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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 58 - No. 86 (1. März - 31. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44007#0291

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12. März

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Raum 4 kr. + Briefe
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1845



Deutſaä,land.

* Vom Neckar. Pr. Friedrich Vischer, als Profeſſor

der Aeſthetik zu Tübingen angestellt, erklärte sich, besonders in der
neuen Vorrede zu seinen &„kritiſchen Gängen oder Schar-
mützeln-, sehr ſtark gegen den jetzigen Pietismus, wel-
chen er sogar als eine Krätze in dem Kirchenwesen ganz pathologisch
ſchilderte. Ganz natürlich hätte er in Rechnung nehmen sollen, daß
er von den heiligen Zionswächtern, welche durch den ihnen aus-
ſchließlich offenbaren Dogmenglauben die Menge von ſich abhängig
zu machen ſtreben, zur Ehre Gottes ſcharf beobachtct und miß-
empfohlen sein müsse. Vischer erhielt dennoch die Einführung als
Ordinarius in den akademischen Senat, wußte aber auch, wie von
Manchen in und außer demſelben ihm kraft jenes Meinungseifers
entgegengearbeitet worden war. Er hatte nun eine Inaugural-
rede in dem akademischen Hörsaal vor dem Senat und der akade-
mischen Zuhörerſchaſt den 21. November 1844 zu halten. In die-
ſer erklärte er mit Freimuth und zum Theil mit Jovialität, daß er
dem Princip nach in voller ungetheilter Feindſchaft, in oſfenem
herzlichem Haß beharre, aber der Kampf der Anſichten kein perſön-
licher sei, (S. 27.) und beide Theile sich, wo Person der Person
gegenüberſtehe, die gegenseitige Achtung nicht versagen dürfen. Am
Wenigſten solle man ihm und Sirinesgleichen unterſchieben, wie wenn
ſie das, wofür ſie kämpfen, ſelbſt für ſchlecht und frivol hielten.
Da die Lehrstelle für Aeſthetik und deutſche Literatur eine Anſtalt
neuerer Zeit iſt, ſo machte er zweckgemäß sich zur Aufgabe, in
einem Ueberblick zu zeigen, wie er ſich sie, die Wiſſenschaft des
Schönen, im. Verhältniß denke zu allen andern Lehrfächern der Uni-
verſitäten. Gleich Anfangs, noch ehe er deßwegen auf Pflichten-
lehre und Theologie zu reden kam, ſprach er freimüthig aus, daß
ſeine Aesthetik schon in Beziehung auf alle Arten von körperlich aus-
bildender Gymnastik, die nicht blos wie sonst durch Tanzen- und
Fechten-Lernen (S. 5 u. 6.), sondern jetzt auch durch das sonſt
verdächtigte Turnen u. dgl. geübt werden, nicht übereinſtimme, mit
derjenigen | Religion, welche auf ihrem specifischen () Stand-
upuntte ſich leicht dem Wunſch hingäbe, als sei es genug, wenn
w verborgen auf dem innerſten Heerde (des Herzens) ein heiliges
+, Feuer brenne, während Mauern und Wände. (nämlich
der Leib als Wohnung des Geiſtes), „dunkel und s<hmugzig
» bleiben. Mit diesem Standpunkte verbinde sich gewöhnlich
vjene negative (!) Moral, welche die Bildung der Sinn-
„lichkeit in ihrem eigenen Elemente mit Verdacht und Miß-
„trauen als etwas beurtheile, was nicht sein solle..

Man ſieht, daß der wissenſchaftliche Mann von der Religion,
wie sie auf dem specifischen Standtpunkte des Pietismus
leicht einer Täuſchung gegen das Ausbilden auch des Leibes, das
doch an sich Geiſtespflicht iſt, sich hingibt, in wiſssenſchaftlicher
Kunſtſprache zu reden sich bemüht. Um weniger anzuſtoßen, ver-
meidet er kurzweg zu sagen, inwiefern schon hier seine Schönheits-
lehre dèér specifisch-pietiſtiſchen Religion im Princip ent-
gegen sei. Hätte er lieber das ſpecifiſche Wort gegen dogmatiſtiſche
Pietiſterei populär herausgesagt, wenn gleich in dem Senat Einige
vor ihm ſaßen, die ſich Pietiſten nennen laſſen. Nur durch die Wen-
dung, die ihm ein äſthetisches Zartgefühl eingeben mochte, wurde es
möglich, daß das Geschrei verbreitet werden konnte; nunmehr habe
der Pietismusfeind sich gegen Religion überhaupt (!) er-
klärt, weil er sofort in diesem Zusammenhang sagte: Anerkannt
wird dies (daß auch die formelle Körperbildung ein Sollen, eine
Mlicht sei), freilich nicht von der Religion als Religion,
sondern nur von der in Philosophie erhobenen, zur
Ethik erweiterten Religion. Viſchers Fehler war hier, daß
er nicht noch einmal wiederholte: Anerkannt iſt die Pflicht der Aus-
bildung auch der Sinnlichkeit oder des Leibes, freilich nicht von der

; kFſigion als der specifisch-pietiſti schen Religion, sondern ec.

Y Str Gegensag von der durch die Ethik, (das ist durch die reine Lehre
“ mm Heiligen und deßwegen auch Gotteswürdigen, von allem dem
“Ynk Dogmaticismus Chriſtlichen) , erweiterten Religion hätte als-

dann Allen, welche nicht durchaus mißverſtehen wollten, sacherklä-

Lend genug sein müſſen. CFortſ. folgt.)

+47 Berlin, 5. März. Die Befürchtungen, daß die Conſtitui-
rung des Lokalvereins für das Wohl der arbeitenden Klaſſen auf
polizeiliche Hindernisse ſtoßen würde, haben jetzt durch das Ausscheiden
des Bürgermeiſters Naunyn aus dem proviſsoriſchen Comité eine neue
Wahrſcheinlichkeet erhalten. Herr Naunyn sollte den Behörden Ga-
rantie gegen jeden Verdacht mißliebigen Ausſchweifens bieten, und
da der angebliche Grund seines Austretens wirklich nichtssagend iſt,
so vermuthet man, daß er die Gelegenheit vom Zaun brach, um vor
der erwarteten Konzeſſionsverweigerung dem Schein eines liberalen
Dementi zu entgehen. Der angebliche Grund seines Ausſcheidens
beſteht darin, daß die Majorität des provisorischen Komités eine Pe-
tition annahm, eine Petition um Aufhebung des polizeilichen Verbots
gegen die vorberathenden Versammlungen einzelner Mitglieder im Ho-
tel de l'Europe. Herrn Naunyn kann natürlich einer solchen Petition
nur Abscheu einflößen, da er als loyaler Bürgermeister alle Polizei-
verordnungen wohlweislich und vortrefflich finde. Sein Austritt
aber dürfte höhererſeits die willkommene Veranlassung geben, dem
Verein wegen mangelnder Garantie die Konzeſſion zu verweigern.
Auf einer vor einigen Tagen statt gehabten Schlittenfahrt der Stu-
denten hat der Berliner Witz denn auch den Lokalverein nicht unver-
ſchont gelaſſen und das Publikum lachte allgemein beim Anblick der
verhungernden Armen, die mit Redensarten abgefüttert wurden. Das
iſt der Humor davon, aber die Sache hat ihre ernsthaften Seiten.
Unter den Masken jener Schlittenfahrt verbargen sich überhaupt größ-
tentheils Zeitbezienungen. Der Theater- Intendant erschien Arm in
Arm mit Mad. Birch- Pfeiffer, dieser koloſſalen Dichterin, deren
klaſſiſche Stücke jetzt eine Hauptzierde der königl. Hofbühne gewor-
den sindz über dem Schlitten hing in ungeheuerer Schrift die Anzeige:

„Zux Aufsüithrung ves ewigen Juden iſt kein Billet mehr zu haben.

Auch der heilige Rock war dabei zu ſehen, an seinem linken Aermel
ein Schild, Nr. 22. Der Student, welcher denselben irug, wäre
indeß. am zweiten Tag darauf beinah vas Opfer eines fanatiſchen
Verbrechers geworden. Am hellen Tage trat auf der Straße ein
Menſch, rer ihm aufgelauert, auf ihn zu und feuerte eine Piſtole
ab, die aber ihr Ziel verfehlte. Der Verbrecher iſt ein katholischer
Konvertit von früher iſraelitischem Glauben, der lange Zeit in ſtil-
lem Wahnsinn hier unbeaufsichtigt umhergelaufen war. Er litt an
der fixen Idee, von seinen frühern Glaubensgenoſſen verfolgt zu
werden, uud wie er im Verhör angab, sieht er in jedem Andersden-
kenden einen Feind, den er umzubringen ſich berechtigt glaubt. Vor
längeren Jahren lebte er hier als Kammergerichts-Referendar und er-
warb sich einen Ruf dadurch, daß er viele Juriſten zum Examen
vorbereitete.

Der Zulauf zu ihm wurde durch sein eigenthümliches Glück
so bedeutend, daß er die Beſorgniſſe des damaligen Profeſſors Sa-
vigny erregte, der ihn zum angeblichen Zweck weiterer Ausbildung
auf Reisen gehen ließ. Er wenvete ſich zunäcßſt nach der Schweiz,
gerieth aber hier in die Hände der Jesuiten. Von seinem weitern
Leben iſt nichts bekannt, als daß er mehrere Jahre in Amerika zu-
brachte. Wahrſcheinlich wird er jetzt einer Irrenanſtalt überwiesen
werden.

Durch den Tod des Inquisitoriats-Director Dambach iſt eine
reiche Ausſicht für ehrgeizige Karrisreſchwindler eröffnet. Herr Dam-
bach, ein Schüler Tzschoppe's, hat fich zuerſt als junger Auskultator
in einer Untersuchung gegen den Turnvater Jahn ausgezeichnet, seine
ſpätern bekannten Verdienste sichern ihm eine Stelle in den yreußi-
ſchen Gerichtsannalen. i

In Königsberg iſt eine Brochüre gegen die bekannte, in Berlin
ungemein verbreitete Petition Jacobi's erschienen, unter dem Titel
„Anty-Jacoby, oder 7 Bitten eines loyalen Preußen." Der Inhalt
dieses „Anti-Jacoby iſt so matt und läppiſch.

In der Haussvogtei befinden fich als „Aufruhrſtifter- eine
große Anzahl Arbeiter, die vor einiger Zeit am Hamburger Thor
tumultuirten. Da sie noch in Unterſuchungshaft gefangen gehalten
werden, so silzen fie hinter jenen mit Blechblenden versehenen Fenſtern,
in die nur spärlich ein gebrochenes Tageslicht hineindringt. An den
Stunden, wo andere Gefangene den kleinen Hofraum betreten dür-
fen, werden sie zwar auch aus ihren Zellen gelaſſen, aber nur um
grobe Gefängnißdienſte zu verrichten. Es sitzen jetzt wieder in den


 
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