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Mannheimer Abendzeitung — 1845

DOI Kapitel:
No. 146 - No. 175 (1. Juni - 30. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44007#0638

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wieder gegenſeitig bekämpfen. – Die erftere befteht a) aus den Män-
nern des entschiedenen Radicalismus (den Ultras im Staat) und h)
den Moderados oder Männern des ängſtlich hin und herſchwankenden
Liberalismus , der aus Zaghaftigkeit nie Gefahr laufen will, zu weit
zu gehen, oder sich fortreißen zu laſſenz die letzteren ſlnd ganz syſtem-
los und inconscquentz sie wollen den Fortschritt, aber ohne die Füße
zu rühren, besonnen, langſam und deutlich, und so beantragen oder
erlangen ſie immer nur halbe Maßregeln. Die lettere, die kirchliche
Opposition, theilt sich gleichfalls in zwei Heerhaufen, deren der eine
die kirchlichen Freiheiten durch den Liberalismus vermöge der Princi-
pien des Vernunfiſtaaices und ter Moral verlangt, während der an-
dere als Privilegien, welche die Kirche im Staate genießt, durch den
Radicaliesmus vermöge des Rechtes der abseluten göttlichen Einsetzung,
die kirchliche Immunität und Autonomie herausſchlagen wikl. Dies
ſind die Streitheere, welche im kleinen Kriege mit Plänkeln, Schar-
mützcln und Vorpoſtengefechten ihre Kraft aufopfern und ihr Blut
verſpritzen.

–~ ~ Es sei uns jettt verſtattet, hier einen Blick auf die
weniger ſcharf hervortretenden, [nur leicht markirten Meinungsnüan-
cirungen zu werfen, deren Uebergänge sich oft unvermerkt verwiſchen,
ſo daß eine Gränzlinie schwer zu ziehen iſt. Es gibt. nämlich im
Lager der Servilen zwei Abſtufungen: 1) Optimiſten, oder
Solche, die Württemberg für ein paradiesiſches Eldorado und die öf-
fentlichen Zuſtände für das non plus ultra von Glückſcligkeit halten,
und glauben, man könne es fich nicht beſſer wünschen, und 2) Hyper-
Absolut iften, Solche, die sogar noch eine Deterioration oder
relormatio in pejus für zulässig halten, ja es gerne sehen würden,
wenn man dem „gemeinen Volk“ die Flügel noch in Etwas beſchnci-
den und den Brodkorb höher hängen könnte. Auf der andern Seite,
im Lager der O ppoſiti on, befteht eine ähnliche Spaltungz die An-
hänger und Wortführer des Realis mus ſind nur so lange radical
und liberal, bis die von ihnen bevorwortcten materiellen Int e-
r eſſen des Volkes von Seiten der Regierung befriedigt werden, und
das Minisſlerium ihre Oppoſition vielleicht durch klug berechnete Con-
ceſſionen, wie z. B. eine Zweigeiscnbahn, eine Kunſtftraße auf Staats-
koſten übernommen, d. h. durch Förderung der Sonderinteressen ihrer
Committenten, oder durch nicht tloß ſpecielle, sondern allgemeine
Maßregeln, wie die Aufhebung oder Verminderung verhaßter Steuern,
drückender Auflagen durch Abstellung zu großen Auswands für Penſtionen,
fürs diplomatiſche Corps, für Militär zum Stillschweigen bringen,
Dieſer Fraction gegenüber steht die dem Idealismus hulodigende,
welche mit Hebung der materiellen Interessen nicht zufrieden, auch

_ noch Concessionen für die intellcciuelle Wohlfahrt der Bürger verlangt,

ja ohne die letztere gar nicht hoch anſchlägt. Zu dieser Fraction ge-
hören denn namentlich die eigentlich Radikalen, welche Aufhebung der
Censur, freie Preſſe, Geſchwornengerichte, Oeffenllichkeit und Münd-
lichkeit vor Gericht, Anklageproceßh, Wahlfreiheit und Walhlreform,
Judenemancipation, Gewerbefreiheit, Autonomie der Gemeinden u.
dgl. verlangen. Diese lettere Art, der wahre Radicalismus , iſt im
Grunde genommen gar nichts Anderes, als consequenter entschiedener
Liberalismus , oder eine folgerichtige Durchführung der principiellen
Begriffe von bürgerlicher Freiheit und natürlichen Menſchenrechten.
Außerdem iſt es aber noch eine Frage, welche dei groß itiao in
Partes in der Kammer zur Folge hat. Sobald nämlich von den
Eisenbahnen die Rede iſt, gibt es weder Conservative, noch Liberale
mehr, sondern es tritt eine ganz andere Clastüſication cin. Die Ber-
theidiger der intellectuellen Intereſſen ſind unbedingt auch für die Ei-
sſenbahnen, als Mittel zum Zweck, zu Beförderung von internatio-
nalem Berkehr, Ideenaustauſch 1c. Hingegen die Koryphäen des Ra-
dicalismus (?) betrachten die Anlegung von Eisenbahnen höchstens als

„ nothwendiges unvermeidliches Uebel, oder als ein Unglück für das

Land, welches die Bürger an den Btttelſtab bringen, oder den Ruin
des Staates unaustktleiblich herbeiſühren müſſe. Cinige aufgeklärte
Fabrikanten und Männer, welche die Welt gesehen haben, ausgenom-
men, hören wir von den Materiellen das beſtändige Zetergeſchrei über
das grenzenloſe Unheil der Ciſenbahnen, die in Europa einen
allgemeinen Staatsbankerot hervorbringen würden, wie sie seiner Zeit
die Insolvenzerklärung und Finanzkrise der Vereinigten Staaten Nord-

amerikas zur Folge gehabt, und die Staaten der Union dadurch allen
Credit eingebüßi hätten.

Daß natürlich diese Anſicht im Volke sehr vielen Anklang findet,

weil die württembergische Finanzverwaltung nahe daran war, im
Laufe der nächſten zehn bis zwölf Jahre ihre ſämmillichen Staatsſchul-
den abzubezahlen und zu tilgen, während nunmehr ſieben und dreißig
VYillionen Gulden neues Staatsanlehen contrahirt werden müſſen,
iſt um so erklärlicher , als die Entlaſſung des Finanzminiſters Her-
degen, welcher den ganzen Bahnbau einer Privatgesellſchaft überlassen
wollte, im ganzen Lanve allgemein tief bedauert und laut mißbilligt
wurde, Rechnet man hiezu noch die Mißzriffe des Miniſteriums,
bie Berufung der Techniker Negrelli und Bignolles zu monatelanger
Untersuchung und Terrainrecognoseirung für zehn Pfund Sterling



Taggeld und ein Pf. St. Reiſekoſtenentſchävigung per Wegftunde) um
nachher die beiden Gutachten“ diefer Ingenieurs doch wieder zu ven.
werfen, die widersinnige Verlegung des Hauptbahnhofs nach Stute.
gart mitten in die Stadt hinein, so daß über zwei Straßen ein Visa-
duct, die Niederreißung der schönsten Häuser und die Durchgrabung
zweier Tunnels durch hart vor der Stadt gelegene Anhöhen nöthig
wird, überschlägt man All dieß zusammen, so wird man ſich nimmer
über den Widerwillen des Bolkes gegen die Eisenbahnen überhauyt
und tut den lebhaften Widerspruch, den dieselben ſchon in der Kam- -
mer fanden. .

Stuttgart, 2. Juni. ( S. M.) Heute wurden die Bera-
thungen der vaterländischen Induſtriellen und anderer Sachverſtändi-
gen, welche hierher berufen wurden, um über die auf dem Kongreß
der Zollvereineſtaaten in Karlsruhe zur Sprache kommenden Fragen
ihr Gutachten abzugeben, im Sitzungsſaale des k. Finunzminiſteriums
vom Finanzminiſter y. Gärttner eröffnet. In einigen Wochen verel-
nigt fich die erſte allgemeine Versammlung der süddeutſchen und schwet-
zeriſchen Bucthändler, bei welcher, nach den vorläufigen Anmcloungen
zu schließen, sebr zahlreiczer Besuch vorausgesehen werden kaann.

Der Stadtrath hat heute nach wiederholter Berathung rück-
sichtlich der Schwierigkeiten, das Einlafg Id vom Wein und Obſtmoſt,
nach erfolgter Aufhebung der übrigen Octroiſteuern, allein noch bei-
zubehalten, unter erneuerter Zuaſtimmung des Bürgerausschusses mit
12 gegen 5 Stimmen beſchloſſen, dieses Einlaßgeld vom 1. Juli
1845 an ebenfalls aufzugeben.. ;

Zwickan. (Petitionen um Verbeſſerung des Wahyhl-
g ese es.) Am Meisten beſchäftigt iſt gegenwärtig die hiesige Bür-
gerſchaft mit der Petition um Berbesserung des Wathlzesſeges,
die vom Stadtrath Oberländer verfaßt, in einer öfsentlichen Verſamm-
lung der Bürger durchgesprochen, dann in unserm Wochenblatt abge-
druckt und nun auch in die benachbarten Städte zu gleicher Betheili-
gung, gesendet worden iſt. Man ging von der Ansicht aus, daß ein
gutes Wahlgesetz die Seele der Verfassung iſt, daß ſie
erſt belebt wird, wenn das Volk durch freigewählte Vertreter von
den durch die Verfaſſung gewöährleifteten Rechten Gebrauch macht.
Tüchtige, muthige und getreue Abgeordnete würden ein geringes Maß
von Rechten, welche der Voikskammer zuſtehen, zum Heile des Lans
des auszuüben wissen, ja ſie würden darin das Mittel fiaden. noch
weitere Rechte zu erſtreben und zu erringen. Jeden Falls würden
ſie das Volksrecht und das Volkswohl niemals unvertyheidigt laſſen
werde. In tieser Beziehung iſt nicht zu verkennen, daß unſer jetziges
Watlgesetz die Wahlfreiheit des Volkes in hohem Grade beschränki.
Denn bis auf wenige Ausnahmen ſteht das Stimmrecht nur den Au-
ſäſſsigen zu, die Wahlfähigkeit zu Wahlmännern sowohl als zu Abgt-
ordneten aber in der Regel nur einigen Höchſt-Beſteuerten, wozu noch
kommt, daß die Wähler theils an ihren Stand (die Bauern an
Bauern, die Rittergutsbeſitzer an Rittergutsbesitzer, die Städter an
Städter], theils an ihren Bezirk gebunden ſind: Beschränkungen, die
in dieſer Ausdehnung die süddeutschen Bevölkerungen z. B. nicht ken-
nen, wo zwar auch ein Cenſus (Cin Baden für den Deputirten]) be-
steht, im Utbrigen aber aus jedem Bezirk, aus jedem Stande frei
gewählt werden kann. |r,-Wenn dessen ungeachtet unſcre bisherigen
Kammern Männer von Fähigkeiten, Kenntaiſſen und Bürgertagend
gezählt haben, so iſt dies als ein günſtiges Ereigniß anzusehen, sür
deſſ.n Fortbeſiand das jetzige Wahlzeſet keine Garantie bietet.!" Dir
Verbeſſerung dieses Wahlgesetzes war denn auch beim vorletzten Land-
tage bereits von Todi vorgeschlagen worden, kam aber damals nicht

zur Verhandlung z beim letzten Landtage wurde wenigstens in der zwei-

ten Kammer über die erneuerte Todt'ſche Petition verbandelt, zwär
nicht mit Erfolg, aber die Sache war doch nun angeregt. Die
Zwickauer Petition wird dem bevorſtehenden Landtage von Neuem
Gelegenheit geben, ſich mit der Frage zu beſchäftigen. Sie geht
hauptsächlich darauf aus, die Beſchränkung auf den Sta nd und B t-
zir k hinwegzusſchaffen, den Cen su s aufzuheben oder wenigstens her-
abzusetzen und auf dem Lande den Mitgliedern der Gemeinderäthe dit
Wählbarkeit zu ertheilen. „Man erlaube den Wählern, den Besten
und Wärdigſten, wo immer sie ihn finden, zum Abgeordneten
zu wählen." – „Die Bauern sollen Leute, welche hinter dem Pfluge
hergehen, wählen können, aber ſie sollen ſie nicht wählen müſsen -

Hannover, 27. Mai. Die große Verſammlung aller deut-
ſchen Guſtav-Adolph- Vereine wird im September in Stn tt-
g art gehalten werden, von hier wird der Paſtor Flügge als
putirter dorthin gehen. . m

DOldenburg, 32. Mai. (Wſer-Ztg.) Ihre Zeitung beri
seiner Zeit, daß der Stadtmagiſtrat und die Stadtverordneten,
Stadtrath genannt, sich dahin vereinigt hätten, die De fentlichkei .
Sitzungen des Stadtraths zu beantragen. Es geschah dies mir
 
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