Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mannheimer Abendzeitung — 1845

DOI Kapitel:
No. 176 - No. 206 (1. Juli - 31. Juli)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44007#0843

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
J\2 199.



Nbonnement mit vier- . ; 'artitfig
izlfähr. Vorausbezahlung L gu t ; ; j
in Mannheim 1 fl. 15 tr, L} N q.
rurch die Poft bezogen im a)) lt; ‘s?
günzen Grofherzogthum „zy . Ne
tſgden .2 fl. 8 kr.im LS... œ V .
Ausland erhöht fich das
HYbounement um den Poft-

aufſsehlag.



. Donnerstag

24. Juli

Ins eratedtiegeſpaltene
Zeile in Petitschrifi sdsr
deren Raum 3 kr. Inſe-
raise, worüber dis Reda

: [ C ndze itun I . tion Auskunft zu erthsites



u hz: die Heile oder deres
tun c rule stk
ranco.

1845



* Das ,, Syſtem ‘’ und die jüugſte Kabinets-Krilis
j in Preußen.

HGVerlin, 15. Juli. Die innere Politik des preußischen Staa-
tes befindet sich gegenwärtig in einer Criſis, so mächtig und so be-
deutend, wie wir ſie nicht erlebt haben, und der überraſchende, nach
allen Seiten hin ausgreifende Wechsel der Besetzung der höheren und
höchſten Stellen der Staaten ist ein nicht unwichtiges Symptom dieser
Kriſis. Es scheinen alle Mittel versucht worden zu sein, um den
alten Zustand der Dinge zu erhalten und zu befestigen, aber wohin
man auch blickt, überall hat sich das Alte und Alternde als unhaltbar
bewiesen und der preußische Adler wird, nach mancher Pause und nach
mancher Verſäumniß, sich wieder in Höhe wagen müſsen, wenn er
nicht alle Schwungkraft verlieren soll. Die letzten Jahre zeigen nach
allen Seiten hin und auf allen Feldern den Kampf des Regierungs-
prineipes mit dem Prinzip der öffentlichen Meinung und der Sirg
des Letzteren über tie Bureaukratie kann, was auch dazwischen kom-
men möchte, durchaus nicht zweiſelhaſt ſein. Man kann nicht sagen,
daß die preußiſchr Regierung bereits die öffentliche Mcinung als den
competentén Richter ihres Handilns anerkennt, aber sie iſt allmälig
im Drängen der Zeit aus jener Situation herausgekommen, worin sie
die öffentliche Meinung gänzlich ignorirte und ihren gemiſſenen Be-
amtenſchritt ging, sie hat allmälig di-: alte Sicherheit der bureaukra-
tiſchen Beſchränkchteit verloren, aber noch nicht den Muth gewonnen,
welcher gerade aus in's Licht tritt. Sie befindet ſich jetzt in der Periode
des Schwankens, der Vrrlegenheit. Sie möchte nicht ſo erscheinen,
als ob sie sich drängen, als ob ſie sich etwas abzwingen laſſe, aber an-
dererseits fühlt sie auch wieder die Nothwentizkeit zu gefallen, zu
gewähren, und in dieser Unſicherheit, in dieſjem Zuſammenspicl des
alten bureaukratiſchen Hochmuths und der Idee des brandenburgiſchen
Absolntiemus mit den Fcrderungen, welche die Zeit ſt.llt, möchte der
Schlü} l für Ales, was sie thut und anstellt, gefunden werden kön-
nen. Wenn man noch bis vor kurzer Zeit geglaubt hat, mit dem
Schein der Conceſſonen durchzukommen und das alte Princip retten
zu können, so hat sich auch dieſe Hoffnung allmälig als unzuläng-
lich bewiesen: ein simulaerum fann nicht mehr genügen, so geschickt
man auch zuweilen, wie der ſcbottiſche Bauer, der Kuh, welche Milch
geben soll, ein ausgeſltopft s Kalb vorstellt. Ueber den Schein der
Landesvertretung, wie sie in Preußen durch die Provinzialſtände be-
ſtebt, iſt Niemand méhr getäuscht, das Obercensur-Gericht, scheinbar
auf den Boden des Rcchtes, kann Niemanten mehr für ein vollſtän-
diges Prcßgeſet entschädigen, an die scheinbare Freiheit der Univerſi-
täten glaubt Niemand mrhr, die scheinbare Unabhängigkeit des Rich-
terſtands ijt eben so schr in Frage gestellt, als die perſörliche Sicher-
heit, kurz und gut, der Schein der Intelligenz und der Freiheit, wo-
mit man geglaubt hat, die Zeit befrietig-n zu können, hat nirgends
Stand gehalten und überall itt der wahre Hintergrund zu Tage ge-
fkornmen. In diescr compromittirenden Lage bleibt der Regierung nur
eins übrig, um sich zu stärken, nämlich sich ganz entschieden für ein
Prinzip, jei es welches es sei, zu erklären, denn nichts ist trauriger als
eite prinzipienloſe Regierung. Das lavicende Juste-milien hat noch
nirgends gércttet. VPeider aber ſcheint es, als ob dietes Juste-milien
ſich für unsere nächſe Zukunft erf recht in seiner ganzen Urmuth
werde entfalten wollen. Die Conservativen und Reactionären, welche
bei der höhern Leitung unseres Staatswesens beschäftigt, sind einiger-
maßen zurückzeſchreckt, ſie haben nicht den Muth weitcr zu geben,
sondern Schwindel bekommen und werden wahrſcheinlich einer Art Mi-
niſterliberalismus freieren Spielraum laſſen. Man will wissen, daß
dem Austritt Arnim's der Austritt Eichhorn's folgen wird. Dieser
Ministerliberalismus, welcher in Ausſicht geſtellt iſt, kann aber un-
möglich etwas Anderes sein, als ein reſultatloſes Vermitteln zwischen
dem Prinzip des Absolutismus und der öffentlichen Meinung, und er

kann und wird nicht anders als mit der Compromittirung der Per-

sonen endizen, welche ihn hauptsächlich vertreten, ohne daß im Prin-
„kip etwas gewonnen würde, weder nach dieser noch nach jener Seite



[. .U

Man hat gesehen, daß der Schein nicht retten kann und doch
-d man sich, wie es ſcheint, noch ein Mal dem Stheine vertrauen
n und sehen, was damit anzufangen iſt. Hr. v, Bodelſchwingh

iſt provisoriſch an die Spitze des Minifteriuums des Innern gestellt.
v. Bodelſchwingh wird den liberalen Mitgliedern des Miniſteriums zu-
gezählt. Er würde gewiß, wenn er, wie man behauptet, definitiv
zum Minister des Innern ernannt wird, den Weg verlassen , den sein
Vorgänger verfolgt hat, aber dieser Weg, was auch sonst dagegen
gesagt werden mag, war wenigstens von Energie bezeichnete Was
jedoch wird gewonnen sein, wenn der neue Minister des Innern über
den eisernen Arm einen Sammethandsſchuh zieht? Wird dadurch der
Charakter der preußischen Polizei, wie er im Wesen unseres ganzen
Staats yſtems begründet iſt, wahrhaftig umgewandelt werden? Un-
sere Polizei war in letzter Zeit beinahe das einzige noch consequente
Staatsorgan, sie griff durch und ging grade aus. Vielleicht wird
ſie in nächſter Zukunft einen liberalen Anstrich erhalten und sie wird
ibre Unzugänglichkeit für alle Gründe und Zeitfordungen aufgeben,
ohne daß sie von ihrer eigentlichen Natur laſſen könnte, denn sie iſt
der Hauptträger unseres Staates. Nur die Verwirrung wird durch
eine ſolche Veränderung größer und die Unsſchlüſſigkeit wird mehr über-
hand nehmen und es iſt vorauszusehen, daß die Zeit, welche immer
mehr auf Entscheidung dringt, dieses Juste-milieu bald wieder bei
Seite werfen und wieder zu einem Prinzipe greifen wird, sei dieses
nun entschieden bureaukratisſch-reactionär oder auf eine wahrhafte Velks-
vertretung berechnet. Nur in diesen Extremen iſt Hülfe, nicht im rath-
loſen Vermitteln. Und wenn die Vermittler glauben, daß ſie die Gee
schichte vorbereiten und zurechtmachen, so wiss.n sie nicht, daß alles
Große der Gschichte eben nur auf der thatträftigen Consequenz be-
ruht und daß sie, wo sie Staatsmänner sein wollen, nichts anderes
als die Rolle unsſchlüſsiger Schulmeiſter spielen werden. (Br. Z))



Deutschland. :

* Mannheim, 13. Juli. Im britischen „Hauſe der Gemei-
nene, stelle am . 17. der Staatsminiſter P e el den Antrag, den
von ihm eingebrachten Gesetzentwurf für Aufhebung bürger-
licher Beschränkungen der Juden zum zweiten Male zu ver-
leſen. Der Erfolg dieſes Antrags war ein sehr günſtiger und es
steht mit Sicherheit zu erwarten, daß die Bill, welche bereits den
Beifall des Hauſes der Herren- erhalten hat, auch zur dritten
Verleſung gebracht und angenommen werde. Die Frage der voll-
ſtändigen Rechtsgleichſtelung der Juden mit den chriſtlichen Staats-
Angehörigen macht die erfreulichſten Fortschritte. Wir haben jüngſt
erſt geſehen, wie- die Bevölkerung sehr vieler und großer Bezirke
in Preußen mit Entschiedenheit die Judenemancipation forderte, wie
preußische Landtage dieses Begehren mit den ſchlagendſten Gründen
und dem wärmſten Eifer in ihren Anträgen an die Staatsregierung
unterſtüßten, wie die württembergiſchen Volks-Abgeordneten und die
hesſiſchen Kammern auf vollſtändigere Emancipartion drangen ?c.
Heute sehen wir in England, das so lange und so energiſch den iri-
ſchen Katholiken alle Emancipation vorenthalten hat, das noch im-
mer in der hartnäckigſten Anhängigkeit an seine herr schende prote-
ſtantiſche Kirche sſclbſt seinen chriſilichen Bürgern, den diſſentiren-
den Proteſtanten wie den Katholiken, das gleiche Recht durch Ver-
weigerung großer ſtaatlicher Vortheile verkümmert, ~ in Eng-
land, in dem ältere Cinrichtungen in Sachen des Glaubens, der
Standesvorzüge 1c. so feſt wurzeln, so schwer der Vernunſt und dem
Rechte weichen, sehen wir heute die Gesetzgebung auf dem Puntte,
den alten gebäſſsigen Druck, das alte Unrecht nahezu völlig wegzuneh-
men! Die Bill will nämlich die Hinderniſſe entfernen, welche der
Zulassung der Juden zu gemeindebürgerlichen Aemtern, ihrer Aufnahme
in alle Corporationen, im Wege sind. ;

Im Jahr 1828 bereits hatte Sir Robert Peel eine Bill eingebracht,
welche ſtatt des auch die Katholiken und andere Diſſenters aus-
schließenden Glaubenseides (Teſt) eine auch von Juden leicht zu
unterzeichnende „Erklärung-- einführen wollte, die den Zutritt zu Aeme-
tern bedingen sollten; das Unterhaus nahm sie an. Das Oberhaus
ſchaltete aber eine feierliche Betheuerung auf „Chriſtenglauben „ein und
ſchloß so die Juden aus. Peel pochte darum in der jetzigen intereſ-
santen Verhandlung mit Recht darauf, daß die Bill nicht verworfcn
werden fönne, da die „Herren-, ihre damalige Beschränkung jetzt seltſ
zſgt?tts. bares und die Bill bei den êGemeinen“ schon 1828
urchging. i L g :


 
Annotationen