch Anderes dahinter stecke, denn bloßes Unbethei-
ligtſein. Wir ſind freilich argwöhnischer Art, aber Mißtrauen iſt
eute gut. ;

Y Was soll damit gesagt sein: „man wolle keiner einseitigen
Richtung huldigen“ ?

Alles in der Welt iſt einseitig, was Gesinnung hat. Einſeitig
iſt, was auf der einzigen, genau gehaltenen Spur seiner Grund-
sätze fortgeht, folgerichtig wandelt und handelt, und nicht hinüber
und herüber äugelt, nicht zwel Herren dient. Zwitter ſind ja im-
mer naßfkalt, froſchblutig, für eine menschliche Hand ſchauderig. ~
Es ſoil nicht Licht und Finsterniß vermengt werden zum ſinnetrügen-
den Halbtunkel, in welchem die Gefühle heraufschwimmen in das
Haupt und die hellen Lichtgedanken und die ſcharfe Thaikraft ver-
drängen.

Vüir müſsen nun doch annehmen, daß die Gründer von Volks-
leſevereinen wiſſen, was sie wolln ob Auf klärung > Alrurſfklä-
rung mit all-n ihren strengen Folgen, Aufklärung ohne die lächer-
liche Scheu, zu „harter: Wahrheiten zu sagen .... ob Verfinſte-
r ung – Verfinsterung mit allen ihren strengen Folgen, mit Unter-
drückung auch der letzten Spur von Selbſtdenken. Für ſchielende
Mittelsmänner dürfen wir sie nicht halten. Wir müſsen eben so
annehmen, daß Schriftſteller, welche diesen Namen verdienen, nach
feſtgeſtelten Hauptlehren arbeiten, und nur solche Werke, deren
Verfaſſer um ihre Ueberzeugungen mit ſich selbſt gerungen und sie
durch das Feuer angeſtrengten Denkens geläutert haben, sind der
Verbreitung würdig. Bloße gutmüthige Erzählungen ~ Zucterwerk
~ ſollen doch dem Volke nicht als Nahrung geboten werden, ob-
gleich auch in kleinern Schriften Ansichten durchleuchten. In al-
lem Andern, so in Darſtelung der Schöpfung und ihrer Kräfte,
des Menschen und seiner Fähigkeiten, wie in geschichtlichen Abriſssen,
im Schildern von Lebensverhältnissen u. s. w. liegt ſtets die Rich-
t ung eines Schriftstellers.

Darnach bemißt sich die Wirkung auf den Geiſt des Volkes.

Es kann daſſelbe aus solchen Büchern entweder anbetende De-
muth lernen oder den Glauben, ohne fernwaltende Vermittlung in

der Welt zu stehen; es wird eine außer ihm gesetzte Tugend oder

eine in ihm liegende Sittlichkeit zur Richt'chnur seines Handelns
machen. Wenn auch nicht der Grundsätze sich bewußt, so doch aus
Beiſpielen belehrt, wird es sich, je nach dem ihm Beziehungen des
Lebens geschildert werden, eine Meinung von seinen Pflichten gegen
die Gesellſchaft und der Gesellschaft gegen ihre einzelnen Glieder

bilden. Alles dieß aber verworren und durcheinander gemiſcht, wel

man ihm übrr dieſe Verhältnisse, die doch der Menſchheit wichtigſte
ſind, keine unmittelbaren Erörterungen gegeben hat.

Haben also die Begünſtiger der Volksvcredlung eine Geiſtes-
richtung – und. die müſſen sie haben, weil sie Meſchen ſind ~ t .
haben sie cine Richtung, wilche folgescharf urtheilt ~ und die wer-
den sie haben, wenn ſie durchgebildet ſind, was wir glauben müſ-
sen –~t! wählen sie Schriften, welche grundsätzlich nach Hauptge-
danken, und zwar nach denen der Vereinsgründer, verfaßt sind ...
ei nun! so iſt zu befahren, daß trotz der Verſicherung, man wolle
im Versittigen und Kräftigen der niedern Stände an keinen Grund-
satz, an keine Tagesbeſtrebung streifen, sondern in der Luft hängen
~ dennoch eine „Richtung. befördert wird!

Warum nun nicht gleich das Rechte ganz thun?
Warum nicht für unmittelbare Ausbreitung der Lehren wirken, die
man doch, als die eigenen, für die einzig richtigen halten muß ?

Was ſoll es auch heute heißen: „dem Volke eine Bildung ge-
benz –ô wenn man nicht beabsichtigt, daſſelbe für die Gegenwart
zu kräftigen, für die wirklichſte Wirklichkeit? Was fruchtet ihm
vorübergehender Büchergenuß, was Kenntniſſe ~ wenn sie nicht
darauf zielen, seine Lage durch Klarmachung über Pflichten und
Rechte zu verbessern ? (Schluß folgt.)

Deutschland.
* Mannheim, 12 Okt. Das Frankf. Journal berichtet aus-
führlich von Ausbrüchen des robeſten Fanatismus, welche Rorge und
viele huudert Männer aus Worms, welche ihn begleitet-n, zu



G er ns h eim erfahren muften. Schon am Ufer empfingen ihn


 
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