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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 207 - No. 237 (1. August - 31. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44007#0925

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vurch die Poft bezogen im
ganzen. Großherzogthum
Yaden 2 fl. s kr., im
zgyslonr erhöht fich das
onnementum den Poft-
aufſschlaIe.



Mannhei

T V

219.

ner Abendzeitung.

Inserate diegeſpaltene
Zeile in Petitfchrift oder
deren Raum 3 kr. Inse-
rate, worüber die Redak-
tion Auskunft zu ertheilen
hat, die Zeile oder deren

und Geld erbittet man
franco.

1845.









Mittwoch

13. Auguſt













# Jever die Regeneration reſp. Degeneration des
; Mleuſchengeſchlechts
iſt schon sehr Viel und Vielerl.i gesagt und geschrieben worden. In

Mo. 216 des Mannheimer Journals behandelt ein Artikel daſſelbe

Thema und ſteklt als Hauptmitt:l zur Regeneration der europäiſchen
Völker eine Verjüngung derſclben durch das Hinzutreten fremder Ele-
mente in die erfle Linie. ;

So wenig sich im Allgemeinen gegen eine Verjüngung in dieser
Weijſe sagen läßt, so setzt sie doch immer die Bedingung voraus , daß
das neu hinzutretende Element auch ein edles, würdiges sei. Es darf
mit Gewißheit angenommen werden, daß der Verfasser jenes Aufsaues,
als er tas Wort „Völkerwanderung-- niederſchrieb, an nichts went-
ger dachte, als an neue Bewegung der Völker von Offen nach We-
ſten, welche uns als Vortrab die Slaven Rußlands und dann zunächſt
die Baſchkiren und Kirgiſen der kaspiſchen Stcppe und die transur-
gliſchen Kalmäcken, Tungusen und Mongolen bringen müßte. Es
wird Niemandem einfallen, zu behaupten, daß die weiße Race durch
Negerblut geradezu veredelt werde.

Ju zweiter Linie erkennt jener Aufsſay in der rnaturwidrigen Le-
bensweiſe“" der Jetztwelt die Hauptursache unseres physischen und so-
mit moraliſchen Verfalles. „Die heutigen Völker Europa’s sind ent-
neryt", ruft er aus, und verzweifelt an jedem Fortschritte, wenn wir
nicht zur „naturgemäßen " einfachen Lebensweise zurückkehren. Armes
Europa , dann gehſt Du Deinem Grabe entgegen!

Wie allgemein aber, wie alt iſt nicht diese Klage über die Schwäch-

lichkcit..dex Mitwelt! Nehmen wir die älteſten Bücher zur Hand,

überall finden wir sie wicder, so daß, wenn wir in chronologische.

Ordnung zurück gehen, immer gewaltigere Menschen bekommen, wel-
c<, das Pferd und den Elephanten an Kraft hinter sich zurücklaſsend,
uns mit eincm Sprunge unter die Halbzötter versetzen. .

Gewiß iſt die Behauptung unwahr, daß der Abſtand zwiſcher
uns und unsern Vorfahren so außerordentlich sei. y

Wir sind gewöhnt das s. g. Mittelalter als ein Zeitalter großer
Körperkraft anzusehen, weil wehrhafte Herrn vom Adel bei gewissen
Grlegenhciten eiſerne Rüſtungen trugen, welche den ganzen Leib deck-
ten, betrachien wir aber die Sache genau, so finden wir, daß
die ſchwerſten Panzer gerade am Ende jener Periode getragen wourden,
als das Ritterweſen vor der Feuerwaffe dahinſank, gegen welche es
vergebens die Mauern seiner Thürme sowohl, als die Stahlplatten
seiner Harniſche dicker und dicker machte. Aber diese Zeit liegt ja
noch nicht so weit hinter uns, es waren die Zeitzenoſſen Luthers,
welch: diese Kleider irugen, und was berechtigt uns jene Männer als
Riesen, uns als Pygmäen zu betrachten? Weder die Biidwerkc jener
in künsileriſcher Hinsicht hochſtehenden Zeit noch die Dimensfionen der
in den Rüſiſälen aufbewahrten Cisenkleider. Die nicdern Thüren und
Gemächer , die kleinen Fenster der Burgruinen, welche uns aus jenen
Zeiten erzählen, waren nicht für ein Rieſengeschlecht gemacht.

_ Vor andern war aber das Mittelalter ein Zeitalter der Prahl-
hänserei, daher war auch ein großer Theil der gefährlich aussehenden
wuchtigen Waffen nichts weiter als Schauftücke oder zum „Schimpf-
ſpiel- brauchbar, zum Kriegsgebrauch führte man leichtere Waffen;
und jener vielverbreitete franzöjſiſche Kupferſtich, wie Arnold von Win-
kelried sich einen Arm voll Speere der vom Kopf bis zu den Füßen
ſchwergepanzerter Ritter in die Bruſt senkt, iſt, so weit es die Be-
panzerung betrifft, eine Lüge. |
_ Vir sehen es täglich wie Menschen, von sonst gesſundem Bau,
es durch ihre Beſchäftigungs weise zu einer außergewöhnlichen Körper-
ftärke bringenz die Athleten unserer Jahrmärkte, die Kunstreiter, Tän-
zer u. dgl. zeizen eine Muskelkraft, die uns in Erstaunen setzt, was
Wunder alſo, wenn Männer, deren Thätigkeit dem Waffenhandwerk,
wie es damals getrieben wurde, gewidmet war, daſselbe treiben lern-
ten; aber sie waren die Ausnahme, und nicht die Yegel, eben ſo we-
nig als es heute die Kunſtreiter ſind. ;;
ce r:
vergrößecndes Medium ſehen läßt. s ;

_ Homer sang von geftorbenen Helden, ~ aber cs waren Halb-

götter ; wer aber erkennt nicht im unverwundbaren Achill einen Zwil-
lingsbruder vom gehörnten Siegfried oder vom gewaltigen Roland ?
Arioſt's, des Zeitgenoſſen der schweren Harnische, furchtbare Franken-
helden, schlugen sich mit den Mohren herum, und wahrhaftig, sie ha-
ben keine leichte Arbeit mit denselben; denu die Mohrerkönige und
Mohrenhelden sind gerade so erſchreckliche Menschen, wie jene; und
haben nicht die Kreuzfahrer an den Türken und Arabern ganz eben-
bürtige, Achtung gebietende Gegner gefunden? ~ und doch dürfen
wir annehmen, daß dieſe Völker nicht viel degenerirt haben. Heute
noch, wie vor tausend und vor siebenhundert Jahren, durchftreift der
nüchterne Beduine die Wüſte, der Türke, der Maure, der Kabyle
hat seit Jahrhunderten Nichts an seiner Lebensweise geändert, beſteht
darum zwischen ihnen und uns ein ſo gewaltiger Unterschied, sind
Europäer nicht eben so stark, eben so ausdauernd ?

Es iſt eigenthümlich, daß in die Regionen der alten Geschichte,
in welcher die Heldenſage nicht wurzelt, unsere Phantafie auch keine
Riesengeſtalten malt. Ich babe noch Niemanden gehört, der sich un-
ter den alttrn Juden außerordentlich ſtarke Leute vorgeſtellt hätte, und
doch haben dieſe Juden vor sehr langer Zeit, unter Moses, Joſua
und ihren Nachfolgern tapfere Völker unterjocht; aber die Juden ha-
ben keine Halbgötter; Jehova war ihr großer unsichtbarer Golt; ste
aber waren Menschen; deßhalb erscheinen sie uns auch nur als ge-
wöhnliche Menſchen; ihre Maccabäer waren Helden aus Noth und
fielen unter den Streichen der Uebermacht; um diese aber webt nie-
mals rie Poeſie jenen glänzenden Nimbus der Romantik, wie um die
gebornen, die glücklichen Helden. Der einzige übermenſchlich starke
Jude, Simson, den die Philiſter blendeten und in einen Pferdegöpel
ſpannten, war ein schwacher Mann gegen den rasenden Roland, ge-
gen den Recken der nordischen Mythe.

Wir trſtaunen billig über die großen. Steinmaſſen, welche die

alten Egypter bewezt und gehandhabt haben, und doch ſtellen weder
unsere Phantaſie, noch die Sculpturen ihrer Obelisken, noch die un-
widerlegbaren Zeugen, welche aus den Gräbern stiegen, die Mumien,
sie uns als Riesen dar. Vereinte Menſchenkräfte bildeten dort ein
Movens, welches zu erhalten die späteren Zeiten Geld hätten haben
müssen, darum haben sie ſich Maschinen erfunnen.

Drei Jahrzehnte erst sind es dagegen, daß Napoleons in so vie-
len Schlachten siegreiche alte Garde auf Waterloo's Blutfelde begra-
ben wurde; aber schon haben tausend Gesänge und der Pinsel eines Horace
Vernet deren Apotheose begonnen; ſchon halten wir diese unsere Zeit-
genoſſen für Heldengeſtalten, wie die jetzige Zeit sie nicht mehr her-
vorzubringen im Stande sei; dafür iſt aber auch Frankreich das Land,
in welchem zu allen Zeiten das Krirgerthum vergöttert wurde, in
welchem die Heldenſage immer neu und immer jung iſt.

Doch keyren wir zurück zu dem Aufsatze des Mannh. Journals.
Er bricht den Stab über den Tabak. Hierin yflichte ich ihm aner-
fennend bei. Aber er kämpft auch gegen die Fleiſchnahrungſt ~ -

He! Warum hat die Natur in unſcre Kinnladen auch Zähne
eingereiht, wie nur die Carnivoren sie bentzen, woher stammt die
entschiedene Vorliebe aller Menschen für Fleiſchnahrung ? Waren die
vielgepriesenen Germanen nicht Jägervölker und Fleischesser? leben die
harten Nomaden Hochasiens nicht auschließlich von der Milch und
dem Fleiſche ihrer Heerden? kochten nicht dic Spartaner ihre schwar-
ze Suype mit Blut ? sind endlich die ſtärkſten Fleiſcheſſer Europa's,
die Engländer, nicht die schönſte, kräftigfte und abgehärtetſse Nation
dieses Welttheils, dauern ihre Söhne nicht im Eise der Polarmeere,
wie in den fonnedurchglühien Niederungen Bengalens aus, fehlt es
ihnen in der Heimath an Thatkraft, an Freiheitsliehe? Und Albion
fütlert seine Kinder mit Roaſtbeef groß, während Deutschland den
seinigen sieben Jahre lang Mehlbrei in das Maul ſtreicht und zer-
drückte Kartoffeln, daß sie Wurmbäuche davon bekommen und scrophu-
lös werden. Man erzählt von einer blos Pflanzen essenden Kafte der
Hindus , daß sie auffallend schwächer sei, als die andere; wir kön-
nen es aber haben und täglich sehen, daß die ausschließlich von Kar-
toffeln und Schwarzbrod lebenden Taglöhnerfamilien unserer Dörfer
weder schön, noch kräftig, noch geiſtreich sind. Die besser genährten
in freier Luft hart arbeitend.n Claſſen der Städte bringen noch heute

sehr ſtarke, und die vornehmen, die Körperpflege als Cultus behan-

delnden, Claſſen auch ſchöne Menſchen hervor.

Raum 4 kr. –~ Briefe


 
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