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Mannheimer Abendzeitung — 1845

DOI Kapitel:
No. 58 - No. 86 (1. März - 31. März)
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" Ö Deutſfchland. u 1
Vom See, 25. Febr. (Oberrhein. Ztg.) Ueberall erheben

ſich Stimmen zur Aufhebung von Beläſtigungen und Schranken,

welche dem Verkehr, Handel und Wandel im Wege stehen ; an hun-

dertjährigen Institutionen rüttelt der sich ausdeÿnende Gemeingeiſt,

und will die Barrieren, welche ein in tiefste Erbärmlichkeit gesunken
gewesener Particularismus und Despotismus dem Volke aufgebür-
det hatte, zersprengen Puigtten. . Elbezölle, Rveinzölle, Sundzoll
werden nach tinanderMkngepriffer und zu beseitigen gesucht. In
deutschen Ständekammern, wie in der deutschen Literatur erheben ſsich
die beſtunterrichteten Stimmen zur Aufhebung dieser Neberreſte einer
traurigen Zeit deutscher Zerriſſenheit, und wirklich iſt auch seit zehn
Jahren gar Manches in dieser Beziehung geschepen. Allein währent-
dem einerſeits nach Kräften auf Abſchaffung solcher Hindernisse hin-
gearbeitet wird, bilden sich selbſt wieder ähnliche Plackereien und

Krähwinklereien unter den Augen der Regierungen, und wurzeln sich

ſo feſt, daß das liebe Volk am Ende glaubt, so sei es von Anfang
an gewesen, so müſſe es sein, und. Äbhülfe sei keine möglich. ~
So möchte man fast glauben, betrachtet man dir, nun seit Jahren
dauernde tragikomiſche Plackerei zwiſchen baieriſchen und badiſchen
Dampfbooten auf dem Bodensee, welche mit dem rechten Namen. ge-
nannt, nichts Anderes, als eine Blokirung der gegenseitigen Häfen

zweier deutscher Bundesſtaaten ist, welche sonst im beſten Einverneh-

men ſtehen. Es iſt ſchon Vieles über diese Sache geschrieben wor-
den, und ergötliche und betrübende Scenen, welche durch dieses Blo-

kadewesen alljährlich herbeigeführt werden, ſind zur Kenntniß des
î Publikums gelangt, nur niqzt die Aussicht auf die Hebung dieſes

Mißſtandes. Aus gutunterrichteter Quelle können wir versichern,
daß von badischer Seite das Mögliche in dieſer Sache geschehen,
daß aber alle Verſtändigungsversuche an der Unnachgiebigkeit
von baierischer Seite gescheitert ſind. Doch soll nun dieser
Zuſtand, der dem JInläuder Schmach bereitet und dem reisenden
Ausländer Ursache zu gerechtem Spott über die vielgerühmte wieder-

erwachte deutſche Freiheit gibt, fortdauern ? Soll die Fevde zwischen.

zwei befreundeten Flaggen deutſcher Bundesstaaten fortbeſtehen, und
die Intereſſen des Handelsstandes und des reiſenden Publikums auf
undenkliche Zeiten wegen eines verunglickten Vereinigungsverſuches
gefährdet und beeinträchtigt bleiben. :

Vom Rhein, 21. Febr. ( Wes.-3.) Eine eigentbhümliche
Bewegung, man kann sagen Aufregung, herrſcht in den Gemüthern.

Die Vorgänge auf unserm Landtage und anderwärts rufen diese
Stimmung hervor. Man erzävlt ſich auffallende Divge von heftigen
Debatten, sehr entſchietenem Auftreten einz In.r Deputirten u. dgl. m.
; Die öffentlichen Blätter unserer Provinz schweigen von allem dem,
.und Privatbriefe, die wir gesehen, berichten ebensowenig Gemwiſſes
darüber. Daß der Landtag der Antrag der Regierung, den Abge-
urdneten Bruſt von Boppard auf dem Landtage nicht erscheinen zu
laſſen, weil derselbe sch in gerichtlicher Untersuchung befinde, mit
großer Stimmenmehrheit verworfen, und daß ſich der Stellvertreter
deſſclben veranlaßt gesehen hat, nicht mehr in den Sitzungen zu er-
ſceinen, iſt wahr. Daß der Landrath v. Los sehr kräftig aufgetre-
ten iſt, und der Regierung sehr lebhaft cpponirt hat. iſt ebenfalls
beſtätigt; aber so manches andere, namei.tlich daß sich die Stände
geweigert hätten, über die Propoſitionen des Königs zu discutiren,
weil sie zu unbedeutend und die Zeit zu kostbar sei, wogen wir richt,

jett ſchon als wahr zu behaupten. Freilich sind ſte nicht bedeutend,

und iſt es wirklich erſtaunenswerth, daß man tie Stände befragen
zu müssen glaubt, ob men den Diensſlboten anstatt reinzeluer Zeug-
niſſe Geſindebücher geben soll, während man die wichtigsten Censarin-

p : struktionen ohne Zustimmung, obne Befragen der Stände erläßt.

Auch in unserer Stadt laufen Gerüchte umher über Unterſuchungen,

die eingeleitet worden wären gegen Männer der liberalen Prrtci.

/ Man soll erfahren haben, daß viele u:rbotene Bücher im Umlauf

seien und vielfach gelesen würden; einige Personen, die man deshalb
in Untersuchung gezogen, hätten, dazu von den Bertheiligten authori-
ſirt, über 300 Personen genannt, pie sich auf viese Weise der Ver-
hreitung verbotener Schriften ſchulvig gemacht hätten, worunter ſich

auch viele Beamte finten sollen. Indeß iſt uns nichts Genaueres

daxüber bekannt geworden und müſſen wir dasselbe seyr bezweifeln.
Jedoch hat sich ein anderes Gerücht beſtätigt. Gegen den Advokaten
Dagobert Oppenheim (Bruder des Banquiers), den Kaufmann

Haan und den Arzt Dr. Claesen iſt eine Untersuchung eingeleitet..

worden, weil sie mit Umgehung der Cenſur, oyne Angabe des Dru-

>ers und Verfasſtrs Prtitionen an die Landstände (um Corſstitution,

Preßſsreihcit, Oiffertlichkeit der ſtändiſchen Veryantlungen und Juden
Cmaneipation) verbreitet und aufgelegt haben. So übert.ieben auch
manche Gerüchte auffommen und aller Glaubwürdigkeit entbehren,
ſo sid sie doch bemerkenswerth. Man e.kenit nur zu deutlich die
St.mmung der Provinz daraus, deren Bcwohner mit einer freudigen
Haſt uber dieselben herſatlen und ſie weiter verbreien. :

Merüaäſter, 20. Febr. (Trier. Z.) Westphalen ſchickt sich
nach und nach zur ernſten Mitarveit an deu zeitbewe, enden Problemen
an, während es srürer Andere sür sich denken und handeln licß, um
von den schon anderwärts verarbeiteten und th ilweiſe auch virwirke
lichten Ideen tie spärliche Nachlese zu halten. Es ist nicht zu vers
kennen, daß freilich erſt scit einizen Jahren eine größere geiſtige Regs
samkeit sich enfaltet hat, rie allmälig beſtimmteren Auseruck gewinnt.
Uebcrhaupt ist schon viel gewonnen, wenn rie wichtigſten Fragen der

Gegenwart, um die sich im Grunte Ales dreht, nicht mehr mit un-
verwüſtlicher Puiliſtergl ichgültigkeit abgewi:sen werden, wenn der

Anfang des Nachdenkeuvs gemacht wird. Damit wird der Weg ge-
bahrt, der aus den engherzig localen und provinziellen Interessen zu
den lichten Höhen eincr freiern Wiltarſchauung hinansührt. Vorläu-

fig sind es immer nur Wenige, die aus. dem Schneckenhauſe des
Egoismus und der Pedarterie in die ſcharfe Luft des öff-nilichen Kamp-

fes heraustreten. Es ist schwer, dieſes langſame westpväliſche Blut

zu rascheren Pulsſchlägen zu treiben, ſchwer, dieſe eingefleischten Vors
urtheile, das Erbrheil einer verknöcherten Erziehung, und mattherzis

ger, unerquicklicher Lebensformen zu vernichten.

. Das ernſtere Berſtändniß der Zeit beginnt in größeren Kreisen
sich zu verbreiten; man lernt einsevyen, daß man ſeciue Geſchichte
nicht mehr für sich allein, sondern nur bei A»ſchließgen an die Ge-
sammtheit machen könne. Sind boch die Gebrechen der Gesellſchaſt
hier, wie überall, zu Hause; das Proletariat sett sich immer feſter,
besonders in dem Thyeite der Provinz, in welchem früher ein viele
Hände ernährenter Indufiriezweig blübete, im Ravensbergiſchen.
Grund genug, um über sociale Verhältniſſe nach allen Seiten hin
zu debattiren, Grund genug, um auf raſche Abhülfe zu dringen, dee
mit nicht die Nahrungequelle vieler Menſchen gänzlich verſiege. Ob-
durch Schutzzölle allein und durch strenge Beibehaltung des Handgeo-

spinnſtes eine Erhebung dieſer Induſtrie möglich sei, oder ob nur

Einführung der Maschinen die gewal'ige Corcurrenz des Auslandes
vernichten könne, ist die nächſte Frage, um welche es sich handelt; über
diese hinaus liezen aber noch andere, wichtige Fragen. Man fürch-
tet ſich vor den Maſchinen und will mit Handgeipinnſt gegen Ma-
schinen coneurriren, was am Ende eben soviel heißt, wie mit Pfteil
und Bogen gegen Kanonen kämpfen. Doch, mas werden ſelbſt
Schutzzölle gegen Maſchinen fördern? Werden ſie in die Berhältniſſe
der Arbeit ein vernünftigeres Princip bringen, werten ſie die Arbeit
zur Lnerkennung, zu eirem geſcllſchaſtlichen Rechte nach den Grunde
ſätzen der Vernunft führen? werden ſie das Prcleiariat vernichten ?
Nimmermehr. Maschinen werden tauſend Hönde ganz brodtlos ma-
<en, denen andere Erwerbequellen nicht geöffnet werden, –~ wenn
das Verhältniß zwiſchen Arbeitgeber und Arbeiter dasselbe bleibt,
würden wir ftatt eines Handgespinnstee-Proletariats ein Fabrikprole-

tariat bald bekommen. Schutzölle werden das Capital vergrößern -
und den Gewinn des Fabrik - oder Kaufherrn progr.ſtonsweise ſteis

gern . währind der Lohn des Arbeiters sich um ein verhälinißmäßig

Geringes erhöhet. Aus dem Dilemma der Gegensätze,. in denen

Egoismus und Vernunft ſ.xeiten, vermag man ſich nicht herauezus
ringenz unterdeſſen wird geflickt und experimentirt und wenn man
handeln will, iſt es zu spät. Der leute G und des Uebcls liegz

nicht allein in dem Schwanken, der Unentſchietenheit unſerr Han.

delepolitik, sondern iu dem ganzen Verhältn:ß zwiſchen Capital unh
Arbeit, das einer durchgreifenden Reform bedarf. ; I

E


 
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