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Mannheimer Abendzeitung — 1845

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No. 87 - No. 116 (1. April - 30. April)
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E



_ 582

Hrn von Amsberg getretenen Finanzdirector von Geyso beftell. Da
man von preußiſcher Seite, aus begreiflichen Gründen, dieser Ange-
legenheit nicht gern eine höhere politische Bedeutung geben möchte,
so haben die andern Theile im Intereſfe der Sache, wenn auch un-
gern, darauf verzichten müſſen, wie sonst in der Regel geschieht, ne-
ben den vier techniſchen Commiſſarien noch besondere. diplomatische
Bevollmächtigte zu ernennen.

Berlin, 3. April. (D. A. Z.) Der Vorgang in Bielefeld,
die Verwundung des daſigen Buchhändlers Helmich durch einen Lieu-
tenant , hat hier einen unangenehmen Eindruck gemacht, selbſt unter
Militärperſonen; denn auch den Umsichtigen dieses Standes liegt jegt
mehr als je daran, die Schranken fallen zu lassen, welche ſich zwi-
schen dem Militär und den übrigen Theilen der Nation aufgebaut
haben, und unser würdiger Kriegeminiſter v. Boyen arbeitet vor Al-
lem dahin. Selche Vorgänge indcß, wie der königsberger und jett
wieder der bielefelder, ſind durchaus nicht geeignet, den volksthümli-
chen Ideen, welche unser Kriegsminiſter vom Militär und Militär-
wesen hat, zu entsprechen und eine harmonische Ausgleichung zwischen
Soldaten und Bürgern hervorzubringene [1t.

Poſen, 2. April. (Fr.O.-P.-A.-Z.) Der hiesige Censor der
polnischen und französischen Schriften, Proseſſor Cwalina, der, wie
ich höre, sein Amt schon über zwanzig Jahre verwaltet hat, iſt plötz-
lich entlaſſen und seine Function als Censor einem katholischen Geiſt-
lichen übertragen worden. Die nächſte Folge dieser Maßregel dürfte
der Sturz des anticlericaliſchen Journals ,„Tigodnik literacki- sein.
Die Besorgniß vor einem Handstreich eines Communistencomplots
unter den hieſigen Polen „niedern Standes‘’ hat noch nicht aufgehört
und die diesfälligen Vorſichtémaßregeln haben andauernd Beſtand;
auch finden von Zeit zu Zeit neue Verhaftungen statt. Um so
mehr muß es uns Wunder nehmen, wenn eine Correspondenzartikel
der „A. A. Z." von hier die militäriſchen Präventivmaßregeln
bei uns als unbeſtimmte Gerüchte bezeichnete, während doch jedes
Kind hier weiß, daß die Wachen verdoppelt ſind, die Poſten scharfe
Patronen und spitze Bajonnete führen und daß höherer Anordnung
zufolge allnächtlich ein Stabsoffizier auf der Feſtung sein muß, Eben
so lächerlich iſt die Behauptung, t aß die Militäre über die etwai-
gen Maßregeln tiefes Schweigen beobachteten. Ref. kann versichern,
daß es keinem Militär hier einfällt, das Geschehene und allgemein
Bekannte irgendwie “riecht zu wollen; das wäre auch unmöglich.

chweiz. ;

(]) Lausanne, 6. April. as ich in meiner Correspondenz
(Genf 8. Febr.) vorausgesagt hatte, iſt leider eingetroffen; Die
Freiſchaaren werden einrücken und total auf's Haupt geschlagen wer-
den-, das iſt nun geschehen. Auch die Ursache des Mißlingens hatte
ich dort leider nur zu richtig angegeben. Es iſt das Juſtemilieu, wel-
ches die Sache hat verlieren machen. Das Hauptcorps der Expedi-
tion beſtand aus Aargauer Kleinſtädtern und Luzerner Flüchtlingen.
Gewiſſe „liberaliſche! Zeitungen sahen eine gute Vorbedeutung darin,
daß ſich unter den Letzteren viele Leute von mehr als einer halben
Million befanden. Jetzt gestehen sie ein, daß hauptsächlich die An-
wesenheit dieſer Luzerner „den Kupp hat mankiren- machen. Diese

guten wohlhabenden Luzerner hatten, getäuscht von den sreundli-

cen Clientengeſichtern , welche den Wohlstand überall umgaben, ſich
gewaltig in der Stimmung des Volkes, für dessen wirklich e Be-
freiung auch sie Nichts unternehmen wollten, betrogen. Das

Volk empfing die Freiſchärler theilnahmslos, nur als die Letzteren ger

schlagen waren, erhoben sie ſich, um von der siegreichen Regierung
nicht der Indifferenz bezüchtigt zu werden. Die Luzerner Mittelſtän-
der dagegen schoſſen in die Luft und wollten nicht zugeben, daß man
Luzern, worin ihre Häuser und Gattinen seien, beſchieße, als ſie
aber selbst beſchoſſen wurden, zogen fie sich in größter Unordnung
nach Zofingen zurück.

Gleichwohl iſt in dieſem Kampf die Blüthe des Schweizerlannes.

geknickt und gebrochen worden. Denn auch die kleinen Kantone ha-
ben viele tapfere Leute verloren. Ein Bataillon Unterwalter soll
faſt ganz aufgerieben worden sein. Diejenigen, welche die Schweiz
haſſen, mögen sich freuen ob dieses jammernswerthen Ereignisses,
Alle, die sie lieben, werden es bitter beklagen. j

Die Baſellandſchäftler haben sich tapfer, die Berner haben ſich
noch tapferer geschlagen – und Messieurs les doctrinaires ant:
bien mené la chèvre. Blunliſchli und die andern Herren. in der
Majorität des vorörtlichen Staatsraths hätten dieſe Metelei leicht
verhindern können, und zwar so: Zug wollte nicht Partei ergreifen,
sondern wünſchle unter eidgenöſſisches Kommando gestellt zu werden,

um den Cinzug ter Freischaaren zu verhindern. Der Borort stellte

ſich, als verſtehe er dieſe naive Bitte nicht. Er hätte ſie verſtehen
und den Zugern einige Bataillone aus Chur, St. Gallen, Baſelſtadt
oder andern unparteiischen Kantonen beigeben können – und die
Freiſchärler wären gerne unverrichteter Sache abgezogen. Sie fingen
gerade an, das Vertrauen zu dem Unternehmen zu verlieren, es war
nicht mehr die Hofſnung, sondern die Scham, die sie trieb, daſſelbe

auszuführen. Sie hatten im Voraus ein wenig zu groß. gethan, fo

daß ſie ohne genügenden Vorwand nicht mehr zurücktreten konnten.
Man hätte ihnen diesen Vorwand so leicht gewähren, und somit alk
das Blut ersparen können. Aber Hr. Siegwari Müller wird wohl
geschrieben haben: „O mein süßer Meiſter Bluntſchli, laßt uns. vur
machen, laßt uns gewähren; wir haben einen süßen Speck ausgeſteckt-
an dem wir das Mäuschen wohl fangen werden,. Und so gingen
die Freiſchärler, die doch (wie gefährlich]h) — weder für Geld noch
„für's Plätzli- kämpften in den Tod. Glücklich sind die Todten.

Die hiesigen Doctrinären reiben sich vergnügt die Hände über
den Untergang der Räuber und Briganden und gründen süße Hofſ-
nung für sich selber darauf. Denn sonst würden sich diese ausge-
dörrten Schulmeifter nicht so sehr freuen. Sie verbreiten schon seit
3 Tagen das Gerücht, die Berner Regierung sei von der conserva-
tiven Reaction geſtürzt und „Wilhelm Snell der Nassauer, der An-
ſtifter der Freischaaren-- sei aufgehängt worden. Jämmerliche Taktik!
In Bern kann es zu einem Regicrungswechsel kommen, aber nur in
dem Sinn, daß die doctrinären HH. Blöſch & Comp. aus dem
Staatsrath gewiesen und durch andere entſchiedene Leute erseßgt wer-
den. Denn die Berncr ſind aufgebracht üter das Schaukelsyſtem ih-
rer Regierung. Vor der Hand also ſind alle retrograden Hoffnun-
gen noch voreilig. Später, ja später ~ Das ist was Anderes!

Zürich, 5. April. Bürgermeiſter D. Furrer eröffnete heute die ſeit
dem 20. März vertagte außerordentliche Tagsatzung mit einer ver-
sſöhnlichen Rede, und der Vorort erſtattete über die seit der legten
Sitzung stattgefundenen Ereigniſſe und seine daherigen Verfügungen
einen ſchrifilichen Bericht. Luzern verlangt danach durch Zuſchrit.Ö.
vom 2. April, daß die Freischaaren von der Tagsatzung aufgelöſt und
nicht nur Aargau, sondern auch andere Stände, die bei dem Frei-
ſchaarenzuge betheiligt seien, namentlich Baſellandschaft, für die dem
Stande Luzern dadurch verursachten Koſten haftbar erklärt werden.
Aargau hingegen dringt durch eine andere Zuschrift darauf, daß die
Jeſuitenfrage als Grundursache des Unheils im Baterlande von der
Tagsatzung neuerdings aufgenommen und erledigt und Luzern zur Bes
ſchwichtizung der gegenwärtigen Aufregung die Ertheilung einer all-
gemeinen und unbedingten Amnestie oder Begnadigung auferlegt werde.
Der Vorort verlangt am Schlusse seines Berichts die Eröffnung des
nöthigen Credits zur Befireitung der angeordneten Verfügungen.
Bern (Hr. RR. Weber) trägt darauf an, daß Luzern eingeladen werde,
den bei den dortigen Ereigniſſen von 1844 u. 1845 betheiligten Gefange-
nen Amneftie oder Begnadiguhg zu ertbeilen, damit die [[ 2cſhnkt t
regung u. Erbitterung beschwichtigt u. Ruhe u. Friede zurückgefübrt werde.
Zu diesem Zweck ſchlägt Bern zuvörderſt eine Commiſſion vor. Lu-
zern (Hr. Siegwart- Müller) hat gegen die Anordnungen des Vor-
ortes nichts einzuwenden .als die Verwahrung gegen irgend welchc
Einmischung von Seiten der Cidgenoſsenschaft in Luzerns Angelegen-
heiten. Der Gesandte gibt sodann eine Schilderung des legten Ein-
falls in den Kanton Luzern, ergeht ſich in Lobeserhebungen über
die Treue, die Tapferkeit und die Menschlichkeit des Luzernervolkes und
der im Kampf geſtandenen Truppen aus den Urkantonen; nennt die
Gefangenen und Gefallenen Opfer verblendeter und treuloſer Regie-
rungenz man könne ſich durch den Anblick der 2000 Gefangenen in

Luzern felbſt überzeugen, daß diese mit wenigen Ausnahmen eine

Horde von Banditen, der Abschaum der Menſchheit, seien. (Auf
den Lärm des Unwillens auf der Zuhörerbühne droht der Präſident
mit Räumung derselben.) Der Geſandte verlangt ſchließlich, daß die
Stände Aargau, Bern, Solothurn und Baselland angehalten wer-
den, die Freiſchaaren auf ihrem Gebiet zu entwaffnen und zu be-
ſtrafen und Luzern Genugthuung zu geben. Zur Beſchwichtigung
läßt der Präsident ein ihm eben zugekommenes Schreiben des eidge-
nöſſiſchen Commissärs verlesen, wonach in Luzern Amnestie sich vor-
bereite und die Gefangenen jetzt sehr gut verpflegt werden.- |
Bei der Abſtimmung sprachen ſich für Niederſetzung einer Com-
miſſion mit allgemeinen Aufträgen sämmtliche anwesende 20 Stände.
qus. Der Antrag Graubündens , diese Commiſſion aus sieben Mit-
gliedern zusammenzusetzen, wird ebenfalls einſtimmig angenommen.
In die Commission wurden gewählt : Präſident D. Furr er, RR.
Weber, Schmid, Kern, Staatsrath Calame Landammann Blu-.

mer, Präsident Müller. :

Luzern, 5. April. Unter den eingebrachten Gefangenen befindet sich
auch Hr. alt Regierungsrath Tscho p p von Mauensſee. Man ſcheint
mit dem Proceß gegen die Gefangenen eilen zu wollen. Als erſte
Opfer ſind auserwählt Hr. D. Steig er von Luzern, der alſo nicht wie
die ſchweizeriſche National-Zeitung meldete, erſchoſſen iſt, Hr. Oberſt_
Roth pletz von Aarau und Hr. Polizeidirektor Gugg er von Soo
lothurn. Geſtern Nachmittag schon wurde mit ihnen geſchloſſen. Es
iſt zu vermuthen, die Specialuntersuchung werde in gleichem Maße
beeilt werden. Ein Kriegsgericht konnte verfaſſungsgemäß nicht aufe)
geſtellt werden; hoffen wir, daß nicht auch kriegsrechtlich verfahren |
werde. [;; 1


 
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