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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 1 – No. 30 (1. Januar – 31. Januar)
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_ 6. Januar

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' C. rate, worüber die Redak-

y... tion Auskunft zu ertheilen

ÿ S hat, die Zeile oder deren
. Raum 4 kr. + Briefe
und Geld erbittet man
franco. :

1845



. , Deutfſsland.

t Aus dem Staate Baden. (Fortsegung.) Ein wahr-
haft grausames unmenſchliches Verfahren iſt es aber gewiß, Jeman-
hen Monate und Jahre lang, ärger als ein wildes Thier, einsam
in eine kleine Zelle zu sperren, im Sinne des ältcren und neueren
pennsylvanischen Syſtems, und da man in unserer--Zeit, in der man
das Wort Humanität immer im Maule führt, wo man ſsſte nicht
anzuwenden braucht, da man in dieſer wahrhaft harten und gefühl-
loſen Zeit der Geſetgebungen ſtets dieses pennſylvanische Syſtem lob-
preiſt, um neben zehntausend Zoll-, Accis-, Polizei-, Criminal-, Dis-
ciplinar- und weiß Gott was für Strafen und Strafverordnun-
gen auch noch in der Strafhaft den o'f die unbeſtimmteſten Be-
weise hin Verurtheilten pennſylvaniſch zu martern und zu quälen,
wobei man aber überſieht, daß in Amerika, dem Mutterlande dieſes
Syſtems, nach tausend Dingen kein Hahn kräht, die bei uns die

Gefängnifse füllen, ~ unter diesen Umständen iſt es Pflicht, die

Nachtheile solcher einſamen Einsperrung etwas zu beleuchten.

Denke sich Jeder selbſt in die Lage, er würde aus dem frohen,
hellen Leben, dessen auch der arme, gedrückte, der hungrige und dar-
bende und frierende Mensch ſich freut, wegen eines Vergehens in die

ſchauderhafte, Tag und Nacht fortdauernde Cinsamkeit eines kleine.

Raumes von wenigen Schuh Länge und Breite geworfen, nur ſsel-
ten ein Menſchenantlitz sehend, selten wie das Gekrächz eines Raben
in einer todten, weiten, sandigen Ebene. Wer in der Fremde längere
Zeit krank lag, wo ihn nur der Arzt, der Hauswirth in wenigen

Augenblicken des Tages sah, der wird ſich in die Lage eines solchen -

Gefangenen leichter hineindenken können, und doch war er rein in
seinem Gewissen und kein Gefangene.
Der Menſch iſt ein geselliges Wesen, er hat das Bedürfniß,

ſich Andern mitzutheilen, von ihnen angeregt, verſtanden zu werden.
Mit der Spinne, mit ver

Die Einsamkeit wirkt töttlich auf- ihn.
Maus befreundet sich der arme Einsame, er unterhält sich mit ihnen.
Winſam in den hellen schönen Sommertagen, einsam in den
langen Winternächten, Tage lang, Monate lang, Jahre lang, es
iſi fürchterlice Aber der Gefängnißauſseber, der Verwalter, der
Beiſtliche, Menſchenfreunbve besuchen ihn, tröſten ihn, halten ihm er-
bauliche Gespräche, suchen ihn zu beſſern ? Werten die Menschen-
ſreunde so zahlreich sein und jederzeit Einlaß haben, um bei Sturm
und Wind, Regen und Hitze nach dem Gefängnisse zu laufen, wo
Dutyende und abermals Dugende von Verbrechern schmachten und welchen
die Crſcheinung edler Menschen wohlthuende Unterbrechung der Oede
der Haft wäre? Betrachten wir nur den neuen Gefängnißbau vor
Bruchsal draußen. Wie viele Menschen einer kleinen Stadt werden
Zeit, Muße, Luſt haben, dorten hinaus zu wandern, um ſich des
Pennſylvanisch-Geſtraften anzunehmen; und der Geiſtliche und der
“Arzt, und ver Aufseher, wie viele Stunden unter den 8760 des
Jahres werden sie bei der Zahl der Sträflinge dem Einzelnen wid-
men können, und werden sie ihm immer eine tröſtliche, beruhigende,

aufmunternde Erscheinung zur Tragung seines Unglücks sein? Die
geiſtige Bewegung, das Salz des Lebens, iſt bei dieser Einrichtung.

gelähmt, die körperliche muß es sein. Die JIsolirung muß eine völ-
lige sein, oder sie iſt keine. Wo soll nun die körperliche Bewegung
geſtattet sein? In der kleinen Zelle, in dem kleinen Hofraum, oder
oll er dorten mit Andern zusammenkommen, dann iſt ja der Zweck

der Cinsamkeit in diesem Momente aufgehoben, das System durch-
_ löchert; wer könnte die Mittel aufbringen zu Gebäuden, in welchen
jeder Einzelne hinlänglichen Raum zu „gehender“ Bewegung hätte;

wird das Arbeiten in der engen Zelle, die ungesunde Luft des engen

Raumes, tie Ausdünstungen und Gerüche der Albeitsſtoffe seinen
Körper nicht nothwendig verderben, schleichend verzehren? Die to-

deswürdigen Verbrecher sandte man in Queéksilberbergwerke, wieß
ihnen ähnliche Beschäftigungen an, von welchen sich mit Zuversicht
jagen ließ, sie werden dem Tode entgegen stechen, sie werden allmäh-
lig getödtet. JIſt dieses Syſtem viel barmherziger? Dem ,Kopf
herunter“ geht im Moment des Schmerzes vielleicht 24 Stunden
der Angst, der Furcht voran; der einsam Eingesperrte, der von ei-
nem traurigen, einsamen Kerkertag auf den andern sieht, hoffnungs-
los, stirbt geiſtig täglich; denn iſt eine solche nieverdrückende, qual-

L

volle Herunterſtimmung des Gemüths, ein solches einsames Brüten,

vielleicht zum stillen Wahnsinn gesteigert durch die Schrecken des Ge-

wiſſens, nicht eine Tödtung mit tausend und abertauſend Nadelſtichen ?
Die gezwungene Arbeit, bei der Niemand Hülfe leistet, ihre Eintönigkeit,
ihr mechanisches Mesen wird ven Geiſt nicht aufrichten, und ebenso
wenig wird man varch d. + mechaniſche Haupytmittel der einsamen
Haft zur Besserung, zur geiſtigen Umwandlung gelangen. Die

HNahual der verlorenen Freiheit iſt groß, auch beim roheſten Menſchen,
aber die Qual einsamer Freiheitsberaubung iſt Folter, ärger als

ſpaniſche Stiefeln und Daumſchrauben, Kette und Kragen; denn die

konnte eine robuſte Natur überwinden, die Einsamkeit erträgt nicht
der Cretin, denn auch er iſt gesellig. Ist so ein großer Unterschied

zwischen dem Lebendigbegrabensein und jahrelanger einsamer Haft?
Die neueſte Zeit lehrt uns, daß ein Minnigerode wahnsinnig wurde,
daß ein Weidig sich den Hals abschnitt, daß eine Menge Andere
völlig wahnsinnig wurden oder an Seelenſtörungen anderer Art lit-
ten, und sagt doch Nölner in seinem Buche über. Weidig selbſt, daß
nach seinen Erfahrungen die einſame Haft zum Wahnsinne führe,
und ein so langjähriger Inquirent wird das wissen können, und das
war keine Strafhaft, das war Untersſuchungshaft mit der Aussicht

auf Freiſprechung und Freiheit.

Wenn aber dieses Mittel durch den Zweck der Beſſerung des
Sträflings will gerechtfertigt werden, so wird sich fragen, wird er

wirklich gebessert, oder bedarf er der Beſſerung, iſt er nicht vielleicht

ſchon vor dem Strafurtheil zur Erkenntniß gekommen, zur Reue, zum
unwandelbaren Vorſat des Guten, und trotzdem wöchentliche Ser-
mone und Predigten, die ihm zuletzt die Tugend und den guten Vor-
ſatz verleiden. Denke man aber gar einen ſalbungsreichen Pietiſten
oder Mystiker als Troſtredner, einen hirnverbrannten Frömmler
als beſuchenden Menſchenfreund, einen groben Aufseher oder Wärter!
(Fortsetzung folgt.). 1:

* Karlsruhe, 4. Januar. Hr. Justizminiſterialrath Dr. Ja-
gemann dahier erklärt jeut öffentlich, daß er nicht den entfernteſten
Antheil habe. an der Schrift „Kritik der von Dr. Nöllner zu Gie-
ßen verſsaßten aktenmäßigen Darſtelluug des Prozeſſes Weidig. Von
einem Freunde des Rechts und des Jortſschritts. Leipzig, 1844..,
deren Autorschaft ihm in der Kölner und der Mannh. Abendztg. zu-
geſchrieben werde, und daß er überhaupt mit anonymen Pullikatio-
nen sich niemals befaſſse. . z

Merainz, 2. Jan. Dem unseligen Zweikampfe iſt leider wie-
der ein neues Opfer gefallen. Ein junger Handlungscommis , erſt
19 Jahre alt und Sohn einer höchſt achtbaren hieſigen Wittwe, er-
schoß heute Vormittag im Piſtolenduell einen königl. preußischen
Dragonerlieutenant der hieſigen Garnison, nachdem er vorher durch
den Schuß des letztern verwundet worden war. Der Gefallene war

noch der einzige männliche Sprosse einer achtungswerthen begüterten

Familie in Rheinpreußen. Die Veranlaſſung zu dem Zweikampfe
war, wie in den meiſten dieſer Fällen, eine durchaus geringfügige.
Eine junge Dame glitt auf der Straße aus und fiel, worüber der
vorbeigehende Offizier lachte. Der Begleiter ter Dame, jener ju-
gendliche Handlungsgehülfe, stellte den Offizier darüber zur Rede und
aus dem hieraus erfolgten Wortwechsel entſpann sich das Duell, wel-
ches so geheim betrieben wurde, daß man erſt gleichzeitig mit dem
unglücklichen Resultat Kenntniß davon erhielt. Wann endlich wird
doch der schreckliche Wahn verschwinden, daß Beleidigungen nur mit
Blut gesühnt werden können und wie viele Familien sollen noch
durch den Verluſt ihrer oft einzigen Hoffnungen unſäglichem Jammer
zur Beute werden, bis jene beſſere Zeit erscheint?! (Fr.O.-P-.A.-Z.)

K Köln, 3. Jan. Wir haben in unserem Berichte vom 30.
vorigen Monats die Erwartung ausgesprochen, daß die gegen Karl
Heinzen eingeleitete Untersuchung allem Anſscheine nach bald zu
Ende geführt sei, weil das hieſige Landgericht, dem Vernehmen nach,
den nachträglichen Antrag, dit Untersuchung auch auf das Verbre-
chen der Majeſtätsbeleidigung auszudehnen, durch Raths-
kammerbeſchluß verworfen habe. Diese Erwartung scheint in Etwas


 
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