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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 176 - No. 206 (1. Juli - 31. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44007#0833

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1845

Abendzeitung







* Etwas vom Perfall des deutſchen Reiches..

Vom Rhein, 18. Juli. (Köln. Z.) Unter den neuesten literari-
ſchen Erſcheinungen verdienen die zu Frankfurt von Heinrich Kö-
nig herausgegebenen „Denkwürdigkeiten des Generals Eick emeyer-
eine besondere Beachtung. Sie erläutern eine Zeit und Verhältnisse,
an welche wir in Deutſchland nur mit einem Gefühle der Wehmuth
und des Ingrimms zurückdenken können. Die Staaten jener Zeit
waren faſt ohne Ausnahme morsch und faul, und nichts Besseres
werth, als daß sie über den Haufen geworfen wurden, — eine Ar-
beit, wozu das Schicksal die Franzosen auserkoren hatte. Aber daß
sie so ehr- und würdelos, so wahrhaft jämmerlich zu Grunde gin-
gen, das empört noch jetzt. Die Lenker derselben lebten sorglos da-
hin, und als an der Seine längst der Sturm ausgebrochen war
und das Ungewitter die deutsche Gränze überschritt, da wiegte sich
der Kurfürſt von Mainz noch immer in süßer Ruhe, und jene
frechen Emigranten, die über manche Länder ſo großes Unheil ge-
bracht haben, weil Fürſt und Adel sich von ihnen bethören und zu
widerſinnigen Maßregeln hinreißen ließen, jene Emigranten spielten
in Mainz die größte Rolle und bramarbaſirten in der lächerlichſten
Weise „Vaincre on mourir !-. riefen sie. Es wurde aber aus dem
Siegen ein Fliehen, und das Mourir zu einem schmählichen Courir.
An den royaliſtiſchen Emigranten sieht man recht deutlich, wie hohl,
abgeſtanden und aufgeblaſen ohne Kern und Kraft, mit Einem
Worte: wie sehr ohne alle politiſche Berechtigung auch jener franzö-
ſiſche Adel war. Und diese Leute ließ ſich ein nicht geringer Theil
des deutschen Adels zum Muſter dienen, ahmte sie nach, erklärte
blindlings ihre Sache für die seinige. Er benahm ſich darum in
Mainz z. B. eben so schlaff, unmännlich und würdelos. Als es
darauf ankam, gegen ein ganz unbedeutendes Streifkorps zu schüz-
zen und zu vertheidigen (denn weiter war Cuſtine's sogenannte Armee
nichts), da wurde der eine Offizier krank, der andere unwohl, der
dritte legte ſich zu Bett, weil ihm sein Bein schmerzte; Alle aber
verloren den Kopf. Eine der. Hauptfeſtungen, ein wichtiger Schlüſ-
ſel des Reiches, Mainz, iſt allerdings durch Verrath in die
Hände des Feindes gekommen, aber der Verräther war nicht der
bürgerliche Offizier Eickemeyer, den Die, welche später das böse Ge-
wissen geplagt haben mag, um die Schuld von ſich abzuwälzen, als
solchen verdächtigten. Dieser war vielmehr unter allen der Einzige,
der den Math und den Kopf behielt, der Widerſtand und ehrenvolle
Gegenwehr leiſten wollte, der überdies nachwies, daß bei einiger Ma-
hen gutem Willen und einem, wenn auch nur geringem, Maße von
Hengligtett ttt tree Kriegsbeamten ein Verlieren der Stadt
gar nicht möglich sei. Ö

Er blich jedoch mit seiner Stimme allein. Hof und Beamte
hatten ſich längft in Sicherheit gebracht und alle Koslbarkeiten mit-
genommen ; ſie ließen Land, Bürger und Bauern von vorn herein
im Stiche, wie das in jener guten alten Zeit Sitte warz ſelbſt die
Pupillen- und Waisencasse schleppte der Kurfürſt mit sich fort. Das
elende, zuſammengzeworbene, durch Stockprügel entwürdigte und durch
dieſe „in Raison" erhaltene Gesindel, welches man damals Krieger
vder Soldaten nannte, lief zum Theil, als der Feind noch viele
Meilen weit entfernt war, über die Rheinbrücke, um sich zu ,salvi-
ren." Darf es Wunder nehmen, daß die auf solche Weiſe im Stiche
gelassenen Mainzer sich mit dem Feinde abzufinden suchten, so gut
ſie konnten? Zu den bei ihnen zurückgebliebenen Militärs konnten
ſie keine Art von Vertrauen haben, eben so wenig zu den Staats-
beamten. Der Kanzler Albini forderte in salbungsvoller Rede die
Bürger auf, ihre Stadt und ihr Eigenthum aufs Aeußerſte zu ver-
theidigen und nicht dem Beriſpiele der „feigen Frankfurter- zu fol-
gen; der Eindruck dieser Rede wurde freilich dadurch sehr geschwächt,
daß ein Bürger die Nachricht brachte, des Hrn. Kanzlers Packwagen
wären eben glücklich über die Rheinbrücke geschafft worden. Eicke-
[meyer drang auf Widerſsand und Vertheidigung, wie gesagt, er
Alle jn. Er wollte die Außenwerke vertheidigt wiſſen, er wies nach,
daß e haltbar ſeien; allein der Kriegsrath entschied, man solle ſie
den Franzoſen Preis geben. Die Herren pon Haßfeld, v. Faber,
¡ Rüdt, und wie sie weiter hießen, gaben Alles Preis, verlangten
ſige Capitulation, und man kann sagen, daß sie dem General Cu-

ftine, der übrigens eben so talentlos und nachlässig war, wie sie
selbst, und nur mehr Zuverſicht, Muth und Geiſtesgegenwart hatte,
die Beſitnahme von Mainz gleichſam aufzwangen. Cuſtine hatte nicht
einmal einen ordentlichen Plan der Feſtung, wußte nicht, daß die
Außenwerke in haltbarem Zuſtande waren; er dachte ernftlich gar
nicht daran, einen solchen Platz überrumpeln zu können, der ohnehin
eben erſt Verſtärkung an Truppen erhalten hatte; und zur Belage-
rung war er bekanntlich nicht eingerichtet; sein Heerhaufen war da-
für zu schwach. General Graf Hagtſeld drang zuerſt auf Capitu-
lation; von Faber folgte : von Rüdt, Buseck, Kotolinski und Stuter
c. stimmten ohne Weiteres für Ueberg a b e der Feſtung. Eicke-
meyer war für Widerſtand, worüber der Gouverneur ihn ungnädig
anließ; man befehligte ihn aber ins Hauptquartier Cuftine's und
erſah ihn aus, die Unterhandlungen wegen des Wegſchenkens der
Feſtung an die Franzoſen zu führen. Sie rückten lachend und mit
klingendem Spiele am 21. Oct. 1792 Nachmittags ein; solchen Er-
folg hatten sie ſich nicht träumen laſſen. Man muß die Einzelheiten
dieſer ſchmachvollen Auftritte in dem Buche selbſt nachlesen, das ein
anziehendes Nebenſtück zu den Memoiren des Ritters Lang bildet,
nur daß Eickemeyer's Angaben schwerlich irgendwo auf Widerspruch
stoßen werden. Denn daß dieser Mann nicht der Verräther von
Mainz war, er, der untergeordnetſte von den höheren Offizicren, er.
der seit lange auf Vertheidigung gedrungen hatte , iſt nun wohl klar
und ausgemacht. Der Verräther war das elende Staatswesen jener
Zeit, der Mangel an Muth und Bewußtſein bei Bürgern, Offizieren
und Soldaten. Baterländiſcher Sinn war längst verſchwunden mit
der Freiheit, an deren Stelle Willkür und ein Regime à la Ludwig
AIV. getreten war. |

Man war schlaff, gleichgültig, abgeſpannt, ließ eben Alles geschehen,
was kam, nahm ſtumpfsinnig hin, was der Tag brachte. Solche
Zuftände waren unhaltbar; das alte Haus, auf. so morſchen Grund-
lagen stehend, vermochte sich im Sturme nicht aufrecht zu erhalten.
Eickemeyer's Denkwürdigkeiten werden auch in nicht militäriſchen Krei-
sen mit großem JIntereſſe gelesen werden; sie enthalten in einfacher,
ansprechender Darſtellung eine Menge von Schilderungen über das
Hof- und Staateleben in Mainz und Beiträge zur Cultur- und Sit-
tengeſchichte jener Tage. Wir bekommrßn in denselben tie Beſtätigung,
daß jenes berüchtigte coblenzer Manifeſt der Emigranten, das Einer
von ihnen, Limon d'Halouin, verfaßt hatte und zu deſſen Veröffent-
lichung sich der Herzog von Braunſchweig mißbrauchen ließ, in Mainz
auf der Favorite entworfen wurde. Was für Maulbelden dicse Emi-
granten! Beim Gouverneur, Freiherrn v. Gymnich, waren eines

Tages viele von ihnen bei Tische anwesend; auch Frauenzimmer.

Man ließ alle Männer, welche sich in der Revolution ausgezeichnet
hatten, sſelbſt die dem Könige ergebenen, die aber nicht ihr Vaterland
verlaſſen hatten, die Mufterung paſſiren, fand indeß alle ohne Aus-
nahme pendables , zu Deutsch : henkenswerth. „Gemach, meine
Herren!" rief endlich der Gouverneur, „wo die Henker und die Stricke
alle hernehmen?\- Sogleich erboten sich die Herren, zu Henkern ihre
eigene Person, die Damen aber, zu Stricken ihre schönen Haare her-
zugeben! Wie chevaleresk! Der Oberlieutenant v. F., der in dem
Feldzuge gegen die Lütticher vor Haſſelt als einer der Erſten die
Flucht ergriffen hatte, sagte, um doch auch geiſtreich zu sein: „Ich
habe drei Capaune auf meinem Küchenwagen, von denen ich eiren
in Landau, einen in Nancy und einen in Frankreichs Hauptſtadt
zu verzehren gedenke!" Freilich ward nichts daraus. Der Major
F., welcher sich in dem lütticher Kriege auf 10 Stunden Weges vor
den Insurgenten nicht sicher glaubte, wenn nicht zwei Kanonen vor
ihm hergingen, verſprah 1792 dem Gouverneur einen Sa > voll
eigenhändig abgeschnittener Jacob iner köpfe. „Schicken Sie mir
lieber die Hunde selbſt,- erwiderte dieser, „ich will sie in den Caſe-
matten verſchmachten laſſen.. Die Frau v. Gymnich, sonſt eine lie-
benswürdige Person, erbat ſich b l oH einen Finger von Petion! „Viel

Glück zum Feldzuge!“ rief die Herzogin von Gramont, als der
Manquis d’Autichamp mit seinen Soldaten unter ihrem Fenſter vor-
beizog. „Es iſt nur ein Spazirgang nach Paris!“ antwortete der
Held, und nun war das Losungswort bei allen vornebmen Zuſane. .

menkünften: Es iſt nur ein Spazirgang nach Paris ! Allein ein sol-
<er war erft möglich, als in Deutschland ein ganz anderer Geiſt


 
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