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Mannheimer Abendzeitung — 1845

DOI Kapitel:
No. 176 - No. 206 (1. Juli - 31. Juli)
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herrschte, als an die Stelle geworbener Heere ein Volksheer trat,
als wieder Begeifterung für Freiheit und Vaterland in die Menſchen
gekommen war. In jenen schmachvollen Jahren liegt eine inhaltreiche
Lehre, die Jeder beherzigen sollte; nämlich: mit Großpralerei gewinnt man
eben so wenig Achtung oder Siege, als mit Feigheit oder verzagt-m Sinne;
die beſte Wehr gegen außen iſt nicht, wie damals, eine geworbene
Soldatenkaſte, sondern der tüchtige Sinn freier, wehrhafter Bürger;
nicht verrottete, veraltete, von der Zeit] und der Gesittung| längſt
als abgethan betrachtete Staatsformen, nicht bevorzugte Stände,
sondern freie Staatseinrichtungen, die dem Bedürfniſſe und dem Be»
wußtsein der Nation entsprechen, ſind Hebel der Vertheidigungskeaft.
Das deutsche Reich war lange vor 1806 eine Leiche; die beſten Ver-
bündeten des Feindes waren die schlechten Regierungen, die nirgends
Achtung und Vertrauen besaßen, waren die verknöcherten Zuſtände,
war ein zur Geſinnungslosigkeit und Gleichgültigkeit herabgewürdig-
tes, durch ewiges Bevormunden um jeden ſelbſtſtändigen Gedanken
gebrachtes Volk. So kam denn, was nicht ausbleiben konnte! Wer
wollte sich nun darüber wundern?

Deutſchland.

* Mannheim, 20. Juli. In der „Weserzeitung-e beſpricht
ein Hamburger das Verhältniß seiner Vaterstadt zu dem Zollverein
und findet das Verharren in der Absonderung dadurch begründet, daß
die Idee eines nationalen Handels vom Zollverein noch nicht realiſirt,
ja daß noch nicht einmal der Anfang mit einer Realiſirung derselben
gemacht sei. Cs liege nicht in der Macht Hamburgs, Deutschland
eine nationale Handelspolitik zu geben, sondern es könne nur mitwir-
ken, „falls der Entschluß zur Durchführung einer solchen erſt einmal
gefaßt und ins Werk gerichtet wird., Seine jetzige commercielle Stel-
lung zu Deutschland wie zum Auslande sei kein Akt der Willfür son-
dern ein nothwendiges, unfreiwilliges Resultat der gegebenen Verhält-
niſſe, und nicht von Hamburg, nur vom Zollvereine könne eine Lin-
derung in der Art ausgehen, daß es der Hanseſtadt möglich werde,
zu ihm und hoffentlich zum gesammten Deutschland in eine den Wün-
ſchen und Bedürfniſſen der Nation entsprechende Stellung zu tréten.
~– Von Seiten des Zollvereins könnte darauf erwiedert werden, daß
zu einem deutschen Schifffahrtgesetze die Zeit erst dann gekommen sein
werde, wenn die deutschen Küſtenländer an der Nordsee beigetreten
seien, daß daher Hamburg etwas als Bedingung seines Anschlusses
fordere, was nur einc Folge deſſelben sein könne; man könnte binzu-
fügen, daß ein wohlbemessenes Schutzsſyſtem für die National-Indu-
ſlrie laut begehrt und von den meisten Vereinsregierungen als noth-
wendig anerkannt werde, so daß man eine bedeutende Annäherung an
daſſelbe als Ergebniß des gegenwärtig in Karlsruhe versammelten
Zollcongreſſes erwarten dürfe. Man könnte weiter bemerken, daß
man, um Zwecke eines Vereins befördern zu helfen, nicht demselben
fern bleiben, ſondern sich anschließen müſſe und daß man nicht nur
kurzsichtig, sondern auch unpatriotiſch handelt, wenn man seine Sache
von der des gemeinsamen Vaterlandes trennt, um im fremden Dienste
Lohn zu verdienen, weil man mit Unrecht fürchtet, der vaterlän-
diſche Dienſt würde etwas weniger eintragen. ~ Dies und noch mehr
könnte man dem Hamburger Correspondenten entgegenhalten, allein
die Mehrzahl seiner Mitbürger würde sebr gleichgültig gegen die Auf-
forderung bleiben, die Sache Deutschlands zu der ihrigen zu machen.
Wird nicht Kaffee und Zucker aufſchlagen, müßten die Handelsherrn
nicht einige Commis mehr bezahlen, wenn der Zollverein die Colonial-
waaren beſteuerte und die Geſchäfte durch die Zollbehandlung vermehrt
würden? Gegen ſolche Bedenken gibt es nur ein Mittel, nämlich
den Separatiſten die Nachtheile ihrer Absonderung fühl b ar zu
machen. Dies würde geschehen, wenn der im vorigen Jahre vertagte
Schifffahrts- und Handelsvertrag zwischen dem Zollverein und den
Vereinigten Staaten zu Stande käme, welcher sehr wahrscheinlich die
Folge haben würde, daß die Amerikaner den Hanſseſtädten ihre Ver-
iräge aufkündigen. Die Staatsmänner Amerikas sehen ein, daß ein
îVertcag mit einem großem Marktgebiete für die Erzeugnisse ihres Lan-
des einem Vertrag mit bloßen Niederlagsplätzen vorzuziehen sei. Als-
dann aber würde ohne Zweifel auch Hamburg fühlen, daß es beſſer
iſt, Niederlagsplatz in einem Marktgebiete als außerhalb deſſelben zu
lit. g Hrfcutt helfen uns die Amerikaner, die deutschen Hanseſtäd-
eutſch zu machen. '

._. * Mannheim, 21. Juli. In unserer vorgeſtrigen Nummer
iſt auf's Neue die Ausweisung deutscher Urbeiter aus gewissen Schwei-
zer-Kantonen angeregt, und ~ eine weitere Besprechung des Gegenftan-
des sollte ſich anschließen, da derselbe in mehrfacher Beziehung ſehr
wichtig iſt und den größten Theil der Preſſe ihn zu ignoriren beliebt
oder nach den ſchweizeriſchen Polizeiberichten commentirt. Heute bringt
uns über ähnliche neue Vorfälle und Befürchtungen in Deutschlaud
die „N. Würzb. Z. die auffallendste Kunde. Das deutſche Hamburdg,
dieſelbe deutſche Stadt, die vor nicht langer Zeit durch ein beklagens-
werthes furchtbares Unglück unter uns allgemeine Beſtürzung und
bie allgemeinfte werkthätige Theilnahme für ſich hervorrief, ſoll durch



die willkürlichfte Mißhandlung deutscher Arbeiter, die leider nicht genn.

ohne Beispiel it, uns noch Beklagenswertheres liefern. Die „Neue
Würzb. Ztg.’ meldet:

„H a mb u r g, 14. Juli. Während man an verschie-
denen Stellen in der Schweiz die deutſchen Arbeiter ausgewiesen
hat, bereiten unsere Aemter eine ähnliche Maßregel gegen die hieſigen
fremden Gesellen vor. In diesen Tagen wurde nämlich von
Seiten der Amtspatrone und des Senats den Aecltermeiſtern der Antrag
geſtellt, sämmtlichen fremden (deutschen) Arbeitern über dreißig Jahre,
so wie allen, die bereits hier bei fünf verschiedenen Meiſtern in Ar-
beit gestanden, ihre Wanderbücher auszuliefern und sie aus Hamburg
verweisen zu laſſen. In mehreren Aemtern , namentlich im Tiſchler-
amt, iſt dieser Antrag angenommen; andere haben ihn unbillig gefun-
den und verworfen. In den nächſten Tagen werden mehrere Hunderte
deutſcher Arbeiter Hamburg verlaſſen müſſen, ohne zu wifsen, wo ſie
neue Arbeit finden sollen. Nachdem der fremde (deutsche) Arbeiter
mit seinem Schweiß und (wie oft!) auch mit seinem Blute den glän-
zenden Neubau seiner Vollendung hat entgegenführen helfen, wird cr
nun zum Danke mit dem beliebten „Schub“ belohnt. Während man
zum Bau der koſtſpieligen Siehle, der Gaserleuchtuugsanſtalt, der
Kirche selbſt, Arbeiter aus England kommen läßt, muß der
deutsche Geselle sein Reisebündel schnüren. Es scheint, daß dieſe
Maßregel theilweiſe auch aus der Furcht vor etwaigen Vereinen
unter denselben hervorgegangen sei. Viel mag aber die Brsorgniß da-
zu beitragen, nach Beendigung des Neubaus eine Menge unbeschäftig-
ter Hände vor ſich zu sehen. Dann aber konnte man immer noch

thun, was eine harte Nothwendigkcit erheisſchte.''

* Maunheim, 21. Juli. Der ,„hamb. Correſp."’ bringt aus
Berlin in Betreff des Treibens dortiger Zeitungscorrespondenten ein
merkwürdiges Gemisch von Sinn und Unsinn: „„Es herrſcht,““ sagt
der Berliner, „unter der Literatenwelt ein große Beftürzung (?). Die
Redactionen der nambafteſten (!) deutschen Blätter sollen beschloſsen
haben, gar keine Berliner Correſpondenzen (!!) mehr anzunehmen,
jedenfalls keine von solchen, die gleichlautend in vier oder
f ün.f Blätter b ert <ten. Mehrere Zeitungs-Verleger haben
offen ausgesprochen , sie könnten ihr Geld beſſer anwenden, als
Mährchen und Unwahrheiten noch zu bezahlen. Wenn dies ſich be-
ſtätigt, so wird es allerdings vielen Beifall finden. Offen geſtan-
den, wir haben es längſt erwartet: der Deutsche iſt doch
mehr oder weniger ein Freund der W äh r h ert‘‘.:

Öffen geſtanden, wir werden, ohne weitern Beschluß, von diesem Ber-
liner „Deutschen", diesem „Mehr- oder Weniger-Freund der Wahr-
heit keine Corresponvenzen annehmen, und erwarten dafür raklerdings
vielfachen Beifall zu finden!!’ ~ Was wir von den Berlinern und An-
dern halten, die ihre Lappalien „gleich-“ und ungleich lautend in 4 oder
5 Blättern absetzen, iſt in diesen Blättern wiederholt ausgesprochen
worden, dem Hrn. „Beta re. mag dies noch im friſchen Andenken sein.
Was aber der Hamb. Correſpondent sich von den namhaften deutschen

Blätter berichten läßt, die „gar keine Berliner Correſpondenzen-- mehr an-

zunehmen 1c. beſchloſſen, was er sich von solchen Redactionen und
dem Literaten- Beruf dabei ausgedacht hat, das ift doch zu albern
als daß wir noch eine Sylbe weiter darüber verlieren möchten.

§§ Von der obern Elz, 16. Juli. Seit dem das Großh.
Staats- Regierungsblatt die theilweiſe Erneuerung der beiden Kam-
mern der Ständeversammlung ausgeschrieben hat, verspürt man an
dem nahen Kaiſserſtuhl, im Aemterwahlbezirk Breisach, schon al-
lerlei Bewegungen. Nicht nur werden von Notären und sonstigen
Angeſtellten Reiſen durch den Wahlbezirk gemacht, um die Erwählung
eines Amtsreviſors in Karlsruhe durchzuſeßen, sondern dieser corre-
ſpondirt selbſt mit einflußreichen Kaiserſtühler Familien, stellt sich die-
sen als einen Jufte- Milieuaner hin und iſt der Ueberzeugung, daß
wenn ſie ſich dafür intereſſsiren, er seiner Erwählung gewiß sei.

§+ Worms, 19. Juli. Eine sehr intereſſante, auch bedeu-
tungsvolle, Erſcheinung bietet die kürzlich bei K. W. Leske in Darm-
ſtadt erſchienene Schrift unseres geiſtvollen und gelehrten Mitbür-
gers Dr. L. No ac: - Mythologie und Offenbarung. Die Re-
ligion in ihrem Wesen, ihrer geschichtlichen Entwickelung und ihrer
absoluten Vollendung. Erſter Theil. Die Religion in ihrem all-
gemeinen Wesen und ihrer mythologischen Entwickelung. » Der
Verfasser gibt hier im wahren, d. h. concreten und geschichtlichen
Sinne eine Phänomenologie des religiösen Bewußtseins. Er bleibt
bei den Hegel'ſchen Formen nicht ſtehen, er hat ſie bewältigt, durch-
drungen uud zu einer helleren und durchſichtigeren Geſtalt des sub-
ſtantiellen Geiſtes herangebildet. Der Genius der Liebe, der nach
seiner Ueberzeugung allein das geheime Wesen der Dinge enthüllt
und die starre Decke der Wirklichkeit in leuchtendes Kryſtall vers

wandelt, erſchließt ihm die wunderbaren Geheimniſſe der Geschichte

des orientalischen und clasſiſchen Religionsbewußtseins , und in der

ſicher fortschreitenden Macht einer vom Totalleben des Geiſtes pe: .
führten Dialektik, erreicht er so den Pulsschlag und das Herz der
alten Völkerindividuen. In Bezug auf die metaphysische Seite,
 
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